Back To The Future, Past And Present
Wer kennt sie nicht, die unvergleichliche Geschichte von Charles Dickens über den griesgrämigen, geizigen Ebenezer Scrooge, dem zu Weihnachten drei Geister erscheinen und ihm Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft offenbaren. Majestica hat sich „A Christmas Carol“ zur Brust genommen – wir haben reingehört…
Wenn einem bei knapp 20 Grad und eitlem Sonnenschein Rudolf mit seinen Rentier-Kollegen über den Weg galoppiert, die Glöcklein des von Santa gelenkten Schlittens lustig bimmeln und die darauf verstauten, mit bunten Bändelchen verzierten Geschenke munter auf und ab hüpfen – ja, dann ist es wohl an der Zeit, seine Medikation zu überprüfen. Es sei denn… ja es sei denn, man lauscht gerade den weihnachtlich-kraftvollen Klängen von Majesticas neustem Streich: „A Christmas Carol“!
Wie eingangs angedeutet, handelt es sich um ein Konzeptalbum, welches die wunderschöne und filmisch mannigfaltig umgesetzte Geschichte rund um den knausrigen Geldverleiher Ebenezer Scrooge erzählt, der an Heiligabend zunächst Besuch von seinem ehemaligen, vor sieben Jahren verstorbenen Geschäftspartner Marley sowie in der Folge von drei weiteren Geistern erhält, welche ihm seine eigene Vergangenheit, Gegenwart – und Zukunft offenbaren. Falls jemand das Meisterwerk von Charles Dickens noch nicht kennen sollte – hier bitte eine kurze Pause einlegen und die diesjährige Adventspflichtlektüre bestellen – es lohnt sich.
Die Geister, die ich rief…
Eingeläutet (was für einmal keine leere Floskel ist) wird das Album vom namengebenden Intro „A Christmas Carol“, welches in allerbester Hollywood-Manier den Zuhörer freundlich bittet, nun doch bitteschön Platz zu nehmen und dem, was da nun folgt, verzückt zu lauschen (und ja, meine Freunde der verzerrten Gitarrenklänge, Mitwippen und Headbangen ist ausdrücklich erlaubt). Bereits in „A Christmas Story“ wird einem bewusst, dass dies keine herkömmliche, traditionsbehaftete Weihnachtsplatte, sondern vielmehr eine verrückte, kitschig-bombastische Power-Metal-Oper ist, die mit verschiedenen Stimmen, cooler Orchestrierung sowie ganz, ganz viel Festtagsesprit aufwartet. Wer insgeheim ein wenig auf Sabaton-like Vibes (schliesslich ist Tommy Johansson seit nunmehr vier Jahren ebenfalls als Gitarrist bei Sabaton tätig) hofft, wird wohl enttäuscht sein – wer nach diesen ersten Klängen aber einem brillanten, geil arrangierten und wunderbar festlich eingetüteten Xmas-Album entgegenfiebert, der wird reichlich beschenk werden!
Das folgende „Ghost Of Marley“ – Fun-Fact: übrigens der einzige Track der Scheibe, der kein „Christmas“ im Namen trägt – ist ein schaurig-krachendes Duett zwischen Tommy (in der Rolle des Scrooge) und Chris (als Marley), das den beiden Sängern genügend Freiraum zur stimmlichen Entfaltung bietet – und die Frage aufwirft, ob wohl alle Schweden solche Multitalente sind.
„Ghost Of Christmas Past“, die erste Singleauskopplung, und für meinen Geschmack der wohl beste Song des Albums, nimmt uns mit auf eine Reise in vergangene Tage, hin zu den Ereignissen, die Ebenezers Herz erkalten liessen. Besonders die emotionale Komponente in diesem Stück, als Scrooge seine grosse Liebe Belle verliert („Then I see a lonley man, Waiting for his true love Belle, Knowing that she won’t show up, She was my true love, I knew but she had found herself someone new“), wurde wunderschön eingefangen. Und nebenbei: Wem beim innigen Zuhören bis hierhin noch nicht auffiel, dass in jeden Song auch ein klassisches, bekanntes Weihnachtslied eingewoben ist, möge den (virtuellen) Tonabnehmer doch bitteschön nochmals ganz nach aussen bewegen 😉
Im Vergleich zu Helene Fischer
„The Joy Of Christmas“ – Track Nummer fünf und somit perfekt mittig platziert – ist die Ballade der Scheibe. Gefühlvoll vorgetragen, offenbart sich hier zudem der nicht unbedingt zu erwartende Facettenreichtum in Tommy Stimme. Anders als in den vorangegangenen Songs übernimmt er hier die Rolle von Bob Cratchit, dem misshandelten, unterbezahlten Angestellten von Ebenezer Scrooge. Gerade in solchen Momenten zeigt sich die Wahl der Ich-Perspektive als wirklich genialer Schachzug, wenn es um die Wahl des erzählerischen Mittels geht. Ebenfalls cool: alle Mitglieder von Majestica agieren als Leadsänger, und erhalten dabei Unterstützung durch Gastvokalisten von Bands wie Veonity und Hot Beef Injection.
