Triumphzug von Jinjer
In der Konzertfabrik Z7 in Pratteln musste man sich am Mittwochabend eingestehen, dass die Bezeichnung «aufstrebende Band» definitiv nicht mehr zu den Ukrainern Jinjer passt. Im Gegenteil, Tatiana Shmailyuk und ihre drei Mitstreiter haben zweifelsohne das nächste Level erreicht. Dies wurde mittels eines überragenden Auftritts eindrücklich unter Beweis gestellt. Dafür verlief das Aufwärmprogramm mit Space Of Variations und Hypno5e zwiespältig.
Bitte was? Ein Konzert mitten unter der Woche? Das gab’s zuletzt am «ich-weiss-gar-nicht-mehr-wann-Tag». Daran muss ich mich zuerst wieder gewöhnen. Mal schauen, ob die eigenen Energiereserven solche «Übungen» problemlos mitmachen. Veranstalter Mainland Music lädt zur Lärm-Beschallung in Pratteln. Schön zu sehen, dass erneut vermehrt schwarzgekleidete Gestalten ins «gelobte Land» pilgern. Die Anwohner haben solche Bilder garantiert schon beinahe komplett vergessen (oder je nach Sichtweise verdrängt). Wie auch immer – die Metalheads sind zurück! Und es dürstet sie nach Live-Musik und Gerstensaft! Glücklicherweise kann das Z7 mit beiden Dingen dienen. Aufgrund dessen steht einem unterhaltsamen Abend freilich nix mehr im Weg.
Wir helvetischen Mähnenschüttler haben die Ehre, den Monat September gemeinsam mit Jinjer ausklingen zu lassen. Die Equipe aus Osteuropa sichert sich so langsam eine Art Symbolstatus. Schliesslich hat das Quartett im vergangenen Jahr als eine der wenigen Ausnahmen der verhassten Pandemie getrotzt und in mutiger Manier eine Mini-Tournee durchgezogen (hierzulande mit ausverkauften Zwischenstopps in der Musigburg und dem Hall Of Fame). Nun beehren die groovigen Künstler abermals die Schweiz. Mit im Gepäck haben sie die nagelneue Scheibe «Wallflowers» sowie zwei Support-Acts: Hypno5e (die Schreibweise mit einer Nummer mitten im Namen ist gar nicht mein Fall…) und Space Of Variations.
Ausgestattet mit Hopfen-Treibstoff lege ich mich bei «meinem» Pfosten auf die Lauer, um ausreichend Beobachtungen zu machen. Die Besucher wirken euphorisiert und geniessen ihren Aufenthalt in der sagenumwobenen, wieder aus der Versenkung aufgetauchten Halle in vollen Zügen. Diese lächelnden Gesichter sind einfach Balsam! Dann erspähe ich den Kollegen Friedemann, der gerade seine Kameraausrüstung schnappt und gemeinsam mit ein paar anderen Knipsern in Richtung des Grabens schreitet. Ein klares Indiz dafür, dass es sicherlich demnächst losgeht. Seid ihr alle bereit?
Space Of Variations
Der Opener ist auf dieser Europarundreise kurzfristig für Humanity’s Last Breath eingesprungen. Es handelt sich hierbei um Landsleute des heutigen Headliners. Mir sind die Herrschaften alles andere als unbekannt, denn sie waren bereits im Dezember 2019 gemeinsam mit Jinjer in unseren Gefilden zu Gast. Der Gig im Zürcher Dynamo war meines Wissens eine überzeugende Angelegenheit (yep, siehe Review). Ob der Vierer im Z7 eine ähnliche Leistung abrufen kann?
Nach den ersten Tönen kann man diese Frage sogleich mit einem lauten «JA!» beantworten. Mit ihrem Gemisch aus Metalcore und Post-Hardcore bringen die Akteure rasch Stimmung in die Bude. Dabei treten sie nicht einmal in Bestbesetzung an. Aus Insiderquellen habe ich nämlich erfahren, dass der eigentliche Sänger heute passen muss und durch den «Merch-Guy» ersetzt wird. Alter Verwalter, dieser Kerl bestreitet seinen Lebensunterhalt aber zweifellos nicht bloss mit dem Verkauf von T-Shirts. Der hat bestimmt irgendwo noch eine Band zu Hause.
Die Aussage «They came to fuck this place!» trifft effektiv zu. Das bebt und kracht mit ordentlich Elan! Ausserdem können schon bald erste Moshpits bestaunt werden. Ein Publikum ohne Anlaufschwierigkeiten ist für jeden Musiker eine verdammt dankbare Angelegenheit. Space Of Variations scheinen dadurch nochmals zusätzlich motiviert zu werden. Anders kann man sich diese sackstarke Darbietung kaum erklären. Einzig der Klargesang des Klampfers schwächelt an gewissen Stellen. Stilistisch wirkt das Ganze wie eine schlagkräftigere Version von Bullet For My Valentine. Einen Abstecher an den Merch-Stand erachte ich zu einem späteren Zeitpunkt als äusserst realistisch.
