Psycho-Jazz-Metal
Dead Venus und Creeon auf ein und derselben Bühne – als würden Weihnachten und Geburtstag auf denselben Tag fallen. Beide Bands haben ihr zweites Album veröffentlicht und wollen dieses nun live zelebrieren.
Als ich die Metbar erreiche, ist diese noch verschlossen. Durch die Wände dröhnt der Klang von Bassdrum und Gesang, der Soundcheck ist noch im vollen Gange. «Doors 20:00» war also doch richtig, nicht wie auf «Bands in Town» publiziert: «Start: 8 pm». Halb so schlimm. Eine Handvoll anderer verfrühter Besucher leistet mir Gesellschaft.
Nach einer Viertelstunde Passivrauchen öffnen sich pünktlich wie ein Uhrwerk die Tore.
Erstmal wird das Pflichtbier «Quöllfrisch Naturtrüb Bügel 6 dl» geholt und die Zeit mit dem Betrachten des Merchstands totgeschlagen. Im Angebot sind die üblichen T-Shirts, CDs und Buttons. Im Falle Dead Venus gibts zusätzlich die schwarzen Scheiben mit den Rillen, davon kann man heute die Testpressung des ersten Albums «Bird Of Paradise» käuflich erwerben. Die des zweiten sollen versteigert werden.
Ein bisschen Smalltalk, das Bier ausgetrunken, nachher will ich die Hände zum Klatschen freihaben, und schon ertönt ab Band das Intro von «Sweet Decay» und der Opener Creeon betritt die Bühne.
Creeon
Creeon hatte die letzten zwei Jahre wirklich Pech. Mehrere Male mussten sie die «Realese-Show» ihres zweiten Albums «Circle Of Reality» verschieben, nun soll sie nächste Woche am 7. April 2022 zwei Jahre nach Veröffentlichung im Piccadilly in Brugg stattfinden. Glückliche haben allerdings bereits heute die Möglichkeit, neue Songs live zu hören. Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, einem Auftritt der Band beizuwohnen. Das neue Album lief bei mir allerdings rauf und runter, umso gespannter bin ich dementsprechend auf den heutigen Abend.
Nahtlos leitet Creeon nach «Sweet Decay» zu «Fadet» über. Es folgt der erste Befehl an das Publikum. Vereinzelte folgen den Aufforderungen und klatschen mehr oder weniger im Takt der Musik mit. Auch wenn der erste und auch zweite Song ein “Banger” war, wirken die Zuschauer noch eingerostet. Creeon weiss dem Abhilfe zu schaffen: Man rockt einfach weiter und lässt das Publikum glauben, gerade das Geilste überhaupt zu sein. Es funktioniert. Bereits beim nächsten Stück “Shadows” wird, deutlich aktiver «HEY HEY HEY» mitgebrüllt.
Die Performance ist on top! Creeon erlauben sich kaum Fehler. Björns (Gesang) Growls und Screams treffen jeden Ton, weichen auch mal von der Vorlage der Studio-Version, ab, verlieren sich aber nicht in einem Chaos aus Improvisationen und dem Drang zu beeindrucken. Da und dort ist auch mal Platz für Gitarren- und Drum-Solos. Auch hier kennen Ralph, Kevin (Gitarren) und Oliver (Drums) ihr Handwerk. Ein Bass-Solo findet leider keinen Platz auf der Bühne, Gabriele liefert dennoch eine solide Show ab.
Als nicht ganz unerwartete Überraschung betritt Seraina mitten im Konzert die Bühne, um gesanglich und an den Keys «Hope In Hell» zu begleiten, bei dem sie auch auf der Platte respektive Single als Featuring in Erscheinung tritt. Der Song über eine nicht funktionieren wollende Beziehung, wird wohl nicht mehr allzu oft, besonders in dieser Konstellation, live gespielt werden. Kein Wunder also wird das ein oder andere Handy gezückt, um den Moment einzufangen den man gerade verpasst. Auch ich kann mich da nicht zurückhalten. Ist auch ein schöner melancholischer Hühnerhaut-Akt, der sich hier auf der Bühne abspielt. Wäre schön, wenn in Zukunft weitere Songs mit Björn und Seraina erscheinen würden.
Weiter geht es mit einer kleinen ungeplanten Pause. Kevin hat sich in der Setlist verirrt und sich von der Bühne begeben, um seine Saiten auf einen anderen Song vorzubereiten. Drumsolos dienen bekanntlich ausgesprochen gut als Lückenbüsser. Nach ein bisschen Dresche für die Trommeln, folgt dann doch noch, zur aktuellen Situation passend, «First World Problems», gefolgt von «Stay With Me», bei dem vom Publikum wieder ein bisschen Initiative gefordert wird. Erstaunlicherweise kniet sich doch tatsächlich der Grossteil inklusive Band in den Staub, um gemeinsam aufzuspringen. Da ist wieder Öl im Getriebe, der Rost entfernt.
Nach alter Band-Tradition, wie erläutert wird, folgt nun ein Cover von «Your Betrayal». Hier leistet sich Björn dann auch mal einen Texthänger. Es sei ihm verziehen, hätte er es nicht erwähnt, wäre es mir nicht aufgefallen.
