Balanceakt zwischen Feierlichkeiten und Melancholie
Der finnische Folk-Party-Express Korpiklaani braust am 05.02.2021 mit einer neuen Scheibe heran. Okay, es wäre zugebenermassen ziemlich unfair, die Herrschaften lediglich auf ihre für heiteres Schwanken verantwortlichen Sauflieder der Marke «Beer Beer», «Vodka», «Tequila» oder «Wooden Pints» zu reduzieren. Aber will man das den Leuten wirklich verübeln, wenn ihnen da jeweils das gesamte Barsortiment akustisch vor den Latz geknallt wird?
Doch der Sechser vermag auch ruhigere Hymnen zu produzieren, die sich hauptsächlich mit Mutter Natur befassen und zum Nachdenken anregen. Allerdings bliesen den Musikern exakt wegen solcher Kompositionen kritische Windböen entgegen. Die Mehrheit bevorzugt offenbar Festivitäten anstatt irgendwelche Grübeleien. Und ja, auch meine Wenigkeit setzt an Korpi-Gigs jeweils einen angemessenen Anteil von Leber schädigenden Hymnen in der Setlist voraus. Nichtsdestotrotz soll genügend Raum für die andere Gattung Liedgut vorhanden bleiben. Kompositionen à la «Lempo» oder «Ämmänhauta» haben durchaus ebenfalls ihren Reiz.
Der elfte Streich der Humppa-Metaller soll als «Jylhä» in die Geschichte eingehen. Wie so oft ist es mit der sauberen Übersetzung der finnischen Sprache so eine Sache… Gemäss Internetrecherchen könnte das deutsche Wort «majestätisch» am zutreffendsten sein. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich sowieso mein witziger Fakt: Seit Jahren verfolge ich diese Gruppe und sammle ihre Platten, ohne die Songinhalte wirklich zu verstehen. Nichtsdestotrotz bleibt die Unterhaltungskomponente bei den Saunaliebhabern häufig gewährleistet. Ob sie sich mit «Jylhä» wirklich die Krone aufsetzen, soll die nachfolgende Analyse aufzeigen.
Das Album – «Jylhä»
Gewissen Aussagen zufolge kämpfen Korpiklaani aufgrund der Humppa-Elemente speziell in ihrer Heimat regelmässig gegen die Aussage, dass ihr Schaffen «Alte-Leute-Musik» sei. Da hat sich wahrscheinlich jemand gewaltig verhört, denn das neue Album wird mit einem Hochgeschwindigkeits-Doppelschlag in Form von «Verikoira» und «Niemi» eingeläutet. Holla, die Waldfee! Da kommen teilweise äusserst schwermetallische Riffs zur Geltung! In Kombination mit Akkordeon und Geige mutiert das Paket zu einer unbändigen Folklore-Eskalation. Das Sextett präsentiert sich von seiner besten Seite. Die ideale Mischung von Härtegrad und Party! Gerade «Niemi» ist eine waschechte Rakete und dürfte im Live-Gewand für tonnenweise Freude sorgen.
Der nächste Track («Leväluhta») ist gespickt mit Reggae-Einlagen und dürfte vom Rhythmus her generell regelrecht tanzbar sein. Vor meinem geistigen Auge tummeln sich schon interessant anzusehende Schunkel-Moshpits. Inhaltlich geht es um eine Quelle, in deren Nähe bei Ausgrabungen zahlreiche Überreste von Leichen aus der Eisenzeit gefunden wurden. Weshalb man die Verstorbenen dort begraben hat, bleibt ein Mysterium. Diesem versuchen «Reggaeklaani» mittels einer fiktiven Geschichte neues Leben einzuhauchen. Nuclear Blast hat YouTube fleissig mit Clips eingedeckt. Dadurch sind Illustrationen kaum Mangelware.
«Mylly» erzählt eine Geschichte über ein teuflisches Lebewesen, das in einer Mühle haust. Nun geht es deutlich gemächlicher zu und her. Dieser Umstand ruft wegen des sonst so temporeichen Starts in den Silberling ein bisschen Ernüchterung hervor. Das ist eben die zuvor angesprochene Seriosität, welche die Fan-Lager oftmals spaltet. Die melancholische Ader der Band entspricht effektiv nicht jedermanns Gusto.
Das darauffolgende «Tuuleton» erweckt zuerst ebenfalls den Eindruck einer angezogenen Handbremse. Fronter Jonne Järvelä singt beinahe zurückhaltend und zart. Die Nummer entpuppt sich jedoch als ziemliche Wundertüte, was einem erst nach mehreren Durchläufen bewusst wird. Die Instrumentalfraktion verleiht der ganzen Angelegenheit einen sonderbaren Zauber. Das Talent zum Komponieren von gemässigten Stücken existiert ohne Zweifel. Und in diesem Fall treffen die musizierenden Waldmänner sogar voll ins Schwarze.
