Metalinside.ch - Therion - Z7 Pratteln 2018 - Foto pam
Do, 21. Januar 2021

Therion – Interview mit Christofer Johnsson

Opera Metal, Symphonic Metal
08.02.2021
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Song sucht Sänger – oder wieso Therion keine Band ist, die sich mit „ok“ zufriedengibt

Was gibt es Angenehmeres als einen Interviewpartner, der dank seiner immensen Erfahrung viel Spannendes zu erzählen hat – und dies auch mit Freuden tut? Christofer Johnsson – Mastermind der operesken Symphonic Metalband Therion – ist eines dieser doch eher rar gesäten Exemplare. Ich hatte das Vergnügen, mich mit ihm am Vorabend der Veröffentlichung seines neuen Meisterwerkes „Leviathan“ (siehe Review) unterhalten zu dürfen. 

Was hält Christofer von der Schweiz? Welche Konsequenzen hatte Covid-19 auf die Aufnahmen zu „Leviathan“ – und wie denkt der Gitarrist generell über die Pandemie? Wird Software ein echtes Orchester schon bald ersetzen und welche verschlungenen Wege kann ein Song in seiner Entstehung zuweilen nehmen? Was waren die herausragendsten Erlebnisse seiner doch nunmehr 30 Jahre andauernden Karriere? Und welchen Rat würde er sich rückblickend geben? Während knapp einer Stunde haben wir diese, sowie einige weitere Themen erörtert – viel Spass beim Lesen.

Metalinside (Sandro): Hallo Christofer. Vielen Dank, dass du mich anrufst – und natürlich auch, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst! Wie geht es dir?

Christopfer: Gut, danke. Und entschuldige bitte, dass ich mich etwas verspätet habe, aber momentan ist gerade sehr viel los bei uns. Wir geniessen so viel Interesse wie schon lange nicht mehr, speziell auch aus Amerika. Das ist für heute nun mein letztes Interview, wir haben also alle Zeit der Welt.

MI: Das kann ich mir sehr gut vorstellen, schliesslich erscheint morgen ja euer neues Album „Leviathan“, auf das wir nachher noch ausführlich zu sprechen kommen werden. Vorab würde es mich aber interessieren, wie es dir im letzten, Corona-verseuchten Jahr so ergangen ist. Was hat dir in dieser Zeit am meisten gefehlt, sei es privat als auch musikalisch?

Christofer: Nun, ich habe ein komplett ausgerüstetes Studio bei mir zu Hause, in dem ich ohnehin einen grossen Teil meiner Zeit verbringe, von dem her hat sich für mich nicht allzu viel verändert. Was ich vermisse… dass die Leute nicht so verdammt verängstigt und dumm wären. Ich fürchte mich eher vor Leuten, die bereit sind, die Demokratie aufzugeben als vor dem Virus selbst. Es ist eine übertragbare Krankheit, du kannst dich anstecken, und wenn du zu einer Risikogruppe gehörst, kannst du daran sterben, wie das aus vielen anderen Gründen auch passieren kann. Es ist irgendwie seltsam: Jahr für Jahr sterben alte Leute an der saisonalen Grippe. Corona ist gefährlicher als die normale Grippe, absolut einverstanden, und es ist sicher eine gute Idee, vorsichtig zu sein, da stimme ich voll und ganz zu. Aber wenn du dir die Spanische Grippe anschaust, die vor 100 Jahren grassierte und eine Todesrate von 10% hatte, so brachte man es damals dennoch fertig, Demokratie und Wirtschaft am Leben zu halten. Heute habe ich fast etwas den Eindruck, die Leute seien bereit, dies alles aufzugeben und aus meinem Land einen Polizeistaat werden zu lassen – einfach, weil sie Angst haben. Auf mich wirkt das alles überzogen. Wenn man Impfpässe fordert, um überhaupt noch reisen zu können, so erinnert mich das ein wenig an 1984 von Orwell, und das macht mir nun Angst.

Wenn du früher in einem Land gelebt hast, in dem alles irgendwie aus dem Ruder zu laufen schien, dann konntest du fliehen und dich an einem Ort niederlassen, wo alles etwas weniger kaputt und verkorkst war. Aber jetzt scheint die ganze Welt auf einmal durchzudrehen. Das wirkt auf mich enorm verstörend. Und wenn das jetzt auch noch in der Schweiz losgeht… Früher war es so, dass, wenn auch die ganze Welt um dich herum untergeht, so konntest du dich dennoch stets auf Island und die Schweiz verlassen – zwei Länder, auf die man zählen konnte, die zurechnungsfähig blieben. Ich habe erst kürzlich gelesen, dass ein deutscher Wissenschaftler vorgeschlagen haben soll, Leute, die sich nicht impfen lassen wollen, im Spital einfach nicht mehr zu behandeln. Das ist für mich in etwa dasselbe, wie wenn man Menschen, die wegen des Rauchens Lungenkrebs bekommen, ohne Behandlung sterben oder Autofahrer, die ohne Sicherheitsgurt unterwegs sind und einen Unfall haben, einfach auf der Strasse verbluten liesse.

In der Schweiz wurde anscheinend eine Umfrage lanciert, und gemäss dieser würden rund 60% der gerade genannten Idee zustimmen. Klar, es ist nur eine Umfrage und keine Abstimmung – vielleicht ist das Ergebnis der Erhebung verzerrt, vielleicht hat man es auch fertiggebracht, die tausend dümmsten Personen zu befragen – aber es zeigt eben auch, dass selbst die beste Demokratie auf diesem Planeten nicht davor gefeit ist, dass sich die Leute wie Idioten verhalten.

Die Schweiz ist in meinen Augen das Beste, was unsere Zivilisation in Bezug auf Demokratie erreichen konnte. Klar, die direkte Demokratie ist nicht perfekt, aber immer noch das Bestmögliche. Das war auch der Grund, wieso ich zu meiner Freundin sagte: bevor hier – also in Malta, ich lebe ja nicht mehr in Schweden – alles den Bach runter geht, lass uns in die Schweiz gehen. Dann habe ich den besagten Artikel gelesen und wir sind hier geblieben (lacht).

MI: Vielen Dank für das nette Kompliment über mein Heimatland!

Christofer: Ich habe einige Zeit in der Schweiz zugebracht, als ich noch bei Messiah spielte – in Zürich wie auch in Zug – und dabei einen extrem guten Eindruck von diesem Land gewonnen. Es ist für mich das beste Land auf diesem Planeten. Da zu leben ist allerdings sehr kostspielig, das ist aus meiner Sicht aber auch schon der einzige Nachteil. Die Schweiz ist ein Land mit vier Landessprachen, aber ihr habt keine Separatisten, keine Leute, die sich deswegen gegenseitig umbringen wollen. In jedem anderen Land, in dem mehr als nur eine Sprache gesprochen wird, gibt es deswegen Probleme – sogar in Kanada, das ich für ein an und für sich modernes Land halte, kommt es in Québec immer mal wieder zu Spannungen.

