Hellfest Part 1 2022 – Handschlag, Hitze, Höllenwoche
Hellfest – von Hand geschrieben steht es in blauen Lettern auf einem Taschentuch. Raphis Schwärmereien von diesem Festival haben anscheinend verfangen, ansonsten würde nicht die Unterschrift von Obermetalinsider pam darunter prangen, mit der und einem Handschlag er an einem fröhlichen Metalinside-Treffen bezeugt hat, bei der nächsten Ausgabe mit von der Partie zu sein. Nach einer Verschiebung um ein Jahr ist es nun schliesslich so weit und die Jubiläumsausgabe steht vor der Tür: das Hellfest Part 1 2022.
Raphi: Das Festival ist dieses Jahr noch etwas aussergwöhnlicher als es sonst sowieso schon ist. Infolge der pandemiebedingten Verschiebung und weil es sich um die fünfzehnte Ausgabe handelt, hat sich das Organisationsteam dazu entschlossen, ein zweites Wochenende anzuhängen und damit ein Festival der Superlative zu veranstalten. Infolge einer glücklichen Fügung (dazu später mehr) ist dieser zweite Teil sogar auf vier Tage angelegt worden, so dass das Infield an satten sieben Tage geöffnet sein wird. Es steht uns demnach eine wahre Höllenwoche bevor. Auf den sechs Bühnen im inneren Teil des Geländes, von denen immer drei gleichzeitig bespielt werden sowie zwei weiteren, kleinen Bühnen auf dem restlichen Gelände werden in dieser Zeit 394 (!) verschiedene Bands auftreten, die insgesamt 402 Konzerte spielen. Das Glück lacht der Organisation zudem hinsichtlich dem Fehlen jeglicher Restriktionen bezüglich Corona. Auf der anderen Seite befördert die aktuelle Lage das Unglück, dass viele mittelgrosse Bands ihre Auftritte zum Teil ziemlich kurzfristig abgesagt haben. Hut ab vor Ben Barbaud und seinem Team, die trotz den widrigen Umständen jeden Ausfall mit einer anderen spannenden Band kompensiert haben. Der Anblick des definitiven Line-ups bringt mich also immer noch genauso ins Träumen, wie es die ursprüngliche Ankündigung tat.
Morgenstimmung – der Anfang
In der schläfrigen Dunkelheit dieses Traumes erklingen Geräusche. Geklapper von Gepäck, emsiges Treiben und Menschen, die sich unterhalten. Die Vorfreude ist aus ihren Stimmen herauszuhören als ich die Augen aufschlage und blinzelnd von der strahlenden Sonne geblendet werde, also wolle sie sagen: nichts wie raus aus den Federn, das Hellfest wartet auf dich.
Hellfest Part 1 – Tag 1 von 7 (Freitag, 17. Juni)
Eine Stärkung mit nahrhaftem Morgenessen muss vorher aber noch drinliegen, schliesslich haben wir einen gut gefüllten Tag vor uns. Zu lange wollen wir uns aber nicht aufhalten, deshalb heisst es jetzt: startklar machen für den viertelstündigen Marsch vom Parkplatz zum Festivalgelände. Schuhe geschnürt, Nacken eingecremt – wir sind bereit. Gemeinsam mit dutzenden anderen Metalheads nehmen wir den Weg unter die Füsse und kommen bei allerschönstem Wetter am Eingang an. Warteschlangen sind praktisch keine vorhanden und so erfreuen wir uns nach einem kurzen Abstecher zum Merchstand eines guten Platzes vor der Bühne mit bester Sicht auf das Geschehen. Die Vorfreude ist gigantisch.
Heart Attack (Fotos – Alain)
Numen (Fotos – Alain)
Frog Leap (Fotos – Alain)
Ferocious Dog
Ein letztes Blinzeln und dann geht es los: Ferocious Dog eröffnen auf der Mainstage 1 meine persönliche Running Order. Die Band aus Nottinghamshire spielt Folk Punk, der sich natürlich dem Herkunftsort entsprechend stark auf die englische Tradition dieser Musik bezieht. Bei strahlendem Sonnenschein verbreitet das Sextett mit ihrem Liedgut fröhliche Stimmung, die ob der bisweilen eingestreuten melancholischen Melodiebögen bereits wieder etwas zum Träumen anregt. Vor allem „Slow Motion Suicide“ bleibt in diesem Zusammenhang in bester Erinnerung. Der Auftritt wirkt auch deshalb sehr herzlich, weil Ferocious Dog zu jeder Sekunde vollkommen authentisch rüberkommen. Die Zeit ist in Nullkommanichts um und die Band verabschiedet sich unter wohlverdientem Applaus. Ein wunderbarer Einstieg ins Hellfest im Allgemeinen sowie in den heutigen Tag im Speziellen. Nun verziehen wir uns in den Schatten und statten der Temple Bühne im Zelt einen Besuch ab.
Mephorash
Dort steht als nächstes nämlich das Konzert von Mephorash auf dem Programm. Die Schweden sind abgesehen vom bekannten Fakt, dass sie Black Metal spielen ein unbeschriebenes Blatt für mich. Auf der Bühne brennen bereits mehrere Ölfeuer, als die fünf Musiker in helle Kapuzenmäntel gehüllt und mit von Masken verdeckten Gesichtern ihren Auftritt beginnen. Die Klänge, die uns Mephorash präsentieren sind alles andere als leicht verdaulich, aber die Band spielt sich souverän durch das Set. Sänger Mashkelah M’Ralaa fällt dabei durch seine ständigen spielerischen Handbewegungen auf, was seine gesangliche Leistung jedoch in keiner Weise beeinträchtigt. Auch die restlichen Bandmitglieder geben sich keine Blösse und tragen zu einer sauberen Darbietung bei, die der Aufmerksamkeit des Publikums einiges abverlangt. Insgesamt also ein gelungener Erstkontakt mit einer Gruppe, die eine interessante Art von Black Metal spielt.
Burning Heads (Fotos – Alain)
Cadaver (Fotos – Alain)
Seth
Bleiben wir doch gleich noch etwas beim Black Metal, denn die nächste Truppe hat sich ebenfalls dieser Musikrichtung verschrieben. Die Rede ist von Seth, die hier am Hellfest so quasi ein Heimspiel haben. Auch sie haben diverse Requisiten mitgebracht, orientieren sich musikalisch allerdings etwas stärker an den symphonischen Ausprägungen des Genres. Dabei setzen sie vollstes Vertrauen in ihr aktuelles Album La morsure du Christ, das einen grossen Teil der Setlist einnimmt. Sänger Saint Vincent hält anscheinend auch gar nichts von kühler Distanz zum Publikum, nimmt er doch immer wieder Kontakt zu den Fans auf, was der Show einen schönen Fluss verleiht. Überhaupt schaffen es Seth vor allem in der Mitte ihres Konzerts um das mitreissende „Métal Noir“ herum, ein starkes Momentum aufzubauen und eine packende Atmosphäre zu kreieren. Zugegeben, die Präsentation allerlei Ritualgegenstände vom Kerzenständer über Tierschädel bis hin zu einer Dolchklinge durch Saint Vincent wirkt manchmal etwas zu theatralisch, aber diese Art von Musik hält das locker aus. Einzig dass im abschliessenden „Le triomphe de Lucifer“ die mit Blut übergossene Statistin ihre Feuerfächer nicht entzünden kann, macht einen etwas hilflosen Eindruck. Doch alles in allem sind wir gerade Zeuge eines wirklich guten Gigs geworden.
Ob die nächste Band auf der gleich angrenzenden Altar Bühne da mithalten kann, werden wir nach einer kurzen Verpflegungspause sehen. Schliesslich wollen der knurrende Magen bensänftigt und das ausgiebige Verpflegungsangebot auf dem Gelände ausprobiert werden.
Fotos Seth (Alain)
Gatecreeper (Fotos – Alain)
Frank Carter & The Rattlesnakes (Fotos – Alain)
Necrophobic
Frisch gestärkt finden wir uns schliesslich vor dem Altar ein und warten gespannt auf Necrophobic. Aller guten Dinge sind drei und so kommen wir nach sehr atmosphärisch geprägtem Black Metal und eher symphonisch ausgerichtetem Black Metal nun auch noch in den Genuss von mit Death Metal gemischtem Black Metal. Necrophobic verzichten auf jegliche Bühnenrequisiten und lassen die Musik für sich sprechen. Nun, genaugenommen spricht natürlich auch Frontmann Anders Strokirk immer wieder mit der anwesenden Zuhörerschaft vor der Bühne und bietet alles an Grimassen auf, was sein Mund so hergibt. „Mark of the Necrogram“ und „Devil’s Spawn Attack“ sorgen bereits für beachtlichen Beifall, aber natürlich ist es „Tsar Bomba“, welches die Anwesenden mich eingeschlossen am meisten mitreisst. Der Sound ist übrigens wie bei allen bisherigen Bands prima, so dass die Musik richtig gut zur Geltung kommt. Derweil scheinen Necrophobic viel Spass an ihrem Auftritt zu haben. Auf jeden Fall machen die Musiker allesamt einen gut gelaunten Eindruck, der den grimmig bemalten Gesichtern zum Trotz für eine sympathische Ausstrahlung sorgt.
