„Bei uns wird immer so lange diskutiert, bis ich Recht habe!“
Unsere Mucke fristet in der breiten medialen Öffentlichkeit nach wie vor eine Art Mauerblümchendasein – ist sie halt nunmal „die Musik, die so nicht im Radio stattfindet“, wie es Chris von Rohr vor nem Weilchen auf den Punkt gebracht hat (siehe Interview). Umso erfreulicher ist es, wenn Bands mit schon fast vorhersehbarere Regelmässigkeit diese Regel durchbrechen und in die Charts einsteigen – wie unlängst Axel Rudi Pell mit „Lost XXIII“, das sich auf Anhieb auf Platz zwei der deutschen Albumcharts festsetzte.
Wir haben uns mit dem Bochumer Saitenhexer und Namensstifter der gleichnamigen Combo – Axel Rudi Pell- über sein neustes Album (unsere Review dazu findet ihr hier), eine (hoffentlich noch nicht ganz) verlorene Welt, Haustiere, ein leicht spezielles Luxusproblem sowie die Schwierigkeit, nach 21 Studiowerken eine passende Setlist zusammen zu stellen, unterhalten.
Metalinside (Sandro): Zuallererst ganz herzlichen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst! Wie geht es dir?
Axel Rudi Pell: Alle gut so weit. Ich hatte in den letzten Wochen mit ein paar Rückenproblemen zu kämpfen, wie dir mein Promoter wahrscheinlich erzählt hat. Es lag schlussendlich an nem Zahn, der ist nun raus, und jetzt ist alles wieder im Lot.
MI: Es ist schon spannend, wie im Körper alles zusammenhängt. Aber toll, dass du wieder fit und munter bist! Wie anstrengend ist es eigentlich für dich nach all den Jahren, uns Journalisten alle nur erdenklichen Fragen zu beantworten?
Axel: Das ist überhaupt kein Müssen! Ich mache es gerne, und es gehört ja schliesslich auch zu meinem Beruf – auch wenn ich das Musikerdasein nicht als Arbeit ansehe, sondern als etwas, das mir einfach enorm viel Spass bereitet. Wenn du so willst, habe ich meine Leidenschaft zu meinem Job gemacht, und da gehören natürlich auch Interviews mit dazu. Mich quält das nicht im Geringsten, und es macht mir auch nichts aus, wenn ich fünfzig Mal am Tag dieselbe Frage höre, das ist absolut kein Problem (lacht). Es steht ja jedes Mal eine andere Person dahinter. Und man muss ja auch lieb und höflich sein, so wie man mich kennt, huahaha (lacht).
MI: Ich denke, gerade diesen Spass, diese Freude kann man auf „Lost XXIII“ sehr gut heraushören. Und ich bin da wohl nicht der Einzige, gerade wenn man die Chartplatzierungen anschaut.
Axel: Absolut, da muss ich dir völlig Recht geben. Wir haben auch nach all den Jahren noch immer sehr viel Spass bei den Aufnahmen, wenn wir zusammenkommen und spielen. Ich bin ja mein eigener Produzent, und wenn ich im Studio sitze und ein Instrument nach dem anderen dazukommt, das Baby immer grösser und grösser wird – das ist einfach mega, mega, mega (die Begeisterung springt einem förmlich durch die Kamera entgegen). Das macht noch immer enorm Freude! Und solange die Flamme in mir brennt, wird es hoffentlich noch etliche Jahre so weitergehen.
Von einer verlorenen Welt…
MI: Ich hätte da nix dagegen (Axel nickt mit einem Lächeln im Gesicht). Wie ordnest du „Lost XXIII“ musikalisch ein? Wo siehst du die grössten Unterschiede zu seinem Vorgänger „Sign Of The Times“?
Axel: Ich würde mal sagen, stilistisch wie auch textlich bewegen sich beide in ähnlichen Sphären, gehen beide in etwa dieselbe Richtung. Ich denke, dass es auf „Lost XXIII“ aber doch noch den einen oder anderen Song draufhat, der etwas reifer klingt, ein bisschen durchdachter und auch kompositorisch verfeinert daherkommt. Wobei ich jetzt „Sign Of The Times“ nicht schlecht machen möchte, die Scheibe gefällt mir nach wie vor sehr gut, und sie enthält ein paar Tracks, die ich noch immer mega finde (lehnt sich etwas nach vorne), aber „Lost XXIII“ bildet über alles hinweg betrachtet – vom Anfang bis zum Ende – zumindest für mich eine etwas stärker Einheit.