MI: Morgen nun erscheint euer neues Album „Leviathan“, ein aus meiner Sicht absolutes Meisterwerk (siehe Review). Die Aufnahmen dazu waren aber nicht unbedingt einfach, wie man im Vorfeld lesen konnte. So musstet ihr – eben wegen Corona – räumlich getrennt voneinander in neun verschiedenen Ländern aufnehmen, was sicher nicht immer einfach war. Wie bist du mit diesen Problemen umgegangen und gab es noch weitere – nennen wir es mal – Herausforderungen zu meistern?

Christofer: Ich würde es nicht unbedingt Probleme nennen, das Ganze war einfach sehr, sehr teuer. Die Sache ist… Wenn ich mich mit einem Sänger zusammensetze, dann habe ich meistens bereist eine ziemlich klare Vorstellung davon, wie sich der Song entwickeln soll. Wenn wir dann mit den Aufnahmen beginnen und ich bereits nach einer halben Stunde feststelle, dass ich mich mit meiner Idee verrannt habe beziehungsweise sie nicht meinen Vorstellungen entspricht, so verwerfen wir das Ganze und probieren etwas anders aus. In einem solchen Fall haben wir eine halbe Stunde in meinem eigenen Studio vergeudet, was aber keine zusätzlichen Kosten verursacht – keine grosse Sache also. Bei „Leviathan“ war das anders: Ich habe ihnen ein Demotape mit meinen Anweisungen zugesandt, woraufhin sie jeweils einen halben oder ganzen Tag in einem kommerziellen Studio verbracht haben – für welches ich jeweils Miete bezahlen musste. Wenn die fertigen Dateien dann zurückkamen, konnte es sein, dass die Performance zwar gut war, jedoch leider nicht ganz mit meiner Vision übereinstimmte und wir das Ganze wiederholen mussten. Das war eine sehr kostenintensive Art zu arbeiten.

Dasselbe wiederholte sich dann bei den Drums, die wir ursprünglich mit Snowy Shaw aufgenommen haben. Nachdem wir auch Gitarre und Bass im Kasten hatten, mussten wir feststellen, dass das Zusammenspiel der Instrumente einfach zu unruhig war, es die Songs regelrecht gekillt hätte. Es klang ok, aber Therion ist nun mal keine Band, die sich mit „ok“ zufriedengibt. Also haben wir die besten Takes von ihm behalten und den Rest mit einem anderen Schlagzeuger nochmals eingespielt. Das bedeutete im Endeffekt, dass wir noch einen weiteren Drummer auf der Gehaltsliste hatten. Und im Anschluss daran mussten dann die beiden Saiteninstrumente auch nochmals eingespielt werden – wir haben durch diese Arbeitsweise eine aberwitzige Menge an Geld verbrannt.

Zudem ist es gerade auch für die Sänger enorm frustrierend, wenn sie sich den ganzen Tag im Studio abrackern und im Nachhinein von mir gesagt bekommen, dass es leider noch nicht gut genug sei. Dies kann einerseits recht entmutigend sein, andererseits erhalten sie so aber auch mehr Freiheit und Eigenverantwortung, was einige sehr zu schätzen wussten. Ich kann mir gut vorstellen, bei einigen diese Arbeitsweise beizubehalten, da es andererseits eben auch einfacher ist, als sie jeweils einfliegen zu lassen.

Und auch wenn es sehr teuer gewesen sein mag, so hat es doch gewisse Vorteile mit sich gebracht, so etwa, dass ich viele Aufnahmen zu selben Zeit erledigen konnte: Hammond Orgel in Schweden parallel zu Christian Vidals Gitarrensolos, gleichzeitig dazu wurden die Chorpassagen in Israel eingesungen… Und offen gestanden kann es eben auch ziemlich ermüdend sein, wenn du dir als Produzent über Tage und Wochen hinweg Drums, Gitarren, Gesang, Orchestrierung, weitere Instrumente wie eben die Hammond Orgeln und alles andere anhörst, und kaum ist das Ganze im Kasten setzt du dich für das Mixing hin und das Ganze beginnt quasi von vorne. In der Regel bin ich nach sowas geistig komplett ausgelaugt und erschöpft und würde das Studio am liebsten für zwei Jahre nicht mehr betreten (lacht). Aber beim aktuellen Ansatz erhalte ich jeweils die fertige Version und muss mir nicht anhören, wie alle erst in die Gänge kommen, womit mir der mühsamste Teil erspart bleibt (lacht). Sie schicken mir einfach die finalen Tapes, und entweder ich mag es, oder sie müssen sich eben nochmals reinknien. So blieb ich die ganze Zeit über ausgeruht und entspannt und hatte nach dem Mix das Gefühl, locker noch zehn weitere Alben aufnehmen zu können (lacht). Ganz im Gegensatz zu „Beloved Antichrist“, bei dem mich die Aufnahmen schier närrisch gemacht haben.

Schlussendlich haben wir denn auch über 40 Songs geschrieben, so dass wir über genügend Material für zwei weitere Scheiben verfügen. Wir haben einfach weiter aufgezeichnet und dadurch bereits rund die Hälfte von „Leviathan 2“ fertig gestellt – bei den Drums sind wir sogar bereits bei Nummer drei. Das Ganze wird schlussendlich eine Trilogie werden, wobei wir planen, „Leviathan 2“ im Frühjahr zu mixen und bis zum Sommer mit „Leviathan 3“ fertig zu sein. So habe ich zwei weitere Alben in der Hinterhand, die ich veröffentlichen kann, sobald ich die Zeit dafür für reif halte – mindestens eines pro Jahr.

Es kommt halt auch sehr stark darauf an, wie sich die Situation bei Liveauftritten und Tourneen entwickelt. Wenn der Mist mit Corona sich weiter hinzieht und wir nicht live spielen können, schön, dann veröffentlichen wir „Leviathan 2“ eben in genau einem Jahr. Nicht touren zu können wäre zwar schade, würde aber nichts kaputt machen – der Fokus würde sich einfach ändern. Für mich persönlich macht das Songwriting rund 50 Prozent des Drucks aus, die Aufnahmen 25% und das Touren die restlichen 25%. Du siehst, selbst wenn wir nie wieder live spielen könnten, hätte ich so noch immer genügend Stress (lacht).

MI: Kannst du uns schon etwas mehr über die zwei noch kommenden Alben aus der „Leviathan“-Trilogie verraten? Werden sie sich von der morgen erscheinenden Scheibe gross unterscheiden?

