Hellfest Part 2 2022 – die zweite Höllenwoche
Es war einmal… Hellfest – von Hand geschrieben steht es in blauen Lettern auf einem Taschentuch. Raphis Schwärmereien von diesem Festival haben anscheinend verfangen, ansonsten würde nicht die Unterschrift von Obermetalinsider pam darunter prangen, mit der und einem Handschlag er an einem fröhlichen Metalinside-Treffen bezeugt hat, bei der nächsten Ausgabe mit von der Partie zu sein. Nach einer Verschiebung um ein Jahr ist es nun schliesslich soweit und die Jubiläumsausgabe steht vor der Tür: Das Hellfest 2022 und jetzt befinden uns wir uns beim Hellfest Part 2.
Raphi: Wie bereits im ersten Teil unseres Berichts (siehe Review zum Hellfest Part 1 2022) erwähnt, ist das Festival dieses Jahr noch etwas aussergwöhnlicher als es sonst sowieso schon ist. Infolge der pandemiebedingten Verschiebung und weil es sich um die fünfzehnte Ausgabe handelt, hat sich das Organisationsteam dazu entschlossen, ein zweites Wochenende – Hellfest Part 2 – anzuhängen und damit ein Festival der Superlative zu veranstalten. Infolge einer glücklichen Fügung (dazu später mehr) ist dieser zweite Teil sogar auf vier Tage angelegt worden, so dass das Infield insgesamt an satten sieben Tage geöffnet sein wird. Es steht uns demnach eine weitere Höllenwoche bevor. Auf den sechs Bühnen im inneren Teil des Geländes, von denen immer drei gleichzeitig bespielt werden sowie zwei weiteren, kleinen Bühnen auf dem restlichen Gelände werden in dieser Zeit 394 (!) verschiedene Bands auftreten, die insgesamt 402 Konzerte spielen.
Die drei Tage zwischen den beiden Teilen des Hellfests standen primär im Zeichen der Erholung. Erholung ist nämlich etwas Schönes, weil sie dabei hilft, für die kommenden Konzerte wieder topfit zu sein. Zudem gibt uns das etwas Zeit, die letzten Gigs zu rekapitulieren. Der Sonntag war nochmals reich gewesen an guten Auftritten, allen voran diejenigen von Walls of Jericho und überraschend Borknagar. Auch Battle Beast und While She Sleeps konnten für gute Stimmung sorgen, während Gojira als Headliner reüssiert haben (wer die erste Episode noch nicht gelesen und gerade keine Ahnung hat, worum es da geht: hier nochmals der Verweis auf den ersten Teil). Gerne nehmen wir weiterhin so viel Qualität entgegen. Dazu erhalten wir auch noch Verstärkung: Obermetalinsider pam reist mit Nicole an und wir schaffen es, ihr Wohnmobil direkt neben unserem zu platzieren.
Hellfest Part 2 2022 – Tag 4 von 7 (Donnerstag, 23. Juni)
Der heutige Tag startet etwas später. Hintergrund ist die Tatsache, dass dieser zusätzliche Festivaltag nur entstand, weil Metallica beim Hellfest angefragt haben, ob sie hier auftreten könnten. Da die Band ausschliesslich am Sonntag verfügbar war, hat das Hellfest einen zusätzlichen, leicht verkürzten Festivaltag ins Leben gerufen und die Scorpions haben sich dazu bereit erklärt, am Donnerstag zu spielen. Leicht verkürzt heisst im Hellfest-Massstab, dass die Konzerte erst um halb vier starten statt schon um halb elf Uhr morgens. Also, ziehen wir gemeinsam los, die erste Band wartet in der Warzone auf uns.
pam: Doch halt Raphi, bevor wir losziehen gibt es noch ein Willkommensbier und einiges an Erlebtem der letzten Tage gegenseitig zu erzählen… Und wie wir von Raphi & Co. willkommen wurden ist schon legendär. Er hat doch tatsächlich für uns über die ganze Zeit den Platz neben ihnen freigehalten – mit einem Schild wo draufstand: „Reservée pour nos chers copains pam & Nicole. Merci.“. Raphi, danke nochmals, dass wir nicht in Paris campen mussten oder noch weiter entfernt…
Wir sind mit dem TGV über genau dieses Paris – inklusive zwei Nächten – am Samstag in Nantes angekommen. Bei 42° C haben wir dann unseren Camper für die nächsten 10 Tage übernommen. Über einen etwas grösseren Umweg über die Bretagne – eine absolute Reise wert, vor allem für Liebhaber der keltischen Kultur, Menhiren und mittelalterlichen Städten und Stätten – sind wir heute am finalen Ziel unseres Roadtrips in Clisson angekommen. Das Hellfest stand schon länger auf meiner Bucket-List. Aber es standen immer noch ein paar andere Festivals in der Sonne. Doch zugesagt ist zugesagt und auf einem Papiernastuch mit ein paar Promillen unterschrieben ist auch unterschrieben. Also da stehen wir jetzt auf dem Hell-Ground der Franzosen. Mal schauen, ob die unsere sehr hohen Erwartungen erfüllen können.
OK, Raphi, jetzt können wir losziehen. Danke fürs Warten.
