Wie ein Clown inmitten dieses ganzen Irrsinns
Circus Of Rock ist eine neue Band – oder wohl eher: ein grosses musikalisches Projekt, das von Zirkusdirektor… öhm, Schlagzeuger Mirka Rantanen (King Company) geleitet wird. Dass bereits der Erstling „Come One, Come All“ zu überzeugen weiss (die Review dazu findet ihr hier), war für uns alleweil Grund genug, beim finnischen Trommler anzuklopfen.
Wenn bei einer Scheibe solch illustre Namen wie Marko Hietala, Danny Vaughn, Elize Ryd, Lauri Porra oder Roope Riihijärvi erstrahlen, so ist meine Neugier natürlich geweckt. Wie koordiniert man eine dermassen vielfältige Schar von KünstlerInnen, gerade auch in Zeiten von Corona? Welche Hindernisse gab es sonst noch aus dem Weg zu räumen? Und wieso ist das Rockbiz in Mirkas Augen ein grosser Zirkus? Meine Damen und Herren, Manege frei…
Metalinside (Sandro): Die letzten paar Monate waren ja insbesondere für Musiker eine wahre Katastrophe. Was hat dir in dieser Zeit am meisten gefehlt?
Mirka: Ich habe generell die Freiheit vermisst, ein Leben ohne Masken und zudem das Reisen. Aus musikalischer Sicht waren es – was sonst – speziell die Live-Auftritte, die mir am meisten gefehlt haben.
MI: Gab es auch den einen oder anderen Lichtblick in dieser ganzen trüben Zeit?
Mirka: Wenn wir das mit der Impfung bald in den Griff bekommen, so wäre das in der Tat ein Hoffnungsschimmer, ein Zeichen, dass es endlich aufwärts geht. Aber ich denke auch, dass Covid nie wirklich ganz verschwinden wird. Wir werden wohl oder übel lernen müssen, damit zu leben, was immer das heisst.
MI: Denkst du, dass diese Pandemie unser Denken auf irgendeine Art und Weise verändert hat?
Mirka: Corona hat sicherlich unsere Sicht auf das Thema Hygiene verändert. Für die meisten ist es mittlerweile selbstverständlich, sich die Hände zu waschen und Abstand zu halten. Ich denke, wenn wir das beibehalten, werden wir in Zukunft auch andere Infektionskrankheiten wie die saisonale Grippe besser unter Kontrolle halten können. Aber ich glaube nicht, dass alles wieder so sein wird wie zuvor. Ich vermute, wir werden uns an so etwas wie ein „neues Normal“ gewöhnen müssen.
MI: Am 06.08.2021 erscheint „Circus Of Rock – Come One, Come All“. Wann kam dir die Idee zu diesem Projekt und welchen Einfluss hatte Corona auf die Entstehung der Platte?
Mirka: Die Idee, ein eigenes Soloalbum zu machen, kam mir vor ungefähr vier Jahren, aber so wirklich seriös damit auseinandergesetzt habe ich mich erst anfangs 2020 – also noch, bevor die Welt aus den Fugen geriet. Aber Corona hat dann natürlich als Katalysator gewirkt: Ich hatte nichts anderes zu tun, es gab keine Gigs, keine Tourneen… So konnte ich mich voll und ganz auf dieses Album konzentrieren.
MI: In deiner Karriere hast du ja u.a. bereits für Thunderstone, Timo Tolkki oder die Supergroup Northern Kinks gespielt, um nur einige zu nennen. Inwiefern haben dir die Erfahrungen, die du über die Zeit hinweg sammeln konntest, bei diesem Projekt geholfen?
Mirka: Ich denke, die Tatsache, dass ich schon über eine so lange Zeit in so vielen Projekten mitgewirkt habe, hat mir sicherlich bei meinem Vorhaben geholfen. So wusste ich ziemlich genau, wie der Hase in diesem Geschäft läuft und wie ich was anpacken muss. Und da ich wie gesagt schon recht lange im Musikbiz unterwegs bin, kenne ich doch recht viele Leute, die ich anfragen und für mein Projekt gewinnen konnte.
MI: Welche deiner persönlichen Einflüsse scheinen auf „Circus Of Rock“ am meisten durch?