Christofer: Unser Ansatz war es, für „Leviathan 1“ klassische Therion-Songs zu verwenden, die sehr episch und bombastisch daherkommen. „Leviathan 2“ wird in Gegensatz dazu etwas düsterer, melancholischer sein. Und „Leviathan 3“ enthält einen Haufen Lieder, die spontan bei den Writing Sessions entstanden sind, und einfach etwas zu abenteuerlich, experimentell, progressiv oder schlicht zu heavy im Bezug auf das Konzept waren, das wir bei den anderen beiden Alben verfolgt hatten. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass gerade Nummer drei bei Leuten am beliebtesten sein wird, welche die etwas gewagtere Seite von Therion bevorzugen.

„Leviathan 1 und 2“ werden hingegen wohl die beliebtesten der Trilogie sein, wobei mir mein Bauchgefühl sagt, dass schlussendlich das zweite das Rennen in der Gunst der Fans machen dürfte – einfach, weil „Vovin“ unsere bisher populärste Scheibe war, und diese auch sehr melancholisch und dunkel daherkommt. Es ist nur eine Vermutung. Zudem sind die ersten beiden Platten sehr hitorientiert.

MI: Wie man lesen konnte, wurde der gesamte orchestrale Teil – mit Ausnahme der Violine – mit einer Software namens „Vienna Instruments“ eingespielt – sprich ohne die Beteiligung eines echten Ensembles. Was denkst du, werden solche Tools eines Tages Orchester komplett ersetzen können?

Christofer: Wir haben diese Software zum ersten Mal bei „Gothic Kabbalah“ verwendet – ich stand damals nahe an einem Burnout und wollte etwas Neues versuchen – die Vorstellung, zwei, drei Wochen rumzusitzen und nichts anderes zu tun als Noten zu schreiben, hat mich schier umgebracht, etwas musste sich ändern. Also habe ich mir die Vienna Symphonic Library gekauft. Zudem dachte ich mir, dass es eine gute Altersvorsorge wäre, denn wenn unsere Verkäufe einmal komplett einbrechen und wir uns kein richtiges Orchester mehr leisten können sollten, so wäre ich noch immer in der Lage, auf die beste Sample-Bibliothek der Welt zurückzugreifen. Das war der Plan. Danach sind wir für die zwei folgenden Alben wieder zu Aufnahmen mit echten Musikern zurückgekehrt, aber bei „Beloved Antichrist“ war es so viel Musik, dass wir uns einfach kein richtiges Orchester leisten konnten. Also haben wir uns wieder Vienna zugewandt und durften feststellen, dass sich die 2017er Version so stark weiterentwickelt hatte, dass sie schon sehr stark an den Sound eines echten Ensembles heranreichte.

Bei „Leviathan“ war der Hauptgrund dann der, dass wir aufgrund der Corona-Restriktionen kein Orchester zusammenstellen durften, da es einfach zu viele Leute an einem Ort gewesen wären – die Einschränkungen beliefen sich konkret auf drei Personen, das wären dann ich, der Dirigent plus ein Musiker gewesen – kein wirklich grosses Orchester (lacht). Also kam einmal mehr Vienna zum Zuge. In der Zwischenzeit hatten sie die „Synchro Series“ veröffentlicht und erneut riesige Fortschritte gemacht, so dass man kaum mehr einen Unterschied zu von Hand gespielter Musik wahrnehmen konnte. Klar, wenn man weiss, dass da eine Software im Hintergrund werkelt, behaupten die Leute noch schnell einmal, die Differenz heraushören zu können. Aber wenn du einen sogenannten A/B-Test machst – so wie bei Pepsi oder Cola – scheitern dann doch die meisten kläglich.

Was wirklich zählt, ist meiner Meinung nach die Fähigkeit, die Maschine so zu programmieren, dass sie wie ein Orchester spielt. Wenn du das nicht kannst, wird man den Unterschied jeweils rasch feststellen können, einfach weil es unnatürlich klingt. Man bemerkt so etwas sehr schnell, wenn zum Beispiel unser Sänger Thomas Vikström auf dem Piano einen Song komponiert und das Teil so wie eine Gitarre klingen lässt – es hört sich einfach sonderbar an, was eben daran liegt, dass sich die beiden Instrumente in der Art, wie man sie spielt, ziemlich stark unterscheiden. Wenn jemand Keyboard spielen kann, aber nicht versteht, wie ein klassisches Instrument funktioniert, dann nimmt man das sofort wahr – im Gegensatz zu jemandem, der gezielt für ein Orchester schreibt und es später entsprechend programmiert. Ein grosser Teil der heutigen Filmmusik basiert auf Vienna, und ich habe bis jetzt noch keinen entrüsteten Aufschrei gehört, dass die Leute sich beschweren würden, weil da mit Samples gearbeitet wird – du hörst einfach den Sound und denkst, er wurde von einem echten Orchester eingespielt.

Ähnlich verhält es sich mit der Emulation von Gitarren, was vor ein paar Jahren noch ziemlich plastikmässig klang. Christian Vidal und ich haben vor einiger Zeit einen A/B-Test mit Aufnahmen mit meinem Live-Setup gemacht, welches ich damals auch für die Aufnahmen zu „Sirius B“ verwendet habe. Wir wollten einfach sehen, wie viel schlechter die Software abschneidet. Wie soll ich sagen – uns ist der Unterkiefer runter geklappt… die Emulation war verdammt noch mal besser (lacht). Die Technik macht wirklich enorme Fortschritte. Das einzig Negative an dieser ganzen Entwicklung ist aus meiner Sicht, dass die Software ein und denselben Amplifier emuliert und somit dann alle denselben verwenden – es klingt hervorragend, versteh mich da nicht falsch, aber eben auch etwas langweilig und eintönig. Es gibt auch einige Bands, die beim Schlagzeug auf Trigger und Sound-Replacement setzen – auch da klingt alles irgendwie gleich, und es geht viel Persönlichkeit verloren.

Das war auch der Grund, wieso wir bei den Aufnahmen zu „Leviathan“ bei diesen Instrumenten kaum auf emulierte Klänge zurückgegriffen haben und stattdessen zuerst den echten Laut aufgenommen und beim Mix dann ein klares Signal auf den Verstärker gelegt und geschaut haben, was besser passt. Wir sind da noch immer etwas Old-School, auch wenn ich mich doch als praktisch veranlagt bezeichnen würde. Nimm zum Beispiel das Smartphone, ohne welches ich nicht mehr leben könnte. Aber wenn etwas Neues nicht wirklich besser ist, dann bleibe ich beim Bestehenden. So bevorzuge ich zum Beispiel noch immer Vinyl – ich höre mir keine Streams an, da die nicht dieselbe Soundqualität haben.