MI: Geht mir genauso (Axel reckt den Daumen in die Höhe und zündet sich eine Zigarette an). Normalerweise gehe ich bei Interviews politischen Diskussionen eher aus dem Weg – doch aufgrund der aktuellen Lage, sowie der Tatsache, dass ihr auf eurem neuen Album gerade mit „Survive“ ja auch nen Song hat, der Themen wie Corona, Klimaveränderung etc. aufgreift: Wie siehst du das ganze – oder um auf den Albumtitel anzuspielen: Wieso ist unsere Welt verloren (was es mit diesem XXIII auf sich hat findet ihr ebenfalls in unserer Review)?
Axel: Weil wir seit Jahren auf dieser Erde diverseste Brandherde haben, die vor sich hin schwelen, und stets weitere hinzukommen. Wir haben die Klimakrise, die ja schon seit Jahren im Raume steht, aktuell den Konflikt Russland – Ukraine, dann die Taliban, die es immer noch gibt, genau wie die IS. Es sind viele Sachen, die sich da auftürmen. Etwas kommt hinzu, etwas fällt weg, etwas verändert sich… Aber insgesamt sieht es nicht wirklich gut aus, würde ich mal sagen. Ich weiss nicht, wo die Welt in 100 oder 200 Jahren stehen wird, aber wenn wir so weitermachen wie bisher, werden die Leute, die dann die Welt bevölkern, sicherlich nicht mehr das Leben führen können, so wie wir es jetzt kennen. Aber lassen wir uns überraschen. Ich bin ja in erster Linie noch immer Entertainer und kein Politiker (nickt), aber ich denke, man muss die Dinge dennoch ansprechen. In meinem Fall jetzt nicht allzu ausführlich, aber doch zumindest darauf hinweisen.
MI: Auf „Lost XXIII“ gibt es mit „Down On The Streets“ und „Freight Train“ gleich zwei Titel, welche sich um das Leben der Obdachlosen drehen. Was hat dich dazu bewegt, dich dieses Themas anzunehmen?
Axel: Ähm, keine Ahnung, kann ich dir nicht so genau sagen. Meine Frau ist die Leiterin von mittlerweile drei oder vier Obdachlosen-Flüchtlingsheimen hier in Bochum, und dadurch werde ich natürlich täglich mit ihrer Arbeit beziehungsweise den damit einhergehenden Problemen konfrontiert, wenn sie zu Hause davon erzählt. Wahrscheinlich bin ich deswegen darauf gekommen. In „Freight Train“ geht es ja konkret um die reine Obdachlosigkeit, derweil „Down On The Streets“ von einem drogenabhängigen Pärchen handelt, das versucht, sich auf der Strasse durchzuschlagen. Von daher unterscheiden sich die beiden Songs thematisch ein wenig. Und um auf deine Frage zurückzukommen: Wahrscheinlich durch meine Frau (lächelt und nickt).
MI: Habt ihr Haustiere?
Axel: Ja, wir haben einen Hund. Bis vor Kurzem hatten wir auch noch zwei Katzen, die wir aber leider einschläfern lassen mussten, da sie auch schon sehr alt waren. Aber unser Hund ist immer noch da, und der freut sich auch jedes Mal, wenn ich die Treppe runterkomme; dann macht er ein riesen Trara, damit er sein Leckerchen bekommt (lacht). Aber du sprichst sicher das Lied „Gone With The Wind“ an, dem ja eine sehr traurige Geschichte zugrunde liegt. Soviel ich weiss, wurde das Ganze vor zehn oder mehr Jahren auch verfilmt [womit Axel absolut richtig liegt. Gemeint ist der Film „Hachiko – Eine wunderbare Freundschaft“ aus dem Jahre 2009, der auf einer wahren Begebenheit im Tokio der 20er-Jahre basiert]. Mich hat das Thema schon immer fasziniert, und als ich die Ballade von der musikalischen Seite her komponiert habe, dachte ich, dass die Thematik diesem Hund gerecht werden würde. Das Lied kommt ziemlich traurig daher und passt somit auch wirklich gut zu den Lyrics [zum Official Audio].
MI: Gibt es den einen oder anderen Song auf „Lost XXIII“, der in Sachen Songwriting hervorsticht, eine spezielle Herausforderung für dich war?