Nach diesem Black Metal-Hattrick wechseln wir nicht nur das Genre sondern auch gleich noch die Bühne und begeben uns unmittelbar im Anschluss vor die Mainstage 1, wo unser Programm weitergeht.
The Offspring
Punkrock ist angesagt und dafür müssen jetzt The Offspring ran. Vor sechs Jahren hat mich die Band ziemlich enttäuscht mit einem kraftlosen, unmotivierten Auftritt. Heute kriegt sie ihre zweite Chance und ich hoffe, dass sie diese zu packen weiss. Die Setlist macht schon mal alles richtig und Songs wie „Staring at the Sun“, mit dem The Offspring ihr Konzert eröffnen oder „Want You Bad“ werden von den Fans natürlich goutiert. Leider bleibt die Interaktion mit dem Publikum hinter der Setlist zurück. Es sind zwar im Gegensatz zum letzten Mal sowohl Noodles als auch Dexter, die hin und wieder etwas sagen, aber das ganze macht einen so routinierten und unspontanen Eindruck, dass eine mitreissende Wirkung komplett ausbleibt. Musikalisch ist der Auftritt um einiges besser als derjenige vor sechs Jahren und doch bleibt der Gesamteindruck weit davon entfernt, wirklich zu überzeugen: zu wenig Energie auf der Bühne, zu wenig Biss in der Darbietung und schlicht zu wenig Punk spürbar. Klar, die grossen Hits wie „Pretty Fly (for a White Guy)“, „The Kids Aren’t Alright“ oder „Self Esteem“ laden zum (mehr oder minder melodiesicheren) Mitgrölen ein, doch eben einfach weil sie Hits sind und nicht weil wir hier einen vor Spielfreude sprühenden Auftritt miterleben würden. So wird das leider nichts mit The Offspring und mein Ersteindruck, dass die Gruppe keine sonderlich überzeugende Liveband ist, bestätigt sich leider auch beim zweiten Mal. Doch noch hat der Punk nicht Feierabend.
Rotting Christ (Fotos – Alain)
Dropkick Murphys
Denn erst steht uns noch ein Rendez-vous mit den Dropkick Murphys bevor. Die amerikanischen Urgesteine des Folk Punk bringen einen mit dutzenden tollen Songs gefüllten Rucksack mit, der es ihnen ermöglicht, ihre Auftritte abwechslungsreich zu gestalten und den Platz vor der Bühne dennoch jedes Mal in ein grosses Fest zu verwandeln. Heute sind die Murphys allerdings mit Handicap unterwegs: Sänger Al Barr scheint abwesend zu sein, denn Ken Casey kümmert sich abgesehen von den da und dort auftauchenden Backgroundvocals alleine um den Gesang. Passend zur Situation startet die Band nach „The Foggy Dew“ als Intro auch gleich mit „Middle Finger“ in ihr Set und stellt auch schon bald klar: „The Boys are back“. Dabei vertrauen sie sehr stark auf die Qualität ihrer letzten Veröffentlichung Turn Up That Dial. Ganze sechs Songs werden vom neusten Album gespielt, was bei so starken Nummern wie „Mick Jones Nicked My Pudding“ und „Good as Gold“ aber auch beinahe eine logische Konsequenz ist. Ebenfalls auffällig viele Covers kommen zum Zug. „The Bonny“, das im Original von Gerry Cinnamon ist, fügt sich dabei wunderbar in die restlichen Kompositionen ein, während „We Shall Overcome“ von Peter Seeger eher als Fremdkörper wirkt. „T.N.T.“ bietet hingegen einen interessanten Farbtupfer. Das eigentliche Highlight aus meiner Sicht bleibt aber der erste Song, den die Band geschrieben hat und den sie uns heute ebenfalls spielt: „Barroom Hero“. Auch „Rose Tattoo“ ist gewohnt stark.
Schliesslich erfahren wir, weshalb Al Barr nicht auf der Bühne steht: seine Mutter hatte einen Schlaganfall und die Demenz diagnostiziert bekommen, weshalb er nun verständlicherweise bei ihr weilt und sich um sie kümmert. Al hinterlässt schon eine grosse Lücke im Sound der Dropkick Murphys, auch wenn Ken Casey wirklich alles gibt, um ihn würdig zu vertreten. Doch die Fans feiern bis zum abschliessenden unverzichtbaren „I’m Shipping Up to Boston“ und unterstützen die Truppe lautstark. So hat sich der Punk seinen Feierabend doch noch verdient und kann den Staffelstab an den Alternative Metal übergeben.
Opeth (Fotos – Alain)
Five Finger Death Punch
Genau den spielen nämlich die direkt im Anschluss auf der Mainstage 2 auftretenden Five Finger Death Punch. Die Band aus den USA feiert seit ihrem Debutalbum vor fünfzehn Jahren grosse Erfolge und hat sich damit ihren Status als Sub-Headliner hier am Hellfest redlich verdient. Sänger Ivan Moody sieht sehr glücklich aus und grinst immer wieder über beide Ohren. Auch der Rest der Band ist mit viel Elan bei der Sache, was zu einem tollen Auftritt beiträgt, der von einer ansprechenden Lichtshow untermalt wird. Nur schade, dass das tolle Schlangenmotiv im Hintergrund so schlecht ausgeleuchtet wird und dadurch kaum sichtbar ist. Dafür ist die Publikumsnähe der Band sehr positiv herauszuheben. Immer wieder wendet sich Ivan an die Anwesenden, plaudert locker und verschenkt alle möglichen Teile seines Outfits an die vorderen Reihen.
Gerade bei letzterem scheint heute der Wurm drin zu sein. Er habe ein Problem mit seiner Garderobe und könne deshalb die Kleider nicht wie geplant wechseln, erklärt uns Ivan vor „Sham Pain“, um dann nachzuschieben, er würde normalerweise wütend infolge solcher Dinge, aber heute Abend habe er einfach zu viel Spass, als dass er sich darüber aufregen würde. In der Mitte des Auftritts wird es allerdings sogar für mich, der Publikumsinteraktion liebt beinahe etwas zu viel Gerede, auch weil die Zuhörer bei den Mitsingteilen eher verhalten mitmachen und diese dadurch in die Länge gezogen wirken. Doch alles in allem bieten Five Finger Death Punch ein zufriedenstellendes Konzert mit einem positiven Grundtenor. Den nehmen wir doch gleich mit hinüber in den Temple zu Herrn Abbath.
Abbath
Normalerweise wären aller guten Dinge drei, aber wir sind hier ja an der monströsen Jubiläumsausgabe des Hellfests und da gilt schlicht und einfach mehr ist mehr. Deshalb gönne ich mir zum Abschluss des Tages nun noch eine vierte Black Metal Gruppe. Mit Abbath ist es dieses Mal eine, die auch Elemente des Thrash und Heavy Metal in ihre Musik mischt. „Acid Haze“ macht den Anfang, „Dream Cull“ und „Ashes of the Damned“ folgen. Der Sound braucht einen Moment, bis er die vom bisherigen Tag gewohnte Qualität erreicht, aber schliesslich kriegen es die Tontechniker hin. Was Abbath uns allerdings mit seinen Ansagen mitteilen möchte, bleibt trotz der mittlerweile verbesserten Klangqualität allerdings ein Geheimnis, so unverständlich krächzt der Frontmann mit der charakteristischen Gesichtsbemalung ins Mikrofon. Vielleicht versucht er ja Französisch zu sprechen und niemand merkt es, aber vermutlich nuschelt er einfach nur. Eigentlich ist es auch egal, denn allzu tiefgründige Weisheiten sind bei Abbath auf der Bühne eher weniger an der Tagesordnung und die Musik spricht ja für sich. Zum Zuge kommen nicht nur Songs der drei Abbath Scheiben sondern auch „Warriors“, das vom Projekt I stammt und natürlich mehrere Lieder seiner ehemaligen Band Immortal. Insgesamt sind es deren drei, was für einen abwechslungsreichen Auftritt sorgt. Mit Kapriolen auf der Bühne hält sich Abbath stark zurück bis zum Schluss, als er dann doch noch kurz seiner humorvollen Seite freien Lauf lässt.
Fotos Abbath (Alain)
Mit „Withstand the Fall of Time“ geht der heutige Tag schliesslich zu Ende und nach einem kurzen Besuch der Feuerpyramiden und der Duschen ruft das Bett. Den gelungenen Auftakt zum Hellfest im Kopf gleiten wir ins Reich der Träume und erholen uns für das morgige Programm.Hellfest Part 1 – Tag 2 von 7 (Samstag, 18. Juni)
Die Aufregung macht den Wecker schlicht obsolet, für gute Musik stehe ich immer gern auf. Vor allem wenn das gestrige Niveau als Referenz gilt, durften wir doch ganz viele gute Konzerte erleben. Neben dem gelungenen Beginn mit Ferocious Dog stachen dabei insbesondere Seth mit einem überzeugenden Auftritt hervor. Hoffentlich geht das heute so weiter. Nochmals ein klitzekleines bisschen gesteigert gegenüber gestern haben sich auf jeden Fall die Temperaturen: 42° Celsius sind für heute angesagt. Zweiundvierzig! Da bringt einen bereits der Marsch vom Wohnmobil zum Konzertgelände ins Schwitzen. Zum Glück beginnt beginnt der heutige Tag im Schatten. Der Temple ruft.