MI: Beim episch-bombastischen „Wellen der Zeit“ kommt der Refrain in Deutsch daher. Bestand nicht die Versuchung, den gesamten Song in der Sprache von Richard Wagner zu verfassen?

Christofer: Der Song stammt aus der Feder von Nalle [Phalsson]. Als er ihn komponierte, hat er dazu ein sehr simples Drum-Programm verwendet, es mit der Gitarre begleitet und dazu gesummt – es war irgendwie gruselig (lacht). Wir hatten zuvor schon darüber gesprochen, dass wir inhaltlich etwas Nordisches machen wollten, etwa über den altgermanischen Kriegsgott Nerthus, und dies schien der richtige Sound dafür zu sein. Natürlich wäre es ideal, wenn man sowas in (auf Deutsch) Altdeutsch singen würde, aber dazu benötigst du dann jemanden, der das korrekt übersetzen und vor allem auch aussprechen kann. Und rund um uns herum herrschte ja das nackte Chaos. Ich spreche zwar etwas Deutsch und denke, dass ich das auch einigermassen hinbekommen hätte. Aber dann mussten wir die Aufnahmen für den Chor in Israel machen, da dies zu der Zeit so ziemlich das einzige Land war, welches es von den Restriktionen her erlaubte, so viele Leute an einem Ort zu versammeln. Glücklicherweise kenne ich da jemanden, dem ich vertraue und der für mich die Aufnahmen übernehmen konnte. Aber selbst so war es nicht einfach – und es wäre noch viel schwieriger geworden, hätten wir es in Altdeutsch versucht.

Dieses Erlebnis zeigte mir aber auch einmal mehr, wie wunderbar Metal doch ist. Wie nennt man das doch noch gleich auf Deutsch… [wir suchen nun gemeinsam nach dem besagtem Ausdruck – und werden nach einem kleinen Weilchen auch fündig] – „Verbrüderung“, genau. Ok, jetzt klinge ich schon fast ein wenig wie Joey DeMaio von Manowar (lacht). Aber ich denke, es gibt kaum etwas, das die Menschen dermassen stark verbindet wie Metal. Ich meine, es ist einfach nur fantastisch, wenn ein Chor in Israel ein Lied über germanische Mythologie mit voller Hingabe in deutscher Sprache einsingt. Das zeigt mir, dass Metal wie eine Blase ist, in der sich vernünftige Menschen aus aller Welt zusammentun, losgelöst vom ganzen Wahnsinn, der tagtäglich die Welt in Atem hält. Ich mag das sehr. Du kommst aus der Schweiz und hast dadurch einen grösseren Abstand zu diesem Thema, aber in Deutschland ist das ein klein wenig anders. „Wollt ihr das wirklich auf Deutsch singen?“ – diese Frage wurde mir von einigen deutschen Metal-Magazinen gestellt, dazu noch mit einer zur Vorsicht mahnenden Stimme… Klar machen wir das, es ist Metal, wir sind eine Familie! Als wir 2007 das erste Mal in Israel gespielt haben [Tel Aviv], reckten israelische Metalfans ihre Fäuste in die Luft und sangen bei „Schwarzalbenheim“ aus voller Kehle mit – zusammen, auf Deutsch. Das liess mir das Herz aufgehen, das ist Metal!

MI: Dem gibt es nichts hinzuzufügen! Du hast ja erwähnt, dass ihr auf „Leviathan“ wiederum mit ganz unterschiedlichen Stimmen gearbeitet habt. Wie entscheidest du, welche zu welchem Song passt? Zudem war in der Ankündigung zur „Producers Edition“ zu lesen, dass es selbst während den Aufnahmen noch zu Anpassungen und Umbesetzungen kommen kann. Wie läuft so etwas ab?

Christofer: Da wir sozusagen auf Distanz aufgezeichnet haben, musste ich zuweilen gewisse Risiken eingehen. Man nimmt etwas auf, das zwar ziemlich gut ist, aber eben noch nicht perfekt – etwas fehlt, also ändern wir es. Wenn ich einen Sänger im Studio habe, so weiss ich im Vorneherein schon ziemlich genau, was zu ihm passen könnte, aber wir probieren dennoch das eine oder andere aus. Manchmal geht es sich aus, ein anderes Mal sage ich ihm: „Ok, das passt nicht zu deiner Stimme, aber danke, dass du es versucht hast“. Dieses Mal mussten wir das ganze strukturierter angehen. Ich habe dabei einiges an Geld investiert, sie im Gegenzug viel Zeit und Mühe. Und diese „Producers Edition“ ist für die Fans gleichsam eine wirklich gute Möglichkeit einen Einblick zu gewinnen, wie bei uns die kreativen Prozesse funktionieren – dieses ganzen „Was wäre wenn“.

„Tuonela“ war diesbezüglich wohl der kniffligste Song des ganzen Albums. Es gibt da diese Bridge, die wir mit Taida [Nazraic] aufgenommen haben, und viele Fans haben sich beklagt – ich wusste genau, was sie in die Kommentarspalten schreiben würden, sie sind da recht vorhersehbar (lacht) – wieso dieser Part nicht von Lori gesunden werde, er hätte doch perfekt zu ihrer Stimme gepasst. Zudem sei sie doch ein fixer Bestandteil der Band, wieso überliess man diesen Teil diesem Girl, die nicht mal zu Therion gehört, bla bla bla (lacht). Klar, es ist eine absolut legitime Frage, und in dieser speziellen Edition könnt ihr euch nun anhören, wie das mit Lori geklungen hätte. Und ja, die Lori-Version ist grossartig, jeder mag Lori. Aber an dieser ganz speziellen Stelle wünschte ich mir dieses kleine Etwas, es sollte verträumt und unschuldig klingen. Lori ist beinahe 50 Jahre alt, sie war auf der ganzen Welt mit berühmten Bands unterwegs – sie ist sehr selbstsicher und alles andere als unschuldig (lacht). Ich wollte jemanden, der den Durchbruch im Musikbusiness noch nicht geschafft hat. Eine Frau, die noch in einer kleinen Band spielt und vom Erfolg träumt. Das ist etwas, das man nicht nachahmen kann, wenn man es bereits geschafft hat; diese ganz spezielle Art von verträumter, naiver Leidenschaft. Und sie hat es einfach perfekt hinbekommen. Ich war mit dem Ergebnis so glücklich, dass ich sie noch zwei weitere Songs singen liess [„Wellen der Zeit“ und „Ten Courts of Diyo“].

