Das Singen der Kugeln ist eine höchst eigenartige Musik
Sabaton, unsere geschichtsdurchleutenden Barden aus dem hohen Norden, widmen ihr neustes Album „The War To End Al Wars“ den Geschehnissen rund um den Ersten Weltkrieg… wobei… da war doch was… Genau, exakt diese Thematik stand bereits beim Vorgänger im Fokus! Alter Schwede, wird die Truppe aus Falun nach über 20 Jahren Bandgeschichte nun zu simplen Wiederholungstätern und recycelt Songs, welche bei „The Great War“ aus welchen Gründen auch immer keinen Platz mehr auf der Langrille fanden? Wir haben uns für euch auf das musikalische Schlachtfeld begeben.
Ein neuer Longplayer der schwedischen Schwermetaller ist wie ein Ü-Ei, gibt es nebst der Musik und hochwertigen Videoclips doch auch packende historische Gegebenheiten zu entdecken, welche mich in der Vergangenheit schon das eine oder andere Mal auf weiterführende Internet-Recherchen geschickt haben. Und um es vorneweg zu nehmen: Nein, die elf neuen Tracks sind keineswegs Abfallprodukte aus der „Great War“ – Session, sondern schlicht der Tatsache geschuldet, dass der Erste Weltkrieg noch weit mehr eher unbekannte, aber nicht minder spannende Geschichten bereithält, die es zu erzählen lohnt.
War begins
Der aktuelle WW1-Reigen beginnt thematisch mit der Ermordung des österreichischen Erzherzogs Franz Ferdinand in „Sarajevo“, dem Ereignis, das die mannigfaltig geschlossenen Schutzbündnisse wie Dominosteine anstossen und die Welt in Brand setzen sollte. Sabaton verlassen sich hier auf die bereits von der History Edition zu „The Great War“ bekannte weibliche Erzählstimme. Dabei dehnen sie jedoch den Narrativ – anstelle von Strophen – über den gesamten Song hinweg aus, welcher lediglich vom hymnisch-choralen Refrain sowie einem wunderbar traurig anmutenden Solo von Chris unterbrochen wird. Dies alles macht das bevorstehende Unheil schier fassbar und lässt die damit einhergehende Dramaturgie bis hin zu den finalen Worten „War begins“ kontinuierlich anschwellen.
„Stormtroopers“, das hart, aber melodisch durch die Gräben prescht, und bei dem man mit etwas Goodwill Bezüge zu „Attero Dominatus“ oder „Nuclear Attack“ heraushören mag, nimmt inhaltlich den Faden von „The Future Of Warfare“ (TGW) auf, thematisiert aber statt Waffen vielmehr neue Kriegstaktiken wie Sturmtruppen oder den Blitzkrieg (der in WW2 eine noch zentralere Bedeutung erlangen sollte). Ein rauer, kraftvoller Track in bester Sabaton-Manier mit einem überraschend dezenten Mittelteil.
„Dreadnought“ wiederum wirkt auf den Hörer eher schwer, schleppend. Kein Wunder, ist dieses Lied doch dem nach dem britischen Grosskampfschiff HMS Dreadnought benannten Schlachtschifftyp, beziehungsweise der damit ausgefochtenen Skagerrakschlacht gewidmet. Man hört förmlich, wie sich diese todbringenden Stahlgiganten durch die aufgewühlte See pflügen. Und Joakims düsterer, aggressiver Gesang verleiht dem Ganzen noch zusätzlichen Tiefgang.
Hart, härter…. unkillable
Weniger beklemmend, sondern vielmehr spassig verlief offensichtlich der Videodreh zu „The Unkillable Soldier“, Singleauskopplung Nummer drei – was sich denn auch in der teils etwas skurrilen Wahl der Requisiten (Kleidung der Krankenschwester, Thompson Gun…) widerspiegelt. Nun, bei der schier unglaublich anmutenden Geschichte über den britischen Soldaten Adrian Carton de Wiart ist’s ja auch kein Wunder: Die Liste seiner Kriegsverletzungen liest sich wie einer dieser völlig überdrehten Sketches von Monty Python (wobei ich spontan an den Schwarzen Ritter aus „Die Ritter der Kokosnuss“ denken muss): Er wurde ins Gesicht, in den Kopf, in den Bauch, in den Knöchel, ins Bein, in die Hüfte und ins Ohr geschossen, war auf dem linken Auge blind, überlebte zwei Flugzeugabstürze, tunnelte sich aus einem Kriegsgefangenenlager und riss sich die Finger ab, als ein Arzt es ablehnte, sie zu amputieren. Passend zu alledem fasste er seine Erfahrungen denn auch wie folgt zusammen: „Ehrlich gesagt, ich habe den Krieg genossen“. Entsprechend verspielt, ja schon beinahe beschwingt galoppiert der Song in die Gehörgänge, wie wir es letztmals bei „Coat Of Arms“ erleben durften. Der Mittelteil bietet zudem noch eine kleine Hommage an „No Bullets Fly“ – sehr cool!
