Ausgehext?
Etwas mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung von „Dance With The Devil“ präsentieren die aus Brugg AG stammenden Burning Witches mit „The Witch Of The North“ ihr viertes Studioalbum. Heavier und epischer soll es sein – so zumindest die Worte der Promoabteilung. Ob diese Attribute mehr als nur leere Worthülsen sind – oder ob die Formkurve nach dem gefeierten Vorgänger eher nach unten zeigt – erfahrt ihr im folgenden Review. Weitere Infos gibt es zudem in unserem Interview mit Romana und Larissa.
2020 war für die Schweizer Metal-Hexen ein eher durchzogenes Flugjahr – da haut man ein wirklich cooles Album raus, möchte sich voller Vorfreude auf den Besen schwingen, um den Erdenkreis zu erobern – und dann zieht so eine leidige Pandemie die livetechnische Reissleine. Kein wirklicher Motivationsschub – sollte man zumindest meinen. Doch wie heisst es im Vorwort des „Lehrbuchs der Zaubersprüche“ (Hogwarts, Erstausgabe; mit einem Augenzwinkern an Jay und Larissa) doch so schön: Aufstehen, Krönchen… ähm, Hexenhut richten und weiter geht’s!
So vertauschte man kurzerhand die Bühnen dieser Welt mit den dunkeln Wäldern (Promodeutsch), beziehungsweise dem Proberaum und machte sich eifrig daran, die durch den Lockdown nun frei gewordene Zeit möglichst sinnvoll zu nutzen. Und dass just in dieser Phase ein weiterer Wechsel im Line-Up zu verkraften war, vermochte die Ladys ebenfalls nicht aus der Bahn zu werfen. Vielmehr scheint durch den Neuzugang von Larissa Ernst (welche die im Vorjahr abgewanderte Gitarristin Sonia ‚Anubis‘ Nusselder ersetzt) zusätzliche Virtuosität im metallenen Hexenkessel zu brodeln.
Wo Burning Witches draufsteht…
Entstanden ist so ein Album, das zwar ganz klar nach „Wo Burning Witches draufsteht, sind auch Burning Witches drin“ klingt, aus meiner Sicht jedoch in vielen Belangen auch eine neue, erstarkte und selbstbewusstere Band zeigt, die ihren Sound verfeinert und zum Teil auch etwas entschlackt hat, um genau die Art von Musik auf Polycarbonat oder Vinyl zu pressen, welcher sie sich im Innersten ihrer Herzen verschrieben hat. Natürlich erfindet das Quintett den Old-School Heavy Metal, wie wir ihn aus den 80er Jahren kennen und lieben, nicht neu – wollen sie auch gar nicht. Ihr Sound orientiert sich nach wie vor an den ganz Grossen jener Zeit, die Einflüsse von Bands wie Iron Maiden, Judas Priest oder Saxon sind geradezu körperlich spürbar. Und doch besitzt jeder einzelne Song auf der Platte genügend Eigenständigkeit und Wiedererkennungswert, um den Hexenstempel tragen zu dürfen.
Augenfällig ist dieser Schritt nach vorne speziell auch bei Frontfrau Laura Guldemond, deren Stimme vielfältiger, differenzierter und zuweilen auch weit melodischer daherkommt, als das noch vor Jahresfrist der Fall war. Die Drums sind sehr druckvoll und präsent, die Saitenfraktion wirbelt mit Twin-Guitar-Einlagen sowie coolen Soli (hört mal in „Dragon’s Dream“ rein), derweil der Bass ein solides Fundament legt – generell wirkt „The Witch Of The North“ enorm homogen, in sich geschlossen – ein ganz heisses Eisen, das in einem Guss im Feuer des Schicksalsberges geschmiedet wurde.
Familienbande
Songs wie „We Stand As One“, „Circle Of Five“ oder der Titeltrack gehen richtig gut ins Ohr und werden sicher auch live voll abgehen, ein „Nine Worlds“ hätte sich auch auf Priests „Painkiller“ gut gemacht. „Flight Of The Valkyries“ ist eine Nummer, die leise und sanft beginnt, nach 90 Sekunden aber dann so richtig den Schalter umlegt und knüppelhart nach vorne drängt – wer da zu Beginn die Lautstärke etwas zu sehr hochgeregelt hat, hält alle Karten in der Hand, Besuch von den netten Nachbarn zu erhalten. Eine richtige Ballade ist selbstverständlich auch vertreten – „Lady Of The Woods“ bringt bestes Wunderkerzen- und Feuerzeug-Feeling in die traute Stube! Nettes Detail am Rande: Die eingebettete Opernstimme (Tenor) gehört zu Romanas Vater Meinolf, der ja am Zürcher Opernhaus tätig ist – sehr nice!