Aktarum
Der erste Ruf erschallt von Aktarum. Die belgische Folk Metal Band gehört definitiv nicht zu den bekanntesten Vertretern ihrer Zunft, doch das hält die Herren nicht davon ab, mit einem breiten Grinsen die Bühne zu stürmen und per sofort einen Circle Pit im Publikum zu verursachen. Was geht denn bitteschön hier gerade ab? Die leichtfüssigen Songs über Trolle und all deren mögliche und unmögliche Unternehmungen laden aber auch wirklich zum Hüpfen und Tanzen ein. Der Schweiss fliesst ja sowieso bereits in Strömen, da kommt es auf einige tausend Tropfen mehr oder weniger wirklich nicht mehr drauf an. Das scheint übrigens auch das französische Double von Caladmor-Drummer Mäde, das seit Beginn des Auftritts hinter uns steht, so zu sehen. Aktarum fegen derweil energiegeladen und gut gelaunt über die Bühne, spielen sich um Kopf und Kragen und wissen die gute Stimmung noch mehr anzuheizen. Der Song „Troll Party“ bringt es genau auf den Punkt. Die Eruptionen von Fröhlichkeit und Ausgelassenheit im Publikum sorgen bei der mit schwarzer Kriegsbemalung geschminkten Band für grosse Augen, Staunen und vor allem auch ganz gut sichtbare Dankbarkeit. Den Höhepunkt bilden „Pirates vs Trolls“ sowie das starke „The Trolls and the Dwarves“, bei denen das Energielevel den Zenit erreicht. Und ja, sie singen praktisch ausschliesslich über Trolle. Als die Gruppe schliesslich die Bühne verlässt, werden ihre Schritte von grossem Jubel begleitet: Aktarum haben soeben komplett unerwartet für die Überraschung des Festivals und ein Wahnsinnsfest gesorgt.
Zum Glück bleibt ein kurzer Moment für eine Verschnaufpause, in der wir unseren Flüssigkeitshaushalt wieder ins Lot bringen können. Da die nächste Band ebenfalls hier im Temple spielt, schonen wir unsere Kräfte und bleiben ansonsten gleich vor Ort.
Fotos Aktarum (Alain)
Helheim
So brauchen wir uns nur zu erheben und haben tolle Plätze ganz weit vorne, als Helheim loslegen. Als Einstieg präsentieren uns die Norweger „Woduridar“, das gleich klar macht, in welche musikalische Richtung die folgende Dreiviertelstunde gehen wird. Progressiver Viking Metal steht auf der Karte und gemessen am ersten Song wird das etwas für Gourmets werden. „Dualitet og Ulver“ fällt kein bisschen ab und auch „Ni s solu sot“ sowie „LandawarijaR“ bestechen mit ihren wunderschönen Melodien. Die Band agiert eher statisch, was dem getragenen Charakter der Musik aber durchaus entspricht. Die ist gemacht dafür, in ihr zu versinken und sich ganz auf die ausgereiften Kompositionen zu konzentrieren. Das fällt mir trotz der Hitze erstaunlich einfach, woran vermutlich der glasklare Sound, welchen die Tontechnik der Band gerade auf den Leib schneidert, einen nicht unerheblichen Anteil hat. So vergeht der Auftritt wie im Fluge und Helheim dürfen einen mehr als verdienten Applaus in Empfang nehmen. Als dieser verklungen ist, setzen wir uns einmal mehr hin, und warten auf das nächste Konzert im Temple.
Helheim (Fotos – Alain)
Soldier Side (Fotos – Alain)
Me And That Man (Fotos – Alain)
Einherjer
Kurz bevor dieses losgeht, bemerke ich etwas verdutzt das Schlagzeug. Es sieht ganz anders aus, als dasjenige, welches Gerhard Storesund von Einherjer sonst jeweils auf der Bühne hat. Doch Zeit zum Nachdenken bleibt kaum, schon stürmen die norwegischen Viking Metal Pioniere die Bühne und legen los mit „West Coast Groove“. Sofort wird augenfällig, dass heute irgendetwas anders ist: die Band hat weder ihre üblichen Instrumente bei sich auf der Bühne, noch trägt sie die Bühnenkleider, mit welchen sie sonst auftritt. Sänger und Bassist Frode Glesnes beginnt zudem seine Ansage einfach mal auf Norwegisch bevor Gitarrist Ole Sønstabø ihm ins Ohr flüstert, dass ihn wohl niemand versteht. Der gute Mann scheint etwas durcheinander zu sein, was aber schlagartig nachvollziehbar wird, als er uns erklärt, dass ihre gesamte Ausrüstung auf der Reise verloren ging. Die Hellfest Bühnencrew hat sie nun mit Ersatzinstrumenten ausgestattet, so dass sie ihren Auftritt dennoch absolvieren können. Und wie sie das tun! Nachdem die erste Verwirrung gelöst ist, rocken sich Einherjer so souverän durch ihr Set wie ich es noch selten gesehen haben.
Mit einer bodenständigen Coolness, die ihresgleichen sucht, haut das Quartett „The Blood and the Iron“, „Stars“, „Nidstong“ und „Mine Våpen Mine Ord“ raus, dass es eine wahre Freude ist. Frode ist um keinen Spruch verlegen und wirft sich immer wieder in Pose, um die Menge anzustacheln. Ole soliert sich daneben gekonnt durch seine Parts und schneidet Grimasse um Grimasse. Das verführt die Fans sogar zu einigen Ruderaktivitäten, auf jeden Fall aber zu wildem Kopfschütteln. Besonders „Nord og ner“ und „Dragons of the North“ sind in dieser Hinsicht herauszustreichen. Dass Neuzugang Tom Enge ein würdiger Nachfolger von Aksel Herløe ist, stellt er neben seinem Gitarrenspiel mit gefühlvollem Gesang bei „Ballad of the Swords“ unter Beweis. „Ironbound“ markiert schliesslich den Schlusspunkt eines kraftvollen Auftritts. Einherjer haben bewiesen, dass sie auch unter ungünstigen Vorzeichen auf der ganzen Linie überzeugen können. Chapeau, meine Herren. Meinen eigenen Chapeau lasse ich noch etwas in der Tasche, denn ich bleibe dem Schatten im Temple weiterhin treu.
Fotos Einherjer (Alain)
Kampfar
Draussen brennt die Sonne weiterhin vom Himmel und langsam wird es beinahe unerträglich heiss. Vermutlich haben wir mittlerweile die 42 Grad erreicht. Besonders in den vorderen Reihen stellt die Luftqualität wirklich eine Herausforderung für die Atemwege dar. Vielleicht kann etwas klirrender Pagan Black Metal Kühlung verschaffen? Kampfar lassen sich jedenfalls die Hitze nicht anmerken und bieten ihre geballte Kraft auf. Ich habe bereits so viel Positives über die Auftritte der Band gehört, dass meine Erwartungen wirklich hoch sind. Vor einem siebenteiligen Backdrop und mehreren Bannern steigen Kampfar mit „Our Hounds, Our Legion“ in ihr Set ein und noch hat die Abmischung etwas Luft nach oben. Das hindert Frontmann Dolk aber nicht im Geringsten daran, das Publikum anzustacheln und gleich von Beginn weg in den Auftritt einzubeziehen. Wenn das so weitergeht, werden meine Erwartungen definitiv erfüllt. „Ophidian“ ist an der Reihe und ja, es geht so weiter.
Dolk ist wirklich ein total charismatischer Frontmann, der voll in Kampfars Musik aufgeht. Ständig in Bewegung animiert er die Anwesenden immer wieder dazu mitzumachen. Aber auch die Bandmitglieder an den Instrumenten lassen nichts anbrennen und sind sehr präsent auf der Bühne. Mittlerweile sind wir bei „Helvete“ angelangt, dass von vielen Fans bejubelt wird. Mit „Tornekratt“ setzen die Norweger aus meiner Sicht sogar noch einen drauf. Der Song ist der Höhepunkt des in seiner Gesamtheit bereits mehr als gelungenen Auftritts. Als die letzten Klänge verstummen, stehe ich da mit meinen grossen Erwartungen. Kampfar haben sie haushoch übertroffen.
Ich hoffe, ihr könnt in der Zwischenzeit einen ebenso überzeugenden Auftritt geniessen, Matthias.