Hypno5e
Um 20.10 Uhr gehen die Franzosen Hypno5e an den Start. Ihr Avant-garde beziehungsweise Post-Metal ist im Vergleich zur ersten Gruppe ein echter Stilbruch. Lange, technisch hochstehend gespielte Passagen prägen die Szenerie. Sie machen ihrem Namen alle Ehre. Blöderweise sorgt eine solch hypnotische Wirkung schnell einmal für schläfrige Zuhörer… Keine wirklich berauschende Show. Die vereinzelt packenden Ansätze tauchen leider zu selten auf. Wahrscheinlich würden die Jungs besser in das Programm eines «Prog-Abends» passen.
Fun-Fact: Damals beim Konzert im Dynamo war doch eine ähnliche Truppe mit von der Partie. Wie hiessen die noch gleich…? Ach ja, die einlullenden Finnen Khroma. Die waren ebenfalls nicht wirklich mein Fall…
Jinjer
Kurz durchschnaufen – und dann sind wir exakt um 21.30 Uhr bestens gewappnet für den Headliner. Die Hütte ist mittlerweile verflucht gut gefüllt. Gerüchten zufolge sollen rund 800 Nasen den Weg in die Nordwestschweiz gefunden haben. Ein Aufmarsch, den ich sämtlichen Organisatoren und Künstlern fraglos gönne. Und die Leute werden alles andere als enttäuscht. Jinjer (wieso zur Hölle muss ich da nur jedes Mal an Ginger Ale denken?) liefern von Beginn weg ab! Eine mitreissende Performance, die umgehend auf die Fans abfärbt. Das hat wilde Moshpits temporeiche Rundläufe und halsbrecherische Crowdsurf-Aktionen zur Folge. Sicherlich geniale Motive für die knipsende Zunft. Allerdings könnte die Lichtsituation für Friedemann und Co. in der Tat besser sein. Suboptimale Sache… Nichtsdestotrotz traue ich meinem Mitstreiter ausreichend fantastische Schnappschüsse zu. In der Galerie könnt ihr euch gerne selbst davon überzeugen.
Die Setliste wird durch die beiden neusten Alben «Macro» und «Wallflowers» geprägt. Erneut kann ich vor der Gesangsleistung von Tatiana bloss meinen nicht vorhandenen Hut ziehen. Dieses Mädel ist mit einem unfassbaren Stimmorgan gesegnet und weiss dieses ausgezeichnet einzusetzen. Die Wechsel zwischen klaren Parts und Growls verlaufen hervorragend. Des Weiteren wirbelt sie regelmässig ihre zusammengebundene Mähne herum. Zudem weckt Tati – aus der Ferne betrachtet – in ihrem Mantel gewisse Erinnerungen an das Outfit von Kate Beckinsale in den «Underworld»-Filmen.
Die Ukrainer sind längst nicht mehr die kleine Kapelle aus der Nachbarschaft. Die heutige Darbietung zeigt schonungslos auf, wie stark und grossartig die vier Akteure inzwischen agieren. Wuchtig und inspirierend! Diese groovigen, progressiven Rhythmen holen einen schlichtweg jedes Mal ab. Langeweile? Fehlanzeige! Diesen Klangwelten verfällt man stets extrem gerne. Komplimente an Bass-Biest Eugene Abdukhanov sind sowieso selten verkehrt! Bewegungsresistente Persönlichkeiten sind hier eindeutig fehl am Platz. Ein 80-minütiger Hochgenuss, bei dem Jinjer gar komplett auf ihren vielerorts gefeierten Hit «Pisces» verzichten. Gemäss einem Kollegen, der die Gruppe relativ gut kennt, sei das ein bewusster Schritt respektive Entscheid für diese Tour gewesen. Man wolle keinesfalls dauernd auf dieses Stück reduziert werden. Tja, wer genügend andere, mächtige Hymnen in der Hinterhand hat, kann verdientermassen entspannt und selbstsicher durchs Leben stolzieren.
Das Fanzit – Jinjer, Hypno5e, Space Of Variations
Die ukrainischen Vertreter sorgten heute Abend für beste Unterhaltung. Sowohl Space Of Variations als auch Jinjer kann ich für weitere Gastspiele hierzulande nur wärmstens empfehlen. Hypno5e wollten hingegen nicht so wirklich ins Gesamtbild passen. Für einen Mittwochabend – und in Relation zu dem Wahnsinn, der momentan auf unserer Erdkugel abgeht – war die Zuschauerzahl freilich zufriedenstellend. Konzerte unter der Woche scheinen also wieder zu funktionieren. Gerne mehr davon! (An den Brummschädel am Folgetag auf der Arbeit muss man sich eben erneut gewöhnen…)
Setlist – Space Of Variations
- Suicide Rave
- Room 57
- Razorblade
- New Song 1 (noch unbetitelt)
- New Song 2 (ebenfalls noch unbetitelt)
- Fuck This Place Up
- Будут Наказаны
- Tibet
Setlist – Hypno5e
- East Shore: In Our Deaf Lands
- On Our Bed Of Soil – Part I
- On Our Bed Of Soil – Part II
- On Our Bed Of Soil – Part III
- Acid Mist Tomorrow
- Maintained Relevance Of Destruction Part II
Setlist – Jinjer
- Call Me A Symbol
- On The Top
- Pit Of Consciousness
- I Speak Astronomy
- Disclosure!
- Judgement (& Punishment)
- Sleep Of The Righteous
- Ape
- Retrospection
- Perennial
- Wallflower
- Teacher, Teacher
- As I Boil Ice
- Mediator
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