Und Leute, was wir nach einem rund 15minütigen Fussmarsch sehen, übertrifft noch weit alles, was wir uns vorgestellt haben. Ich sagte ja immer, das Wacken Open Air ist das Disneyland für Metalheads. Nichts ist dem Zufall überlassen, jedes noch so kleine Detail ist vermetalisiert, brennt, geschnitzt, eingepackt, was auch immer. Und jetzt stehen wir da vor zwei riesigen Amps – die Effektgeräte bieten sich an als Infostände: Die breite Masse geht unter dem Marshall-Amp durch auf den Hellcity Square, mit meinem Presseticket darf ich den Eingang unter dem Orange-Amp nehmen.
Das mit dem Pressebillett klappt wunderbar. Also bis jetzt darf man vermerken, die Franzosen haben die Organisation mindestens so gut im Griff wie die Deutschen in Wacken. Ich würd mal sagen, es steht grad 1:1. Wobei Frankreich grad am Drücker ist – denn für den Pressebereich können wir wie unseren Kollegen mehr oder weniger am gleichen Ort rein. In Wacken muss man seine Pressebändeli etc. irgendwo im Middle of Nowhere abholen und trennt sich schon mal von den Nicht-Presse-Kollegen. Der Eingangsbereich mit den Amps hat Frankreich grad in Führung geschossen. Und die bauen sie grad aus, als wir auf dem „Dorfplatz“, dem Hellcity Square ankommen, der stark an Camden Town in London erinnert. All die Läden mit 3D-Objekten über dem Eingang, die auch Analphabeten sofort ersichtlich machen, was es da zu kaufen, essen, trinken, körperpimpen gibt. Also Leute, das alleine ist eine Reise in den Nordwesten Frankreichs wert!
Und schliesslich stehen wir – gesäumt links und rechts von einer Mauer mit farbigen Kirchenfenstern, die Metalheilige wie Lemmy, Dio & Co. vergötzen – vor der riesigen Kathedrale als Eingangstor in die Unterwelt. In das Infield oder sollte man sagen „Hellfield“? Diese mächtige Kulisse kennt man aus diversen Berichten, Videos und Fotos vom Hellfest. Der Moment, wo man dann effektiv davorsteht, löst schon Hühnerhaut aus…
Sodeli, und jetzt sind wir also in der Hölle angekommen. Mehr davon in den nächsten Tagen… weil, Raphi drängt sich schon vor die erste Bühne und will jetzt von der ersten Band des Tages – die wir live erleben (Phil Campbell haben wir leider wieder Mal verpasst… ausser Alain – der war mit Kamera bewaffnet bei diversen Bands schon früher dran…) – berichten und nicht meinen Schwärmereien lauschen. Er kennt das ja schon zu Genüge…
Fotos Impressionen – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
Phil Campbell And The Bastard Sons (Fotos – Alain)
Tyler Bryant & the Shakedown (Fotos- Alain)
Crown (Fotos – Alain)
Tribulation (Fotos – Alain)
Dragged Under
Raphi: Deine Schwärmereien kann ich aber prima nachvollziehen, pam. Ganz egal dass ich die Kulisse bereits kenne, sie begeistert mich trotzdem jedes Mal aufs Neue. Doch in der Warzone erfordert gleich die Bühne unsere Aufmerksamkeit. Da finden wir bereits eine stattliche Anzahl an Leuten vor, die ebenfalls hier sind, um Dragged Under zu sehen. Die Band stammt aus den USA und spielt eine Melange aus Metalcore und Punk Rock. Das Resultat versprüht sehr viel gute Laune und findet dank seiner Eingängigkeit schnell seine Fans im Publikum. Hin und wieder – wie beispielsweise in „Suffer“ – driftet das Ganze zwar in etwas zu poppige Melodien ab, doch im Grossen und Ganzen animiert die Musik vor allem dazu, mitzuhüpfen und sich zu bewegen.
„Never Enough“ leistet in diesem Bereich gerade sehr gute Arbeit. Bräuchte American Pie einen Soundtrack aus der heutigen Zeit, Dragged Under könnten definitiv passendes Liedgut liefern. Der Sänger liefert dann auch gleich noch den Spruch des Tages, als er die Leute ganz hinten nach ihrem Wohlbefinden fragt und die erwartungsgemäss magere Antwort kommentiert mit der Bemerkung, dass das vermutlich der Grund dafür sei, dass sie hinten stehen. Er bringt dies aber mit einem schelmischen Grinsen vor, so dass ihm den Spruch niemand übelnehmen kann.
„Weather“ bricht etwas mit der gelösten Stimmung, doch darauf folgt „Chelsea“ und schon ist die Feier wieder auf Kurs, bis Dragged Under begleitet von ergiebigem Applaus schliesslich die Bühne verlassen.
pam: Raphi hat uns ja gleich als wir angekommen sind, eine laminierte Running Order seiner Gang in die Hand gedrückt, inklusive auf der Rückseite mit Geländeübersicht. Leute, wenn ihr an ein Festival geht, schaut, dass ihr den Raphi dabeihabt. Er ist so ein bisschen das Schweizer Sackmesser für Festivals. Ganz schön praktisch und jeder liebt es einfach und vermisst es brutalst, wenn es mal nicht dabei ist. (Raphi: Vielen Dank für die Blumen, da werd ich ja noch rot.)