Mirka: Schlichtweg alle, und so soll es auch sein! Rainbow, Deep Purple, Whitesnake, Kansas, Journey, Dio, Dokken, Mr Big, Triumph und viele mehr… Sie alle hatten Einfluss auf meine musikalische Entwicklung, und das ist auf „Come One, Come All“ logischerweise sehr gut zu hören. Aber mehr als alles andere liebe ich den klassischen, melodischen Hard Rock. Darauf habe ich mich auf dieser Platte fokussiert – die Art von Musik zu machen, mit der ich mich identifizieren, hinter der ich voll und ganz stehen kann.
MI: Was genau hat es mit dem Band- wie auch Albumnamen auf sich? Inwiefern ist das Rockbusiness in deinen Augen ein Zirkus, und was genau bedeutet „Come One, Come All“ in diesem Zusammenhang?
Mirka: Den Namen für dieses Unterfangen hatte ich, als ich mir überlegte, was ein so grosses Projekt sowie die Branche als Ganzes am besten beschreiben würde, relativ schnell beisammen. Und natürlich steckt da auch ein Hauch von Ironie mit drin. Ich denke, die ganze Musikwelt ist ein einziger grosser Zoo…. du weisst schon…. um die Welt zu reisen und mit allen möglichen Arten von Leuten, Gauklern und Freaks ins Geschäft zu kommen, im Guten wie im Schlechten. Irgendwie fühle ich mich dort inmitten des ganzen Wahnsinns zuweilen wie ein Clown.
Der Titel des Albums stammt aus einer alten englischen Tradition, als der Zirkus in die Stadt kam, ein Marktschreier davorstand und rief: „Kommt, kommt alle“ und so die Leute einlud doch einzutreten. Oder zumindest glaube ich, dass sich das so zugetragen hat. Englisch ist nicht meine Muttersprache, von daher bin ich mir da nicht ganz so sicher (lacht).
MI: Du hast in diesem Projekt mit vielen Sängern zusammengearbeitet. Wie kam es dazu und wie verliefen die Aufnahmen?
Mirka: Durch meine Teilnahme an der alljährlich in Finnland stattfindenden Raskasta Joulua – einer Art Heavy Christmas Tour, bei welcher traditionelle Weihnachtslieder und Weihnachtshits im Heavy-Metal-Stil gespielt werden – kenne ich viele Sängerinnen und Sänger. Ich fragte sie dann einfach, ob sie Lust hätten, bei meinem Projekt mitzumachen. Ein paar weitere habe ich einfach angemailt. Danny Vaughn oder Erik Kramer kannte ich zum Beispiel vor der ganzen Geschichte nicht persönlich.
Die meisten haben ihre Parts in ihrem Heimstudio oder irgendwo sonst aufgenommen, von daher gab es also keine wirkliche Zusammenarbeit in dem Bereich. Im Anschluss haben sie mir ihre Dateien zugesandt, die ich dann zusammen mit Kimmo Ahola abgemischt habe. Einzig mit zwei Sängern war ich zur gleichen Zeit im Studio, als die Songs eingespielt wurden, der ganze Rest erfolgte quasi aus der Ferne.
MI: Viele Songs klingen so, als wären sie extra auf die jeweilige Stimme zugeschnitten respektive speziell dafür komponiert worden. Wie hast du das fertiggebracht – oder anders formuliert: was war zuerst, Ei oder Huhn, respektive Sänger oder Song?
Mirka: Natürlich hatte ich schon den einen oder anderen Sänger im Hinterkopf, noch bevor ein einziger Song fertig geschrieben war. Als dann die ersten Demos eintrudelten, begann ich zu überlegen, welcher Titel zu wem passen könnte. Ich denke, ich habe die Aufteilung soweit ganz gut hinbekommen (schmunzelt). Überhaupt gab es mit den Gesangslinien wirklich wenig Probleme – ein paar Töne mussten angepasst werden, um den jeweiligen Stimmen respektive ihrem Stimmumfang gerecht zu werden, aber die Adaptionen hielten sich in Grenzen – alles in allem also gesehen ein easy Job.
MI: Welche Songs auf „Come One, Come All“ magst du am meisten, auf welche bist du besonders stolz?
Mirka: Stolz bin ich natürlich auf jeden einzelnen Track, und es liegt mir fern, einen Song gegen den anderen auszuspielen, aber wenn ich mich für ein paar entscheiden müsste, so wären das sicher „Desperate Cry“, den ich für einen absoluten Volltreffer halte. Aber auch „In Times Of Despair“ und „Crossroads“ sind extrem tolle Songs, die den Spirit dieses Albums wunderbar wiedergeben.
