Maiden Japan
Zumindest war das mein erster Gedanke, als ich das erste Mal das Cover von „Senjutsu“ von Iron Maiden gesehen habe. Eddie mit Samurai-Schwert: Das hatten wir doch schon mal? Und zwar vor 40 (!!) Jahren, bei der Live EP „Maiden Japan“. Doch so viel kann ich vorweg nehmen: Das war es dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten…
Nach fast auf den Tag genau sechs Jahren veröffentlichen Iron Maiden ihr 17. Studioalbum und den Nachfolger von „The Book Of Souls“. „Senjutsu“ ist es betitelt und zehn teilweise lange Tracks warten darauf, von den Fans auf der ganzen Welt unter die Lupe genommen zu werden. Alleine die letzten drei Titel dauern zusammen über eine halbe Stunde – tönt definitiv nicht nach Stoff, den man einfach „nebenbei“ hören kann… Somit Vorhang auf für eines der wohl am meisten erwarteten Werke des Jahres 2021!
Das Album Iron Maiden – Senjutsu
Los geht es mit dem Titeltrack, der bereits über acht Zeigerumdrehungen frisst. Und „Senjutsu“ zeigt ein erstes Mal eine ungewöhnliche Seite der Briten. Schwer, düster, von Drums und Rhythmus dominiert, auch Bruces Gesang ist eher ungewohnt. Dazu bleiben die Gitarren mehrheitlich im Hintergrund. Nur punktuell dürfen die Saitenhexer sich präsentieren. Wenn man im eigenen Backkatalog einen Vergleich sucht, dann wäre es wohl am ehesten noch „Afraid To Shoot Strangers“. Auf jeden Fall ist der Opener gewöhnungsbedürftig, wächst aber mit jedem Durchgang und markiert schlussendlich einen saustarken Beginn.
Bei „Stratego“ geht’s dann deutlich zügiger weiter. Zu diesem Track muss man wohl nicht mehr viel sagen, denn es handelt sich um die zweite Single, die vor kurzem vorab veröffentlicht wurde. Höre nur ich da eigentlich den Opener von „Brave New World“, „The Wicker Man“, raus? Jedenfalls klassischer Maiden Stoff. Allerdings – die erste Auskopplung hat die Nase dennoch klar vorne.
Und da handelt es sich natürlich um das mittlerweile ebenfalls bestens bekannte „The Writing On The Wall“. Mitte Juli war dies das erste Lebenszeichen von Harris & Co. Ein aufwendig produzierter Videoclip schürte zudem die Vorfreude auf das nun vorliegende Album. Und der Song selbst ist einer der wenigen, welcher praktisch von Beginn weg einfach passt. Hier braucht’s kaum Anlaufzeit, hier gibt’s die pure Maiden Essenz, garniert mit einem Bruce Dickinson in Topform! Mit jedem Durchlauf klebt sich das alles noch mehr in den Gehörgängen fest. Ganz grosses Kino!
Sanfte Töne leiten „Lost in A Lost World“ ein. Akustische Gitarren, leicht verzerrter Gesang, leise Chöre. Doch nach zwei Minuten werden die Leinen losgelassen und angeführt vom Gitarren-Triple zeigt Bruce eine weitere Wahnsinnsleistung. Insgesamt werden hier Erinnerungen an Glanztaten von „Brave New World“ wach. Auch hier gilt übrigens wieder: „Einfach nebenbei hören“ geht nicht. Da verpasst man ansonsten nicht nur die fantastischen Soli…
Nach diesem Brocken geht’s kurz und knackig weiter. „Days Of Future Past“ ist mit etwas über vier Minuten der weitaus kürzeste Beitrag auf dem Album. Einmal mehr beeindruckend, was die „Air Raid Siren“ hier bietet! Man kann sich den auf der Bühne herumfuchtelnden (oder sollte ich sagen: gestikulierenden?) Sänger perfekt vorstellen. Der kurze und sanfte Mittelteil fügt sich zudem perfekt ins Gesamtbild ein. Stark!
Purer Kontrast. Nach dem zügigen und eingängigen Quickie folgt mit „The Time Machine“ das pure Gegenteil. Selten hat man die Jungfrauen dermassen sperrig und progressiv gehört. Sicher, es gibt durchaus auch eingängige Töne zu hören (zu Beginn). Doch insgesamt ist dies ein Titel, der a) einem wirklich ungeteilte Aufmerksamkeit abverlangt und b) sicherlich nicht allerorts zum Favorit auserkoren wird. Dafür ist vor allem der zweite Part stellenweise zu komplex. Auch nach über einem Dutzend Durchläufen bin ich nicht restlos überzeugt von dieser Zeitmaschine.
Meeresrauschen und die klassischen (sanften) Gitarren sind der Einstieg in die dunkelste Stunde. Einer der insgesamt sicherlich ruhigsten Titel, nicht nur auf „Senjutsu“, sondern überhaupt. Trotz seinem fast balladesken Tempo und trotz über sieben Minuten Spielzeit, ist „Darkest Hour“ äusserst kurzweilig und brilliert unter anderem einmal mehr mit grossartigen Gitarrensolos. Möwengeschrei und Wellenrauschen runden das Gesamtbild am Ende ab. Von der Machart her erinnert mich das irgendwie an eine ruhigere Version von „Brighter Than A Thousand Suns“.