Lustig sind dann die Diskussionen zwischen Raphi, Mätthe, Siman und Moritz, wenn es drum geht, wer eigentlich die oder jene Band auf die Running Order gesetzt hat. Bei Dragged Under war es aber klar, es war Moritz, der die Amis vor einem Jahr an einem kleinen Open Air sah und für gut befunden hat. Nun, das Intro in bester 80s Pop-Manier à la Sam Fox ist schon das Dastehen wert. Guter Punkrock mit vielen Oohohohos und schönem Moshpit. Das hab ich notiert und hier wiedergegeben. Somit zurück zu Raphi, weil der will schon wieder weiter zum nächsten Rendez-Vous auf dem laminierten Kärtli.
Raphi: Keine Angst, es lohnt sich, gleich aufzubrechen, denn im Temple steppt jetzt dann der Bär.
pam: Auf dem Weg fliegt noch ein UFO vorbei. Oder wir eher an ihm bzw. ihnen. Denn die Briten spielen grad auf der Mainstage 1. Nun, so packen tut mich das nicht und „Doctor, Doctor“ hören wir ja dann nächste Woche bei Iron Maiden im Hallenstadion in Zürich… (die Review und Fotos dazu).
Wenn wir aber grad dabei sind, Wacken hat grad zwei Tore geschossen. Ich bin immer noch geflashed von der Liebe zum Detail am Hellfest. Wirklich nichts ist dem Zufall überlassen. Wirklich nichts? Doch, überraschenderweise sind es die beiden Hauptbühnen. Die sind imposant ja, wie man es von einem Festival dieser Grösse erwartet und kennt, und die Videoscreens sind auch nicht von schlechten Koreanern, aaaaaber der Rest ist einfach…Bühne. In Wacken thront zwischen den beiden Hauptbühnen beispielsweise der Wacken Bull-Schädel… und natürlich brennt er ab der Dämmerung auch und spuckt regelmässig aus allen Löchern Feuer. Wie es auch hier am Hellfest aus jeder Ritze tut. Nur nicht bei den Hauptbühnen.
Also, wir sind glaub bei 4:4 angelangt. Und wenn mir Raphi noch eine Minute schenkt, dann können wir grad ein weiteres Goal live miterleben. Denn der Platz vor den Hauptbühnen ist am Hellfest eher zu klein bemessen für die Anzahl Besucher bzw. es ist dann auch nicht ganz einfach von A nach B bzw. von der Warzone zu den Zeltbühnen zu gelangen, weil man das Infield queren muss. Wenn da eine Headliner Band spielt, stehen die Leute schon weit in der Transitachse. Also, Wacken liegt dank mehr Platz grad 5:4 vorne… aber ich kann euch jetzt schon versprechen, die Führung hält nicht lange… die Franzosen haben noch ein paar Zidanes auf der Bank…
In dieser Zeit schaut Alain mit Kamera bei einer Gitarrenlegende vorbei:
Steve Vai (Fotos – Alain)
So, jetzt bin auch ich im Temple angekommen. Raphi, was gibt es da zu berichten?Zeal & Ardor
Raphi: So einiges. Wobei das mit dem Stepptanz etwas übertrieben angesagt war, denn die musikalische Ausrichtung von Zeal & Ardor bringt weniger die Bären zum Steppen, sondern eher die Köpfe zum Nicken. Die ureigene Verquickung von Gospel, Soul und Black Metal, welche die Band spielt, befeuert nach wie vor die Diskussionen um eine adäquate Genrebezeichnung. Weil ich grad in den Ferien bin – pam und Maguy sind diejenigen mit der Akkreditierung – lasse ich den Punkt einfach mal offen und erfreue mich ab der Show. (pam: Ui, du weisst, bei Genrediskussionen mit dir kann ich nur verlieren, also lassen wir es bei dem Aufzählen der Einflüsse oben und Maguy macht leider nach dem ersten Weekend auch Ferien … im Gegensatz zu dir). Die hat es in sich, denn nachdem „Church Burns“ den Start markiert hat, folgt mit „Götterdämmerung“ bereits ein ganz grosser Kracher.
Bandkopf Manuel Gagneux und seine Mitstreiter spielen sich einmal mehr in Rage. Die Energie, die Zeal & Ardor auf der Bühne freisetzen ist jedes Mal aufs Neue eindrücklich (pam: Das beschreibt es wunderbar. Die Rage erlebt man am besten, wenn man einfach mal die Augen schliesst und dies wirken lässt…). Die Setlist unterstützt das nur noch: „Row Row“, „Blood in the River“, „We can’t be found“, Nachlassen ist keine Option für das Sextett und dementsprechend laut fallen auch die Anfeuerungsrufe aus dem Publikum nach „Trust No One“ und noch viel mehr „Death to the Holy“ aus. Lediglich die Abmischung ist noch eine Spur zu dumpf, aber das ist klagen auf sehr hohem Niveau. Bei „Don’t You Dare“ erreicht die Stimmung ihren vorläufigen Höhepunkt und Manuel muss die Menge mit seinen Ansagen richtiggehend übertönen, damit es weitergehen kann. Übertroffen wird das aber vom Schlussapplaus nach „Baphomet“. So laut wie bei Zeal & Ardor habe ich das Publikum vom diesjährigen Hellfest noch bei keiner anderen Band erlebt. Sogar einige Oohohohohooo-Zugaberufe (pam: Ich dachte immer, das sei früher so ein Schweizer Ding gewesen… so oder so sehr cool, das wieder mal zu hören, schade, dass das bei uns an den Konzerten ausgestorben ist – zusammen mit Feuerzeugen…) sind zu vernehmen, als das Konzert zu Ende geht und eine mehr als zufriedene Menge zurücklässt.
