Auferstehung des metallischen Messiahs
Nach einer beinahe sechsmonatigen Durststrecke erlebte ich am Samstagabend gemeinsam mit guten Freunden endlich wieder einmal Live-Musik. Es knallte, ballerte und dröhnte in den Gehörgängen! Dafür verantwortlich war der inzwischen auf fünf Besatzungsmitglieder angewachsene Kampfpanzer Messiah. Und trotzdem lief vieles überhaupt nicht so ab, wie wir es uns normalerweise gewohnt sind. Doch dazu mehr in den nachfolgenden, von Schreiberling-Kollege Luke und meiner Wenigkeit zusammengetragenen Zeilen.
Dutti: Wie lautet die markante Frage in einem Machine Head-Song noch gleich? Ach ja: «Is there anybody out there?» Ja werter Robb Flynn, das passt wirklich wie die Faust aufs Auge! Also liebe Leser, lebt ihr noch? Seid ihr da? Metalinside.ch meldet sich nämlich genau jetzt mit Frischfleisch (beziehungsweise mit frischen Gurken für die vegetarische und vegane Abteilung) an der Konzert-Review-Front zurück! Nach dieser aufgezwungenen, längeren Absenz ist das natürlich auch bitter nötig, oder?
Nach wie vor prägt das grosse, mühsame «C» unseren Alltag. Glücklicherweise schwinden die Hindernisse jedoch immer mehr. Aufgrund dessen waren wir vor ein paar Wochen überglücklich, als die hel(l)vetischen Death-Thrasher Messiah via «Fratzenbuch» einen Event mit Publikum angekündigt haben. Das Programm umfasst zwei Konzerte von je einer Stunde mit der identischen Setlist und Platz für 46 Besucher bei beiden Durchläufen. Komplett ohne Auflagen – wie beispielsweise Sitzpflicht und Konsumationsverbot – funktioniert es leider (noch) nicht. Aber die Aussicht auf echte Beschallung überwiegt – und wie!
Freudig pilgern wir Richtung Aarau ins KIFF. Während der Zugfahrt werden bereits vorbildlich einige Hopfenblondinen gekillt. Man möchte ja schliesslich vorbereitet vor Ort ankommen. Die Busfahrt vom Bahnhof bis hin zur Location entpuppt sich als grossartige Unterhaltung. Das schwarzgekleidete Gefolge jubelt und stimmt gar ein «Happy Birthday» an – sehr zur Belustigung der anderen Fahrtgäste und des Chauffeurs. Da werden sofort tonnenweise Erinnerungen an bessere Zeiten wach!
Mit Messiah hatte ich persönlich noch nie das Vergnügen. Sie gehören fraglos zu den altgedienten Schlachtschiffen in unserer Szene. Im vergangenen Jahr meldet sich die Truppe mit ihrer sechsten Platte «Fracmont» lautstark zurück! Ausserdem folgte erst vor rund zwei Wochen eine Line Up-Anpassung, die viele aufhorchen liess: Kein Geringerer als der hierzulande bestens bekannte Tausendsassa V.O. Pulver hütet von nun an die zweite Gitarre in den Reihen der Mannschaft. Geiler Scheiss! Funfact am Rande: Er hat seinen Kumpels übrigens schon einmal Ende der 80er-Jahre ausgeholfen. Aber das sei ja schon lange her und man wolle an dieser Stelle nicht zu viel über das Alter sprechen.
Luke: Auch ich lasse mir diese Show natürlich nicht entgehen! Während meine Frau und ich im «Seuchenjahr» 2020 wenigstens im Januar noch die «70000 Tons Of Metal»-Kreuzfahrt besucht hatten und das ganze Jahr etwas davon zehren konnten, war 2021 wirklich noch gar nichts los. Erstes Konzert des Kalenderjahres erst Ende Mai, das gab’s bei mir definitiv schon länger nicht mehr…
Als wir kurz vor Türöffnung vor Ort eintreffen, ist der Platz vor dem KIFF schon ordentlich mit Leuten gefüllt. Da auch sehr viele bekannte Gesichter mit dabei sind, hat das Ganze ein bisschen etwas von einem Familientreffen. Die meisten der Leute hat man aufgrund der Konzert-Zwangspause schon länger nicht mehr gesehen. Umso grösser ist die Freude, dass endlich wieder einmal etwas los ist!