So, die kurzen Lieder sind durch. Zeit für die Monster! Ab jetzt gibt’s nichts mehr unter zehn Minuten… Nun ja, Maiden können das natürlich. Das haben sie in der Vergangenheit immer wieder bewiesen. „Rime Of The Ancient Mariner“ (1984) ist ein absoluter Klassiker. „Sign Of The Cross“ (1995) schaffte es sogar auf die Setliste der letzten Tour – obwohl aus der generell eher ungeliebten „Bayley-Ära“. Und mit „Empire Of The Clouds“ vom letzten Album „Book Of Souls“ (2015) haben die Herren es auch nochmals gezeigt. Dazu kämen dann noch unzählige weitere Longtracks, die (knapp) unter der zweistelligen Zeitmarke blieben…
Der erste Teil dieses finalen Triple ist „Death Of The Celts“. Und schon der Beginn lässt es erahnen: Hier kommt ein ganz grosses Highlight! Urtypische Maiden Gitarren, wie sie perfekt und bekannt sind, vor allem für solche epischen Meisterwerke. Als Vergleich passt hier wohl „Dance Of Death“ ziemlich gut. Und als die komplette Instrumentierung einsetzt, gibt’s Hühnerhaut-Momente en masse. Irgendwie ist das ein Mix aus “Clansman“ (alleine schon aufgrund des Titels natürlich…), dem erwähnten Tanz des Todes und „Brave New World – und doch wieder nicht. So sticht zum Beispiel Steve Harris heraus, dessen Bassspiel eine selten gehörte Begleitung der Gitarrensolos darstellt. Dezente Keyboards streuen zwischendurch etwas Epik rein, bevor es wieder sanft und ruhig wird. Der Ausklang, getragen vom fantastischen Fronter, erinnert dann ebenfalls wieder ganz stark an „Dance Of Death“.
„The Parchment“ kann danach schlicht nicht mithalten. Ich weiss nicht, woran es liegt. Schon ausgepowert nach den vorherigen Songs? Das war immerhin schon fast eine Stunde Musik. Naja, DAS kann eigentlich nicht der Grund sein… Eher die Eintönigkeit. Irgendwie ein einschläfernder Rhythmus, kaum Abwechslung, alles scheint in der gleichen Tonlage zu sein. Nope, das ist eine Nummer, die mich einfach nicht fesselt, obwohl nach zehn Minuten (endlich) mal noch etwas an der Temposchraube gedreht wird. Und so ist ausgerechnet das längste Lied der (einzige) Tiefpunkt des Albums.
Nun ist die Frage, in welche Richtung Nummer drei der Ü10-Liga geht. Auch „Hell On Earth“ beginnt mit einem (zu) langen, sanften Gitarrenintro. An dieser Stelle wäre weniger wohl mehr gewesen. Aber wenn dann nach gut zwei Minuten die Saitenfraktion von der Leine gelassen wird, beginnt der Fan selig zu lächeln. Noch bevor Bruce seine Arbeit aufnimmt, hört man die Keyboards, die einen unvermeidlich an „Seventh Son Of A Seventh Son“ (für mich nach wie vor DAS Maiden Album überhaupt!) erinnern lassen. Der Sänger liefert ein letztes Mal eine Grosstat und der Refrain hat auch noch Ohrwurm-Charakter.
Nach ausgiebigen Solos nimmt der Song plötzlich eine komplett andere Dimension an. Nun werden Elemente eingebaut, die man bestens vom bereits erwähnten „Rime Of The Ancient Mariner“ kennt. Mit solchen Dingen müssten eigentlich auch die Fans etwas anfangen können, für die Maiden vor 37 Jahren das letzte gute Album gemacht haben. Wobei…. Nein. Die werden sich das eh nicht anhören. Selber schuld – denn sie wissen nicht was sie verpassen… „Hell On Earth“ ist jedenfalls ein grossartiger Song, ein weiteres Highlight auf „Senjutsu“, dem man wirklich nur den Makel „zu langes Intro“ und „zu langes Outro“ ankreiden kann. Doch zwischen Minuten 2 und 10 – ein absolutes Meisterwerk!
Das Fanzit Iron Maiden – Senjutsu
Tja, und was für ein Fazit zieht man nun nach diesen über 80 Minuten? Wo ordnet man „Senjutsu“ zwischen den anderen 16 Alben ein? Wie wird #17 den Test der Zeit bestehen? Schwierige Fragen!
Nun, “Senjutsu” bietet zweifellos sehr viel Material, welches die Fans begeistern wird. Dazu gibt es immer mal wieder auch Überraschungen, speziell der Titeltrack sei hier erwähnt. Schwachstellen sind wenige auszumachen, eigentlich ist mit “The Parchement” nur ein Track dabei, der wirklich abfällt. Dem gegenüber stehen diverse Grosstaten wie “The Writing On The Wall”, “Death Of The Celts” oder auch “Senjutsu”. Ich habe mir zum Vergleich auch wieder einmal “The Book Of Souls” reingezogen. Qualitativ sind die beiden Scheiben auf Augenhöhe. Im Moment (wohl auch einfach der Aktualität geschuldet) bevorzuge ich jedoch “Senjutsu”. Auch weil vieles mit jedem Durchgang (noch) besser wird. Sogar “Stratgeo”, mit dem ich zu Beginn ziemlich Mühe hatte, macht mittlerweile Laune…
Wer “The Number Of The Beast 2” oder “Powerslave 2” erwartet hat: Sorry. Wer Iron Maiden 2021 erwartet hat: “Senjutsu” ist ein Blindkauf! Viele Parts in den Songs lassen die Vergangenheit allerdings immer mal durchschimmern, und genau das macht das Gesamtwerk höchst spannend und interessant. Das Album ist zudem ein wirklicher “Grower” und nix für Fast Food Hörer. Somit setze ich im Vergleich zum Vorgänger noch etwas drauf und gebe 9 von 10 Punkten. UP THE IRONS!
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