Taida kenne ich dank meiner Freundin, die mit ihr befreundet ist und zufälligerweise mal etwas von ihrer Band „The Loudest Silence“ abgespielt hat. Mir fiel sofort ihre schöne Stimme auf, und als wir mit den Aufnahmen zu „Leviathan“ begannen, habe ich mich an sie erinnert und gedacht, versuchen wir es doch. Es war eine sehr spontane Entscheidung – manchmal planst du etwas, und es will einfach nicht gelingen – wie eben bei „Tuonela“.

Wir haben damals vorab ein Demo aufgenommen, und Thomas Vikström hat als Sänger der Band mit seiner fantastischen opernhaften Stimme den gesamten Part übernommen – aber es passte einfach irgendwie nicht. Er ist ein toller Vokalist, aber seine Stimme ist sehr melodisch gefärbt, und ich kam zum Schluss, dass es vielleicht eine gute Idee sein könnte, hier einen etwas raueren Klang einzubringen – vorab mal im Vers. Mein erster Gedanke war, dass Ex-Metal Church-Sänger David Wayne die ideale Besetzung wäre, nur bestand da das nicht wegzudiskutierende Problem, dass er leider bereits verstorben ist. Schlussendlich kam ich dann auf Marko Hietala [Ex-Nightwish], dessen Stimme ich noch aus den 80er Jahren kannte, als er mit Tarot unterwegs war. Er hat diese derbe, aber dennoch etwas melodiöse Stimme, was absolut passen könnte. Also sah ich vor, ihn den Vers singen zu lassen, derweil Thomas den Refrain übernehmen sollte. Ich habe daraufhin Marko angefragt und ihm zur Inspiration den gesamten Song zugestellt. Was soll ich sagen, offenbar gefiel ihm das Lied so gut, dass er gleich alles eingesungen hat (lacht) – also Vers, Bridge und auch den Refrain. Als ich es mir anhörte, wurde mir bewusst, dass beim Refrain seine Stimme einfach viel besser passt – er brachte es einfach auf den Punkt. Also war es an mir, Thomas mitzuteilen, dass er den Vers übernehmen möge (lacht). Und dann setze Thomas diesen so perfekt um, wie es Marko wohl je hinbekommen hätte… Ich lag von Anfang an völlig falsch, und durch Zufall haben wir dann den bestmöglichen Weg gefunden.

Oft spielt das Glück dabei eine entscheidende Rolle – man probiert dies und das und findet letztlich die goldene Kombination. Das Traurige daran ist, dass du so manchen Song noch besser hättest ausgestalten können, wenn du nur diese perfekte Mischung gefunden hättest. Gerade deswegen schätze ich unseren experimentellen Ansatz sehr. Es ist besser, eher zu viel aufzunehmen, um danach die Möglichkeit zu haben, die beste Option zu ziehen, denn es gibt schier unendlich viele Möglichkeiten, etwas zu tun. Und dabei spielt es auch keine Rolle, ob du schon zig Alben gemacht hast, denn ganz egal, wie viele es sind, du wirst nie Perfektion erreichen, nie der vollkommene Produzent sein, der genau weiss, wie man es machen sollte – so etwas existiert schlichtweg nicht. Du wirst immer wieder über besondere Schätze stolpern und ein anderes Mal fürchterlich daneben liegen… Ich hatte auch die Idee, Taida und Marko in der Bridge ein Duett singen zu lassen. Wir haben das aufgenommen, und es klang absolut fürchterlich (lacht). Du wirst immer wieder Fehler machen – und das ist auch gut so, denn du kannst aus ihnen lernen.

MI: Bleiben wir noch kurz bei den Vokalakrobaten: Gibt es die eine oder andere Sängerin, respektive den einen oder anderen Sänger, mit der/dem du gerne einmal zusammenarbeiten würdest? Eine Floor Jansen oder Fabienne Erni vielleicht, oder auf der anderen Seite jemand wie Fabio Leone, um nur ein paar zu nennen?

Christofer: Spontan kommt mir jetzt gerade niemand in den Sinn, aber „Great Marquis Of Hell“ sollte ursprünglich mit Kind Diamond aufgenommen werden. Dieser Song ist von Thomas und war in seiner ursprünglichen Form viel zu kommerziell, so dass er kein gutes Licht auf uns geworfen hätte. Aber er hatte eben doch eine verdammt gute Melodie, so dass man Teile daraus vielleicht für einen Bonustrack hätte verwenden können.  Thomas hat ihn daraufhin überarbeitet, insbesondere den Mittelteil nebulöser und dramatischer ausgestaltet, so dass sich dieses Lied nun regelrecht aufdrängte. Ich schrieb den Vers noch etwas um, da er in meinen Ohren noch immer zu glatt klang, gemeinsam haben wir ein wenig am Chorus herumgeschraubt, ein Intro ergänzt – und auf einmal war es der härteste Song überhaupt, der zudem noch so klang, als sei er von Mercyful Fate inspiriert worden. Was lag also näher, als King Diamond anzufragen, ob er nicht Lust hätte, da mitzusingen. Leider war die Antwort, dass ihm ein Mittun zwar absolut Spass machen würde, er jedoch gerade an einem neuen Album arbeite und kurz vor dessen Vollendung stehe – und die Plattenfirma ihn umbringen würde, wenn er da nicht dranbliebe. Er hatte schlicht keine Zeit. Also zogen wir es mit Thomas durch; aber es wäre sicherlich sehr spannend gewesen, mit ihm zu arbeiten, da er ein sehr spezieller Typ von Sänger ist. Man könnte sagen, dass der Song seine Stimme einlud. Ich kann mich an keinen einzigen anderen Song in der Geschichte von Therion erinnern, zu dem King Diamonds Stimme gepasst hätte. Es ist also so, dass du ein Lied schreibst und dann das Gefühl hast, diese Sängerin, dieser Sänger könnte perfekt dazu passen.

Um auf deine Frage zurück zu kommen: Nein, ich habe mir im Vorfeld noch nie überlegt, mit wem ich gerne mal zusammenarbeiten möchte. Vielmehr schreibst du einen Song, schaust dann, wer in deiner Band das umsetzen könnte, und wenn du da nicht fündig wirst, dann suchen wir eben extern eine Lösung.

MI: Achtet ihr beim Songwriting eigentlich auch darauf, wie etwas live ankommen könnte, respektive wie sich ein Song auf der Bühne umsetzen lässt?

Christofer: Nein, wir schreiben unsere Songs ausschliesslich für die Alben und entscheiden danach, welcher für einen Liveauftritt passend sein könnte. Und so kann es dann gut passieren, dass dein persönlicher Lieblingssong live nicht gespielt wird – wie etwas „Land Of Canaan“, welchen ich für den besten Song halte, den ich je geschrieben habe. Wir haben es auf Tour mal mit ihm versucht, aber live entfaltet er nicht dieselbe Wirkung, genau wie einige andere Tracks, die wir zwar auf dem Album mögen, auf der Bühne aber nicht durchstarten wollen. Es sind eher die einfacheren, gradlinigeren Lieder wie „Flesh Of The Gods“, welche bei Shows ankommen. Ich würde jetzt nicht behaupten, dass dies einer unserer beliebtesten Songs wäre, aber er funktioniert live nun mal. Album ist Album und live ist live.

