Kann man eine Finnland-Tour in der Schweiz starten?
Bloodred Hourglass haben genau diese Frage Anfang April in Boswil mit einem schallenden «Ja!» beantwortet. Gemeinsam mit den schweizerischen Melodic Death Metallern von Irony Of Fate boten sie der Besucherschar einen kurzweiligen Konzertabend. Der Support-Act hatte zwar ab und an mit Soundschwierigkeiten zu kämpfen, aber dafür stimmte im Anschluss beim Headliner so ziemlich alles. Metalinside-Compadre Domi The Stick und ich blicken für euch auf die Geschehnisse im Chillout zurück.
Dutti: Der ehemalige Metal Storm Concerts-Präsident Alex «Atze» Allmann macht’s möglich! Dank seinem Netzwerk im Land der tausend Seen kommen wir heute in den Genuss einer exklusiven Bloodred Hourglass-Show auf helvetischem Grund. Welche Ehre und was für eine Gelegenheit! Das sollte sich der geneigte Metallschädel – trotz diverser Alternativen, die zeitglich stattfinden – effektiv nicht entgehen lassen. Eigentlich haben die Nordmänner eine musikalische Rundreise in ihrem Heimatland geplant. Nun folgt allerdings vorab ein kurzer Abstecher in die wunderschöne Schweiz. Schliesslich muss man ja langsam wieder gewisse Auslanderfahrungen sammeln, oder? Das haben die Herrschaften übrigens vor dem ganzen «Zwangsunterbruch» schon einmal gemacht. Mitte Februar 2020 figurierten sie in der Luzerner Schüür als «Special-Guests» beim hiesigen Wacken Metal Battle-Halbfinale (siehe Review).
In Sachen Location kommt dieses Mal das mir bis dato unbekannte Chillout in Boswil zum Handkuss. Nicht gerade der Nabel der Welt, aber mit motorisiertem Untersatz kommt man problemlos hin (und später natürlich auch wieder zurück). Das Ding ist sozusagen Restaurant bei Tag und Veranstaltungsstätte am Abend. Die Band Broken Fate ist hier regelmässig zu Gast und hat den Ort sowieso schon längst in «Böööswil» umgetauft. Eine Bezeichnung, die sich mittlerweile felsenfest in unsere Szene etabliert hat. Frontmann Tobias John Bänteli treibt ebenfalls in den Publikumsreihen sein Unwesen. Aber genug davon. Der Fokus sollte eigentlich auf einer anderen «Schicksalskapelle» liegen. Irony Of Fate werden den Stein nämlich demnächst ins Rollen bringen.
Domi the Stick: Dutti, viel mehr habe ich zur Einleitung gar nicht zu erwähnen. Als jemand, der nur 20 Minuten von «Bosmu» (wie es die Einheimischen nennen) weg wohnt, kann ich vielleicht noch etwas mehr zur Location sagen. Tatsächlich wird das Gebäude für mehrere Zwecke genutzt, doch wenn mich nicht alles täuscht, wird einen halben Stock weiter oben auch während den Konzerten jeweils feine Kost an die Tische serviert. Gewissen Herrschaften auf der Toilette nach zu urteilen ist dies auch heute der Fall. Der «Chillout»-Teil, also die Seite für Events, ist jeweils auch Austragungsort der regelmässigen Irish Evenings und der Freiämter Rocknacht. Und erst vergangenen Monat durfte ich mich davon überzeugen, dass auch genre-fremdes wie eine Fasnachtsparty mit himmlisch feinen Katerfrühstück hier super funktioniert. Doch kommen wir zum eigentlichen Konzertabend…
Irony Of Fate
Dutti: Ich lege mich in der Nähe des Merch-Standes auf die Lauer und beziehe meinen Beobachtungsposten (nein, nicht Pfosten!) im hinteren Teil des Raumes. Von dieser Position hat man alles bestens im Blick. So erspähe ich auch Kollege Domi an der vorderster Front, der zusammen mit seiner Partnerin Larissa bereits ab dem zweiten Song «We, The Damned» – sicherlich getrieben von den wilden, penetranten Gitarren-Riffs einen Moshpit anzettelt. Dadurch kommt ordentlich Schwung in die Bude! Soll nochmals einer dreist behaupten, dass wir Medienschaffende während den Gigs zu wenig Einsatz zeigen würden…!
Domi the Stick: Ha, sehr aufmerksam! Tatsächlich scheinen meine Fraktion und ich heute die ersten zu sein, die vom Bewegungsdrang gepackt werden. Eigentlich erstaunlich, dass dieser (noch) nicht mehr Zuschauer infiziert, denn was Irony heute wieder abliefern, schreit nur so nach Moshpit! Zugegeben, der Abend hat erst begonnen, aber trotzdem… Zum Glück zieht es dann doch noch den einen oder anderen vor die Bühnenmitte, spätestens als die Band unserer Sportinitiative zustimmt. So entsteht dann doch noch ein anständiger Mosh- respektive stellenweise Circle Pit! Wie gesagt, die Darbietung der Band lädt nicht gerade zum Stillstehen ein…
Dutti: Die Berner wurden von uns zurecht etliche Male über den Klee gelobt. Eine packende Performance ist grundsätzlich stets garantiert, wenn Cveti Stojmenova und ihre Jungs zur Tat schreiten. Sowohl bei der Setliste als auch in Sachen Outfits konzentriert sich das Quintett hauptsächlich auf das zweite und aktuelle Eisen «Wicked & Divine». Mit den Kostümen im Flammenstyle wirken sie beinahe wie die fünf Reiter der Apokalypse. Unglücklicherweise findet die Tontechnik-Abteilung nicht immer die idealen Knöpfe. Das wird erst gegen Ende des Auftritts besser. Cveti ist darüber zwar alles andere als amüsiert, aber ihre Publikumsanimationen erfahren deshalb trotzdem keinen Abbruch. Zur Belohnung gibt’s vor der Bühne noch mehr Action in Form von kreisförmigen Tanzeinlagen.