Heaven Shall Burn
Matthias: Danke Raphi, das können wir in der Tat. Als nächstes steht nämlich zumindest bei einem Teil von uns Heaven Shall Burn auf der akribisch vorbereiteten Liste. Die Metalcorer stehen dieses Jahr auch schon 26 Jahre auf der Bühne, was der Performance aber keinen Abbruch tut, im Gegenteil, die grosse Bühnenerfahrung der Band bringt die Stimmung schnell zum Kochen, auch wenn es noch nicht mal 17 Uhr ist. Wie gewohnt von Heaven Shall Burn fahren sie mit einer Bühnendeko auf, die auch in späteren Slots mehr als würdig gewesen wäre. Und natürlich dürfen auch die obligaten Flammenwerfer nicht fehlen, egal, ob schon 40 Grad herrschen oder nicht. Frontman Marcus Bischoff stört die Hitze anscheinend auch überhaupt nicht. Konstant animiert er die Fans mit Klatschen und Hey-Rufen, so dass bald nicht nur vorne gepogt und mitgemacht wird. Auch bei uns ziehts gewisse Leute in die vorderen Reihen. Und natürlich darf auch der obgliate Wall of Death nicht fehlen, immerhin mit den mahnenden Worten: „Please protect each other, ok?“
Mit viel Power folgt ein Song dem nächsten, Verschnaufspausen gibt’s praktisch keine, so dass wir gar nicht merken, wie schnell die Zeit umgeht. Und nach 45 Minuten heissts dann „Merci bien“ und mit dem Song „Endzeit“ verabschieden sich Heaven Shall Burn auch schon wieder, auch wenn Marcus Bischoff es sich nicht nehmen lässt, im Schlussapplaus noch eine Runde auf der Crowd zu surfen. So macht Metalcore definitiv Spass. Was steht bei dir als nächstes an, Raphi?
Exciter
Raphi: Bei mir steht Speed Metal der alten Schule im Altar an. Exciter haben den weiten Weg von Kanada auf sich genommen, um uns mal so richtig die Ohren durchzupusten. „Violence & Force“ macht den Anfang, gefolgt von „Stand Up and Fight“ und „Victims of Sacrifice“ . Dan Beehler ist definitiv nicht zu beneiden. Bei diesen Temperaturen neben dem Schlagzeugspiel auch noch zu singen, ist vermutlich nur der Vorname von anstrengend. Zwischen den Songs kümmert er sich zudem auch noch um die Ansagen. Leider ist die Resonanz vor der Bühne eher gering, was ich nicht ganz verstehe. Zugegeben, hin und wieder rumpeln die Drumbeats ein wenig und der Gesang verfügt natürlich bei weitem nicht über die Brillanz der Albenversion aus den 80er Jahren, aber die Leidenschaft, welche Exciter hier an den Tag legen, wiegt dies aus meiner Sicht problemlos auf. Das betrifft übrigens nicht nur Dan sondern auch Allan Johnson am Bass und Gitarrist Daniel Dekay, den Jüngsten im Bunde. Mehr Stimmung kommt trotz des geringen Publikumsaufmarschs bei „Heavy Metal Maniac“ und „Long Live the Loud“ auf. Zwischendrin kommt Daniel noch mit einem ausgedehnten Gitarrensolo zum Zuge und liefert dabei standesgemäss ab. Eine gelungene Coverversion von Motörheads „Iron Fist“ beschliesst den coolen Auftritt und passt wie die Faust aufs Auge zur neuen stählernen Statue von Lemmy, die das Hellfest dieses Jahr präsentiert hat. Offen bleibt nur noch die Frage, wo denn eigentlich all die Leute hin sind?
Alestorm
Matthias: Die warten mit uns vor der Mainstage 2 auf die nächste Band. Und dann kommt der Moment, wo eine grosse (wirklich grosse) gelbe Gummiente auf die Bühne gebracht wird und LED Screens beginnen, wieder mal farbige Logos zu zeigen. Spätestens da wird klar, es muss Alestorm sein. Hatten wir die doch zuletzt 2008 gesehen, damals noch als «echte schottische Piratenmetalband». Zum Einstieg wird auch gleich ein Klassiker eingestimmt, mit „Keelhauled“ kommt zumindest bei uns sowas wie Nostalgie auf. Das wandelt sich aber im Laufe des Konzerts, spätestens als die bierseligen Lieder zum Besten gegeben werden. Dies ist wohl auch das, was das Publikum hier erwartet. Es wird fröhlich mitgesungen und vor allem auch mitgetrunken im doch zahlreich erschienenen Publikum. Alestorm führen souverän auf dem locker leichten Niveau durchs Konzert, so viel mitdenken muss man ja nicht, auch nicht bei den Texten. Und die Melodien sind ebenso eingängig, so dass sie trotz Unwillen noch stundenlang nachhallen. Mit «Drink» und «Fucked with an Anchor», den letzten beiden Liedern, passiert uns das dann prompt auch. Aber das ist wohl das Erfolgsgeheimnis rund um Alestorm. Damit wieder zurück ins Studio.
Rival Sons (Fotos – Alain)
Agnostic Front
Raphi: Das verlegen wir doch spontan vor die Warzone Bühne. Dort gibt es nämlich eine geballte Ladung Hardcore Punk zu hören. Verantwortlich dafür sind Agnostic Front. Die musikalischen Veteranen aus den USA sind gerade voll bei der Sache mit „Dead to Me“, während sich die Fans in der prallen Sonne die Seele aus dem Leib moshen. Von „My Life My Way“ über „Old New York“ bis zu „All Is Not Forgotten“ steigt die Stimmung immer weiter. Bei „Peace“ bekommt Sänger Roger Miret sogar noch Unterstützung von Chris von Do or Die. Der Circle Pit kommt nur zur Ruhe, wenn die Leute mit Hüpfen beschäftigt sind. Wirklich jede und jeder in der Warzone singt aber bei „Gotta Go“ mit und zwischen der Bühne und dem Mischpult gibt es kein Halten mehr. Meine Herren von The Offspring, so wird das gemacht. Am Ende spielen Agnostic Front ebenfalls ein Cover als Abschluss, allerdings keines von Motörhead sondern eines der Ramones. Genau, „Blitzkrieg Bop“ mobilisiert nochmals die letzten Reserven und lässt eine zufriedene durchgeschwitzte Menge zurück. Zum Glück steht jetzt eine kurze Pause an, so dass ich mich auf dem Weg zum Temple im Food Court mit Essen eindecken kann.
Ensiferum
Für Ensiferum benötige ich meine Batterien nämlich in aufgeladenem Zustand. Die Finnen sorgen mit ihrem episch angehauchten Folk Metal regelmässig für einen hohen Energieverbrauch. Wenn sie ihren Auftritt dann auch noch mit „Rum, Women, Victory“ beginnen, bleibt keine Zeit um durchzuschnaufen. Im Gegenteil, der Kopf will geschüttelt, die Fäuste gereckt werden. Dass zahlreiche Kehlen den Refrain mitsingen, versteht sich von selbst. „Token of Time“ und „One More Magic Potion“ werden von den Fans genau so gut aufgenommen. Danach folgen zwei Songs vom immer noch neusten Album Thalassic und zwar „Run From the Crushing Tide“ und „For Sirens“. Besonders erstgenannter geht voll ab. Nur die etwas schräg in der Landschaft liegenden Gesangseinlagen von Keyboarder Pekka Montin können mich nicht so richtig vom Hocker hauen.
Bei „In my Sword I Trust“ kriegen Ensiferum dann einmal mehr laute gesangliche Unterstützung vom Publikum. Der Song funktioniert live einfach prima, auch wenn er ab Konserve nicht dieselbe Wirkung entfalten kann. Das sieht beim folgenden „From Afar“ doch anders aus; der funktioniert sowohl ab Konserve wie auch live genau gleich gut und ist heute definitiv eines der Highlights. Ja und dann kommt „Lai Lai Hei“. Vor vier Jahren haben Ensiferum hier am Hellfest den Rekord für das grösste Ruderfeld überhaupt aufgestellt (das könnt ihr im entsprechenden Bericht hier nachlesen). Damals dachte ich, grösser wird schwierig, doch die anwesenden Zuschauer belehren mich eines besseren. Je länger der Song andauert, desto mehr Ruderer finden sich ein. Um das Mischpult herum und weit darüber hinaus setzen sich die Leute hin und rudern gemeinsam zu „Lai Lai Hei“, dass es eine wahre Freude ist. Dass das anschliessende „Andromeda“ da nicht ganz mithalten kann, ist geschenkt. Vor allem weil Ensiferum zum Schluss mit dem nun schon länger nicht mehr gespielten „Iron“ die Stimmung ein letztes Mal in die höchsten Höhen treiben: Tatadadaaa Tatadadaaa! Welch vergnügliches Konzert. Für etwas Abwechslung huschen wir als nächstes vor die Valley Bühne gleich nebenan.