Ein bisschen Werbung für den Merch und den Auftritt nächste Woche, ein Song, versehentliche Publikumsbeleidigung bei der Ansage von «Fuck You All», noch ein bisschen Musik und zu den Klängen des Playback-Outros von «Prometheus» verabschiedet sich die Band vom Publikum.
(«Freut ihr euch auf Dead Venus? […] FREUT IHR EUCH WIRKLICH AUF DEAD VENUS?!»).
Dead Venus
Eigentlich sollte Dead Venus gerade von einer grossen Tour mit «Orphand Land», quer durch Europa, zurück sein. Über DEN Grund, warum das und so ziemlich alles, was nicht stattfinden konnte, nicht stattfinden konnte, wolle man nicht mehr sprechen. Schon gar nicht heute, heute soll die neue Platte «Flowers & Pain» im Zentrum stehen. Klar, es sind bereits zwei Monate vergangen, seit diese erschienen ist, doch das ist kein Grund, deren Release nicht zu feiern, Jesus wurde schliesslich auch erst als erwachsener Mann getauft.
Man startet mit dem namensgebenden Song «Flowers & Pain». Um zu beweisen, dass alles zu 100 Prozent live ist, und nicht ab Band kommt, funktioniert erstmal die Gitarre nicht, Unplugged ist bei einer E-Gitarre wohl keine gute Idee. Kein Grund sich aus der Fassung bringen zu lassen, startet man eben nochmal von vorne. Immerhin hatte ich und einige andere, bis dahin Gelegenheit, zu bemerken, dass die Pause vorbei ist und man sich jetzt wieder vor die Bühne zu begeben hat. Nicht das erste Mal, dass mir das in der Metbar passiert, zu bequem das Sofa im hinteren Bereich.
Erstmalig fällt mir auf, dass Dead Venus in der Gestaltung des Klangbilds, in Bezug von Verzerrung, nicht nur Kreativität bei der Ton-Abnahme des Basses, der das ein oder andere Mal durch ein Gitarren-Effektgerät gejagt wird, an den Tag legt. Zumindest heute legt Seraina (Gesang), da und dort ein wenig Reverb und Deley auf die Stimme, das passt zu den Songs und bringt Klänge, die man bislang erst ab Scheibe kannte, auf die Bühne.
Bei «Anna Moll» arbeitet Mike (Drums), zusätzlich zu den akustischen Trommeln, mit Samples auf einem Drumpad, etwas was auf “Bird Of Paradise” noch undenkbar gewesen wäre, steht doch auf dem Sticker des physischen Tonträgers: «No Drum Samples, No Autotune, No Electric Guitars». Auch in Bezug auf den letzten Punkt ist Dead Venus über den eigenen Schatten gesprungen. So werden heute nicht nur die neuen, sondern auch Songs des ersten Albums zum Teil mit E-Gitarre vorgetragen. Die, gerade auf dem Erstling, sehr präsente, akustische Gitarre entfällt ganz. An ihrer Stelle wird stattdessen Serainas Stratocaster nicht verzerrt, ganz weich abgenommen, sodass sie nahezu nach Gitarre mit Schallkörper klingt.
Doch auch Songs, die in der Studio-Version mit Korg-Synthie und Nord-Piano versehen sind, werden mit der Gitarre gespielt. Diese klingen dadurch härter, stampfender, teils aggressiver. Klanglich ist der Besuch eines Dead Venus Konzerts definitiv ein Mehrwert, als Publikum und Hörer bietet sich die Möglichkeit, auch Songs, die man schon unzählige Male ab Konserve gehört hat, nochmal neu zu entdecken.
Die Kommunikation mit dem Publikum wirkt deutlich entspannter als beim Auftritt letzte Woche im Old Capitol (siehe Review). Liegt es daran, dass hier die Bühne niedriger ist, sich Band und Meute so nicht nur physisch näherkommen? Verliert Seraina dennoch mal den Faden oder vergisst etwas, meldet sich der Souffleur hinter dem Schlagzeug zu Wort, oft auch ungefragt, hat stets einen Spruch bereit. Meine Forderung bleibt: Gebt Mike ein Mikro! Fast schon klischeehaft hält sich Merlin stumm. Bassisten gelten schliesslich auch als introvertiert. Wortkarge Coolness oder so.
Es ist das zweite Konzert mit ihm am Bass. Diesen spielt er wie ein Gott, kopiert nicht André, den vorherigen Bassisten, bringt seinen eigenen Stil in die Songs. Bleibt abzuwarten, ob Merlin genauso lange «der neue Bassist von Dead Venus» wie Seraina «die alte Sängerin von Burning Witches» bleiben wird.