MI: Wenn wir gerade von Lieblingssongs sprechen: Gibt es einen Song auf „Leviathan“, den du besonders magst oder auf den du besonders stolz bist?

Christofer: Ich würde es nicht unbedingt stolz nennen, aber „Eye Of Algol“ liegt mir besonders am Herzen, da er mich einfach glücklich macht und sehr groovy ist. Das zugrunde liegende Riff ist zudem sehr düster, von Bathory, Pentagram und Venom inspiriert.  Alle diese Bands haben je ein Riff, das ich einfach liebe. Mir kam dann die Idee, herauszufinden, was mir daran besonders gefällt – und dann alle in einem einzigen Riff zu verschmelzen. Das Ergebnis hörst du in diesem Song. Ich mag zudem diese sehr tiefe Gangart des Liedes, die ich irgendwie originell finde. Dann diese ausgesprochen angespannte Stimme und der tief tönende Chor… Wenn ich ein eigenes Ensemble zusammenstelle, dann schnappe ich mir jeweils Solisten und lasse sie zusammen singen. Das hat den Vorteil, dass eine grössere Bandbreite vorhanden ist, sie sowohl höher wie auch tiefer singen können als ein gewöhnlicher Chor das in der Regel fertigbringt. Als ich das Ganze dann nach Israel geschickt habe, kam umgehend die Rückmeldung, dass das viel zu tief sei und sie es unmöglich in einem normalen Studio aufnehmen könnten. Man konnte regelrecht heraushören, wie sie sich fast in die Hose gemacht haben (lacht). Aber es ist schlussendlich sehr gut geworden – vor allem durch das Mischen der Stimmen entsteht eine wirklich coole, beinahe schon ein wenig bizarr klingende Atmosphäre, fast schon rituell.

MI: Was ich voll und ganz nachvollziehen kann. Lassen wir „Leviathan“ hinter uns und kommen auf ein paar eher allgemeingültige Dinge zu sprechen: Wenn du auf die rund 30 Jahre, die es Therion nun schon gibt, zurückblickst, was waren für dich die bisher grossartigsten Momente?

Christofer: Einer der tollsten Momente für mich ganz persönlich war, als ich zum ersten Mal jemanden sah, der ein Therion T-Shirt getragen hat den ich nicht kannte. Damals, als wir mit der Band starteten, war die Stockholmer Death-Metal-Szene quasi eine einzige grosse Familie. Und die Leute, die sich Demos, T-Shirts und so von uns kauften, waren hauptsächlich Freunde, die uns bei unserem Tun unterstützen wollten. Dasselbe bei einem Konzert, zu dem vielleicht 40 – 50 Personen kamen – wenn wir nach dem Auftritt mit den Besuchern abhingen, so waren das alles bekannte Gesichter. Aber dieses erste Mal, als ich jemand komplett Fremdes mit unserem T-Shirt in der Stadt herumlaufen sah, war irgendwie überwältigend. Der einzige Ort, wo man sich mit sowas eindecken konnte, war dieser eine Plattenladen, der auch unsere Demos verkaufte. Das hiess dann im Umkehrschluss, dass jemand, den ich nicht kannte, das Demo erstanden haben musste, die Band mochte und sich dann sogar noch dieses T-Shirt gekauft hatte. Das war für mich ein überwältigender Moment: wow, es gibt da draussen wirklich Leute, die ich nicht kenne und die meine Musik mögen.

Dann natürlich der Moment, als wir „Theli“ veröffentlicht haben. Vor diesem Album war alles ein einziger Kampf. Ich hatte kein Geld, um meine Rechnungen zu bezahlen wie normale Leute das tun, ich konnte mir kein Auto kaufen – nicht einmal für den öffentlichen Verkehr hat es gereicht, ich bin da oft illegal mitgefahren, weil ich mir nicht jedes Mal ein Ticket leisten konnte (lacht). Und wenn ich die Miete bezahlt hatte, wusste ich nicht, wie ich das das nächste Mal schaffen sollte – ich (über)lebte von Monat zu Monat. Das mag ok sein, wenn du 20 Jahre alt bist und es dir egal ist, das billigste Bier zu trinken. Aber du wirst auch älter, und nach neun aufreibenden Jahren mit Therion war es wirklich sehr mühsam, ständig pleite zu sein. Da wir kaum Platten verkauften, war unser Budget für neue Aufnahmen auch nicht unbedingt berauschend – ein Teufelskreis, denn wer wäre schon gross bereit, eine Menge Geld in eine Band zu investieren, die nichts verkauft und somit auch nichts einbringt. Es war eine sehr frustrierende Zeit, da ich einerseits klare Vorstellungen von dem hatte, was ich erreichen wollte, auf der anderen Seite aber stets Kompromisse eingehen und meine Ansprüche herunterschrauben musste.

Als mir dann Markus Staiger [Nuclear Blast] das Budget für „Theli“ bewilligte, öffneten sich für mich die goldenen Tore und ich konnte endlich das verwirklichen, was mir schon immer vorgeschwebt hatte. Allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass „Theli“ ein Flop werden würde, denn alles, was wir zuvor veröffentlicht hatten, verstaubte in den Regalen, da unser Sound als zu schräg abgetan wurde – und nun hatten wir vor, ein noch viel verrückteres Album auf die Menschheit loszulassen. Der logisch denkende Teil meines Hirns sagte mir: „Wieso soll sich nun ausgerechnet diese Scheibe besser verkaufen als die vorherigen?“. Aber irgendwo in meinem Herzen war ich felsenfest davon überzeugt, dass wir wirklich gutes Material geschrieben hatten – in irgendeinem Paralleluniversum würde sich „Theli“ sicher gut verkaufen. Aber dieses Wunder ereignete sich dann hier und jetzt, es war wie in einem Traum (lacht).  Die Scheibe verkaufte sich sehr gut, wir konnten endlich richtig auf Tournee gehen, erhielten die Zusage für ein ausreichend grosses Budget für künftige Alben – und ich konnte mir tatsächlich ein eigenes Auto kaufen, für das ich so um die 760 Euro hinblätterte – also nichts allzu Extravagantes (lacht). Aber ich war nun in der Lage, mir endlich etwas zu essen zu kaufen, meine Rechnungen zu bezahlen wie andere Leute das auch tun – was für mich sehr wichtig war, schliesslich ging ich auf die Dreissig zu [naja, er war zumindest auf dem Weg dahin: Christofer hat Jahrgang 1972, Theli erschien im August 1996]. Dies war für mich ein einschneidender Moment, denn ich war sehr nahe daran, aufzugeben und alles hinzuschmeissen. (emotional) „Theli“ sollte ein grosses „Fuck you“ an die Welt sein. „Ihr dachtet, unsere Musik sei sonderbar? Nehmt das, ihr Idioten!“ Und dann fangen auf einmal alle an, dich toll zu finden und deine Aufnahmen zu lieben. Ich realisierte zuerst gar nicht, was da vor sich ging.