pam: Ich bin auch zufrieden oder noch mehr schwer beeindruckt. Es war mein erstes Mal mit den Schweizer Nichtmehrganz-Shooting-Stars. Das Zelt ist pumpen voll – und dies sicher nicht nur wegen dem Nieselregen. Man muss dieses Genre-Ménage-à-trois einfach mal live erlebt haben. Aber wie so oft bei so einzigartigem Sound, hat man irgendwann auch genug davon – ähnlich wie zum Beispiel bei Volbeat – weil sich das schon immer wieder etwas wiederholt. So oder so, war sehr cool, sie mal live zu erleben und ich kann es absolut weiterempfehlen. Die Franzosen auf jeden Fall lieben die petits Suisses. Zeal & Ardor scheint hier eine ziemlich grosse Fanbase zu haben. So, ich glaub es wär Zeit für eine Essenpause…
Raphi: Pause liegt jetzt keine drin, denn im Altar gehts gleich weiter.
pam: Ah, verdammt, ja dann essen wir on the go. Der Food ist ganz OK und preislich schon ziemlich krass günstig. Man kauft ein paar Burger, so Pouletwürfel und so (Raphi, wie heisst all das Zeugs schon wieder? Raphi: En Guete, das sind die pepites de poulet sowie die veggie crunchs) und braucht dafür kaum 10 Euro. Übrigens, Bargeld kann man gleich zu Hause bzw. im Camper lassen, denn das Hellfest ist komplett Cashless. Und Cashless heisst hier nicht einfach mit Karte zu bezahlen, sondern mit seinem Wristband. Über die App lädt man sich ein Guthaben drauf und bei jeder Bezahlung zeigt das Personal schön transparent, was sie abbuchen und wie viel man noch ausgeben kann. Das Personal ist topgeschult, alle superfreundlich (da gibt es ein Unentschieden zwischen Wacken und Hellfest), aber ein weiteres Tor fällt für die Franzosen für das reibungslose Cashless-System. Auch das Zurückfordern des Restguthabens nach dem Festival funktioniert einwandfrei. Das nenn ich jetzt mal Cashless sinnvoll eingesetzt und ein wirklicher Fortschritt. Aber ich glaub, da hat man seit meinem letzten Wacken-Besuch auch aufgerüstet. Die Domis und Dutti werden da sicher auch bald drüber berichten. Vielleicht gibt es hier ja dann einen weiteren Ausgleich.
Während ich also so vor mich dahinsinnier, stopft mir Raphi einen weiteren Pouletmocken in den Mund. Also, hab verstanden, es geht weiter zum Altar; was eigentlich nur ein Zeltsprung ist. Die beiden Bühnen bzw. riesigen Zelte stehen gleich nebeneinander. Jedoch auch bei diesen Bühnen hats weniger Liebe zum Detail als sonst bzw. auch im Verhältnis zum Bullhead City Circus in Wacken.
Insomnium
Raphi: Aufgepasst, gleich geht’s los. Die Finnen kommen und zwar diejenigen von Insomnium. „Karelia“ bringen sie uns mit zum Anfang und irgendwie ist der Bass gerade massiv zu laut. Schade, denn der Melodic Death Metal der Band lebt stark von den feinen Details, die hier momentan untergehen. Es dauert eine ganze Weile bis sich der Klang bessert. Mittlerweile sind wir beim vierten Song „Ephemeral“ angelangt und der bringt die Fans dazu, das Haupthaar zu schütteln sowie lautstark kundzutun, dass Insomnium mit hörbarer Abmischung gar nicht so schlecht ankommen am Hellfest.
Das Quintett konnte mich bereits letztes Jahr am Meh Suff! Metal Festival begeistern (was ihr bei Bedarf hier hier nachschlagen könnt) und heute soll es nicht anders sein. Die Kompositionen der Finnen haben einfach eine träumerische Komponente, die an Konzerten dazu einlädt, sich ganz in der Musik zu vertiefen. „Pale Morning Star“ ist ebenso ein Highlight des Sets wie „While We Sleep“ mit diesem hochmelodischen Gitarrenpart, der das Stück einleitet und nach dem Refrain erneut auftaucht. Die vorderen Reihen teilen allem Anschein nach meine Meinung, denn die aktive Beteiligung lässt definitiv nicht zu wünschen übrig, so dass Insomnium trotz des schlechten Sounds zufrieden sein können mit ihrem heutigen Auftritt. Bist du auch zufrieden pam?
pam: Hm, eher mässig. Die mit Samples vollgespickte Musik bzw. Bass überschlägt sich schon ziemlich. Wie du jedoch schreibst, wird’s in der zweiten Hälfte besser und der filigrane Sphärensound der Finnen lässt einen dann schon richtig schweben. Bei der ersten Hälfte war mir die Absturzgefahr noch zu gross.