Da dies auch eine Art Realeas-Show von «Flowers & Pain» sein soll, wie Seraina verkündet, und darauf noch André am Bass zu hören ist, betritt dieser dann auch als «Special Guest» die Bühne. Erneut machen die Kabel nicht das, was Kabel tun sollen und Andrés Fähigkeiten als Techniker werden gefragt. Währenddessen erzählt Seraina Geschichten aus dem Proberaum, wie André gern zu sagen pflegte: «Wenn du mit Musik Erfolg haben möchtest, musst du ein Kabel erfinden, dass sich nicht verwickelt». Auch verwickelte Kabel, sind mit viel Zuwendung irgendwann mal nicht mehr verwickelt und Dead Venus kann in der Ur-Besetzung «Bang Bang», ein Lied von Cher, zum Besten geben, bei dem sie musikalisch ins Exotische, eigentlich bereits Absurde gehen, wenn im Finale des Song, Seraina ein Saxophonsolo auf einem Kazoo (siehe Video) spielt.
Um ehrlich zu sein, kannte ich «Bang Bang (My Baby Shot Me Down)» nicht, bevor er auf der «Flowers & Pain EP III»* auftauchte. Ein sonderlich grosser Cher Fan bin ich nicht. Unzählige Male wurde der Song bereits von diversen Interpreten gecovert. Die bekannteste Interpretation ist wohl die von Nancy Sinatra, ich finde es als nicht zu hoch gegriffen zu behaupten, die von Dead Venus wäre besser. Zweifler können sich ansonsten gern beide Covers nacheinander anhören.
Es folgt ein weiterer Song von einer EP. «Redemtionless», eigentlich ein Track vom «Bird Of Paradise» Album, heute Abend aber in der Accoustic Version. Akustisch an der E-Gitarre (wir erinnern uns…). In dieser Version klingt der Song sehr «swingig», unbekümmert, lädt zum Tanzen ein. Die Melodie passt in dieser Version meiner Meinung nach nicht zum düsteren Text, in dem ein Paar gemeinsam Suizid begeht, um in der Ewigkeit weiter zusammen zu sein, sich im Himmel aber nicht mehr findet.
Nach «Kiss Of The Muse» überlässt André den Bass wieder Merlin. Zwei weitere Songs folgen und dann ist vorerst Schluss. Natürlich will das Publikum mehr, fordert lauthals «Zugabe». Dieser Wunsch wird ihm gewährt.
«Machen wir jetzt Alternative Rock?» fragt Seraina, als sie zurück auf die Bühne kommt. Auf dem Bildschirm über der Bar, der kommende und offensichtlich auch gerade stattfindende Veranstaltungen anpreist, wird Dead Venus tatsächlich diesem Genre zugeordnet. Was ist Dead Venus eigentlich? Gemeinsam mit Publikum und Mike, beginnt Seraina zu philosophieren, welche Bezeichnung denn auf die eigene Musik zutreffe und kommt am Ende darauf, dass «Psycho-Jazz-Metal» am passendsten erscheint. Da der Wikipediaeintrag «Liste von Metalstilen» bereits ellenlang ist, verzichtet man allerdings vorerst noch auf die Kreation eines eigenen Genres und bleibt beim Begriff «Progressiv Metal» der ja auch irgendwie alles beinhaltet, für was es eine eigene Bezeichnung geben müsse.
Das Fanzit – Dead Venus
Ein bisschen «Psycho-Jazz-Metal» gibt es dann mit «Sirens Call» auf den Heimweg. Ein toller Song für das Ende eines Konzerts. Alleine diese letzten paar Minuten reichen, um zu erfassen was für eine geniale (und zig weitere positive Adjektive) Band, Dead Venus doch ist und was Seraina für eine einzigartige Stimme hat. Um das zu hören, was ihre Stimmbänder gegen Ende des Liedes veranstalten, muss man sonst in die Oper gehen.
Umso schöner, hat sie mittels Crowdfunding, ihr erstes Solo-Album finanziert. Das war gut investiertes Geld!
Überwältigt begebe ich mich nochmal zum bequemen Sofa in der hinteren Metbar, nochmal ein Hopfengetränk und ab auf den Zug. War das ein Abend mit Dead Venus und Creeon!
Setliste Creeon
- Intro (von «Sweet Decay»)
- Sweet Decay
- Faded
- Shadows
- Gimme A Break
- The Cliff
- Hope In Hell (feat. Seraina Telli)
- First World Problems
- Stay With Me
- Your Betrayal («Bullet For My Valantine» Cover)
- We’re Not Done
- Fuck You All
- Monster
- Promotheus
Setliste Dead Venus
- Flowers & Pain
- Lilly Of The Valley
- Anna Moll
- The Beauty
- Bird Of Paradise
- Plaything Doll
- Bang Bang (My Baby Shot Me Down)** («Chér» Cover)
- Redemtionless Accoustic**
- Kiss Of The Muse**
- Human Nature
- Revelation Of Hate
- Sirens Call (Zugabe)
*Diese EP war bislang exklusiv für Vorbesteller des “EP-Bundles” erhältlich, die insgesamt vier CDs im Abstand von einigen Wochen in ihrem Briefkasten fanden. Darauf war jeweils ein bis dato noch unveröffentlichter Song von “Flowers & Pain” und eine weitere Rarität, wie das “Bang Bang (My Baby Shot Me Down)”. Einige restliche Exempare des “EP-Bundle” sind noch am Merchstand erhältlich.
**mit André am Bass