Da ich nach dem Konzert mit einem grösseren Ansturm rechne, statte ich dem Merch-Stand, welcher sich gleich beim Eingang befindet, bereits vor dem Konzert einen Besuch ab. Faire Preise und freundliche Bedienung motivieren ebenso zum Kauf wie der grundsätzliche Support-Gedanke. Es ist zu vermuten, dass Shows dieser Grössenordnung für niemanden wirklich lukrativ sind. Schön, wenn wenigstens in der Merch-Kasse ein paar Franken reinkommen.
Messiah
Dutti: Doch kommen wir nun zur «Hauptattraktion»: Dem Konzert! Mittels an der Eingangskasse erhaltenen Nummer beginnt die Suche nach meinem Sitzplatz. Aufgrund der überschaubaren Kulisse ein relativ einfaches Unterfangen. Ich knacke sozusagen den Jackpot und lande ziemlich in der Mitte. Hervorragende Sicht auf die Bühne! Zudem sitzt Kollege Luke gleich in der Nähe. Zufälle gibt’s. Das war nämlich wirklich nicht abgesprochen. Zwei abgesperrte Stühle zwischen den Gästen sorgen für den geforderten Abstand. Diese «Sperrzonen» sind mit Bildern von süss dreinblicken Möpsen dekoriert (ähm… also Hunde – nicht der weibliche Vorbau!).
Mit leichter Verspätung ertönt dann das Intro «Sacrosanctus Primitivus» aus den Boxen und die Protagonisten schreiten zur Tat. Aufgrund der herumhängenden Vorrichtungen wirkt das Ganze wie ein Aquarium – insbesondere, wenn die ganze Szenerie ab und an in blauem Licht erstrahlt. Trommler Steve «darf» sogar ein Visier tragen. Die seltene «Messiah-Fische» lassen sich allerdings auf gar keinen Fall verunsichern – und dies trotz wirklich teilweise ziemlich fragwürdigen Massnahmen…
Etliche Stücke weisen extremes Abrisspotenzial auf! Die Herrschaften lassen es mit ordentlich Einsatz krachen und sieht ihnen sofort an, wie sehr dieses Gefühl gefehlt hat. Das Soundgemisch zwischen Death und Thrash Metal trifft volle Kanne ins Schwarze! Qualitativ passt alles zusammen. Einzige Ausnahme (Achtung: Es folgt Gejammer auf hohem Niveau) bildet die Pulver-Klampfe. Sie kreischt jeweils deutlich lauter als das Arbeitsgerät von Brögi, weshalb dieser bei seinen Soli leider fast ein bisschen untergeht. Nichtsdestotrotz bleibt dies effektiv der einzige Wehrmustropfen eines ansonsten souveränen Auftritts.
Fronter Andy scheut zwischen den Stücken keine unterhaltsamen Sprüchen. So erwähnt er beispielsweise voller Stolz, dass die Tickets für diese beiden Gigs mit einer solch unglaublichen Geschwindigkeit ausverkauft waren, wie es sonst nur bei Grössen wie Metallica oder Rammstein der Fall sei. Des Weiteren wird der Track «Morte Al Dente» kurzerhand in «Spaghetti Al Dente» umgetauft. Essenseinladungen aus dem Hause Messiah dürften somit mit Vorsicht zu geniessen sein. Ich bevorzuge meine Teigwaren in der Regel ohne «spezielle Zutaten». Ein anderes Mal referiert er plötzlich über einen Bierwagen. Diesen vermisse ich dann schmerzlich, denn ein gewisser Durst wäre langsam diskussionslos vorhanden…
Womit wir direkt beim nächsten Thema wären. Wie geht’s eigentlich dem Publikum so? Einige der sitzenden, maskierten Metalheads betreiben definitiv rhythmische Kopfschüttel-Gymnastik. Das sieht garantiert sowohl gleichermassen spannend als auch gewöhnungsbedürftig aus. Ich komme ehrlich gesagt eh kaum dazu, Blicke nach links oder rechts zu werfen. Stattdessen sauge ich die Atmosphäre gierig auf und lasse die Musik ihre Wirkung entfalten. Ein wohltuendes Gefühl. Oder kommt das etwa allenfalls daher, weil ich auf beiden Seiten von «Möpsen» flankiert bin? Das dürfte wahrscheinlich ein offenes Geheimnis bleiben. Trotz intensiven Headbang- und Luftinstrumenten-Aktionen gehen keine Stühle zu Bruch. Die Fans jubeln den Künstlern laufend zu und sind von der längst überfälligen Dosis Live-Musik sichtlich euphorisiert. Selbst das Nichtberücksichtigen des frenetisch geforderten «The Dentist» hat keinen Stimmungsabbruch zur Folge. Schliesslich sorgt die Eisbären-Hymne «Extreme Cold Weather» für den gelungenen Schlusspunkt.