Fotos Insomnium – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
pam: Bevor sich die Wege von Raphi & Co. und mir zum ersten Mal trennen, schau ich mal im VIP und Pressebereich rein. Der ist in Wacken ja legendär… und hier? Boah, da wird auch wieder mit Liebe geklotzt: Übergrosse Schädel in zig Varianten – u.a. aus alten Skateboards (richtig gelesen, Skateboards! – siehe Fotos „Impressionen“) – einen Pool, einem grösseren Barzelt getragen von skelettartigen Wirbelsäulen etc. etc. Hm, da wird’s schwierig… ich würde sagen auch hier ein Unentschieden, wenn auch die Partys in Wacken im VIP-/Pressebereich schon sehr cool sind. Aber da ich mich am Hellfest nicht oft im VIP-Bereich aufhalte, kann ich das nicht abschliessend beurteilen, wo der Bär mehr steppt, um in Raphis Metapher zu bleiben. Aber schliesslich ist ja auch wichtiger, was ausserhalb der VIP-Zonen passiert und nicht drin. Gut, ich nutz gerne die Toiletten hier… und geniess jetzt grad noch schnell ein Lachsfilet 😊 bevor es zum Kürbis übergeht…Sólstafir
Raphi: Im Temple machen sich anschliessend Sólstafir bereit, uns mit ihrem Post Metal zu verzaubern. Die Band schafft es eigentlich immer spielend, eine einehmende Atmosphäre herzuzaubern und die Zuhörer in ihren Bann zu schlagen. Auch heute dauert es nicht lange, bis wir in die isländischen Klangwelten eingetaucht sind.
Die Setlist besteht aus mehrheitlich ruhigeren Stücken. „Þín Orð“ und „Fjara“ stehen hierbei stellvertretend für diese Ausrichtung und natürlich ist letzterer, der grosse Bandhit, auch eines der Highlights des Konzerts. Das Publikum agiert dabei um einiges passiver als noch vor vier Jahren. Damals hat die ganze Menge lautstark mitgesungen und nicht mehr damit aufgehört. Jetzt und hier stehen die meisten Leute einfach da und geniessen den Auftritt still für sich.
Musikalisch stürmischer – wenn auch nicht unbedingt aktiver im Publikum – geht es dann zu und her bei „Ljós í stormi“, das einen schönen Farbtupfer setzt. Der Auftritt reicht dennoch nicht ganz an andere Gigs der Band heran, doch zusammengefasst ist es ein schönes und ruhiges Konzert.
Moritz, ich vermute mal bei dir ist gerade mehr Bewegung angesagt?
Bury Tomorrow
Moritz: So ist es. Während sich der Rest der Gruppe dem sphärischen Rock der isländischen Band Sólstafir ergibt, zieht es mich wiederum in die Warzone. Mir ist es nach etwas „lüpfigerem“ zumute und eigentlich hätten zu diesem Zeitpunkt die Grössen von August Burns Red auftreten sollen, welche jedoch aufgrund gestiegener Reise- und Transportkosten sämtliche Sommerkonzerte in Europa absagen mussten.
So schicken sie die befreundete Band Bury Tomorrow ins Gefecht, mit welcher sie im kommenden Herbst eine grosse Tour planen. Die Band ist mir bisher lediglich durch ein paar solide Songs bekannt, die mir durch einen Streaming-Algorithmus zugespielt wurden.
Sichtlich motiviert startet das Quintett mit „Choke“ in die erste Runde und wird durch ein ebenso energiegeladenes Publikum empfangen. Es wird gemosht, gepogt und man findet sich in mehreren Circle Pits wieder. Obwohl die Band einen gelungenen Auftritt darbietet, komme ich nicht ganz so sehr auf meine Kosten wie erhofft. Zu sehr wird zwischen den Songs auf die vergangene Coronazeit eingegangen und man versucht etwas erzwungen die Gunst des Publikums mit etwas gestellt wirkenden Worten an sich zu binden.
Nichtsdestotrotz wird mit Songs wie „Life“, „Death“ und „Black Flame“ ein Konzert dargeboten, das die Halswirbel in Bewegung versetzt.
Und was passiert auf der Mainstage 2 gerade so, pam?
Helloween
pam: Ja, lieber Moritz und all den Zuschauern zuhause vor den Bildschirmen bietet die 2. Hauptbühne grad Historisches. Historisch weil einerseits die Powermetal-Pioniere Helloween am Start sind und andererseits diese gleich – wie eigentlich schon seit mehreren Jahren – mit der ganz grossen Suppenkelle im Kürbiskopf anrührt: Denn wie schon gewohnt ist es eine Helloween (Re-)United-Show. Oder wie ich es auch schon am Sweden Rock bezeichnete: Kai Hansen featuring Helloween.
Gut, der gute Kai ist nicht ganz so dominant wie in anderen Auftritten der United-Shows zuvor. Dennoch versteh ich immer noch nicht ganz, wie man mit zwei so talentierten Sängern, dem Kai immer noch ein längeres Medley zugesteht, bei dem er dann auch den Gesangspart übernimmt. Klar, Kai ist ein wichtiger Teil in der Geschichte von Helloween – hatte am Anfang ja auch die Doppelrolle als Gitarrist und Sänger – aber eben, du kannst nicht Gitarrenheld und gleichzeitig noch Sänger sein, vor allem während zwei Hammersänger hinter der Bühne versauern.
Irgendwann verliert vielleicht die Geschichte von Helloween United auch etwas den Reiz je öfter man es schon gesehen hat. Was damals 2016 ein Riesending, als die Pumpkins United Tour angekündigt wurde, ist nun nach den Flitterwochen der Alltag eingekehrt. Man rührt auch nicht mehr mit der ganz grossen Kelle wie oben erwähnt. Die 3D-Animationen, die wir auf dem grossen Screen hinter der Bühne anstelle eines Backdrops sehen, wirken sehr billig und lieblos gemacht. Vielleicht bin ich jetzt auch etwas gar kritisch, denn die Band selbst scheint am Vereinigt sein, weiterhin ihren Spass zu haben. Die Gitarristen und Sänger zeigen untereinander keinen Futterneid und haben einen Dauersmile.
