Hör genau hin!
Wie aus dem Nichts erhebt sich aus den Trümmern der durch die Coronakrise geprägten Kulturlandschaft ein neues Musikprojekt Namens Figure Of Speechless.
Band wäre zurzeit noch keine zutreffende Bezeichnung. Rund um Glen McMaster, der nicht nur Gitarren auf dem im September erscheinenden Album «Tunnel At The End Of The Light» eingespielt hat, nein, selbiges stammt ebenfalls aus seiner Feder. An seiner Seite stehen gestandene Musiker wie Ron «Bumblefoot» Thal, der bereits bei Guns’n’Roses die sechs Saiten bespielte, oder Brian Tichy, der einst für den «Prince of Darkness» Ozzy Osbourne, Becken und Felle zertrümmerte.
Gleich vorne weg: «Tunnel At The End Of The Light» ist unumstritten handwerklich einwandfrei. Dies beweist Figure Of Speechless nur zur Genüge auf den elf Tracks, die die Platte zählt. In Bezug auf das Genre lässt sich die Musik irgendwo zwischen Hardrock und Progressiv Metal einordnen, Glen McMaster meint im Pressetext gar, dass in seinem Werk Einflüsse von Jazz, von Beethoven, ja gar aus der ganzen Musikgeschichte zu hören sind. Ziemlich hoch gegriffen, zu hoch nach meiner Einschätzung. Mir wäre jedenfalls nicht bekannt, dass Beethovens Neunte auf einem Synthesizer komponiert wurde. Doch der zu erwartende Fall aus Übermut kommt trotzdem nicht. Hörbar ist die Musik von Figure Of Speechless allemal.
Das ist zu erwarten
Dieses Album braucht Zeit. Zeit, die sich der Hörer nehmen muss um das Werk zu erfassen, es auf sich einwirken zu lassen. Nach mindestens fünf Wanderungen durch das bergige Album, vorbei an komplexen Gitarrenriffs, mal mehr mal weniger originellen Keyboardsolos, lässt mich das Album nicht mehr los. Klar – ein Ohrwurm-Parasit bleibt nicht hängen, dafür sind die Lieder zu kompliziert, zu wenig eingängig. Oft haben sie keinen klar erkennbaren Refrain. Das Instrumental bietet sich zum Hören an, nicht aber um es tagelang im Kopf mitzutragen.
Solos bereichern jedes Lied, man nimmt sich Zeit für das Ausrollen von Klangteppichen. Dies alles dehnt die Lieder in eine gewisse Länge, vielleicht in eine zu lange Länge. Die Dauer der Lieder trägt jedenfalls nicht dazu bei, dass viel von ihnen beim Konsumenten des Albums zurückbleibt. Vielleicht nach übermässig vielen Hörgängen. Gestreckt sind die Songs allerdings auch wieder nicht. Wenn Wiederholungen vorkommen, dann kaum erkennbar. Der geneigte Headbanger wird an der Platte trotzdem kaum Gefallen finden.
Also: viel zu teure Stereoanlage an, Vinyl darauf, stilvolles Trinkglas aus einer Kunst-Glasbläserei mit hochwertig gegorenem Traubensaft befüllen, sich auf die massgefertigte Sitzlandschaft setzen und «Tunnel At The End Of The Light» zur Hintergrund-Beschallung der Dekadenz dudeln lassen. Oder man lässt all das bleiben und hört wirklich das Album. Auf diese zwei Arten lässt sich das Werk konsumieren: als Hintergrundklang oder als Objekt, das es zu analysieren bedarf. Wie eine Darbietung eben dieses Werkes live funktionieren soll, kann ich mir nur schlecht vorstellen. Vielleicht in einem Konzertsaal, in dem die Besucher sitzen?
Man könnte nun an dieser Stelle eine Abhandlung über die Texte schreiben, diese würde allerdings ausufern und scheint – in meinen Augen – nicht das Hauptmerkmal zu sein. Trotzdem, auch die Lyrics sind von feiner Hand geschrieben worden und es lohnt sich daher ein Blick in das Booklet bei der physischen Veröffentlichung der CD.
Verloren in Konzepten
Auch wenn mit «Progressiv Metal» und dem Versprechen, durch die ganze Musikgeschichte zu führen, geworben wird, gleichen sich die Lieder doch sehr. Intro, Strophe, teilweise einen Refrain, Instrumental Solos, meist von Gitarre und Synthie, eine weitere Strophe… So und ähnlich sind in etwa alle Songs der Platte konstruiert, das Ganze in einer Länge, ich erwähne es erneut, in der man sich zu verlieren droht. Manchmal ist weniger besser, nicht alles ist das neue «Bohemian Rhapsodie», «In der Kürze liegt die Würze», respektive: Lang soll etwas nur sein, wenn es auch Abwechslung bietet, etwas, was MacMaster möglicherweise erst noch erkennen muss.