Axel: Die Songs an sich sind eigentlich alle gleich entstanden. Bei einigen dauert es etwas länger, bis es passt, bei anderen wiederum geht’s relativ zügig voran. Manche Leute glauben mir nicht, wenn ich beispielsweise sage, dass ich den Song „Casbah“ vom „Between The Walls“-Album, eigentlich ein ARP-Klassiker, in nur 20 Minuten fertig hatte. Von der ersten bis zur letzten Note, die Lyrics mal ausgeklammert, aber die gesamte Melodie. Komplett auskomponiert. Es gibt solche, die sagen, das sei Quatsch und ich hätte da sicherlich Wochen daran gesessen. Mitnichten, das Lied ist mir einfach zugeflogen und war wirklich schnell geschrieben (lächelt). Ich sag mal so: Im Allgemeinen brauche ich schon etwas Zeit, mal geht’s schneller, mal etwas langsamer, aber eine spezielle Herausforderung gab’s beim Schreiben zu „Lost XXIII“ keine.
MI: In der Promo zur neuen Scheibe steht wortwörtlich: „Die anderen Musiker haben sie zugleich mit eigenen Trademarks veredelt.“ (Axel nicht zustimmend). Soviel ich weiss, schreibst du die Songs ja alles selbst (ein noch deutlicheres Nicken). Ist somit zum Beispiel im Falle von Johnny einfach seine Stimme gemeint, oder haben die Musiker während der Aufnahmen noch die Chance, eigene Ideen einzubringen? So im Stile von „Hey Axel, hör mal, wollen wir das nicht etwas anders machen“?
Axel: Ne, bei uns wird immer so lange diskutiert, bis ich Recht habe (lacht herzhaft). Kleiner Scherz. Aber es ist in der Tat so, dass ich die neuen Songs zu Hause Demo-mässig aufnehme. Somit sind sie also quasi fertig, wenn wir ins Studio gehen. Aber jeder Musiker bringt natürlich seine eigenen Einflüsse mit ein. Ich bin auch kein Diktator, der sagt, hey, das machen wir jetzt nicht, das war nicht meine Idee. Das ist Quatsch. Nehmen wir zum Beispiel Bobby [Rondinelli] – ich spiele ja selbst kein Schlagzeug, aber wir sind musikalischen absolut auf einer Wellenlänge. Er findet die Bands cool, die ich cool finde, und die, welche er nicht mag, sind auch nicht meins. Also bei uns harmoniert das perfekt. Wenn er ein Riff von mir hört, dann weiss er genau, was er dazu spielen muss. Das klappt unglaublich gut. Er hat dann stets auch noch eigene Ideen, die er einbringt: „Ich würde an der Stelle vielleicht noch dies oder das…“ „Mega, mach nur.“
Dasselbe am Keyboard. Ferdy [Doernberg] ist ein wahrer Multiinstrumentalist, und wenn er einen neuen Song zum ersten Mal hört, so ist es absolut überflüssig, über die Akkorde und deren Reihenfolge zu sprechen. Er hat alles schon fixfertig aufgeschrieben, hört alles sofort heraus und kennt sich zudem perfekt mit Harmonien aus. Was im Studio in der Regel ohnehin immer am längsten dauert, ist den passenden Sound zum Song zu finden. Das Einspielen geht dann sehr schnell von statten, so schnell kann ich nicht mal nen Computer ein- und ausschalten, dann ist er schon fertig. Er ist wirklich ein begnadeter Künstler. Oder nimm Johnny [Gioeli, Vocals]. Das ist ein Typ, dem kannst du die Melodien vorgeben, aber er verändert sie zum Teil und fragt: „Hör dir das mal an“, und ich (emotional aufgeladen) „Hey Alter, Mega!! Das ist really cool!“. Jeder kann seine eigenen Ideen einbringen, wir sind ein Team.
… einer unglaublichen Konstanz …
MI: Wo natürlich auch diese enorme Konstanz im Line-Up einen positiven Einfluss haben dürfte.