Und dann sicher noch unser Auftritt in Moskau vor bald drei Jahren [1], bei dem zeitgleich der nationale Weltraumtag gefeiert wurde – etwas, das für einen Aussenstehenden eventuell schwierig zu verstehen sein mag. Ein Teil der Show wurde damals live zur Internationalen Space Station ISS übertragen, da einer der dortigen Kosmonauten ein Metalhead war und so unser Konzert direkt aus dem Weltall mitverfolgen konnte. Das war damals für mich schlicht undenkbar, besonders wenn man wie ich den Metal-Hintergrund der 80er Jahre hat: Wenn du dich wie ein Metalhead kleidest und lange Haare hast, dann wirst du Kartonboxen in einer Lagerhalle herumschleppen, schlicht weil du zu nichts anderem zu gebrauchen bist. Aber sie lagen falsch! Aber sie lagen falsch! Als Elvis auftauchte hiess es, er verderbe die Jugend, genau wie etwas später dann die Beatles mit ihren sogenannt langen Haaren allen möglichen Mist und Krach von sich gegeben haben sollen. Und dann folgten die 70er-Jahre mit Alice Cooper und Black Sabbath, welche die Seelen der Kinder dem Teufel zuführten.

Als Metal-Fan bist du anders, aber es fühlt sich nicht so an, speziell wenn du ein Teenager bist. Wenn man an meiner Schule mit einem WASP-T-Shirt aufkreuzte, so wurde man nach Hause geschickt und angewiesen, sich doch bitteschön anders zu kleiden, da sowas da nicht erlaubt war respektive als obszön galt – die werfen schliesslich bei ihren Konzerten rohes Fleisch ins Publikum! Wenn du mit solchen Vorurteilen aufgewachsen bist, so ist die Tatsache, dass ein Kosmonaut deine Musik hört und der russische Staat Geld dafür bezahlt, dass er sich dein Livekonzert im Weltraum anhören kann, einfach nur unglaublich! Das war meine Band, deren Musik in den Weltraum übertragen wurde (emotional). Ich denke, das ist aus persönlicher Sicht das absolut grösste Highlight in meiner gesamten Karriere. Man hat uns das im Vorneherein gesagt, und du kannst dir also vorstellen, wie verdammt nervös wir alle waren. Hey, das war nicht einfach eine Aufzeichnung für eine verdammte DVD, bei der du die Töne im Nachhinein noch geradebiegen kannst; nein, da wurde jede einzelne Note direkt ins All transferiert. Ich bin sonst eigentlich fast nie nervös, aber da war ich es.

MI: Weltall und Zeitreisen liegen ja nicht allzu weit auseinander: Stell dir vor, du könntest in der Zeit 30 Jahre zurückreisen, welchen Ratschlag würdest du deinem jüngeren Ich geben?

Christofer: Dreissig Jahre? Ich denke, ich würde nicht allzu viel ändern. Klar habe ich Fehler gemacht, aber aus den meisten konnte ich etwas lernen. Die eher grösseren Irrtümer kamen später, als wir zum Beispiel durch die USA getourt sind und eine Menge Geld verloren haben. Unser erster Versuch, dort Fuss zu fassen, war die Mühe wert, aber beim zweiten Mal liess ich mich zu sehr von Booking Agents und Managern beeinflussen, die mir versicherten, dass beim nun alles besser werde… Wäre es damals nach mir gegangen, so hätten wir nur an der Ost- und Westküste gespielt, wo wir schon bei unserem ersten Anlauf nicht schlecht abgeschnitten hatten, und die Mitte ausgelassen, da ich das nur als Verschwendung von Zeit und Geld ansah. Zudem verspürte ich nicht unbedingt Lust, für einen allfälligen Verlust verantwortlich gemacht zu werden – aber ich liess mich schlussendlich überreden. Und natürlich ging es schief und ich holte mir finanziell eine blutige Nase. Zu allem Überfluss hat die Tour die Band enorm ausgelaugt, was mitunter einer der Gründe war, dass das damalige Line-Up auseinanderbrach – einfach, weil alle total erschöpft waren. Hätte ich das vor dreissig Jahren gewusst, so wäre es damals vor 15 Jahren nie so weit gekommen.

Würdest du mich hingegen 32 oder auch 34 Jahre zurückschicken, also noch in eine Zeit, bevor wir unseren ersten Plattenvertrag unterzeichneten, so würde ich meinem jüngeren Ich den Rat erteilen, den geschäftlichen Teil bedeutend ernster zu nehmen! Damals hatten alle Death-Metal-Bands diese idealistische, dumme Vorstellung, dass man sich nicht für den schnöden Mammon, sondern ausschliesslich für die eigene Musik abzumühen habe. Klar geht es niemandem im Musikbusiness in erster Linie ums Geld – sollte es zumindest nicht – aber wenn du den finanziellen Teil links liegen lässt, so bedeutet das nicht, dass die Einnahmen automatisch an hungerleidende Kinder in Afrika gehen oder deine Fans weniger bezahlen müssen. Es heisst einfach, dass jemand, der ohnehin schon genug verdient, sich jetzt auch noch deine Einnahmen krallt. (energisch) Das hat nichts mit Altruismus, mit Selbstlosigkeit zu tun, sondern ist einfach nur dumm. Als wir unseren ersten Vertrag unterzeichneten, hatten wir keine Ahnung, unter was genau wir unsere Unterschrift setzten – so wie alle anderen hirnverbrannten Bands auch… einfach um damit angeben zu können, hey, schaut, jetzt erscheint dann eine Platte von uns. Wenigstens war ich damals klug genug, um zu verstehen, dass ich es nicht verstanden hatte – und habe wohl auch deswegen darauf bestand, erst einmal für ein Album zu unterschrieben und zu schauen, was danach passiert. So waren wir zumindest nicht an eine langfristige Vereinbarung gebunden.

Wenn ich mir zu der Zeit einen Rat hätte geben können, dann sicherlich den, Englischstunden zu nehmen, denn so ein Vertrag ist in der Regel in einem Englisch verfasst, das kein durchschnittlicher Brite verstehen würde (lacht). Ist es nicht deine Muttersprache, so hast du keine Chance zu begreifen, was damit gemeint ist. Wenn du’s nicht tust: frag nach und hol dir einen Anwalt, der sich in der Musikindustrie auskennt und dir den ganzen Mist erklären kann. Eigentlich etwas sehr Offensichtliches, das aber fast jede Band als unnötigen Kram abtut.