Mono and the Jo Quail Quartet
Dort angekommen legen auch schon Mono los, die sich Verstärkung in Form des Jo Quail Quartet geholt haben. Mit ihrem instrumentalen Post Rock haben die Japaner nach den Feierlichkeiten bei Ensiferum zugegebenermassen gerade etwas Schwierigkeiten so ganz zu mir durchzudringen, was aber keineswegs an ihrer musikalischen Leistung liegt. An dieser gibt es nämlich nichts auszusetzen und dementsprechend kommen Mono in unserer Gruppe auch durchaus gut an. Mich lädt die Musik dazu ein, herunterzufahren und in den Klängen hin und her zu treiben. Die meisten Zuschauer um mich herum scheinen den Auftritt von Mono ebenfalls still für sich zu geniessen. Durch die manchmal sphärisch anmutenden Klänge schon beinahe erholt, machen wir uns schliesslich auf, um auf der Mainstage 2 eine Legende zu begutachten.
Deep Purple
Die hört auf den Namen Deep Purple und hat bereits gut einen Viertel ihres Konzerts hinter sich, als wir im Bereich vor der Bühne eintreffen. Doch leider, leider entpuppen sich Deep Purple als jene Art von Legende, die ihre Blüte hinter sich haben. Fairerweise muss ich allerdings anmerken, dass ich die Band in ihren jungen Jahren nicht live gesehen und deshalb keine Vergleichsmöglichkeit habe. Vielleicht war das Quintett schon immer so…gemütlich unterwegs. Die Herren scheinen Freude an ihrer Musik zu haben und vor allem auch daran, sie gemeinsam zu spielen. Doch irgendwie wirkt der Auftritt eher wie eine Jam Session mit Zuschauern, als eine Rockshow. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch Don Aireys ausgedehntes Keyboardsolo, das sich mit Unterstützung durch die Gitarre ziemlich lange hinzieht. Schön zu sehen, dass Deep Purple immer noch Spass an ihrer Musik haben, für den Konzertslot zu dieser Paradezeit hätte ich mir aber einen weniger introvertierten Auftritt gewünscht, der für mehr Stimmung sorgt. Dann ruhen die Hoffnungen halt auf dem nun folgenden Headliner.
Ghost
Einem Headliner, der nicht ganz unumstritten war im Vorfeld. Doch Ghost, die als Ersatz für Faith No More eingesprungen sind, haben sich ihren Platz im Billing mühsam erarbeitet. Auch aufgrund der Verbundenheit mit dem Hellfest, das bereits früh an die Band geglaubt hat, ist der heutige Auftritt eine passende Sache. Schade nur, dass genau jetzt der Wind dreht und auffrischt. Dadurch erhalten wir zwar eine willkommene Kühlung nach der Hitze des Tages, doch drücken die Luftmassen auch den gesamten Sound direkt zur Bühne zurück. Stellenweise ist der Klang so dumpf, dass kaum die Melodien auszumachen sind. „Rats“ leidet stark darunter, „From the Pinnacle to the Pit“ kommt etwas besser weg. Bei den Ansagen zwischen den Songs fällt es mir dann nicht leicht, Papa Emeritus IV zu verstehen. Tobias Forge, der die Figur verkörpert spricht ja jeweils sehr ruhig und bedacht, was bei diesem Wind dazu führt, dass seine Worte zu einem beachtlichen Teil einfach untergehen.
Reagiert das Publikum vielleicht deshalb eher zurückhaltend auf die Interaktionen? Wer weiss, dafür fährt die Band alles auf, was so eine Bühnenshow hergibt: Dekoration, Licht, Kleiderwechsel, Spezialeffekte. Spezialeffekte? Ja genau, bei „Miasma“ wird nämlich ein uralter Papa Nihil (in der Ghost-Geschichte der erste Papa überhaupt) auf einer Bahre hereingefahren und mit „Elektroschocks“ reanimiert, damit er ein Saxophonsolo spielen kann. Auch die namenlosen Ghule kriegen eine Gelegenheit für ein Solo und sie nutzen diese gleich für ein kleines Gitarrenbattle. Überhaupt ist interessant, wie viel Platz die anonymisierten Musikerinnen und Musiker in der Show erhalten, obwohl doch der Fokus alleine schon durch die jeweilige Kostümierung ganz klar auf dem Frontmann liegt. Der führt heute eher unaufgeregt durch das Programm und lässt weniger das kauzige Religionsoberhaupt raushängen als erwartet, sondern gibt vielmehr den höflichen Showmaster. Einzig in seinen Kostümen zeigt sich der Bezug zur Kirche noch stark und als bei der Live Premiere von „Griftwood“ mit den Sisters of Sin ein Chor verkleidet als Ordensschwestern gesangliche Unterstützung leistet. Das anschliessende „Dance Macabre“ soll der zweitletze Song werden, doch als das Stück zu Ende ist, erklärt Papa Emeritus IV, dass seine Stimme komplett hinüber sei. Es tue ihm sehr leid, aber er sei nicht in der Lage einen weiteren Song für uns zu singen. Ghost können also heute nicht aus dem Vollen schöpfen und müssen bei ihrer Show mit einigen Abstrichen auskommen. Eine aufwändige Produktion haben sie uns aber allemal mitgebracht, auch wenn die nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die Musik bei genauerer Betrachtung schon sehr seicht ist.
Im Anschluss an den Auftritt von Ghost ist ein Feuerwerk geplant, um das Jubiläum des Hellfests zu feiern, doch irgendwie passiert gerade gar nichts. Auf Nachfrage bei einigen umstehenden Einheimischen erfahren wir, dass das Feuerwerk aufgrund der grossen Hitze und vor allem Trockenheit nicht stattfinden kann. Da können wir nichts daran ändern, dafür haben wir genügend Zeit, um gemütlich in den Temple zu wandern zum letzten Konzert für heute.
Windir (Vreid)
Im Temple angekommen sticht vor allem eines sofort ins Auge: das Backdrop, auf dem gross das Logo von Windir zu sehen ist. Die melodische Black Metal Band gibt es nicht mehr seit dem sehr frühen Tod ihres Gründers Valfar vor bald zwanzig Jahren, doch heute kommen wir in den Genuss eines speziellen Auftritts. Die Mitglieder von Vreid, die früher allesamt bei Windir aktiv waren, spielen uns das komplette Album 1184 von Windir vor und auch wenn Valfar nicht mehr unter uns weilt, ist das erwähnte Backdrop definitiv angemessen für diesen Auftritt in der erwähnten Konstellation. Das instrumentale Intro Stri stammt von der Tributcompilation Valfar, ein Windir. Ein sehr schönes kleines Detail, wie ich finde. Darauf steigt die Band mit dem „Todeswalzer“ ein und löst Jubelstürme im Publikum aus. Wenn mich meine Augen nicht täuschen haben sie für den Gesang sogar Vegard Bakken aufgeboten, den Bruder von Valfar. Bis auf den Sound stimmt hier gerade alles. Dieser ist nämlich noch sehr basslastig und stark übersteuert. Hoffentlich kriegt die Technik das im Laufe des Konzerts in den Griff.
Nach „1184“ geht es weiter mit „Dance of Mortal Lust“ und „The Spiritlord“, bei denen erstmals Pyroeffekte eingesetzt werden. Hier unter dem Zeltdach des Temple ist das eher eine Seltenheit und streicht den besonderen Aspekt dieses Konzerts noch mehr hervor. Mittlerweile haben die Tonmenschen auch die richtigen Regler gedreht und obwohl der Klang nicht gerade glasklar ist, so können wir nun doch genügend von der Musik hören, um sie auch angemessen zu schätzen. Beim Durchspiel eines kompletten Albums bleiben Überraschungen in der Setlist meist aus, doch die Norweger präsentieren uns in der Mitte ihres Gigs eine Coverversion von „Paint It Black“. Wirklich brauchen tut es die nicht, aber irgendwie ist sie auch passender als jeder andere Song, den die Band im Repertoir gehabt hätte. „Heidra“, „Destroy“ und „Black New Age“ stehen als nächstes an, bevor wir zum Abschluss und unter nochmaligem grossen Feuereinsatz das grosse „Journey to the End“ in seiner ganzen Länge zu hören kriegen. Der Zuspruch der versammelten Fans zeigt, dass Windir gerade alles richtig gemacht haben – und ja, für heute Abend sind es Windir, die sich hier auf der Bühne verabschieden und Valfar wäre stolz auf sie.
Mit dem Gefühl, eine Zeitreise in die Vergangenheit miterlebt zu haben, begebe ich mich ins Bett, um einige Stunden Schlaf zu kriegen, bevor am morgigen Tag das Hellfest schon bald wieder lockt.
Hellfest Part 1 – Tag 3 von 7 (Sonntag, 19. Juni)
Bereits beim Aufwachen wird mir klar: die Hitze ist überstanden. Heute ist es zwar immer noch warm, aber doch um einiges kühler als gestern. Die perfekten Voraussetzungen für einen weiteren tollen Tag sind also gegeben. Das gestrige Programm war auf jeden Fall reich an Höhepunkten. Aktarum haben für die Überraschung schlechthin gesorgt und Einherjer allen gezeigt, was Lässigkeit bedeutet. Der aussergewöhnliche Auftritt von Windir darf natürlich ebenfalls nicht unerwähnt bleiben in dieser Hinsicht und was Kampfar abgeliefert haben, war Spitzenklasse. Mit diesen Gedanken im Kopf vergeht der Weg zur Warzone wie im Flug und der heutige Tag kann losgehen.