„Desperate Cry“ war das erste Lied des Albums und wurde von meinem langjährigen Freund, dem Gitarristen Ade Manninen, komponiert, der auch die Gitarren auf dem Song spielt, zwei weitere Songs geschrieben hat und insgesamt bei vier Tracks involviert war. Leider erkrankte er unmittelbar nach seinen Gitarrenparts zu Anfang dieses Jahres schwer an aggressivem Magenkrebs und verstarb kurz vor der Veröffentlichung des Videos zu diesem Song. Das Ganze bekam dadurch für mich eine völlig neue Bedeutung, wie eigentlich die gesamte Platte – ruhe in Frieden, Bruder!
MI: Wann sind die Songs entstanden, wann wurde aufgenommen?
Mirka: Die Titel wurden mehr oder weniger alle Anfang 2020 geschrieben. Es kann sein, dass jemand schon etwas Fertiges in der Schreibtischschublade hatte, aber im Grunde wurden sie damals geboren. Die Demos und endgültigen Versionen waren im Sommer fertig, so dass die Aufnahmen im Frühherbst 2020 beginnen konnten. Im Januar dieses Jahres war dann alles fertig gemischt und gemastert. Insgesamt hat die ganze Sache also etwa ein Jahr gedauert.
MI: Wie lief das ganze ab? Wie habt ihr zum Beispiel dir Vocallines aufgenommen?
Mirka: Da fast jeder seinen Teil entweder im eigenen Heimstudio oder sonst wo eingespielt hat, musste ich mir zum Glück nicht allzu viele Gedanken betreffend Einschränkungen machen, so dass die Aufnahmen ohne Probleme verliefen. Das ist das Grossartige an der heutigen Zeit mit all den technischen Möglichkeiten, die einem geboten werden. Im August letzten Jahres habe ich mit den Schlagzeugaufnahmen begonnen und die Files dann allen am Projekt beteiligten Musikern zugesandt. Da es für jeden Akteur nur ein bis zwei Songs umzusetzen gab, kamen die eingespielten Tonspuren auch entsprechend schnell zurück, so dass lange Wartezeiten entfielen.
Die Gesangslinien selbst waren bereits mit Demos von zufällig ausgewählten Sängern erstellt worden und konnten als solche dann dem final zugeteilten Vokalisten präsentiert werden. Natürlich hat jede/r seine eigene Handschrift und seinen eigenen Stil eingebracht, aber im Grossen und Ganzen sind alle bei den vereinbarten Melodien geblieben. Und die Harmonien und Chöre wurden dann effektiv hier von zwei, drei Sängern eingesungen.
MI: Gab es auch das eine oder andere Hindernis, das du aus dem Weg räumen musstest, um das Projekt zu realisieren?
Mirka: Nun, bei einigen war die Termingestaltung etwas schwierig, und ein paar Leute konnten schlussendlich gar nicht an diesem Album mitwirken. Das vielleicht Mühsamste war aber, dass es bei so vielen verschiedenen Musikern auch viele verschiedene Tonspuren gab. Es müssen hunderte, wenn nicht gar tausende gewesen sein. Es war ein ziemliches Geduldsspiel, das alles ordentlich zusammenzufügen. Aber Kimmo Ahola hat beim Mischen einen grandiosen Job gemacht, damit nun alles so gut klingt.
MI: Gibt es dabei die eine oder andere Anekdote, die es zu erzählen lohnt?
Mirka: Wenn du damit Begebenheiten meinst, welche die Entstehung des Albums betreffen, so fällt mir in der Tat eine Geschichte ein. Ich verrate dir ein Geheimnis (lacht). „Crossroads“, gesungen von Pasi Rantanen, ist eine Demo-Version. Es war einfach eine so perfekte Gesangsspur, dass wir sie direkt verwendet haben. Zuweilen ist es schlichtweg besser, die Version zu nehmen, die von Anfang an gut klingt, als lange daran herumzudoktern. Denn dadurch geht oft die Frische, die Dynamik verloren, wenn du weisst, was ich meine.
MI: Welche weiteren Musiker haben – nebst dir und der Sängerschar – auf „Come One, Come All“ noch mitgewirkt?
Mirka: Es sind viele Musiker auf dem Album, mit denen ich über die Jahre hinweg in verschiedenen Projekten gearbeitet habe – logischerweise haben nicht alle zum Circus Of Rock gepasst oder sind jetzt dabei. Und natürlich sind auf der Platte auch Musiker aus meiner zweiten aktuellen Band, der King Company vertreten, ebenso wie viele alte Bandkollegen, die jetzt bei Stratovarius, Brother Firetribe, etc. spielen.