Luke: Das Ganze ist schon sehr speziell… Von der Decke hängende Plexi-Scheiben zwischen den Musikern, Basser Frugi spielt mit Maske und Drummer Steve mit Visier – und trotzdem strahlt die ganze Band eine unglaubliche Spielfreude aus! Man merkt, dass nicht nur wir Fans sehnsüchtig auf Konzerte gewartet haben, sondern auch die Musiker selbst. Verständlich, schliesslich konnten die Songs des sehr starken «Fracmont»-Albums, das 2020 erschienen ist, noch nie live präsentiert werden.
So erstaunt es auch nicht, dass es gleich vier Stücke der Scheibe auf die Setlist geschafft haben. Diese weiss auch sonst zu gefallen und deckt alle Alben der Gruppe ab – mit Ausnahme von «Underground». Wenn auch der Sound, wie von Dutti schon angetönt, leider nicht perfekt ist – zweite Gitarre zu laut, erste Gitarre und stellenweise auch der Gesang zu leise – kommen sämtliche Songs extrem geil rüber! Auch wenn der Stil der Frühwerke «Hymn To Abramelin» und «Extreme Cold Weather» sicher noch etwas ruppiger war als bei der neusten Scheibe, passt das alles sehr gut zusammen. Und auch die Entscheidung im Live-Gewand auf eine zweite Gitarre zu setzen ist sicher gut. So kann sich Brögi seinen unfassbar starken Leads widmen.
Auch den Zuschauern gefällt es, endlich wieder headbangen! Nur ist das im Sitzen wirklich nicht ganz dasselbe wie im Stehen. Mir fehlt da ein bisschen die Bewegung, dass Rütteln an den Stühlen von ein paar der Besucher ist da definitiv kein Ersatz. Und – auf die Gefahr hin wie ein Alkoholiker zu wirken – auch zwischendurch ein kühles Bier zu trinken fehlt mir eindeutig. Ich freue mich deswegen schon sehr auf weitere Lockerungen. Aber das Hier und Jetzt war schon einmal ein guter Schritt in die richtige Richtung – und immerhin etwas «lebendiger» als nur auf dem heimischen Sofa zu sitzen und sich einen Stream reinzuziehen.
Dutti: Die zweite Show soll gegen 22 Uhr beginnen. Gerüchtehalber haben gewisse Personen tatsächlich Tickets für beide Darbietungen gekauft. Für einmal zählt Onkel Dutti also nicht zu den grössten Konzert-Junkies in der Hütte. Wobei ich sowieso niemandem den Platz «wegnehmen» wollte. Das wäre mir nie in den Sinn gekommen. Draussen kann man derweil frische Luft schnappen und seine trockene Kehle mit Gerstensaft befeuchten. Ausserdem befindet sich der Merch-Stand gleich in der Nähe. Ein Abstecher ist selbstverständlich absolute Pflicht! Endlich wieder shoppen, juhui! Die rappelvolle Geldbörse muss nämlich unbedingt ein bisschen abspecken, ehe die Heimreise ansteht.
Das Fanzit
Dutti: Mein lieber Herr Gesangsverein – das hat unglaublich gutgetan! Balsam für die gepeinigte Metaller-Seele. Ein riesiges Dankeschön in Richtung Messiah und der KIFF- beziehungsweise der Metalmayhem-Crew ist zurecht angebracht. Die Lust auf weitere Live-Shows wurde freilich geweckt. Bleibt zu hoffen, dass solche Vorhaben bald wieder unter normaleren Umständen und komplett ohne teils arg unnötigen Vorgaben stattfinden können.
Luke: Ich kann mich Kollege Dutti nur anschliessen. Danke Messiah, Metalmayhem, KIFF und den Konzertbesuchern! Der Abend hat gutgetan, macht aber auch Lust auf mehr. Es bleibt ausserdem zu hoffen, dass die heutige Form des Anlasses eine einmalige Sache bleibt und wir bei künftigen Konzerten weniger Einschränkungen erdulden müssen. Und das bis zum nächsten «Familientreffen» nicht wieder so viel Zeit verstreicht…
Setlist – Messiah
- Intro – Sacrosanctus Primitivus
- Fracmont
- Hymn To Abramelin / Messiah
- Space Invaders
- Choir Of Horrors
- Akasha Chronicle
- Condemned Cell
- Morte Al Dente
- Lycantropus Erectus
- Living With A Confidence
- Singularity
- Enjoy Yourself
- Extreme Cold Weather