Landmvrks
Selbe Zeit wie gestern, anderer Ort. Und natürlich eine andere Band, denn heute beginnen Landmvrks den Konzertreigen. Das tun sie mit „Lost in a Wave“ sehr souverän. Das französische Quintett weiss, wie es mit seinem Metalcore Bewegung vor der Bühne erzeugt. Frontmann Florent Salfati hat die Menge mit seinen Ansagen in der Landessprache sowieso im Sack und die Instrumentalfraktion lässt ebenfalls nichts anbrennen, um Songs wie „Death“ oder „Scars“ sauber und präzise vorzutragen. Landmvrks bieten hier rundum alles, was der geneigte Festivalgänger von einer Metalcoreband erwartet und die Band tut dies auch noch mit viel Energie unter Einsatz aller Bewegungsmöglichkeiten, die sich ihr auf der Bühne so bieten. Wer bisher noch nicht richtig wach war, sollte spätestens jetzt geistig präsent sein und motiviert in den dritten Festivaltag starten können. Schauen wir mal auf der Mainstage 2 vorbei, ob es dort so weitergeht.
Sortilège
Mit Sortilège bleiben wir in den französischen Landen, wechseln aber das Genre zum klassischen Heavy Metal. Um die Band gab es in der Vergangenheit einige Verwirrung, so dass hier vielleicht noch klargestellt werden muss, dass es sich um die Version mit Christian „Zouille“ Augustin, dem ursprünglichen Sänger der Band am Mikrofon handelt. Sortilège erwischen eine gute Abmischung, bei der alle Elemente der Musik gut hörbar sind. Zudem ist Zouille trotz seines Alters wirklich gut bei Stimme, was zu einem musikalisch angenehmen Konzert führt. Besonders „Chasse le Dragon“ und „D’ailleurs“ wissen zu gefallen. Noch etwas Luft nach oben hat dafür die Performance der Band. Die ist etwas gar zurückhaltend und dürfte locker noch etwas mehr „Pfupf“ vertragen. Das führt dazu, dass die Mitsingteile von den Leuten im Publikum eher kraftlos als voller Inbrunst mitgesungen werden, ein Umstand, der keinem Mitsingteil wirklich gut tut. Doch mit der Bandhymne „Sortilège“ endet der Auftritt versöhnlich. Der Song geht schön ab, bringt nochmals alles auf den Punkt wofür Sortilège stehen und mobilisiert die Fans dazu, etwas mehr aus sich heruaszukommen.
Nach diesem soliden Auftritt, brauchen wir uns kaum zu bewegen, um zur benachbarten Mainstage 1 zu gelangen und gute Plätze für das folgende Konzert zu ergattern.
Lacuna Coil
Von diesen aus haben wir eine sehr gute Sicht auf die Bühne, als Lacuna Coil nach dem Intro mit „Blood, Tears, Dust“ loslegen. Die ganze Band hat sich in Schale geworfen und während die Banner auf der Bühne ganz in Rottönen gehalten sind, bieten die schwarz-weissen Kostüme einen interessanten Kontrast dazu. Die Abmischung kann leider nicht mit der optischen Präsentation mithalten und begräbt ziemlich viel der tieferen Fequenzen untereinander. Im Endeffekt resultiert ein sehr dumpfer Klang daraus, den auch Cristina Scabbias Stimme nicht richtig zu durchdringen mag. Der Fokus der Setlist liegt klar auf dem neueren Material der Band, wobei die aktuelle Veröffentlichung Black Anima den grössten Raum einnimmt. Am Auftritt selbst gibt es nichts auszusetzen. Lacuna Coil spielen ein souveränes Konzert, agieren dabei als eingespielte Einheit und lassen auch den Kontakt zu den Fans nicht zu kurz kommen. Wenn doch nur der Mix besser wäre. Ist das bei euch in der Warzone auch so schlecht abgemischt, Siman?
Fotos Lacuna Coil (Alain)
Moscow Death Brigade
Siman: Nein, bei uns ist in dieser Hinsicht alles im grünen Bereich. Moscow Death Brigade gehören mit ihrem Hip Hop Sound an einem Metalfestival doch eher zu den Aussenseitern. Daher bin ich um so mehr erstaunt, dass die Warzone bis auf den letzten Platz gefüllt ist und die Masse tobt. Die Band spielt viele altbekannte Songs und natürlich werden Hits wie „Brother & Sisterhood“ oder „Never Walk Alone“ in Perfektion dargeboten. Die Warzone kocht, wird jedoch rasch still als die Band plötzlich eine Pause einlegt und ein Statement zum aktuellen Kriegsgeschehen einlegt. Gerade mit einem so provokativen Bandnamen war dies zwar zu erwarten gewesen, dennoch setzen sich die Musiker damit gewissen Gefahren aus, auch wenn ihre Identität bis heute unbekannt ist. Das Puplikum goutiert es jedoch mit tosendem Applaus und die Band setzt zum nächsten Song an. Raphi, bei dir gehts weiter auf der Mainstage 2, oder?
Battle Beast
Raphi: Da hast du absolut recht. Hier beginnt nämlich soeben das Konzert von Battle Beast. Die finnische Power Metal Band wollte ich schon immer mal live erleben und nun ist es soweit. Dem Sextett eilt ein Ruf voraus und ich bin gespannt, ob sie dessen Versprechungen einlösen können. Mit „Circus of Doom“ steigt die Band bereits kraftvoll ein und als Noora Louhimo ihre Stimme erhebt, bin ich hin und weg. Die Kraft, die ihrem Gesang innewohnt, fehlt auch hier auf der Bühne nicht und spätestens beim anschliessenden „Straight to the Heart“ kann ich vollkommen verstehen, wie Battle Beast ihren Ruf als Liveband erlangt haben. Noora hat einfach eine riesige Präsenz auf der Bühne und strahlt ganz viel Charisma aus. Die etwas schwächere Komposition „Eye of the Storm“ ist als nächstes dran, darauf folgt „Where Angels Fear to Fly“, mit dem es wieder aufwärts geht. Mittlerweile hat sich vor uns der lustigste Moshpit gebildet, den ich je gesehen habe. Es scheint beinahe, als ob von seinem Zentrum eine Zentripetalkraft ausgehen würde. Die Beteiligten kleben mehr in einem grossen Knäuel aneinander, als dass sie umherspicken würden. Uns soll es recht sein, denn auf diese Weise werden die Umstehenden buchstäblich praktisch in keiner Weise davon berührt.
Die Band fordert währenddessen immer wieder die Zuhörer zu Hey-Rufen auf, was von diesen auch entsprechend angemessen beantwortet wird. So auch bei „Wings of Light“ und „Eden“, wobei letzteres live um einiges besser wirkt, als ab Konserve. „Master of Illusion“ stellt für mich dann den Höhepunkt des Konzerts dar, der auch vom Rausschmeisser „King for a Day“ nicht mehr übertroffen werden kann. Battle Beast sind ihrem Ruf als hervorragende Liveband gerecht geworden und hinterlassen viele zufriedene Gesichter vor der Bühne.
Damit nicht nur das Gesicht sondern auch der Magen zufrieden ist, machen wir uns auf, um im Food Court etwas Feines zwischen die Zähne zu kriegen. Beim Weglaufen höre ich noch mit einem Ohr wie Car Bomb mit ihrem Auftritt beginnen und erklären, dass ihr Sänger leider nicht erscheinen kann. Die Pechvögel haben sich dennoch dazu entschieden, den Gig durchzuziehen und spielen ihre Musik einfach instrumental. Die Fans werden das sicher zu schätzen wissen, doch mich lockt jetzt die französische Küche.
Inter Arma (Fotos – Alain)
Cân Bardd (Fotos – Alain)
Doro (Fotos – Alain)
Jinjer
Gut gestärkt finden wir uns etwas später vor der Mainstage 1 ein, um uns das Konzert von Jinjer anzuhören. Die ukrainische Band hat extra eine Ausreisebewilligung erhalten, um als kulturelle Botschafter auf die unhaltbaren Zustände in ihrem Land hinzuweisen. Auch abgesehen von diesem traurigen Hintergrund sind Jinjer aktuell so etwas wie die Band der Stunde. Dieser Gruppe haftet ebenfalls der Ruf an, eine formidable Livekombo zu sein und energetische Auftritte zu absolvieren. Die an sie gestellten Erwartungen kann das Quartett dann mit ihrer Mischung aus Djent und Metalcore von Beginn weg erfüllen. Natürlich ist zuvorderst die gesanglich Leistung von Tatiana Shmailyuk äusserst beeindruckend, aber auch Roman Ibramkhalilov an der Gitarre und Eugene Abdukhanov am Bass glänzen mit ihren Fertigkeiten und das trifft genauso auf Schlagzeuger Vladislav Ulasevish zu. Interessanterweise verzichten Jinjer aber darauf, ihren Auftritt auf den Videoleinwänden neben der Bühne übertragen zu lassen, was es den hinteren Reihen erschwert bis verunmöglicht, etwas vom Geschehen auf der Bühne mitzubekommen. Was der Grund für diese Entscheidung ist, erschliesst sich uns nicht. Kameras wären mehr als genügend da, denn das Konzert wird wie so viele hier am Hellfest in formidabler Qualität live auf Arte Concert übertragen.