Mit der Setliste können sie jedoch nach wie vor absolut punkten – auch wenn die Über(lang)songs „Keeper Of The Seven Keys“ oder „Halloween“ fehlen. Nicht ganz überraschend ist „I Want Out“ die Zugabe, welche mit Singspielen etwas überstrapaziert wird und die Franzosen erweisen sich hier auch nicht grad als die grossen Chanteurs.
Raphi: Den Schluss von „I want out“ kriege ich gerade noch mit, als wir uns in Stellung begeben für die nächste Show auf der Mainstage 1.
pam: Ebenfalls ein Highlight einer eher durchschnittlichen Show ist das dreistimmige Solo bei „How Many Tears“. Teilweise mit dem Bass von Markus gar vierstimmig und dann der Übergang zum akustischen Intermezzo. Grosses Kino.
Lowlight ist am Ende dann die Fötzelikanone. Wird mir immer ein Rätsel bleiben, wie man Open Air Papierfötzeli rausschiessen kann. So ziemlich die dümmste Erfindung nach dem volksdümmlichen Schlager. Aber das kennen ja fleissige Leser von meinen Festival-Reviews inzwischen.
Nun, kann es jetzt noch schlimmer kommen?
Setliste Helloween – Hellfest Part 2 2022
- Eagle Fly Free
- Dr. Stein
- Save Us
- Medley Hansen: Metal Invaders / Victim of Fate / Gorgar / Ride the Sky
- Heavy Metal (Is the Law)
- A Tale That Wasn’t Right
- Best Time
- Power
- Future World
- How Many Tears
I Want Out*
*Zugabe
Scorpions
Raphi: Möglicherweise… Als Urgesteine in der Szene der verzerrten Gitarren sind die Scorpions so bekannt, dass sie kaum mehr jemandem vorgestellt werden müssen. „Gas in the Tank“ vom neusten und „Make it real“ von einem der älteren Alben machen den Anfang und sehr schnell wird klar: mag die Band auch einen gewissen Legendenstatus innehaben, mit einer solchen Leistung werden sie diesem bei weitem nicht gerecht. Ich kann es leider nicht anders sagen, aber der Auftritt ist schlicht und einfach langweilig. Klaus Meines Stimme fehlt jeglicher Elan, während die Instrumentalfraktion obwohl sauber ohne wirklichen Punch um die Ecke kommt und keinerlei Druck aufbauen kann. Einziger Lichtblick ist Schlagzeuger Mikkey Dee, der überaus enthusiastisch auf seine Felle eindrischt, womit der Auftritt zugespitzt formuliert, schon fast etwas von diesem alten YouTube Video mit dem sprechenden Titel „This drummer is at the wrong Gig“ hat. Nein, das lockt mich alles gar nicht hinter dem Ofen hervor. Übernimm doch bitte du, pam, ich gebe lieber Rise Against eine Chance.
pam: Ui, Raphi, diese Stabübergabe ist jetzt verdammt fies (Raphi: du schaffst das 😉). Scorpions waren ja nie wirklich mein Ding – mit dem Tiefpunkt „Wind Of Change“, welches meine damalige Freundin rauf und runter abspielte. Gut, zu ihrer Verteidigung hab ich damals durch sie auch die „Master Of Puppets“-Langrille so richtig schätzen und lieben gelernt. Eine Liebe, die bis heute andauert und ewig halten wird. Ich rede jetzt von Master Of Puppets.
Zurück in die Zukunft ins Jahr 2022. Und dazu gleich ein Fun Fakt: „Mit ‘Still Loving You’ sorgten Scorpions 1984 für einen Babyboom in Frankreich.“ Da dürfte also heute einige der knapp 40jährigen mit Scorpions in der DNA geboren worden sein. Das erklärt wohl einiges. Und was wohl viele nicht wissen, sie sind in Frankreich eine der erfolgreichsten Bands der Geschichte. Nun, man neigt die Deutschen allgemein zu unterschätzen, was deren kommerzieller – weltweiter – Erfolg betrifft. Nun, das wäre es mit dem Lorbeeren.
Ich hab Scorpions noch nie live gesehen und da nehm ich doch die Chance und Aufforderung von Raphi war und steh jetzt da. Gefühlt 10 Sekunden lang. Und bin dann gleich wieder weg. Ich hab gedacht, schlechter als Kiss geht nicht. Doch es geht. Ich hatte in meinem Leben glaub noch nie so einen grosse Fremdschämpegel. Es kommt mir grad vor, als hätten sie im Altersheim gesagt: „Heute machen wir Karaoke. Wer will? Ich, ich (mit alter, zittriger Stimme).“ Da kommt ein kleines Männchen mit dem Rollator und krächzt was von Scorpions ins Mikrofon. Ui, tut mir echt leid, aber ganz objektiv betrachtet, da wird grad ein Denkmal gesprengt. Wobei, die Franzosen scheinen es nicht ganz gleich zu sehen. Nun, für die meisten hier ist ja Klaus Meine sowas wie der Vater (sic!).
Nun, wer denkt, der pam übertreibt da ein bisschen, kann sich gerne ein eigenes Bild machen – das ganze Konzert auf Arte.
