Wohin führt die Reise nach «Queen Of Time»?
Den Finnen von Amorphis steht eine schier unlösbare Herkules-Aufgabe bevor. Wie will man das überragende 2018er-Werk überhaupt übertreffen? Die Scheibe sahnte auf der Komplimenten-Skala zurecht reihenweise Superlativen ab. In gewissen Medien war gar vom «Opus Magnum» des Sextetts die Rede. Doch selbst nach über drei Dekaden im Geschäft denken Tomi Joutsen und seine Weggefährten nicht ans Aufhören. Im Gegenteil – mit «Halo» steht nun das nächste Album in den Startlöchern. Das Ding erscheint am 11. Februar 2022 dieses Jahres via Atomic Fire Records.
Huch? Nicht mehr Nuclear Blast? Was ist denn da bitteschön vorgefallen? Kurzfassung: Aufgrund der Übernahme durch ein französisches Unternehmen konzentriert sich eines der populärsten Labels in metallischen Kreisen fortan auf den digitalen Markt. Eine Entwicklung, die verständlicherweise nicht bei allen gut ankam. Diese Geschichte führte zu einer Abspaltung einer kleinen Gruppe unter der Leitung von Markus Staiger und daraus resultierte schliesslich die neue Firma Atomic Fire Records GmbH. Etliche Kapellen – wie beispielsweise Helloween, Skull Fist oder eben Amorphis – scheinen diesen Schritt zu begrüssen und sind dem ganzen Tross direkt hinterhergewandert. Bleibt zu hoffen, dass die angepriesenen Schlagwörter wie «Leidenschaft» oder «Hingabe» unter der nagelneuen Flagge konsequent ausgelebt werden. Ich bin diesbezüglich völlig optimistisch.
Doch jetzt wollen wir den Fokus wieder retour in Richtung «Halo» lenken. Was können (oder dürfen) wir vom mittlerweile 14. Studioalbum aus dem Hause Amorphis erwarten? Wie den Promo-Unterlagen zu entnehmen ist, wurde das Eisen erneut unter der Aufsicht des schwedischen Produzenten Jens Bogren geschmiedet. Eine Kollaboration, die im Normalfall eigentlich immer hochwertige Qualitätsware in Aussicht stellt. Stilistisch bietet die Truppe den Hörern eh ein buntes Potpourri an. Progressiv, schwermütig, melodiös, rasant, gemächlich, gefühlvoll, aggressiv – da ist Langeweile offenkundig Fehlanzeige. Also, Lupe hervorkramen und die frischen Tracks ganz genau unter dem Vergrösserungsglas analysieren.
Das Album – «Halo»
Zum Auftakt entführen uns die «Suomi-Metaller» schnurstracks in ihre Heimat, welche sich mit den passenden Klangwelten selbstverständlich ideal in Szene setzen lässt. «Northwards» verkörpert alles, was diese fantastische Equipe ausmacht: Wuchtige Growls, klargesungene Abschnitte, mitreissende Melodien, packende Sequenzen und eine unglaublich souveräne Art. Zweifelsohne kein Novum, aber so kennt und vergöttert man Amorphis! Dass die Herrschaften ebenfalls schon immer einen Hang für progressive Elemente besessen haben, wird in der zweiten Song-Hälfte erneut verdeutlicht. Ausserdem entdeckt Tastenmann Santeri Kallio seine innere Deep Purple respektive Uriah Heep-Ader und als Sahnehäubchen wird obendrein kurzzeitig ein Chor hinzugezogen. Für die einen möglicherweise zu vollgestopft, aber für die anderen eine musikalische Reise der obersten Güteklasse. Das im Anschluss folgende, temporeiche «On The Dark Waters» ruft schliesslich primär die headbangende Zunft auf den Plan und lässt die Nackenmuckis knacken. Nichtsdestotrotz ist auch hier an der Mikrofon-Front für ausreichend Abwechslung gesorgt. Herr Joutsen ist und bleibt ein imposantes Stimmwunder! Derweil wecken die orientalischen Einstreuungen Erinnerungen an grossartige Stücke der Marke «Death Of A King». Die Erwähnung von «Tuonela» ist ein Verweis auf die Unterwelt aus der finnischen Mythologie.
Dass «The Moon» zur ersten Singleauskopplung auserkoren wurde, ist absolut nachvollziehbar. Das Ding macht richtig süchtig und nistet sich locker in den Gehörgängen ein. Dieses Lied wirst du (fast) nicht mehr los. Abermals deckt der Sechser eine breite Stilpalette ab. Im Live-Gewand dürfte fraglos jede Menge Hühnerhaut garantiert sein. Just diesen Augenblicken fiebern wir doch alle sehnlichst entgegen, oder? Der weibliche Feen- beziehungsweise Sirenengesang stammt übrigens von Noa Gruman – ihres Zeichen Frontdame der israelischen Symphonic Progressive Metal-Band Scardust. Auch bei «Windmane» bleiben die Jungs ihrem Facettenreichtum treu. Es ist – zugegebenermassen – gleichermassen faszinierend wie erschreckend, dass die Künstler so konstant astreine Leistungen abrufen können. Obschon es zwischen dieser Nummer und meiner Person nicht ständig funkt – wie ich fairerweise ergänzen muss.