Und als Letztes vielleicht noch den Rat, etwas weniger zu trinken (lacht). Zu Beginn haben wir wirklich sehr viel gesoffen, speziell auch auf Tour – was schlussendlich auch dazu geführt hat, dass einige Bandmitglieder Alkoholiker wurden. Ich habe so viele große Künstler gesehen, die ihre Karriere durch exzessiven Alkoholkonsum weggeschmissen haben. Und das Schlimme daran ist, dass es dir so leicht passieren kann, speziell auf deinen ersten Tourneen. Du verdienst dabei kaum etwas, erhältst auch nicht gross etwas zu essen, aber sie sorgen dafür, dass stets noch ein paar Sickpacks in Reichweite sind. Und dann kommt noch erschwerend hinzu, dass du kaum etwas zu tun hast: Du triffst morgens beim Veranstaltungsort ein, machst den Soundcheck – und dann hast du den ganzen Tag Zeit – nur für was? Wenn du Glück hast, stehen noch ein, zwei Interviews an, so dass du wenigstens ein wenig beschäftigt bist und mit jemandem Aussenstehendes sprechen kannst. Aber ansonsten sitzt du Backstage einfach nur rum und wartest darauf, dass die Show endlich losgeht. Und glaub mir, die Versuchung, dir einfach ein Bier zu schnappen ist immens gross! Danach bist du ein wenig angeheitert, spielst deine Show, bist anschliessend glücklich, dass alles so wahnsinnig gut funktioniert hast, greifst dir noch ein Bier… Und am darauffolgenden Morgen wachst du mit einem Kater auf und brauchst erstmal ein Bier, um den auszukurieren. Dann ist dir langweilig und das ganze Drama beginnt von vorne. Das mag knapp noch angehen, wenn du eine kleine Tour von vielleicht einer Woche Länge spielst, aber bei drei Monaten wird das schon sehr, sehr bedenklich! Ich kann nicht leugnen, dass es mir anfangs ebenso ergangen ist, ich den ganzen Tag über betrunken rumhing und auch auf der Bühne alles andere als nüchtern war. 1997 haben wir dann ein Live-Recording gemacht, und das war mein Weckruf… Als ich mir die Aufzeichnung ansah, war ich regelrecht schockiert! Wenn du die ganze Zeit über Alkohol im Blut hast denkst du, du seist der Grösste und alles klingt toll, aber da musste ich mich echt fragen, ob wirklich ich das bin, der so schrecklich falsch tönt. Ich habe das Mastertape zerstört und von diesem Tag an kein Bier mehr vor einem Auftritt angerührt.

Aber selbst, wenn du nur nach den Konzerten trinkst, kannst du leicht zum Alkoholiker werden. Ich würde behaupten, mindestens drei Mitgliedern von Therion ist das passiert, und ein Vierter handelte sich ein veritables Alkoholproblem ein. Es muss so 2007 gewesen sein, als ich gänzlich aufgehört habe, auf Tournee zu trinken. Weil – schliesslich und endlich ist die Musik mein Job! Wenn du Busfahrer oder Pilot bist, dann trinkst du auch nichts – don’t drink and drive! Zudem spiele ich um Welten besser Gitarre, wenn ich mir am Abend vor der Show keinen Drink genehmige, ich habe keinen Hangover mehr, meine Schlafqualität ist deutlich besser, und ich fühle mich auch nicht mehr die ganze Zeit irgendwie benommen. Schlussendlich vermagst du angesäuselt oder sogar betrunken nur maximal 75 Prozent deines Könnens abrufen, im Gegensatz zu den 100 Prozent, die du nüchtern hinlegen kannst – und für welche die Leute, die zu deinen Shows kommen, auch gutes Geld bezahlen. Sie tun das, um dich und deine Musik zu erleben, also denke ich, dass es meine verdammte Pflicht ist, ihnen stets auch mein Bestes zu geben – und nicht einen Monat lang abseits der Bühne Party zu machen.

MI: Hast du noch eine spezielle Nachricht für deine Schweizer Fans?

Christofer: Ich freue mich sehr darauf, möglichst bald wieder bei euch in der Schweiz spielen zu dürfen! Speziell das Z7 in Pratteln ist stets ein Highlight – und es ist auch eine von zwei Locations, die immer das beste Essen auffahren; die andere ist Lyon oder Toulouse, eins von beiden – man könnte meinen, die beiden Venues tragen diesbezüglich einen Wettstreit aus (lacht). Im Ernst, die Lokalität in Pratteln ist unglaublich, die Leute dort sind so cool und es ist einer der wenigen Veranstaltungsorte, die sogar eine Waschmaschine haben. Alle stehen da morgens super früh auf, nur um ihre Wäsche zu waschen – das kommt wahrlich nicht oft vor. Normalerweise schlafen alle, solange sie nur können, aber in der Schweiz werden alle zu Frühaufstehern (lacht). Und wie bereits erwähnt, das Catering dort ist einfach fantastisch, genauso wie das Publikum. Das ist wirklich immer einer der Höhepunkte auf jeder Tour!

MI: Das wäre es von meiner Seite – ich denke, du freust dich bereits auf morgen, wenn „Leviathan“ endlich erscheint – und bist sicher mächtig stolz auf das, was ihr hier geleistet habt. 

Christofer: Ich hoffe es – denn, schlussendlich muss es den Fans gefallen, sie sind es, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Wenn sie sagen, dass es eine tolle Platte geworden ist, dann haben wir unseren Job richtig gemacht!

MI: Daran zweifle ich keine Sekunde, bei mir läuft das Teil auf alle Fälle seit drei Wochen in Dauerschleife.

Christofer: Das freut mich sehr zu hören! Denn wie gesagt, unser Anliegen bei diesem Album war es, die Fans damit glücklich zu machen!

MI: Christofer, ganz herzlichen Dank für dieses sehr informative Gespräch! Ich wünsche dir einen schönen Abend!

Christofer: Danke dir, es hat mich sehr gefreut – (auf Deutsch) und auch dir einen schönen Abend. Bis zum nächsten Mal.

Anmerkung:
[1] Das besagte Konzert war am 12. April 2018 am GlavClub Green Concert in Moskau. An diesem Tag feiert Russland den „Tag der Kosmonauten“ – es ist der Gedenktag an den ersten bemannten Flug in das Weltall durch Juri Gagarin am 12. April 1961 mit dem Raumschiff Wostok 1.

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08.02.2021
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