Also, sorry Raphi, das faule Ei kannst du zurückhaben. Und Mikkey Dee: Waaarruuum tust du dir das an ?!? Ich flüchte auch Richtung Warzone zu Rise Against.
Rise Against
Raphi: Um Rise Against zu sehen, müssen wir quer über das Gelände zur Warzone wechseln und können dabei auch gleich noch das faule Ei in einem der zahlreichen Abfalleimern ganz loswerden. Wir treffen genügend früh ein, um einen guten Platz ergattern zu können und haben beste Sicht auf die Bühne, als die US-Amerikaner nahtlos aus dem Intro in „Prayer of the Refugee“ übergehen. Punk sorgt immer für Bewegung und so ist es auch jetzt in den vorderen Reihen. Die Band zeigt mit ihrem Auftreten, dass sie voll und ganz hinter der gespielten Musik steht. Mich reissts irgendwie trotzdem nicht uneingeschränkt mit, was vielleicht auch an den sehr einstudiert wirkenden Ansagen des Sängers liegen mag. Genau benennen, was mich davon abhält abzugehen, kann ich allerdings auch nicht, denn abgesehen von letzterem macht die Truppe eigentlich nichts falsch. Möglicherweise fehlt es dem Konzert einfach etwas an Wildheit, um Reaktionen hervorzurufen. Doch weiter darüber sinnieren bringt nicht viel, denn Rise Against kommen bereits zum Ende ihres Sets und uns steht jetzt der Marsch zurück auf die andere Seite bevor. Ein Besuch im Altar ist angezeigt.
pam: Yep, da kommt bald mein heutiger Höhepunkt. Aber vorher noch mein Senf zu Rise Against. Es geht mir ganz ähnlich wie dir Raphi. Ich hatte sie zum ersten Mal 2010 am Sonisphere in Jonschwil – genau, das mit dem Schlamm – gesehen. Damals hatten die mich live so richtig gepackt. Hab dann grad deren ganze Diskographie bestellt. Ein paar Jahre später sah ich sie dann wieder in Winterthur und da kam die Ernüchterung. Die Energie von damals war komplett weg und schnell wurde es langweilig. Und so war es bei allen darauffolgenden Rise Against-Konzerten. Einzelne Songs sind ganz OK, aber schnell verlieren sie meine Aufmerksamkeit und so auch heute einmal mehr. Da helfen auch die Ansagen wie „No racism. In Revolution. No sexism. No homophobia. No nationalism. No…“ (füllt selber aus, was euch grad in den Sinn kommt, denn das hat Tim McIlrath sicher auch erwähnt). Also, dann tanzen wir die Revolution. Und in Richtung Altar.
Heilung (Fotos – Alain)
Therion
Raphi: Die Schweden von Therion möchten wir nämlich beide nicht missen. Die katapultieren uns gleich mal über zwanzig Jahre in die Vergangenheit als sie mit „The Rise of Sodom and Gomorrah“ starten, nur um dann direkt in die Gegenwart zurückzuspringen und „Tuonela“ anzustimmen. Mit dem Doppel „Birth of Venus Illegitima“, das wie der heutige Opener von 1998 stammt und „Leviathan“ vom gleichnamigen Album aus 2021 wiederholen die Symphonic Metaller dieses Muster gleich nochmals. Danach verweilen sie aber in der Vergangenheit und präsentieren uns vor allem Lieder, die um die Jahrtausendwende herum geschrieben worden sind.
Einmal mehr ist es eine wahre Freude, Therion all diese Kompositionen live umsetzen zu sehen. Von all den Stücken glänzt heute „Lemuria“ am meisten. Die Ballade verströmt eine wahnsinnige Atmosphäre und packt mich gerade so richtig (pam: Sie kündigen diese Überballade mit „Happy Midsummer“ an. Kann also nicht besser passen und das zweistimmige Solo von Chris und Christian lässt uns fliegen – später gibt es dann wie gewohnt das Macho-Gitarren-Duell bei „To Mega Therion“ mit Hinter-dem-Kopf und per Zunge). Viel zu schnell erklingen letzten Endes die ersten Töne von „To Mega Therion“, dem traditionell letzten Song an Therion-Konzerten. Ein Blick auf die Uhr lässt mich aber verwirrt zurück. Wieso spielen sie den jetzt schon, mitten im Set. Das ist doch sehr aussergewöhnlich. „To Mega Therion“ zündet natürlich immer und als der Schlussakkord ausklingt, verabschiedet sich die Band von ihren Fans und verlässt die Bühne. Therion beenden ihren äusserst kurzweiligen Auftritt tatsächlich fünfzehn Minuten früher als im Programm kommuniziert. Weshalb erfahren wir nicht, aber unabhängig davon machen wir uns mehr als zufrieden auf den Heimweg. Das war der perfekte Tagesabschluss.
pam: Ja, das ist der einzige Minuspunkt heute. Ansonsten hat eine meiner absoluten Lieblingsbands wieder mal voll geliefert. Da gibt es nichts zu meckern. Ich hatte mehrere Hühnerhautmomente und frag mich einmal mehr, wo Mastermind Chris immer wieder diese Hammerstimmen auspackt. Heute dabei ist Langzeitsänger Thomas Vikström (ohne Tochter Linnéa), Chiara Malvestiti (sie ist jetzt schon 4, 5 Jahre dabei, wobei die Corona-Jahre abgezogen werden müssen…) und zum ersten Mal sehe und höre ich… (leider konnte ich den Namen noch nicht ausfindig machen), sie reiht sich nahtlos ein mit einer ebenfalls wunderschönen Sopranstimme. Jede andere Band träumt davon, einmal so eine Stimme in der Band zu haben. Therion hat sie bald dutzendweise schon gehabt.