Axel: Absolut korrekt! Das ist auch ein Geheimnis hinter unserem Erfolg. Bobby ist ja als letzter anno 2013 zu uns gestossen… (leicht nachdenklich) Ich meine, wir sind ja schon so lange zusammen, was wohl auch daran liegen dürfte, dass wir nicht im selben Ort wohnen und drei Mal die Woche zusammen proben müssen. Wir sehen uns nur alle paar Monate, wenn wir auf Tour gehen oder im Studio sind. Was ich durchaus als positiv werte, da jeder, wenn wir wieder zusammenkommen, eine Menge eigener Geschichten zu erzählen hat und man sich auf die anderen freut. Wenn man wie bei einer normalen Band drei oder vier Mal die Woche probt und man sich ständig sieht, dann gehen dir die anderen fast schon zwangsweise irgendwann mal auf den Sack, und das ist bei uns eben nicht der Fall (schmunzelt).
MI: Wie bei einer Fernbeziehung.
Axel: (nickt eifrig) Absolut, genauso ist es!
MI: Hast du schon eine konkrete Vorstellung, welche Songs von „Lost XXIII“ es auf die Bühne schaffen werden? Und natürlich auch von „Sign Of The Times“, welches ihr ja kaum live präsentieren konntet.
Axel: Das ist richtig – und in der Tat ein grosses Problem! Für die kommende Tour eine Setlist zusammenzustellen, wird wirklich sehr, sehr, sehr schwierig werden (blickt nachdenklich nach unten). Ich meine, unser neues Album ist hier in den deutschen Charts gleich auf Platz zwei eingestiegen, was natürlich ein sensationeller Erfolgt ist. Noch besser, als „Sign Of The Times“, das vor zwei Jahren ja „nur“ auf dir Fünf kam (Axel zeichnet dabei mit den Händen amerikanische Gänsefüsschen in die Luft und schmunzelt irgendwie schelmisch).
MI: Klingt für mich jetzt ein klitzeklein wenig nach einem Luxusproblem.
Axel: Exakt, und ich will ja auch nicht meckern (lacht). Ich denke, dass wir den Fokus auf das neue Album legen und mindestens drei, vier Songs daraus spielen werden. Bei „Sign Of The Times“… (kurze Pause, dann nachdenklich) bin ich mir noch nicht sicher. Wenn wir zu viele neue Lieder in die Setlist einbauen und deswegen die Klassiker reduzieren, dann beschweren sich die Leute, wir hätten doch besser noch ein paar alte Tracks spielen sollen, oder auch solche aus dem Back-Katalog, die wir noch nie live performt haben. Es ist sehr, sehr schwierig. Aber aktuell gehe ich wie gesagt davon aus, dass drei bis vier Songs von „Lost XXIII“ dabei sein werden, ein oder zwei von „Sign Of The Times“, und dann so eine Art „Best Of“ aus den Liedern, die die Leute immer hören wollen, die sie cool finden und bei denen wir auch nie müde werden, sie zu spielen (lacht). Und natürlich wird es auch noch die eine oder andere Überraschung geben, auch wenn ich noch nicht genau weiss, was das sein wird. Aber die Tour startet ja erst im September, so dass ich noch ein bisschen Zeit habe, um mich auch mit meinen Mitmusikern abzusprechen. Man wird sehen.
MI: Mit nunmehr 21 Studioalben im Gepäck: Wie schwierig ist es für dich, eurem Sound treu zu blieben, ohne dich selbst zu wiederholen? Oder dass du ein Riff schreibst und auf einmal denkst, Moment, sowas hatte ich doch schon.
Axel: Genau das ist mir wirklich mal bei einem früheren Album passiert – welches das war, kommt mir auf die Schnelle jetzt nicht in den Sinn, ist aber schon ein paar Jahre her. Auf alle Fälle habe ich damals mehrere Songs komponiert, alle fein säuberlich als Demo aufgenommen – und beim Einspielen dachte ich, irgendwie kommt mir diese Melodie bekannt vor (kratzt sich am Kinn), dieser Chorus, dieser Refrain… Ich so zu mir: Das gibt’s doch gar nicht (schüttelt den Kopf), hab ich das nicht bereits vor zwei Wochen mal gespielt? Ich hatte da effektiv denselben Chorus zwei Mal verwendet. Also habe ich den Song gestrichen und ihn nicht weiterverwendet, auch das Riff nicht. Sowas kann schon mal passieren, wenn man zu sehr auf einen Song konzentriert ist und man darob andere Sachen vergisst. Natürlich hab ich die Musik nicht neu erfunden, schliesslich gibt es ja nur 12 Töne in der Musik, die Halbtonschritten mit eingerechnet, und man muss definitiv aufpassen, dass man sich nicht wiederholt. Manchmal komme ich auch bei Riffs etwas ins Grübeln. „Hab ich das auch schon mal von mir selbst gehört? Da muss ich mal suchen“. Aber schlussendlich war es dann doch was anderes. Dass sich ein Riff wiederholt, das ist mir noch nie passiert. Wirklich noch nie!