Was bringt uns die Vertonung eines neuen Landes («A New Land»)? Ziemlich sicher die Erkenntnis, dass man beim Durchwandern der finnischen Natur (oder anderen Orten) mit Amorphis im Ohr nicht sonderlich viel falsch machen kann. Ein weiteres Mal lässt zudem orientalisches Flair grüssen. Tomi teilt sich die Gesangsarbeit mit einer Kollegin (wahrscheinlich mit der bereits zuvor vernommenen Noa). Das danach ums Eck kommende «When The Gods Came» wirkt mit seinem «catchy» Refrain verhältnismässig poppig. Driften die Akteure nun in komplett fremde Sphären ab? Nein, ohne ihre typischen Bausteine kommen sie definitiv nicht aus. Trotzdem dürfte die ungewöhnlich wirkende Komposition die eine oder andere Debatte unter den Fans auslösen. Der endgültige Härtetest wird dann wohl im Rahmen eines Konzerts vonstattengehen. Dafür sorgt «Seven Roads Come Together» für viel Freude – ein mächtiger und bestialischer Kracher, der abermals Parallelen zu «Death Of A King» aufweist und mit epischen Aspekten punktet. Keyboard und Gitarren harmonieren ausgezeichnet miteinander. Phasenweise könnte man freilich von einem Film- oder Game-Soundtrack sprechen.
Bei «War» darf sich Trommler Jan Rechberger richtiggehend austoben und verschiedene Rhythmen zum Besten geben. Ausserdem enthält das Stück die bisher härtesten Abschnitte des gesamten Silberlings. Für zusätzliche Dramaturgie wird wiederum auf chorische Unterstützung zurückgegriffen. Anschliessend begegnet uns der Titel-Track. «Halo» ist durch und durch eine Amorphis-Hymne, die ziemlich alle Markenzeichen der Helsinki-Herren beinhaltet. Nebenbei kommt es einem so vor, als würde man zu den Alben «Eclipse» (2006) oder «Silent Waters» (2007) zurückreisen. Die weiblichen Gesangseinlagen entzünden problemlos ein Feuerwerk. Einzig das abrupte Ende wirkt ein bisschen störend.
Habe ich nicht gerade vorhin vom Härtegrad gesprochen? Der kommt jedenfalls bei «The Wolf» wieder zum Zug und verlangt von den Mähnenschüttlern vollen Einsatz. Als Kontrastpunkte werden nochmals melodiöse und gefühlvolle Parts eingestreut. Der Spagat zwischen Melancholie und groben Haudrauf-Situationen stellt für die Nordmänner sowieso selten eine Herausforderung dar. Der unerwartete und überraschende Schlusspunkt lautet «My Name Is Night». Eine emotionsgeladene Ballade, die Tomi in einem Duett mit einer Dame bestreitet. Jep, die Truppe beherrscht auch das Verfassen solcher Lieder. Ungewöhnlich. Andererseits verstärkt es die Aussage, dass das Sextett eigentlich nie um variantenreiche Ideen verlegen ist. Chapeau!
Das Fanzit Amorphis – «Halo»
Stellt euch zwei Diamanten vor, die nebeneinander auf einem Tisch liegen. Beide glänzen und ziehen den Betrachter mit ihrer Schönheit in ihren Bann. Sind sie wirklich identisch? Fast! Bei genauen Hinsehen entdeckt man bei einem der Kristalle vereinzelt ganz minime Makel und Kratzer, die jedoch für das Gesamtbild praktisch nicht ins Gewicht helfen. In einem Fall handelt es sich um «Halo» – das beinahe perfekte Schmuckstück. Am Ende fehlt wahrlich nicht viel, um auf derselben Stufe wie der andere Kristall – «Queen Of Time» – zu landen. Nichtsdestotrotz bleibt das 2018er-Eisen weiterhin das «Opus Magnum» der Finnen. Ungeachtet dessen muss das hohe Niveau anerkennt werden, auf welchem die Protagonisten seit Jahren agieren. Mittlerweile würden Amorphis einen populäreren Stellenwert absolut verdienen, denn bei Aufzählungen wird ihr Name meiner Meinung nach oftmals immer noch zu spät genannt. Das Rüstzeug, um zu den grösseren Kalibern zu gehören, wäre bei dieser Kapelle ohne Zweifel vorhanden. Das Produzieren von grottenschlechtem Liedgut scheint für die Sauna-Metaller – den Göttern sei Dank! – einfach ein Fremdwort zu sein.
Empfehlenswerte Hörproben: «Northwards», «The Moon», «Seven Roads Come Together», «The Wolf»
Ab Release reinhören und CD/Vinyl/limited Box Set portofrei liefern lassen
Tracklist Amorphis – «Halo»
- Northwards
- On The Dark Waters
- The Moon
- Windmane
- A New Land
- When The Gods Came
- Seven Roads Come Together
- War
- Halo
- The Wolf
- My Name Is Night
Line Up – Amorphis
- Tomi Joutsen | Gesang
- Esa Holopainen | Gitarre
- Tomi Koivusaari | Gitarre
- Santeri Kallio | Keyboards
- Olli-Pekka Laine | Bass
- Jan Rechberger | Schlagzeug