Glühweinzauber
Exakt vier Wochen vor Heiligabend veröffentlicht Lee Aaron mit „Almost Christmas“ eine zwölf Tracks umfassende X-Mas-Langrille, welche Freunde gediegenen Rocks auf das Fest der Liebe einstimmen soll. Wobei – wirklich neu ist die Scheibe ja nicht, und auch der eine oder andere Songtitel dürfte einem doch irgendwie bekannt vorkommen. Bringen wir etwas Licht hinter den glitzernden Lametta-Vorhang!
Weihnachtsalben sind ja in etwa so wie Senf zur Bratwurst: Entweder man würde dafür töten – oder deswegen. Zudem ist es nicht unbedingt jedermanns Sache, sich schon im November (für die Bewertung dieser CD) zuckersüsse Festtagsklänge in die nebelverhangenen Ohrmuscheln rieseln zu lassen. Allerdings durfte ich diesbezüglich bereits im Vorjahr mit „A Christmas Carol“ von Majestica (zum Review) erste Erfahrungen sammeln, und auch das Ende Oktober dieses Jahres von Sabaton veröffentlichte „Christmas Truce“ (zum News-Beitrag) schlägt – wenn auch eher episch statt knuffig – in dieselbe Kerbe. Aber seit in den Regalen der Grossverteiler unseres Vertrauens Spekulatius gefühlt unmittelbar auf Osterhasen folgen, ist ohnehin alles etwas anders.
Und nun also legt uns die kanadische Power-Stimme nach ihren diversen Abstechern in musikalische Gefilde wie Rock, Jazz, Blues oder auch Oper ein Weihnachtswerk unter den noch im Walde stehenden Baum. Aber vielleicht ist es ja gerade diese in mannigfaltigen Genres gesammelte Erfahrung, die Lee Aaron genau für dieses Album so sehr prädestiniert. Denn bei den meisten der auf dieser Scheibe vertretenen Tracks handelt es sich nicht um Neukompositionen; vielmehr hat das Multitalent bei der Songauswahl ganz tief in die künstlerische Wühlkiste gegriffen und dabei eine Reihe mehr oder minder bekannter Festtagsstücke aus ganz unterschiedlichen Stilrichtungen und Zeiten auf den rund-rotierenden Gabentisch gezaubert.
Back To The Future
Los geht der muntere Reigen um die Halleluja-Palme mit „Everything’s Gonna Be Cool This Christmas“, das im Vergleich zur Ur-Version von The Ells (1992) mit einem satteren Sound aus den Boxen quillt, sich aber speziell durch die irgendwie mädchenhaft-süss angesetzten Vocals vom Original abzugrenzen vermag. Und auch das nachfolgende „Baby Please Come Home“, welches ursprünglich 1963 von Darlene Love intoniert, später dann von so bekannten Grössen wie Mariah Carey oder U2 neu eingespielt wurde, ist alles andere als ein müder, uninspirierter Abklatsch, sondern hebt sich dank seiner leicht rockigen Attitude wohlig von den drei zuvor genannten Versionen ab (an dieser Stelle sei angemerkt, dass ihr euch für einmal keine Sorgen um eure Halsmuskeln zu machen braucht. Also: bleibt geschmeidig und lasst euch vom Geist der „Christmas To Come“ umgarnen).
So geht es denn auch munter weiter: Alle gecoverten Tracks tragen – manchmal mehr, zuweilen etwas weniger, jedoch stets cool umgesetzt – die Handschrift der kanadischen Künstlerin samt Band, ohne jedoch den ursprünglich zugrunde liegenden Stücken ihre ureigene Identität zu nehmen. „Run, Run, Rudolph“ ist ganz klar Chuck Berry (für die jüngeren Semester unter uns, denen der Name allenfalls ein Schulterzucken entlockt: In „Back To The Future“ spielt Marty McFly dessen „Johnny B Goode“ am „Verzauberung unter dem Seetanz“ – Abschlussball. Im Gesamtkontext gesehen durchaus passend!), dem Anti-Kriegslied „The Fiddle And The Drum“ (Joni Mitchell, 1969) bleibt seine National Anthem-Anleihe erhalten, derweil „Zat You Santa Claus?“ vielleicht noch etwas jazziger, garantiert aber sexier daherkommt als die Urfassung von Louis Armstrong and The Commanders aus dem Jahr 1953.