MI: Warst du noch nie in Versuchung, mal etwas völlig anderes auszuprobieren, das Korsett zu sprengen? Die Leute vielleicht auch etwas vor den Kopf zu stossen?
Axel: Das mit dem „Vor den Kopf stossen“ habe ich ja schon mal versucht… (überlegt) Das muss auf „Black Moon Pyramid“ gewesen sein, und zwar mit nem Song namens „Aquarius Dance“, so ein Gitarren-Geflickl, total seltsam-knorzig wie ich immer sage – einfach ein kleines Instrumental zwischen zwei Tracks. Die Leute haben es mir damals nicht übelgenommen, war aber im Prinzip ein kleiner Ausbruch aus dem Gewohnten. Ob ich das heute im Gesamtkonzept eines Albums nochmals machen würde? Ich denke nicht. Vielleicht mal eine Sammlung von reinen Instrumental-Nummern, die ich irgendwann mal aufnehmen werde, keine Ahnung. Aber sonst: Nein, stick to the roots!
… Veränderungen …
MI: Was war dein verrücktestes Erlebnis mit Axel Rudi Pell?
Axel: Das verrückteste? Wir haben auf Tournee mehrere lustige Sachen erlebt, aber in dem Sinne verrückt eigentlich nie etwas.
MI: Also auch kein Hausschwein, das die Bühne stürmt, wie es Chris von Rohr von Krokus zum Beispiel mal erlebt hat (zum Interview)?
Axel: Nein, sowas ist uns zum Glück nie untergekommen (lacht). Es gab schon einige spezielle Momente, wie damals, als wir nachts mit unseren Nightliner zwischen zwei Festivals unterwegs waren und uns der Bus halb abgefackelt ist. Es gab nen Kabelbrand und wir mussten das Gefährt verlassen. Wir hatten keine andere Wahl als den Bus zu wechseln und kamen prompt zu spät, durften dann aber mit ner anderen Band tauschen, die eigentlich nach uns dran gewesen wäre, so dass wir zum Glück doch noch spielen konnten.
Und sonst… (überlegt) Wirklich lustige Sachen eigentlich nicht. 2005 haben wir am Bang Your Head-Festival in Balingen gespielt, und da gab es einen mächtigen Hagelsturm, der das ganze Gelände verwüstet und die Zelte der campierenden Konzertbesucher weggepustet hat. Danach musste jede Band ihre Spielzeit von 50 auf 20 Minuten reduzieren. Das Wetter hatte aufgeklart, der Regen aufgehört, es herrschte strahlender Sonnenschein – doch kaum stehen wir on stage, zieht ein riesiger Regenschauer über uns hinweg. Die ganze Bühne war augenblicklich nass und die Geräte sind reihenweise ausgefallen. Mein Wah Wah Pedal war kaputt, bei Johnny ging auch nicht mehr viel, es hat kaum mehr was richtig funktioniert. Und doch haben wir die Show irgendwie gemeistert.
MI: Angenommen, jemand hätte dir anno 1989 prophezeit, dass du 30 Jahre später mit Axel Rudi Pell immer noch erfolgreich unterwegs sein würdest – wie hättest du reagiert?
Axel: Ich hätte ihn gefragt, ob er noch alle Latten am Zaun hat (lächelt und greift sich an die Stirn). Sowas hätte ich schlicht nicht für möglich gehalten – definitiv nicht! Klar was es eine Art Wunschvorstellung, schon von Anfang an, aber dass ich das auch wirklich schaffen würde, damit hätte ich nicht gerechnet! Aber der Erfolgt gibt mir Recht (lacht).
MI: Definitiv! Wenn du auf die letzten drei Jahrzehnte zurückblickst – was hat sich im Musikbusiness aus deiner Sicht am meisten verändert, positiv wie negativ?