Jinjer geben aber auch ohne Videoleinwände Vollgas und spielen sich druckvoll durch ihr Set. Auf die Dauer wird mir das etwas zu gleichförmig, da die technische Seite der Musik doch sehr stark im Vordergrund steht, aber das hat mehr mit meinem persönlichen Geschmack als mit der Leistung der Band zu tun. Mit dem Doppelpack „Vortex“ und „Colossus“ ist schliesslich das Ende einer interessanten Dreiviertelstunde erreicht und ich bin froh, habe ich mir Jinjer einmal live zu Gemüte führen können. Als sich die wahrlich grosse Menge, welche sich für Jinjer vor der Bühne angesammelt hat, langsam auflöst, mache ich mich auf den Weg Richtung Temple.
Fotos Jinjer (Alain)
Borknagar
Im Temple stehen als nächstes Borknagar an. Die Band ist immer etwas an mir vorbeigerauscht, weshalb ich ihr hier nun eine Chance geben will. Der erste Song „The Fire That Burns“ ist schon mal keine schlechte Sache, doch es ist das folgende „Frostrite“, welches mich in den Bann der Mischung aus Viking Metal und progressivem Black Metal zieht. Auch „The Rhymes of the Mountain“ zeigt, dass Borknagar definitiv ein Händchen für wehmütige Melodien haben. „Up North“ schlägt genau in dieselbe Kerbe, nein, es setzt ehrlichgesagt sogar noch einen drauf. Herrlich, was ICS Vortex hier aus seiner Stimme herausholt. Anschliessend übernimmt im ruhigen „Voices“ Lazare die Führung am Gesang. Der Song funktioniert sehr gut als Kontrastpunkt und quasi Verschnaufpause bevor es mit „Colossus“ weitergeht. Die Band hält das hohe Niveau, auch was die Qualität und Kraft ihres Spiels angeht, einfach das ganze Konzert hindurch und überrascht mit Melodien ohne Ende. „Ruins of the Future“ spannt einen schönen Bogen in Richtung Schluss des Auftritts. Mit der heute gezeigten Darbietung haben sich Borknagar definitiv zu einer meiner Top Entdeckungen des Festivals gemausert und mit den letzten Liedfetzen des Schlussstücks „Winter Thrice“ noch immer im Kopf, mache ich mich auf ins Valley.
Fotos Borknagar (Alain)
Red Fang (Fotos – Alain)
Life of Agony
Hier geht es weiter mit Life of Agony und musikalisch bewegen wir uns in ganz anderen Gefilden als soeben. Alternative Metal ist angesagt und Life of Agony machen von Beginn weg ziemlich viel Druck auf der Bühne. Die Band ist aktiv springt, rennt und kniet sich voll in den Auftritt rein. Vor allem Sängerin Mina Caputo scheint total unter Strom zu stehen oder dann ist sie nervös. Auf jeden Fall zupft sie ständig an ihrem Outfit rum, spielt mit ihren Haaren und kann kaum eine Sekunde ruhig verharren. Das Konzert erhält dadurch einen sehr energetischen Anstrich, allerdings leidet die Treffsicherheit etwas darunter, was die richtigen Töne angeht. Fans der Band kommen aber sicher zu einem sehenswerten, engagierten Auftritt. In unserer Gruppe sind wir uns schliesslich einig, dass Life of Agony ganz in Ordnung sind. Worin wir uns nicht einig sind, ist die Frage, wer denn nun die Band auf unsere personalisierte Running Order gesetzt hat. Daran kann sich nämlich im Nachhinein keiner mehr erinnern, was auf dem Weg in die Warzone für Amüsement allenthalben sorgt.
Fotos Life of Agony (Alain)
While She Sleeps
Pause ist keine eingeplant, denn schon legen While She Sleeps mit ihrem Metalcore los und verwandeln die Warzone in ein Meer aus schwitzenden hüpfenden Menschen. Die beiden Gitarristen stehen der Menge in nichts nach und sind ständig in Bewegung. Die Musik mit ihren vielen mitreissenden Momenten animiert aber auch wirklich dazu, sich gehen zu lassen. Dass der Aufbau praktisch aller Songs zudem perfekt geeignet ist, um eine Wall of Death durchzuführen, nutzen die vorderen Reihen schamlos aus, um genau dies zu tun. So viele Walls of Death an einem einzigen Konzert habe ich echt noch nie gesehen. Von diesem Zuspruch angestachelt, unternimmt der Sänger immer wieder Ausflüge an den Bühnenrand und kniet sich nieder, um möglichst direkt zu den Fans zu singen, bis er schliesslich auf den Schultern der vorderen Reihen steht und von der Menge auf Händen getragen weitersingt. Der aufbrandende Jubel gibt der Band Recht, als das Konzert nach einer Stunde vorüber ist. Das war ein starker und sehr zugänglicher Auftritt, an dem es nichts auszusetzen gibt.
Das Tüpfelchen auf dem i ist dann, dass wir genügend Zeit haben, um zur Mainstage 2 zu wechseln, weil das nächste Konzert dort erst in zwanzig Minuten beginnt. Zur heutigen Abwechslung handelt es sich mal um eine Band, die ich bereits live erleben durfte.
Judas Priest
Total entspannt sind wir also bereit für Judas Priest und die haben noch etwas gutzumachen. Denn beim letzten und bisher einzigen Mal, als ich sie gesehen habe, konnten sie mich leider nicht wirklich vom Hocker hauen (das war auch am Hellfest und Details dazu könnt ihr im entsprechenden Bericht hier nachlesen). Zu den Introklängen betritt die Band die Bühne, welche im postapokalyptisch angehauchten Stil dekoriert ist und legt los mit „One Shot at Glory“. Doch bald bestätigt sich mein Eindruck vom letzten Mal: mit Judas Priest werde ich auf der Bühne einfach nicht warm. Richie Faulkner bleibt der grösste Aktivposten der Band und der hält sich heute stärker zurück als 2018, was vermutlich auf seine Verletzung vom Frühling zurückzuführen ist. Rob Halford ruft eine respektable gesangliche Leistung ab, doch sein Auftritt wirkt einfach zu entspannt und leger. Zudem lässt er das Publikum in meinen Augen zu oft die grossen Stellen in den Refrains alleine singen. Ein, zwei mal pro Song sind ja ganz in Ordnung, aber wenn wie in „Turbo Lover“ ausnahmslos jeder Refrain zu Beginn ohne Gesang von Rob auskommen muss, tut das den Liedern einfach nicht gut. Da hilft es dann auch nichts mehr, dass mit „Freewheel Burning“ einer meiner Lieblingssongs der Band gespielt wird. Zwei Chancen erhalten, zweimal nicht genutzt – ab jetzt überlasse ich Judas Priest den Fans, die hoffentlich mehr aus ihren Auftritten ziehen können. Wer weiss, vielleicht geht es in der Warzone ja mehr ab.
Walls of Jericho
Viertel nach elf in der Warzone: auf der Bühne steht eine Frau und fordert mit gutturaler Stimme einen Circlepit. Die Frau ist Candace Kucsulain, Sängerin von Walls of Jericho und hat eine derart gewaltige Bühnenpräsenz, dass niemand vor der Bühne auch nur den geringsten Gedanken daran verschwendet, etwas anderes zu tun, als ihrer Forderung nachzukommen. Gerade zu Beginn ist zwar der Sound noch überwältigend dröhnend, aber das hindert einerseits niemanden daran auszurasten und bessert sich im Laufe des Konzerts noch stark. Für subtile Feinheiten sind Walls of Jericho musikalisch ja sowieso nicht bekannt, wenn ich das richtig in Erfahrung gebracht habe. Dafür mobilisiert der gespielte Hardcore die ganze Warzone dazu, unter der Anleitung von Candace durchzudrehen. Gewiss, die Instrumentalfraktion macht ebenfalls einen prima Job, aber die Frontfrau zieht den Fokus mit ihrem vor Energie strotzenden Auftreten und ihren Ausflügen ans Gitter zu den Fans derart stark auf sich, dass es beinahe eine willentliche Anstrengung ist, sich auf jemand anderen auf der Bühne zu konzentrieren. Da bei Songs wie „I Know Hollywood And You Ain’t It“, „Relentless“ oder „All Hail the Dead“ aber der ganze Bereich vor der Bühne zu einem einzigen grossen Pit verschmilzt, ist Konzentration im Moment sowieso keine einfache Sache. Die einstündige Spielzeit vergeht unter diesen Umständen natürlich wie im Fluge und das Quintett wird unter sehr grossen Beifallsbekundungen nur ungern von der Bühne entlassen. Was für eine Eruption!