Neu aufgelegt und veredelt
Wobei, bei „It Doesen`t Often Snow At Christmas“ schwächelt meine eben aufgestellte These dann doch irgendwie – oder sagen wir: Zum Glück, denn Lee Aaron gelingt hier das – ja, nicht ganz so rocket-science – mässige – Kunststück, dem schlicht unsäglichen, Synthie-halligen Pet Shop Boys-Gefusel (1997) Festtagslaune einzuhauchen – für mich eines der Highlights des Silberlings (und bitte nicht falsch verstehen: Eigentlich mag ich das britische Elektropop-Duo redlich leiden, haben sie uns mit „Go West“ oder „Love Comes Quickly“ echt geile Hits beschert, aber bei diesem Song kriege ich – insbesondere der Live-Version – einfach Kopfschmerzen). So ist es denn über die ganze Scheibe betrachtet einzig „Merry Christmas Everybody“ von Slade (1973), bei welchem ich entschieden zum Original greifen würde.
Wie eingangs erwähnt, kann „Almost Christmas“ nicht zum ersten Mal als Präsent in buntes Geschenkpapier eingepackt werden. Bereits im Vorjahr nämlich war das Werk zum Fest der Liebe bestellbar; wenn auch nur exklusiv über Lee Aarons eigenen Shop. 2021 nun ist das Teil generell im Handel erhältlich, und als Bonus gibt es zwei brandneue Tracks obendrauf. War ursprünglich lediglich eine Eigenkomposition enthalten – „Peace On Earth“, die dem 1991er Album „Some Girls Do“ entstammt – so darf man sich jetzt zusätzlich am poppig-balladesken Titeltrack sowie einer rotzig-frechen Groove-Nummer namens „More Fun On The Naughty List“ erfreuen, welche die Glühweintassen nochmals freudig kreisen lässt und einen würdigen Abschluss eines wirklich gelungenen X-Mas-Rundlings bildet.
Das Fanzit Lee Aaron – Almost Christmas
Ja, ich weiss, die kommenden Festtage sind nicht jedermanns Ding. Zu viel Kommerz, too much Klingelingeling. Alles zweifelsfrei richtig – und doch lebt da nach wie vor dieser kleine Junge in mir, der sich auf die allerorts hell erleuchteten Weihnachtsfenster freut, auf das tägliche Öffnen eines Türchens am Adventskalender; der sich wohl auch den einen oder anderen kitschigen Weihnachtsfilm reinziehen – und auch genau diesen Longplayer zur Einstimmung auf Heiligabend anhören wird.
„Almost Christmas“ ist keines dieser zwanghaft-überdrehten „Weihnachten ist toll“-Dinger, die auf Rudolf-komm-Raus den sonnenhellen X-Mas-Deko-Schein der Londoner Oxford Street zu überstrahlen trachten, sondern eine liebevoll zusammengestellte Sammlung nicht unbedingt alltäglicher, längst überstrapazierter Weihnachtslieder aus unterschiedlichen Epochen und Stilen.
So beschert uns Lee Aaron mit „Almost Christmas“ denn ein Album, welches man am besten mit einer Tasse heissem Punsch und selbst gebackenen Weihnachsguetzli vor dem wärmenden Kamin geniessen sollte.
Anspieltipps: It Doesen`t Often Snow At Christmas, Zat You Santa Claus?, Peace On Earth, More Fun On The Naughty List
Reinhören und portofrei bestellen
Trackliste Lee Aaron – Almost Christmas
- Everything`s Gonna Be Cool This Christmas
- Baby Please Come home
- Run, Run, Rudolph
- It Doesen`t Often Snow At Christmas
- Zat You Santa Claus?
- I Don`t Believe In Christmas
- Merry Christmas Everybody
- All I Ever Get for Christmas Is Blue
- Peace On Earth
- The Fiddle And The Drum
- Almost Christmas [new song]
- More Fun On The Naughty List [new song]
Line Up – Lee Aaron
- Lee Aaron – lead vocals
- Sean Kelly – guitars
- Dave Reimer – bass
- John Cody – drums