KISS für Arme?
Starmen sind – zumindest für mich – so etwas wie die fleissigen Bienchen im Rockgeschäft. Während 2020 so ziemlich die gesamte Musikbranche brach lag (oder allenfalls auf Sparflamme vor sich hin köchelte), veröffentlichen die Schweden eben mal kurz zwei Alben („Welcome To My World“ im Februar, „Kiss The Sky“ im Juli) – und nun steht bereits Opus Nummero drei in den Startlöchern: „By The Grace Of Rock’n’Roll“! Faul geht anders…
Die Idee hinter den selbst ernannten Sternenmännern ist eigentlich so simpel wie genial: Man nehme die populärsten Ingredienzien des Hard Rocks der 80er-Jahre, würze das Ganze mit eingängigen Melodien und gebe noch einen Schuss Glam hinzu – fertig! Dieser Rock-Baukasten-Ansatz wurde denn auch konsequent umgesetzt – und bevor jetzt jemand „Castingschrott“ schreit… so trivial ist die Sache natürlich nicht. Den sonnigen Protagonisten ging es nämlich schlicht darum, mit Spass an der Freude ihren Helden der wohl coolsten Dekade ever zu huldigen – und als Zuckerguss gibt’s für jedes Bandmitglied seine eigene Farbe plus den passenden Schminkstern ins Gesicht obendrauf (was mich zu der Frage führt: Wer in aller Welt denkst sich sowas aus?).
Wem das ganze Brimborium nun etwas too much ist- keine Bange, den zugegebenermassen etwas überdrehten Teil der Geschichte haben wir hinter uns. Denn die Jungs aus Schweden machen auch noch Musik, und das sogar richtig gut!
Der Kuss der weissen Schlange
Boten die beiden 2020er-Alben noch solide Handwerkskunst ohne übermässige Ausreisser nach oben oder unten – man könnte schreiben, dass die Band sich erst einmal selbst finden respektive die Fülle der eigenen Möglichkeiten ausloten musste – so bietet Opus Nummer drei gleichsam ein Mehr an kompositorischem Esprit. Auf „By The Grace Of Rock’n’Roll“ lassen die Skandinavier kultiges Retro-Feeling aufkommen, ohne sich jedoch allzu ausufernd bei den grossen Vorbildern zu bedienen – eine gewisse Eigenständigkeit kann man ihnen erfreulicherweise nämlich nicht absprechen. Klar, dem Songwriting ihrer übergross erstrahlenden Heroen können sie (noch) nicht ganz das Wasser reichen, aber die Lernkurve zeigt wie bereits erwähnt stetig nach oben.
Musikalisch wandelt das Quartett auf den Spuren solch illustrer Bands wie Kiss (nicht nur der kunterbunten Kriegsbemalung wegen), Whitesnake (wobei speziell die Ära rund um das Album „1987“ zu erwähnen ist), Def Leppard (zu Zeiten von „Pyromania“ und „Hysteria“) oder auch Chicago. Zu den doch stark US- resp. UK- geprägten Klangmustern – gut herauszuhören bei Liedern wie „Black Thunder, White Lightning“ oder „Hotter Than Fire“ – gesellt sich dabei zudem der unverkennbar typische Skandi-Sound, der bei einem Track wie „Angels Crying“ durchschimmert. Und bei „Spaceplane“ musste ich irgendwie an „The Nightflight Orchestra“ denken – nicht nur aufgrund des Namens.
Wenn Sterne singen
Personell neu mit von der Partie ist Bassist Jonatan Samuelsson, der einigen von Narnia her bekannt sein dürfte, und der nebst dem Mikro auch den Mantel (und die Schminke) von Starman Gold übernimmt. Wobei das mit dem Gesang ohnehin so ne Sache ist – bei dieser Combo tritt nämlich so ziemlich alles als Sänger in Erscheinung, was da im Line-Up gelistet wird. Selbstsprechend, dass dies für ordentlich Abwechslung zwischen sowie auch in den Songs selbst sorgt. Nebst Jonatan bestehen die Starmen übrigens noch aus Kristian Hermanson (Starman Red; Cleopatra, Friends and The Poodles), Marcus Sjöblom (Starman Silver; Cleopatra, Unzip, Stolen Mondays) und Andreas Lindgren (Starman Purple; Requiem).
Nimmt man den dritten Longplayer, dem oft ein wegweisender Charakter nachgesagt wird, als Referenz für den weiteren Werdegang der 2018 gegründeten Band, so darf der schwedische Vierer unbekümmert nach vorne blicken. Ob unsere Starmen ihrer wahnwitzigen Veröffentlichungsgeschwindigkeit treu bleiben – wir werden sehen. Bis dahin bietet „By The Grace Of Rock’n’Roll“ vorab genügend Stoff für nostalgisch-rockige Stunden.
Das Fanzit Starmen – By The Grace Of Rock’n’Roll
Ja, ich geb’s unumwunden zu, am Anfang hatte ich mit dem ganzen Drumherum etwas Mühe – wer derart plakativ Äusserlichkeiten pusht, weist leider nur zu oft musikalische Defizite auf. Aber hey, das Teil macht Freude: es rollt, es rockt, es groovt auf eine frische, unbeschwerte Art und Weise vor sich hin und lässt einen an die guten alten Tage zurückdenken, als Rubik’s Cube noch die härteste Herausforderung im Leben darstellte.
Natürlich kann man das Ganze als ausgefuchste Masche abtun, um Fans der genannten Bands abzuholen und ihnen ein Stück gelebte/geliebte Vergangenheit zu verkaufen. Aber was spricht dagegen, sich in tollen Erinnerungen zu suhlen und gleichzeitig mit wirklich guten Songs unterhalten zu werden? Und auch wenn einem das eine oder andere etwas bekannt vorkommen mag, so bietet die Scheibe doch genügend Originalität, um in der Flut der vielen Neuveröffentlichungen obenauf schwimmen zu können. Ich bin auf alle Fälle sehr gespannt, wohin die Reise der Starmen noch gehen wird (Captain Kirk würde hier wohl wieder Peter Pan zitieren: „Der zweite Stern von rechts und dann geradeaus bis zum Morgen.“)
Langer Rede kurzer Sinn: Wer auf gut gemachten Hard Rock à la Whitesnake und Kiss steht, sollte hier unbedingt mal reinhören!
Anspieltipps: By the Grace of Rock’n’Roll, Kairi, Kisses Of An Enemy, Bad Habit
Trackliste Starmen – By The Grace Of Rock’n’Roll
- Shining Star
- By the Grace of Rock’n’Roll
- Kairi
- Black Thunder White Lightning
- Kisses Of An Enemy
- Pleasuredome
- Spaceplane
- People’s Parade
- Bad Habit
- Hotter Than Fire
- Angels Crying
- Shining Star Voice Outro
Line Up – Starmen
- Kristian Hermanson – Vocals, Rhythm Guitar
- Marcus Sjöblom – Vocals, Drums
- Andreas Lindgren – Vocals, Lead Guitar
- Jonatan Samuelsson – Vocals, Bass