Abwechslung – etwas was auf dem Album definitiv zu kurz kommt. Als Gesamtwerk betrachtet fehlt ihm einfach eine Dramaturgie: die Tracks sind allesamt epochal aufgebauscht, jeder Ton hallt in die Ferne hinaus. Die Stimme von Ray Alder, der die Vocals eingesungen, ja «einposaunt» hat, klingt grell, an Opern angelehnt und an Bruce Dickinson erinnernd, doch letzterer kann auch in anderen Sphären als Kopfstimme hantieren, etwas was man Ray Alder, zumindest auf diesem Album, nicht zutraut.
An Instrumenten sind, Gitarre Synthesizer, Drums und Bass zu hören. Nicht sonderlich einfallsreich, aber korrekt eingesetzt kann auch mit dieser, eher üblichen, Besetzung grosses geschaffen werden.
Nun: Falsch werden hier die Fäden sicherlich nicht gezogen. Immer und immer wieder wird jedoch an denselben Fäden gezogen, denn genauso wie Dramaturgie und Gesang, ähnelt sich auch das Instrumental von Track zu Track sehr. Da freut man sich gleich ausserordentlich über kleinere Auffälligkeiten wie beim Song «Midnight Desert Rendezvous», über ein Trommelsolo, begleitet von etwas was klingt als würde man auf Weingläsern Xylophon spielen.
Bei Titelnummer 8 «Inside Room 6» wird das offensichtlich als unumstösslich betrachtete Konzept mal, zumindest teilweise, gebrochen: Das Instrumental wirkt dunkler, gar ungeheuerlich angehaucht. Der Gesang ändert die Stimmfarbe erst über relativ klare Vocals, zum altbekannten epischen «Gesäusel» um dann im Refrain mal richtig rauer und aggressiver zu werden. Ein guter Moment den Zeige- und kleinen Finger zu recken.
Und nun?
In Zeiten des Streamings verschwindet immer mehr das Album und die Playlist gewinnt an Wert. In eine solche kann sicherlich der eine oder andere Track von «Tunnel At The End Of The Light» wandern. Dies zumindest ist die Empfehlung meinerseits, wie mit diesem Werk umzugehen ist, ansonsten besteht die Gefahr sich an der Platte zu langweilen und das hat diese sicherlich nicht verdient. Sind die einzelnen Songs doch einwandfrei produziert, von Musikern, die wissen was sie machen und ihr Handwerk verstehen, zusammengeschustert.
Das Fanzit Figure Of Speechless – Tunnel At The End Of The Light
Ich gebe es zu: Ich habe die Katze im Sack gekauft. Der Pressetext versprach in etwa: «Glen McMaster kommt als wandlungsfähiger Songwriter unser aller Bedürfnissen nach neuen Bangern nach». Durch solch hoch gestochene Worte gelockt, wie Mäuse mit Speck gefangen, «zappte» ich durch die Songs, erkannte ihre Komplexität und ihren Wiedererkennungswert im Vergleich zu anderen Bands. So entschied ich, mich vertiefet mit «Tunnel At The End Of The Light» auseinander zu setzen. Ich hörte das komplette Album von A bis Z, von A bis Z und nochmal von A bis Z. Mir fiel auf, dass es mir schwerfiel mich auf das Album zu konzentrieren und es nicht nur als Hintergrundmusik, während ich einer anderen Aktivität nachging, zu hören. «Vielleicht kann ich durch übermässigen Genuss den eigentlichen Kern nicht mehr erfassen?», war meine nächste Überlegung. Kann ich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen? Bin ich beim Tunnel am Ende des Lichts angelangt? Ich beschloss, Glen McMaster erstmal Glen McMaster sein zu lassen, liess Zeit verstreichen, hörte ganz viel anderes, dann wieder «Tunnel At The End Of The Light» und…
…der Funke wollte noch immer nicht springen. Nun kamen die Selbstzweifel: Habe ich verlernt mich zu konzentrieren? Ist meine Aufmerksamkeitsspanne in einer immer schneller werdenden Welt nun tatsächlich auf ein Level gesunken, in dem ich Kunstwerke nicht mehr von Massenwahre unterscheiden konnte?
Ich begann andere lange Lieder zu hören. Genug davon gibt es erfreulicherweise im Metal und all seinen Sub-Genres. Die Erkenntnis kam dann über mich, dass es nicht an der Länge der Lieder liegt, weshalb mich das Gesamtwerk «Tunnel At The End Of The Light» ermüdet. Nach Lust und Laune hörte ich dann mal den einen, mal den anderen Song, immer wieder unterbrochen von Werken anderer Interpreten. Nun fand ich zunehmend Gefallen an dem Album.
Die Menge macht das Gift und jeden Tag die Leibspeise zu verschlingen, wird dazu führen, dass diese irgendwann nicht mehr die Leibspeise sein wird.
Ab Release reinhören und CD portofrei (vor-)bestellen
Figure Of Speechless – Line-Up
- Glen McMaster: Gitarren / Songwriting
- Ray Alder: Gesang
- Ron «Bumblefoot» Thal: Gitarren (Solo) / Mix
- Derek Sherinian: Keys / Producer
- Tony Franklin: Bass
- Brian Tichy: Schlagzeug