Eher Sabaton-untypisch kommt „Soldier Of Heaven“ mit elektronischen Beats und viel 80s Synthiebeiwerk aus den Startlöchern (nicht umsonst war man ja 2020 mit Amaranthe zusammen auf Tour). Ungewohnt, speziell was die Strophe anbelangt, dafür umso eingängiger im Refrain – und einer dieser Tracks, denen man zu Beginn nicht allzu viel Beachtung schenkt, nur um sie dann tags darauf unbewusst vor sich hin zu summen. Historisch geht es um den sogenannten „White Friday“, als am 13. Dezember 1916 (sowie den Tagen danach) bei dutzenden Lawinenabgängen in den Südalpen (Trentino-Südtirol) tausende Soldaten den Tod fanden.
Das nachfolgende „Hellfighters“, welches den härtesten Song der Scheibe markiert, irgendwie an „Devil Dogs“ erinnert, und bei dem sich Joakims Stimme in bedrohlich tiefe Gefilde begibt, handelt vom 369. Infanterie Regiment aus New York, auch bekannt als „The Harlem Hellfighters“, eines der ersten afroamerikanischen Regimenter, das mitunter die meisten Kampfhandlungen aller US-Einheiten im Ersten Weltkrieg bestritt. Und wenn beim Refrain bei „Hear the toll of the bell“ im Hintergrund der Klang einer schweren Glocke erklingt, merkt man halt auch, wie detailverliebt die Jungs aus Falun eben sind!
Grosses Kino
In „The Race To The Sea“ wird die aufopfernde Verteidigung Belgiens gegen die vorrückenden deutschen Truppen besungen, welche am 29. Oktober 1914 in der von den einheimischen Streitkräften ausgelösten Überflutungen des Ysertals gipfelte. Stilistisch dringen bei dieser eher gemächlich und vergleichsweise majestätisch voranschreitenden Midtempo-Nummer hier und da gewisse Reminiszenzen an „Hearts Of Iron“ durch.
Kurzer Schwenker nach Hollywood: Wer „Tribute von Panem“ gesehen hat, wird sich sicher noch an die rührselige Szene besinnen, in welcher Katniss Everdeen den Platz ihrer Schwester Primrose als Tribut von Distrikt 12 einnimmt. Ähnliches ereignete sich anno 1913, als Milanka Savics Bruder in den Zweiten Balkankrieg einberufen wurde, sich die junge Dame – die „Lady Of The Dark“ – kurzerhand als Mann verkleidete und an seiner Stelle in den Krieg zog – um in der Folge zur höchst dekorierten Frau im Ersten Weltkrieg zu werden. Treibende Gitarrenläufe, knackige Drums und ein äusserst eingängiger Refrain bestimmen hier das Geschehen – ganz klar mein Favorit auf der neuen Scheibe!
„The Valley Of Death“ war dafür lange Zeit das Teil, mit dem ich am wenigsten anzufangen wusste – ein schneller, nach vorne losstürmender Rocker, der die Adrenalinpumpe anwirft und auch einen gewissen Bezug zu „Shiroyama“ aufweisen mag. Geschichtlich wird die dritte Schlacht von Doiran beleuchtet, als am 18./19. September 1918 griechische und britische Streitkräfte die Truppen des Königreichs Bulgarien in der Nähe des Doiran-Sees angriffen, was schlussendlich zum Bruch der mazedonischen Front führte.
Der Kreis schliesst sich
Wer behauptet, Sabaton können keine Balladen, hat die letzte Vorweihnachtszeit mit grösster Wahrscheinlichkeit unter einem Stein verbracht. „Christmas Truce“, welchem bei Joakims Pianopart die Melodie von „Carol Of The Bells“ zugrunde liegt, ist ein krasser Gegensatz zu den übrigen Kompositionen: ruhig, tragend, herzerwärmend, mit einem tollen Refrain, Gitarrensolo sowie einem herausragenden Video als Sahnehäubchen obendrauf (in dem Floor Jansen den cineasken Abspann veredelt). Und nicht minder schön auch die Geschichte dahinter: diese von offizieller Seite nicht autorisierte Waffenruhe zu Heiligabend in einigen Abschnitten der Westfront im ersten Jahr des Great Wars.