Der Besuch der Geister zwei und drei in „Ghost Of Christmas Present“ respektive „Ghost Of Christmas To Come“ führt die episch-powergeladene Erzählung mit unveränderter Dynamik fort. Auf kreativer Ebene werden zudem Elemente wie die gesprochene Unterhaltung der Stadtbewohner oder ein ungeduldig tippelnder Grundcharakter beim Geist der zukünftigen Weihnachten eingeführt. Was heraussticht, ist diese sehr emotionale Interpretation des Gesungenen, diese Verzweiflung in Scrooges Stimme – etwas, das ich zum Beispiel bei Helene Fischers Version von „Let It Go“ trotz aller stimmlichen Perfektion schmerzlich vermisst habe.
„A Christmas Has Come“ legt den düsteren Mantel der übernatürlichen Erscheinungen ab und bringt uns zurück ins Hier und Jetzt – der Weihnachtsmorgen erwartet den geläuterten Scrooge und lädt zum fröhlichen Happy End. Das finale „A Majestic Christmas Theme“ kommt als rein instrumentale Nummer daher und lässt die lieb gewonnenen Melodien nochmals als Reprise vorbeiziehen.
Dieses dunkle, kalte gespenstische Gefühl
Aufgenommen und produziert wurde „A Christmas Carol“ im Sommer 2020 in Nygård, Ekshärad. Für das Mixing und Mastering des Albums war Jonas Kjellgren (Scar Symmetry, Raubtier) in den Black Lounge Studios zuständig.
Das Artwork stammt von der bisher eher unbekannten Künstlerin Madeleine Andersson. Sie hatte zuvor Fanart für Twilight Force (bei denen Tommy 2017 für die anstehende Tour mit Dragonforce einsprang, nachdem deren Leadsänger Chrileon die Combo verlassen hatte) gemacht und der Stil ihrer Malerei ist genau das, was die Band für dieses Album gebraucht hat. Tommy zum Artwork: “Wir wollten ein gemaltes Artwork, das wirklich dieses dunkle, kalte, gespenstische Gefühl einfangen konnte, um das es in dem Album geht. Ich kenne sie schon eine Weile, deshalb wusste ich schon, was sie so draufhat. Als ich sie dann gefragt habe, war sie sofort dabei. Wir sind sehr beeindruckt und glücklich mit dem Artwork, welches sie für das Album gemacht.”
Das Fanzit Majestica – A Christmas Carol
Auch wenn 2020 in so mannigfaltiger Weise ein Sch… – Jahr ist, so tragen Majestica mit „A Christmas Carol“ doch massgeblich dazu bei, es versöhnlich ausklingen zu lassen. Das Album deckt künstlerisch eine grosse Bandbreite ab und ist für mich nahe dran, als Beispiel für die perfekte Metamorphose aus Power Metal, Musical, Theater, Bombast, Gefühl, erzählerischem Geschick und Weihnachtsstimmung dienen zu können.
Majestica legen mit „A Christmas Carol“ ein wunderschönes Weihnachtspräsent unter den Christbaum. Es ist ein Meisterwerk, das für die grosse Bühne geschaffen wurde – wo Tommy die primären Probleme für dieses Unterfangen sieht, lest ihr in unserem Interview mit ihm! Für mich persönlich schon jetzt DAS musikalische Highlight des Jahres!
Anspieltipps: Das gesamte Album!
Ab Release reinhören und portofrei (vor-)bestellen
Trackliste Majestica – A Christmas Carol
- A Christmas Carol
- A Christmas Story
- Ghost Of Marley
- Ghost Of Christmas Past
- The Joy Of Christmas
- Ghost Of Christmas Present
- Ghost Of Christmas To Come
- A Christmas Has Come
- A Majestic Christmas Theme
Line Up – Majestica
- Tommy Johansson – Gesang, Gitarre, Keyboard, Schlittenglocke
- Chris David – Bass, Schlittenglocke
- Alex Oriz – Gitarre
- Joel Kollberg – Schlagzeug