Domi the Stick: Ja, die etwas unsaubere Abmischsituation muss auch ich leider bemängeln. Doch die Band und auch das Publikum machen das Beste daraus! Ich erinnere mich an die Plattentaufe von Frozen Gate in der Hall Of Fame (Dezember 2019, siehe Review), als beim IoF-Auftritt das Mikro anfangs während zweier Songs versagte und Cveti sozusagen ‘unplugged’ gegen die Lautstärke ihrer Kumpanen antrat – und sogar so glänzte! Auch heute trotzt die Band den technischen Schwierigkeiten und überzeugt mich mit ihrem Melodeath-Gewitter einmal mehr! Vermisst habe ich lediglich den einen oder anderen Song des Vorgängeralbums «Pray For Freedom… Prepare For Extinction».
Bloodred Hourglass
Dutti: 40 Minuten Irony Of Fate erfolgreich überstanden, kleine Verschnaufpause gegönnt und nun bin ich pünktlich um 21.30 Uhr bereit für den Höhepunkt des Abends: Bloodred Hourglass! Die Herren gehen – begleitet von tosendem Applaus – engagiert ans Werk. Sänger Jarkko Koukonen macht mit seiner Kopfbedeckung gleich Werbung für das eigene Merchandise-Sortiment. Er erkundigt sich regelmässig bei uns, ob der «Circle Pit» hierzulande ein Begriff sei. Da hat wohl jemand bei der Show der Vorgruppe nicht genau hingeschaut. Halb so wild, denn die Fans servieren ihm mit Freuden weitere Kostproben ihrer Laufbereitschaft. Hüpf-Sequenzen kommen ebenfalls nicht zu kurz. Der beeindruckendste Anblick ergibt sich jedoch genau dann, wenn die Masse als Einheit in Richtung Bühne headbangt. Das sieht eigentlich aus wie eine Verbeugung für die agierenden Künstler. So funktioniert eben Wertschätzung in der Metal-Szene!
Hinter der Schiessbude thront heute übrigens ein fremder Kerl. Es handelt sich dabei um Waltteri Väyrynen, der offenbar als Ersatzmann aufgeboten wurde. Somit liegt sozusagen ebenfalls ein zarter Hauch von Paradise Lost in der Luft. Waltteri scheint aber auch das Material von Bloodred Hourglass problemlos zu beherrschen. Das ist zwingend nötig, denn die Finnen berücksichtigen bei ihrer Songauswahl – mit Ausnahme des Debüts «Lifebound» aus dem Jahr 2012 – sämtliche ihrer Studioalben. Lieder wie «Leaves» oder «Waves Of Black» beweisen auf eine imponierende Art und Weise, dass finnische Gruppen schlichtweg ein unglaubliches Gespür für Melodien haben. Chapeau! Leider verzichten die am Ende auf eine Zugabe. Das bleibt allerdings der einzige Wermutstropfen einer fantastischen Darbietung. Möglicherweise muss man beim nächsten Mal ganz simpel eine grössere Menge Sand in das Uhrengefäss kippen. Dann verrinnt die Zeit nicht mehr so schnell.
Domi the Stick: Mit Bloodred Hourglass ist dies mein drittes Zusammentreffen. Mit Festival-Auftritten wie jenen am Greenfield 2018 und dem Rockharz 2019 ist so ein gemütlicher ‘Club-Abend’ schon nicht zu vergleichen… Auch wenn mir die Songs der Finnen nur teilweise vertraut sind, kann ich den gesamten Auftritt wohl auch dank des familiären Ambientes in vollen Zügen geniessen. In der zweiten Hälfte zieht es mich erneut ins Zentrum der Publikumsaktivität, wo auch dem Auftritt der Finnen mit einem tobenden Pit gehuldigt wird. Wie Dutti bereits erwähnt hat, ist der Konzertabend dann auch schon viel zu schnell zu Ende. Doch eigentlich ist dies ja ein gutes Zeichen!
Das Fanzit – Bloodred Hourglass, Irony Of Fate
Dutti: Das Chillout in Boswil ist fraglos eine entspannte und angenehme Location. Einen weiteren Besuch meiner Wenigkeit würde ich freilich nicht ausschliessen. Die Organisation von Atze und Co. verlief komplett reibungslos. Musikalisch haben heute Abend die finnischen Ehrengäste grossartig aufgetrumpft. Das war absolut top! Bei Irony Of Fate hätte dagegen die Abmischung eine Spur besser sein dürfen. Oder hat mein Kollege Domi dazu eventuell noch irgendwelche Ergänzungen respektive andere Ansichten?
Domi the Stick: Nein, tatsächlich kann ich dir nur zustimmen: Angenehme Location, top Organisation, zwei packende, viel Bewegung fordernde und vor allem schweisstreibende Auftritte… Was will man mehr? Höchstens auf den Muskelkater und die blauen Flecken am nächsten Tag hätte ich verzichten können.
Setliste – Irony Of Fate
- Intro
- The In-Between
- We, The Damned
- Mayhem
- Vengeance
- Unleashed Your Chains
- Wicked & Divine
- Oceans Of Doom
- Mind Vs. I
Setliste – Bloodred Hourglass
- Drag Me The Rain
- Alysia
- Valkyrie
- Leaves
- Kings & Queens
- Tell Me About Yesterday Tomorrow
- Leave Out All The Rest
- The Unifinished Story
- Quiet Complaint
- We Form the Broken
- Veritas
- Waves Of Black
- Where The Sinners Crawl