Gojira
Da haben es Gojira auf der Mainstage 1 nun natürlich nicht leicht, an dieses Level anzuschliessen. Infolge einer kleinen Überschneidung in der Running Order verpassen wir den Beginn, aber als wir eintreffen, wird uns sofort klar, dass die französische Progressive Death Metal Band ihren Headlinerslot vollkommen auszufüllen weiss. Waren die Übertragungen auf den Videoleinwänden bei den bisherigen Bands bereits von sehr guter Qualität und haben wirklich einen schönen Mehrwert mit interessanten Aufnahmen geboten, vermischen Gojira die Direktübertragung mit optischen Effekten, Videoeinspielungen und allen möglichen Arten von Filtern, um die Bilder auf den Leinwänden zu einer grossen dynamischen Kulisse werden zu lassen. Die Band bringt so quasi ihre Videoclip-Ästhetik live auf die Bühne, mischt sie mit klassischen Bühneneffekten aus Feuer und Rauch und das funktioniert im Zusammenhang mit ihrem modernen Sound wunderbar. Auf der Gegenseite hinterlässt das Quartett trotz der grossangelegten Produktion eine äusserst bodenständigen Eindruck. Das hängt mit der Art von Joe Duplantiers Ansagen zusammen, zeigt sich aber auch an kleinen Details wie den handbeschrifteten Pappschildern, die Drummer Mario Duplantier bei seinem Solo in die Höhe hält, um mit den Nachrichten „plus fort“ und „c’est mieux“ dem Publikum seine Einschätzung über dessen Beteiligung mitzuteilen. Mit „New Found“ kommen die Anwesenden sogar in den Genuss einer Live Premiere und natürlich dürfen auch die grossen Hits wie „Stranded“, „L’enfant sauvage“, „Silvera“ oder das noch fast druckfrische „Amazonia“ nicht fehlen. Alles in allem unterstreichen Gojira mit diesem gelungenen Auftritt, dass sie sich ihren Platz als Headliner des Hellfests redlich verdient haben.
Doch zu Ende ist der heutige Tag damit noch nicht ganz, denn eine Band steht noch an auf der benachbarten Mainstage 2. Aber was ist das? Auf den Videoleinwänden beginnt ein Einspieler zu laufen mit Festivalszenen und einer Nachricht, die alle Hellbangers willkommen zurück heisst und dann knallt es. Nachdem das Wetter aufgefrischt hat, kühler und feuchter geworden ist, kann doch noch das grosse Feuerwerk stattfinden, das gestern eingeplant gewesen wäre. Während beinahe zehn Minuten brennt der Himmel und jedes Mal, wenn der Gedanke aufkommt, dies müsse nun das Finale sein, setzen die Pyrotechniker noch einen drauf und zünden einen noch grösseren Böller. Als schliesslich tatsächlich der letzte Funke verglüht ist, sind wir bereit für Running Wild.
Coroner (Fotos – Alain)
Running Wild
Die haben den krankeitsbedingten Ausfall ihres Bühnentechnikers zu beklagen und setzen deshalb auf einen ganz schlichten Hintergrund voller Verstärker. Nicht einmal ein Backdrop, das hier in digitaler Form auf dem LED-Screen im Hintergrund aufgespielt werden würde, ist vorhanden. Rock ’n‘ Rolf ruft kurzerhand eine Old School Show aus und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Musik. Wobei seine komplett verspiegelte Gitarre durchaus den ein oder anderen Blick einheimst. Allzuviele Leute sind nicht mehr anzutreffen vor der Bühne, aber wer noch hier verweilt hat seinen Spass. Die Band macht einen sauberen Job und zu Beginn weiss vor allem „Purgatory“ positiv aufzufallen. „Rapid Foray“ schlägt danach nicht ganz so heftig ein, dafür reisst „Riding the Storm“ umso mehr mit. In der Mitte des Sets lässt die Spannung etwas nach. Ob es am Songmaterial wie beispielsweise „The Shellback“ oder an den etwas zu ausgedehnten Mitsingspielchen während „Branded and Exiled“ liegt, vermag ich nicht ganz zu bestimmen. Running Wild kriegen zum Schluss hin aber vor allem mit „Bad to the Bone“ doch nochmals die Kurve und entlassen uns mit einem Zugabenblock bestehend aus „Soulless“, „Conquistadores“ und „Raise your Fist“ zufriedenstellend in die Nacht.
Watain (Fotos – Alain)
Jetzt gilt es erst mal, sich drei Tage zu erholen, bevor es mit Konzerten weitergeht. Das Hellfest hat dafür gemeinsam mit dem lokalen Tourismusverband ein abwechslungsreiches Programm zusammengestellt das so unterschiedliche Dingen bereithält wie Vorträge zu Metal, Besichtigungen des lokalen Weinbaugebietes oder Führungen durch die Burg von Clisson und in den Tiefen unseren Gepäcks schlummert auch noch irgendwo ein Kubb-Spiel, das gespielt werden möchte. Doch erstmals gönnen wir uns eine grosse Portion Schlaf.Maguy, wie hast du eigentlich die ersten drei Tage in der Hölle erlebt?
Maguy (übersetzt aus dem Französischen von Raphi): Hellfest 2022, hat da jemand Hölle gesagt? Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie sehr. 1091 Tage haben wir darauf gewartet bis es wieder soweit war. Nach drei Jahren Abstinenz haben wir endlich diese ganz besondere Atmosphäre wiedergefunden, die uns das umfassendste französische Metal-Festival bietet. Bei dieser 15. Ausgabe kann man nicht sagen, dass wir nicht verwöhnt wurden. Abgesehen von der Hitzewelle, welche den Kreislauf auf eine harte Probe stellte (was sich auch in den 800 Personen widerspiegelte, die von den freiwilligen Helfern am Wochenende gerettet wurden), trafen wie üblich viel Ausgelassenheit und Entspannung aufeinander. Man kann die Wasserwänden, die Feuerwehrleute mit ihren Feuerwehrschläuchen und den Hellfresh-Bereich, ohne die es viel mehr dehydrierte Metaller gegeben hätte, gar nicht genügend loben.
42 Grad Celsius, 60’000 Festivalbesucher pro Tag, 159 Bands alleine auf den Hauptbühnen, 400’000 Liter Bier und eine atemberaubende Atmosphäre. Das Festival hat seinem Namen noch nie so sehr entsprochen! Auch bei der Ausgabe 2022 war für jeden Rocker und Metaller etwas dabei, für jeden Geschmack und von Jung bis Alt. Mit den hervorragenden Schweden von Opeth am Freitag, den unverwüstlichen Rock-Opas von Deep Purple am Samstag, dem sagenhaft Prog-Metal von Mastodon, der Lyrik der Japaner von Envy, den legendären Korn mit ihrer musikalischen Erneuerung, dem verrückten britischen Punk der Toy Dolls, dem fetten australischen Hardrock von Airbourne und dem Genie Devin Townsend konnten wir mit Leichtigkeit zwischen Düsternis, Kraft und Träumerischem hin- und herwechseln. Das Ganze wurde von Dutzenden von Skulpturen überragt, von denen eine verrückter war als die andere, was uns noch mehr in die Stimmung dieser ganz besonderen Welt versetzte.
Was das Essen angeht, so war es wie mit dem Programm: Jeder kam auf seine Kosten. Vegetarier, Veganer und Fleischliebhaber wussten nicht wie ihren Geschmacksnerven geschah, so zahlreich und eklektisch waren die Stände. Zum Abschluss des Sonntags spielten die Franzosen von Gojira eine unglaubliche Show, die mit poetischen Bildern untermalt wurde, welche den Zustand unserer Welt und unter anderem den Schutz der Amazonasvölker in Frage stellten, gefolgt von einem grossartigen Feuerwerk, das uns alle in Euphorie versetzte.
Der erste Teil des Hellfest zeichnete sich wieder einmal durch seine mehr als durchdachte Organisation, die einzigartige Atmosphäre und das aussergewöhnliche Programm aus. Danke an Ben Barbaud, alle seine Mitarbeiter und Freiwilligen, die es uns jedes Jahr ermöglichen, diese zeitlosen zehntausende von Metalheads mit Freude erfüllenden Tage zu erleben. Ein Wochenende auf dem Hellfest zu verbringen bedeutet schliesslich, sich ein wenig von der realen Welt zu lösen, eine Art Ort ohne Zeit und Raum, eine Art Traum…
Wir lieben es, dorthin zu gehen, viel weniger, das alles wieder zu verlassen…und wir können es kaum erwarten am Ende zurückzukehren!
Raphi: Das fasst die ersten drei Tage dieses verrückten Festivals wunderbar zusammen. Doch was ist nun mit dieser glücklichen Fügung hinsichtlich des vierten Tages? Und wo ist eigentlich pam bis jetzt gewesen? All das und noch viel mehr erfahrt ihr in Kürze in der zweiten Episode unseres Berichts vom Hellfest 2022, in der wir von den Tagen vier bis sieben berichten.
Zum Hellfest Part 2 2022 Bericht und Fotos
Gastbeiträge: Matthias (aka Mätthe), Maguy, Siman