Auf Autopilot
Wohlan, sie fliegen wieder. The Night Flight Orchestra – diese vor fast einem Jahrzehnt als Spassprojekt bekannter Rock/Metal-Protagonisten (Soilwork, Arch Enemy, Mean Streak) ins Leben gerufene Combo – begeben sich mit „Aeromantic II“ auf einen weiteren Nachtflug, zurück in die guten alten 80er, als Twix noch Raider hiess und auch sonst so ziemlich alles besser war. Ob dies ebenso auf die Musik des fliegenden Nachtorchesters zutrifft?
Nun ja, in Sachen Originalität bei der Vergabe des Albumtitels holen sich die Schweden erstmal denkbar schlechte Noten ab, hörte der Vorgänger doch bereits auf denselben Namen – naja, zumindest beinahe, einfach ohne das „II“ hinten dran (Review dazu siehe hier). Nun ist es leider zum Beispiel gerade bei Disney-Filmen oftmals so, dass des schnellen Geldes willen ein billiges Follow-Up nachgeschoben wird – mit entsprechend gemischten Gefühlen liess ich die Nadel auf die fröhlich vor sich hin drehende Scheibe niedersinken (bildlich gesprochen, wohlgemerkt. Waren natürlich schnöde MP3s, denen ich andächtig gelauscht habe; aber hey, think 80s!).
Dieses etwas mulmige, schaurige Gefühl, einer herben Enttäuschung entgegenzusteuern, und die Hoffnung auf 51 wohlig-leichte Minuten guter AOR-Unterhaltung am nächsten Berghang zerschellen zu sehen, wird zum Glück relativ schnell beiseite gewischt. Zwar vermag das auf Nummero II Dargebotene bei mir nicht ganz die gleiche Magie zu entfesseln wie noch beim Vorgänger, doch bewegen sich die Songs ausnahmslos auf einem guten bis sehr guten Niveau, so dass während der gesamten musikalischen Reise keine ernst zu nehmenden Turbulenzen auszumachen sind.
Steigflug
Spannenderweise scheint unser Flieger für einmal einen etwas längeren Anlauf zu benötigen, bevor sich die Nase anhebt, er die Startbahn unter sich zurücklässt und das Fahrwerk eingezogen wird. Bei „How Long“ erlischt dann das „Bitte anschnallen“ – Zeichen, und spätestens, wenn die Stewardess vorbeischaut und ein Glas erlesenen Chardonnay anbietet („Chardonnay Nights“), weiss man die Bordunterhaltung so richtig zu schätzen.
Wenn die Sterne nun bernsteinfarben durch die Fenster der Kabine herein schimmern („Amber Through A Window“), und man sich so richtig bequem in den Sessel eingekuschelt hat, dann ist TNFO voll auf Kurs, und der Rest der Reise vergeht wie im Fluge (kleiner Kalauer am Rande). Irgendwie weist Hälfte zwei der Scheibe eine spürbar höhere Hitdichte auf – vielleicht liegt’s aber auch einfach am zuvor servierten Rebensaft, wer weiss…
The Night Flight Orchestra bieten auf ihrem neuesten Opus die hinreichend bekannte Mischung aus Saturday Night Fever-Feeling und beschwingt abbaeskem Wohlfühl-Geriffe, wie wir es von der Truppe rund um Björn Strid seit Jahren gewohnt sind. Bahnbrechend neu ist das Ganze selbstredend nicht: Man erledigt die anstehenden Wartungsarbeiten auf „II“ in erprobt solider und professioneller Manier – ohne echten Ausreisser nach unten, aber halt auch etwas risikoarm, was bei einer etablierten Airline jedoch auch nicht gross verwundert.
Bitte anschnallen
Natürlich ist die Frage legitim, ob nicht der eine oder andere kompositorische Geniestreich, dieses eine Quäntchen mehr Abwechslung, diese Abkehr von gewohnten Reiserouten – kurz: ein My mehr Innovation der Platte eine Art Extraboost verliehen hätte – eine schon angesichts des Albumtitels etwas naive Hoffnung. So gleitet der Nachtflug denn majestätisch ruhig durch die Lüfte, quasi auf Autopilot. Wer sich eine Fortsetzung bereits bekannter Melodiebögen und Harmonien erhofft hat, wird sicherlich nicht enttäuscht; Freunde progressiver Weiterentwicklung dürften die schwedische Fluglinie ohnehin nicht auf dem Radar haben.
Insgesamt bietet die neue Langrille viel Grund zur Freude, so man denn diese Art von aus den 80er Jahren entliehenen Arrangements zu schätzen weiss. Und dass die Produktion gewohnt sauber und druckvoll daherkommt, dürfte eigentlich auch niemanden mehr gross überraschen – diese Crew versteht ihr Handwerk aus dem FF, perfekter Bordservice und butterweiche Landung inklusive!
Das Fanzit The Night Flight Orchestra – Aeromantic II
The Night Flight Orchstra liefern auf „Aeromantic II“ das ab, was man von ihnen erwartet: Songs, die gut ins Ohr gehen, und auch trotz dem Festhalten an Althergebrachtem genügend Abwechslung bieten, um selbst nach wiederholtem Durchhören nicht so schnell langweilig zu werden. Kurz: Süffigen, erwachsenentauglichen Classic Rock ohne Ecken und Kanten. Sehr gute acht Punkte für ein überaus solides, eingängiges und zugleich kurzweiliges Retro-Hörerlebnis.
Wer dem Sound der guten alten 80er-Jahre nachhängt und Classic Rock/AOR à la REO Speedwagon, Yes oder Toto mag, wird sicher mal ein Ohr riskieren wollen!
Anspieltipps: Midnight Marvelous, Chardonnay Nights, Amber Through A Window, You Belong To The Night
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Trackliste The Night Flight Orchestra – Aeromantic II
- Violent Indigo
- Midnight Marvelous
- How Long
- Burn For Me
- Chardonnay Nights
- Change
- Amber Through A Window
- I Will Try
- You Belong To The Night
- Zodiac
- White Jeans
- Moonlit Skies
- Reach Out (Bonus Track)
Line Up – The Night Flight Orchstra
- Björn Strid – Lead and Backing vocals
- David Andersson – Guitars
- Sharlee D’Angelo – Bass
- Sebastian Forslund – Guitars, percussion
- Jonas Källsbäck – Drums
- John Manhattan Lönnmyr – Keyboards
- Anna Brygård – Backing Vocals
- AnnaMia Bonde – Backing Vocals