Womit wir auch bereits beim letzten Titel von „The War To End All Wars“ angelangt wären: „Versailles“, der Ort, an welchem exakt fünf Jahre nach dem Attentat auf Franz Ferdinand der Krieg definitiv für beendet erklärt wurde (zuvor bestand seit dem 11.11.1918 nur ein Waffenstillstand). Ein Stück, das die Erzählweise und den Refrain des Openers aufnimmt und somit auch künstlerisch den Kreis des Kontinente umspannenden Grauens schliesst. Die Tatsache, dass gleich zwei Tracks ohne Strophe und Bridge, dafür mit viel erzählerischer Staffage daherkommen, dürfte nicht allenthalben auf bedingungslose Gegenliebe stossen. Man darf gespannt sein, wie die Fangemeinde dies aufnehmen wird, da ja bereits „In Flanders Fields“ manchenorts für leichte Irritation gesorgt hat. Das mit düsterer Klangfarbe gesprochene „Something is growing in the dark“ jagt nochmals Eisesschauer über den Rücken – und verweist auf weit Schlimmeres, das dem Krieg, der alle Kriege beendet, nachfolgen sollte.
Kunterbunte Evolution
Ja, Sabaton sind definitiv nicht jedermanns (und -fraus) Sache… und ebenfalls ja, ihre Fixierung auf geschichtliche Thematiken (wie auch die explizite Aufbereitung dieser Dinge) mögen einigen Leuten so ziemlich, ziemlich auf den Senkel gehen. Was bleibt – und zu dieser Meinung stehe ich – sind epische Lieder mit zum Teil echt unter die Haut gehenden Lyrics, die fernab der nur allzu oft querbeet durch sämtliche erdenklichen Genres anzutreffenden Love, Sex & Rock’N’Roll – Ergüsse ihre Kreise ziehen.
Und nochmals ja – Sabaton bleiben sich auch auf ihrem zehnten Album stilistisch treu – allzu grosse Überraschungen bleiben nicht ganz unerwartet aus. Und doch gibt es Elemente, die zumindest mir auf früheren Werken so nicht aufgefallen sind, wie zum Beispiel der Key Change beim jeweils finalen Refrain in mehreren Songs (Unkillable Soldier, Soldier Of Heaven, Lady Of The Dark…), oder aber wie bereits erwähnt die auffällig düstere Stimme von Mister Brodén. Evolution statt Revolution – passt!
Der neue Longplayer wird am 4.3.2022 erscheinen und in zahlreichen Variationen, Ausstattungen und Farben (auch bei den MCs) erhältlich sein. Wie schon bei „The Great War“ gibt es auch dieses Mal zudem obendrauf eine History Edition, bei welcher die einzelnen Titel durch ein kurzes gesprochenes Intro stimmungsvoll in gesetzt Szene werden – wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, dass auf der aktuellen Scheibe gleich drei Stücke unabhängig von der gewählten Version identisch daherkommen: „Sarajevo“ und „Versailles“, plus „Stormtroopers“, welches direkt an den Opener anschliesst.
Das Fanzit Sabaton – The War To End All Wars
„The War To End All Wars“ wirkt auf mich düsterer, mit mehr Tiefgang – ja, vor allem auch ernster als sein Vorgänger, welcher mit zum Teil belebenden Melodien die grauenhaften Geschehnisse des Ersten Weltkrieges zumindest teilweise zu kaschieren wusste. Von dieser Attitude ist auf dem Nachfolger nicht allzu viel übriggeblieben. Noch immer werden Heldentaten herausragender Persönlichkeiten besungen, aber der Grundtenor ist dunkler, wie die Stimme Joakims.
Wer Sabaton zuvor schon cool fand, kann bedenkenlos zugreifen – wo Sabaton draufsteht, ist noch immer 100% Sabaton drin, Punkt. Handkehrum werden Leute, welche die Schweden bis dato aus welchen Gründen auch immer ablehnten, nun kaum mit fliegenden Fahnen ins Lager der History Metaller überlaufen. Sabaton ist nun mal eine Band die polarisiert – und irgendwie ist das auch gut so.
PS: Das im Titel aufgeführte Zitat stammt von Wolfgang Panzer, der im April 1915 einen Brief an seine Familie schrieb. Der damals 18-Jährige verfasste ihn auf dem Bauch liegend in einem Schützengraben, während um ihn herum das furchtbare Heulen und Krachen der Artillerie wütete. (Quelle: Museum für Kommunikation Berlin)
Anspieltipps: Dreadnought, Hellfighters, Lady Of The Dark, Christmas Truce
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Trackliste Sabaton – The War To End All Wars
- Sarajevo
- Stormtroopers
- Dreadnought
- The Unkillable Soldier
- Soldier Of Heaven
- Hellfighters
- Race To The Sea
- Lady Of The Dark
- The Valley Of Death
- Christmas Truce
- Versailles
Line Up – Sabaton
- Joakim Brodén | Gesang, Keyboard
- Pär Sundström | E-Bass
- Chris Rörland | Gitarre
- Tommy Johansson | Gitarre
- Hannes Van Dahl | Schlagzeug