Bei «Sanaton Maa» scheint es sich um ein gewagtes Experiment zu handeln. Sami Perttula wollte einen klassischen Hair Metal-Song mit typischen Eigenheiten schreiben. Kollege Jonne hat der köchelnden Suppe dann noch eine Prise «Folk» hinzugefügt. Aber wieso zu Hölle wirkt diese Melodie unglaublich vertraut? Nachdem meine Hirnmasse eine Extraschicht eingelegt hat, folgt endlich die Erleuchtung! Hört euch bei Gelegenheit einmal «Familiar Hell» von Battle Beast an. Sieht mir verdächtig nach «Inspiration» unter Landsleuten aus. Als anständiger Bürger würde ich das böse Wörtchen «Diebstahl» bekanntermassen niemals in den Mund nehmen (*hust*).
Die messerscharfen Riffs und Drum-Salven (zweitgenannte stammen von Samuli Mikkonen) zu Beginn von «Kiuru» machen Hoffnung. Das Lied nimmt gut Fahrt auf, aber unglücklicherweise bleibt der grosse «Wow»-Effekt aus. Somit reicht’s am Ende lediglich für das Prädikat «nett». Scheibenkleister! Wo ist nur der ominöse letzte, herüberspringende Funke abgeblieben? Das anschliessende «Miero» strauchelt ungefähr an denselben Hürden…
Dafür lässt «Pohja» die Meute wieder frohlocken und engagiert durch die Landschaft hüpfen. Geht doch! Wegen solcher Kaliber kennen und lieben wir das Suomi-Sextett. Gesang, Instrumente und Tempo – hier passt in Tat und Wahrheit alles zusammen. Das fördert angemessenes Durchdrehen. Geigen-Genie Tuomas Rounakari vermag seine Scheinwerfer-Momente gekonnt zu nutzen. Dass die erzeugte Energie direkt für das facettenreiche «Huolettomat» sinnvoll weiterverwendet werden kann, freut die Zuhörerschaft natürlich. Der schleppende Mittelteil des Albums scheint überstanden zu sein.
Dank der Klänge von «Anolan Aukeat» wandert man sogleich gedanklich durch irgendwelche malerische Gegenden des Lands der Tausend Seen. Gefühlvolle Sache. Schade bloss, dass die Reise nach knappen drei Minuten bereits beendet wird. Trotzdem bleibt die Abenteuerlust bestehen, denn «Pidot» (Nein, das hat nix mit einem Bidet zu tun) punktet mit Country- und Wildwest-Allüren. Ein lautstarkes «Yee-haw» ist an dieser Stelle eigentlich Pflicht!
Der Rausschmeisser «Juuret» könnte fast schon als Résumé für das gesamte Werk verwendet werden. Alle Korpiklaani-Elemente kommen zum Zug, aber es können ebenfalls Sonnen- und Schattenseiten beobachtet werden. Aber ich möchte der echten Zusammenfassung keinesfalls etwas vorwegnehmen.
Das Fanzit Korpiklaani – Jylhä
Und deshalb wollen wir die Resultate und Erkenntnisse lieber unter diesem Abschnitt zusammentragen. Im Vergleich zum Vorgänger «Kulkija» – der wirklich arg schwach auf der Brust war – ist eine Steigerung erkennbar. Die Tendenz zeigt freilich wieder in die richtige Richtung. Vollends haben die Herrschaften die Kurve allerdings noch nicht gekriegt. Vielleicht stellen die 13 Tracks im Kofferraum des Fahrzeuges zu viel hinderliches Gewicht dar. Die Krönungszeremonie muss warten. Der mittlere Absatz von «Jylhä» offenbart doch die eine oder andere langatmige Passage, welche die Lauscher langweilen. Das mag sich wohlmöglich in der Entwicklung der Band manifestieren: Weg von Party- und Saufliedern, hin zu nachdenklicheren Gefilden. Sollten diese Dinge eines Tages die Überhand gewinnen, wird’s garantiert düster für die Künstler. Welchen Weg die Musiker definitiv einschlagen werden, steht hingegen noch in den Sternen. Das Feiern und das Erschaffen von mitreissenden Folk-Hymnen haben Korpiklaani nämlich auf gar keinen Fall verlernt. Hammermässige Songs wie «Niemi» oder «Pohja» figurieren diesbezüglich als hervorragende Beweismittel. Zusätzlichen Spassfaktor garantieren gelungene Experimente à la «Leväluhta» und «Pidot».
Empfehlenswerte Hörproben: «Niemi», «Leväluhta», «Tuuleton», «Pohja», «Pidot»
Tracklist Korpiklaani – «Jylhä»
- Verikoira
- Niemi
- Leväluhta
- Mylly
- Tuuleton
- Sanaton Maa
- Kiuru
- Miero
- Pohja
- Huolettomat
- Anolan Aukeat
- Pidot
- Juuret
Line Up – Korpiklaani
- Cane – Gitarre/Backing Vocals
- Jonne Järvelä – Gesang/Gitarre/Mandoline/Drehleier/Violafon/Schamanentrommel/Djembe/Flöte
- Jarkko Aaltonen – Bass
- Tuomas Rounakari – Geige
- Sami Perttula – Akkordeon
- Samuli Mikkonen – Drums