Mein persönliches Lieblingslied der neuen Scheibe ist aber „Thrall“, das einem mit seinem wütenden Refrain das Blut in den Adern gefrieren lässt. Besonders spannend und originell finde ich hier die leichte Tempoverschärfung in der Mitte der Bridge – so sind es denn gerade diese kleinen, aber feinen Details, welche dieses Album so hörenswert machen.
Mit Köpfchen und Konzept
Genauso wie das zugrunde liegende inhaltlich Konzept, das die neun Songs umschliesst, und welchem die nordische Mythologie zugrunde liegt. So handelt der Titelsong (zu welchem es auch ein tolles Video zu bestaunen gibt, welches in Zusammenarbeit mit Grupa 13 entstand) etwa von Freya, der nordischen Wanengöttin der Liebe, Schönheit und Fruchtbarkeit, „Flight Of The Valkyries“ besingt die weiblichen Geistwesen aus dem Gefolge des Götervaters Odin („Brunhild“ ist eine davon – Fans von Saltatio Mortis dürften sich erinnern), in „Thrall“ geht es um Sklaven der Wikinger, und bei „Nine Worlds“ wird die Weltenesche Yggdrasil, ein riesiger Baum, an dessen Wurzeln, Stamm, Ästen und Krone sich die Neun Weltreiche anordnen, thematisiert. Als Metal-Fan der alten Schule freut es mich natürlich enorm, dass für die Burning Witches das Album als Gesamtwerk noch immer einen hohen Stellenwert geniesst.
Was ebenso auffällt: Die gesamte Langrille klingt frisch und unverbraucht – die enorme Spielfreude und der damit einhergehende Spass scheinen einen förmlich durch die dröhnenden Lautsprecher anzuspringen. Man hört die Begeisterung, dieses innere Feuer geradezu knistern.
Aufgenommen wurde „The Witch Of The North“ in mehreren Etappen von unserer Schweizer Metal-Legende V.O. Pulver im Little Creek Studio, für die Produktion zeichnet Destruction-Titan Schmier verantwortlich – beides Wegbegleiter und Förderer der ersten Stunde und entsprechend versiert, das Maximum aus dem Sound der Hexen herauszuholen. Das Ergebnis spricht wie oben erwähnt für sich!
Das Album ist bei Nuclear Blast in diversen, zum Teil limitierten Versionen erhältlich (siehe Link unten).
Das Fanzit Burning Witches – The Witch Of The North
Es ist spannend zu beobachten, mit welcher Geschwindigkeit, Konsequenz und – zumindest von aussen betrachtet – geradezu traumtänzerischer Leichtigkeit sich die Burning Witches eine Stufe nach der anderen nach oben arbeiten. War „Dance With The Devil“ bereits ein tolles Album, welches zurecht viel Lob einzuheimsen vermochte, so hieven Romana, Laura, Lala, Jay und Larissa ihren Sound mit „The Witch Of The North“ auf ein völlig neues Level. Heavier? Check! Epischer? Haken drunter (bereits das Intro „Winter’s Wrath“ weiss sich dramaturgisch mehr zu entfalten als „The Incarnation“ auf DWTD)! Die neue Scheibe rockt, kreischt und macht wirklich Bock, das Ganze hoffentlich bald schon live erleben zu dürfen!
Habe ich mir beim Vorgänger nach ein, zwei Komplettdurchgängen jeweils je nach Stimmung nur noch den einen oder anderen Song herausgepickt, so läuft „The Witch Of The North“ nun seit rund zwei Wochen komplett und ohne Skip in Dauerschleife – vom instrumentalen Intro bis zum abschliessenden Cover-Song. Machen die Brennenden Hexen so weiter, haben sie noch lange nicht ausgehext!
„The Witch Of The North“ ist die Momentaufnahme einer Band, die in sich geerdet ist, die weiss, was sie will, und dies auch konsequent umsetzt. Wer die „alten“ Burning Witches mochte, wird dieses Eisen lieben. Und Fans des 80er-Jahre Metals kommen ebenso auf ihre Kosten wie Freunde von gut gemachten, gradlinig nach vorne losgehenden Heavy-Klängen.
Anspieltipps: The Witch Of the North, Flight Of The Valkyries, Lady Of The Woods, Thrall, Dragon’s Dream
Ab Release reinhören und Digipak/Vinyl portofrei (vor-)bestellen
Trackliste Burning Witches – The Witch Of The North
- Winter’s Wrath
- The Witch Of the North
- Tainted Ritual
- We Stand As One
- Flight Of The Valkyries
- The Circle Of Five
- Lady Of The Woods
- Thrall
- Omen
- Nine Worlds
- For Eternity
- Dragon’s Dream
- Eternal Frost
Line Up – Burning Witches
- Laura Guldemond – Gesang
- Romana Kalkuhl – Gitarre
- Larissa Ernst – Gitarre
- Jeanine Grob – Bass
- Lala Frischknecht – Schlagzeug