[für die komplette Liste der mitwirkenden Musiker siehe die Review von „Come One, Come All“]
MI: Gibt es den einen oder anderen Musiker, mit dem du unbedingt einmal zusammenarbeiten möchtest? Und wenn ja, wieso speziell mit ihm oder ihr?
Mirka: Da gibt es so einige, und ich hoffe sehr, dass ein paar davon auf dem nächsten Album zu hören sein werden. Jake E Lee, den ich als Gitarristen sehr bewundere, wären gerne mit von der Partie, oder John Sykes. Als Sänger hätte ich zum Beispiel gerne Tony Martin und Jorn Lande dabei. Das Grösste wäre, David Coverdale auf einer meiner Platten verewigen zu können, da würde ein ganz grosser, persönlicher Traum wahr werden. Also David, wenn du das hier liest, ruf mich bitte an (lacht).
MI: Wie geht es mit dem Circus Of Rock nun weiter? Werden wir ev. die Chance haben, das Ganze mal auf einer Bühne zu erleben?
Mirka: Ich hege wirklich insgeheim den Wunsch, Live-Auftritten mit COR bestreiten zu können, und ich habe auch bereits mal mit einem Promoter darüber gesprochen. Es wird sicher nicht heute oder morgen passieren, aber der Plan besteht. Und ich werde auf jeden Fall sehr bald schon mit einer neuen Platte loslegen.
MI: Klingt spannend! Und bei dir persönlich? Was steht in nächster Zeit bei dir auf dem Programm?
Mirka: In der nächsten Zeit steht erst einmal die Promotion von „Come One, Come All“ im Fokus. Danach werde ich zusammen mit meiner andern Band King Company, die eine oder andere Show absolvieren, so das denn möglich sein wird. Und im November geht es dann bereits wieder mit den Proben für die Heavy Christmas-Tournee los, welche bis zum Ende des Jahres dauert. Du siehst, langweilig wird mir so schnell nicht werden (lacht).
MI: Du bist nun schon sehr lange im Musikbusiness unterwegs – was hat sich aus deiner Sicht über die Jahre hinweg am meisten verändert, positiv wie negativ?
Mirka: Als ich anfing Musik zu machen, gab es weder Internet noch Mobiltelefone – Dinge, die einem das Leben heute enorm erleichtern. Kommunikation, Musikvertrieb, Werbung, wie auch der Kontakt zu den Fans, alles ist dank der fortschreitenden Technik einfacher geworden. Andererseits hat dies aber auch das kostenlose Streaming von Musik ermöglicht, wodurch die Plattenverkäufe halt leider stark zurückgegangen sind. Das Ganze ist – wie so vieles andere auch – ein ziemlich zweischneidiges Schwert. Aber ich für meinen Teil denke, dass die Vorteile überwiegen.
MI: Angenommen, du könntest in der Zeit zurückreisen – welchen Ratschlag würdest du deinem 30 Jahre jüngeren Ich geben?
Mirka: Ich würde sagen: Immer mit der Ruhe, das wird schon wieder. Es bringt nichts, wenn du dich unnötig selbst fertig machst. Und halte dir immer den Rücken frei, respektive einen Plan B in der Hinterhand. Das wäre für mich eine gute Rettungsleine gewesen, als ich jünger war.
MI: Zum Abschluss: Hast du noch eine spezielle Message an deine Fans in der Schweiz?
Mirka: Ich möchte auf alle Fälle betonen, dass es und als Musiker, die wir alle von dieser Pandemie betroffen waren und es noch immer sind, sehr weh getan hat, dass wir eineinhalb Jahre lang keine Konzerte spielen konnten. Umso wichtiger ist es nun, dass die Fans Platten und Fanartikel kaufen sowie auch wieder an die Konzerte kommen, wenn es denn wieder möglich sein wird. Nur so können wir weiter machen, nur auf diese Weise kann die Musik überleben. Und ich möchte bereits jetzt allen von Herzen danken, die uns unterstützen und unsere Gigs besuchen werden, wo auch immer das ist.
Denn ich würde wirklich sehr gerne für einen weiteren Auftritt in die Schweiz kommen. Ich war schon ein paar Mal mit Thunderstone im Z7 und es war unglaublich!
MI: Mirka, ganz herzlichen Dank für dieses Interview – und hoffentlich bis bald.