Axel: Lass es mich so formulieren: Als positiv werte ich, dass irgendwann mal das Internet dazu gekommen ist; das gab’s damals, als ich angefangen habe ja noch nicht. Man kann damit seine Musik breiter streuen, besser promoten, man ist nicht mehr so stark auf Magazine, Anzeigen oder Reviews angewiesen. Das ist gut. Das weniger Gute daran ist, dass die physikalischen Verkäufe von CDs und Tonträgern im Allgemeinen immer mehr runter gehen, sich die Leute die Musik immer mehr for free downloaden oder bei Spotify für sieben oder acht Euro im Monat streamen – und die Künstler dabei nicht ordentlich honoriert werden. Das ist der sehr grosse Nachteil dabei. Ich hab mal nachgeschaut – wir sind mittlerweile bei 130, 140 Millionen Streams. Wenn man das addiert und sich fragt, was kann sich davon kaufen kann, so reicht das vielleicht für ne grosse Tüte Eis. Das ist dann doch sehr, sehr ungerecht. Den Leuten ist das gar nicht wirklich bewusst, und teilweise kann ich das auch verstehen – ich will mir doch keine CD ins Regal stellen, das ist doch ne Sache von gestern oder vorgestern. Da stell ich mir lieber eine Playlist zusammen. All das kann ich nachvollziehen, aber die Entlöhnung sollte einfach ne andere sein. Ich selbst mag’s nach wie vor lieber in physischer Form.
… und einem ehrlichen Blick zurück!
MI: Wenn du zurückblickst: Wie stark unterscheidet sich dein Leben als Musiker von dem Traum, den du damals als Kind davon hattest?
Axel: Eigentlich nicht viel. Ich hatte immer den Traum, mit der Musik Geld zu verdienen und nicht mein Leben lang arbeiten zu müssen. Ich wollte damit nicht unbedingt reich werden, mir genügt es schon, dass ich mein geregeltes Einkommen sowie die Möglichkeit habe, mit meiner Gitarre und meinen eigenen Songs die Leute zu erfreuen. Natürlich wäre es genial, wenn ich in jedem Land dieser Erde, in dem meine CD beziehungsweise meine Musik veröffentlicht wird, eine Platinscheibe bekäme, dann könnte ich die Toilette damit dekorieren (lacht). Das hat schon mal einer gemacht. Aber das ist natürlich ne Sache, die man gar nicht mehr schaffen kann, dafür bin ich schon viel zu alt, genau wie meine Musik.
MI: Mal angenommen, du könntest 40 Jahre in der Zeit zurück reisen – welchen Ratschlag würdest du deinem jüngeren Ich geben?
Axel: Alter, du weisst ja nun, wie „Lost XXIII“ komponiert wurde, mach das jetzt und bring es raus. Denn du damit einen mega Erfolg haben wirst! Irgendwie schade, dass das nicht geht (grinst).
MI: Wenn wir’s grad davon haben: Ein Sprichwort besagt, dass jeder Erfolg seinen Preis hat. Was war das Kostbarste, dass du für deine Musikerkarriere opfern musstest?
Axel: Meinen Day-Job (lacht laut)! Ne, ich musste eigentlich gar nichts opfern, das kann ich ehrlich sagen. Ich bin glücklich verheiratet, in der Beziehung ist alles super, ich hab nen Hund, zwei schöne Autos, wir haben ein eigenes Haus, ich kann spazieren gehen… Ich musste wirklich nichts opfern. Alles ist gut, und ich danke dem Herrn wirklich jeden Tag drei Mal dafür (faltet die Hände und verbeugt sich).
MI: Letzte Frage, da die zwanzig Minuten leider bereits um sind: Hast du noch eine spezielle Message für deine Fans hier in der Schweiz?
Axel: Ich hoffe natürlich, dass ihr zu unseren Shows kommen werdet – schliesslich spielen wir gleich zwei Mal in der Schweiz, in Pratteln und in Bern. Das Z7 ist bei uns ja meistens ausverkauft – oder auch mal überausverkauft; wie damals, als der Chef, der Norbert noch das Tor hin zum Parkplatz aufgemacht hat, damit mehr Leute reinkamen. Das war natürlich super für uns. Wir freuen uns enorm auf die Schweizer Fans, wir mögen sie sehr, die Stimmung ist super und wir fühlen uns da total wohl! Zudem spielen wir bei dieser Tour wie gesagt auch zum ersten Mal in Bern im Bierhüberli, und ich hoffe, dass der Erfolg da ähnlich sein wird. Ja, ich freu mich sehr (strahlt).
MI: Ganz herzlichen Dank, Axel, für dieses sehr interessante Gespräch. Man sieht sich auf Tour!