Ebenfalls neu ist der Bassist; zumindest ersetzt heute ein gewisser Johan H. den seit 2008 am Tieftöner agierenden Nalle Påhlsson.
Das war definitiv eines meiner kurzweiligsten Konzerterlebnisse ever. Auch dekomässig hat man sich heute ganz auf die Musik konzentriert bzw. die komplett in Schweden gelassen. Selbst das Steampunk-Outfit von Chris – inklusive seinem Zylinder. Wir sind alle richtig geflashed auf dem Heimweg sowie dem anschliessenden Schlummi beim Camper und schwärmen uns gegenseitig vor, was wir grad erleben durften. Therion sind für mich die ganz klaren Tagesgewinner und haben sich eine sehr gute Ausgangslage für den Festivalsieg geschaffen. Einzig die verkürzte Spielzeit dürfte sie wohl um den Sieg bringen.
Ach Leute, ich kann fast nicht aufhören mit der Schwärmerei. Selbst jetzt, als ich die Zeilen niederschreibe, hab ich ein Riesensmile und freu mich grad verdammt fest auf das Konzert im Z7 in Pratteln am 20. November 2022. Wollt ihr pam mit einem riesigen Dauersmile erleben? Dann kommt nach Pratteln!
Setliste Therion – Hellfest Part 2 2022
- The Rise of Sodom and Gomorrah
- Tuonela
- Birth of Venus Illegitima
- Leviathan
- Ginnungagap
- Son of the Sun
- Lemuria
- Asgård
- Wine of Aluqah
- Cults of the Shadow
- To Mega Therion
Fotos Therion – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
Hellfest Part 2 2022 – Tag 5 von 7 (Freitag, 24. Juni)
Raphi: Heute ist früh aufstehen angesagt, denn in der Warzone geht mein Programm bereits um halb Elf los. Während des Frühstücks gehe ich in Gedanken nochmals den gestrigen Tag durch. Insbesondere Therion sind ein richtiger Höhepunkt gewesen, aber auch Insomnium wussten zu gefallen und die Publikumsreaktionen bei Zeal & Ardor sprachen definitiv für sich. Doch genug von gestern: Ich mach mich mal auf den Weg, pam, wir sehen uns dann später.
pam: Bis später. Ich dreh mich grad nochmal im Bett und träum auch noch ein bisschen von Therion.
Sons of O’Flaherty
Raphi: Folk Punk ist einfach eine gute Art, um in den Tag zu starten, das haben bereits Ferocious Dog vor einer gefühlten Ewigkeit am ersten Freitag bewiesen. Die Sons of O’Flaherty hatten allerdings einen viel weniger weiten Anreiseweg, kommen sie doch aus der benachbarten Bretagne. Vor der Bühne ist noch ausreichend Platz vorhanden, aber die Anwesenden geben sich ganz der Musik hin. „Saint or Sinner“ wird mitgesungen, „The Lucky Ones“ fleissig beklatscht und zu „Dead and Gone“ dann doch noch ein Circle Pit gebildet.
Auf meiner linken Seite beobachte ich, wie sich eine einzelne Reihe an Personen hintereinander hinsetzt und danach wie eine Art Förderband Crowdsurfer im Sitzen nach hinten gibt. Seitlich stehen die „Arbeiter“ am Band und sorgen dafür, dass niemand herunterfällt. Eine andere Gruppe beginnt mit einem Spalier durch den weitere Fans hindurchtauchen, um sich ihm am Ende anzuschliessen. Das Publikum feiert gemeinsam, alle haben schlicht und einfach Spass an der Sache. Freudige Gesichter ob der Fröhlichkeit vor der Bühne sind auch bei sämtlichen Bandmitgliedern zu entdecken. Die Sons of O’Flaherty mögen nicht die grösste Menschenmenge zu ihrem Konzert versammelt haben, aber mit Sicherheit die fröhlichste. Ein herzlicher Beginn, der das frühe Aufstehen mehr als entschädigt hat.
Dennoch nutze ich jetzt die Gelegenheit, um mich für eine kurze Pause hinzusetzen, denn in einer halben Stunde geht es gleich hier in der Warzone weiter.
The Baboon Show
The Baboon Show starten gleich voller Kraft in ihr Set. Die schwedischen Punks drehen per sofort auf von null auf hundert. Das Publikum scheint noch etwas verschlafen zu sein, denn es braucht einige Songs, bis sich grössere Bewegungen in den Reihen abzeichnen. Die Band dagegen zeigt sich im positiven Sinn als richtig verrückte Truppe, die mit breitem Grinsen und rotzfrech ihre Songs runterspielt. Am lässigsten wirken „The Shame“ und „You got a Problem without knowing it“, doch auch das Schlusslicht der Setlist, „Radio Rebelde“ sorgt für richtig gute Laune. Die Show vergeht wie im Flug: kaum haben The Baboon Show die Bühne gestürmt, ist das Konzert auch schon wieder vorüber und das ist doch immer ein gutes Zeichen.
Schauen wir mal, ob es auf der Mainstage 2 so unterhaltsam weitergeht.
Crisix
Das ist tatsächlich der Fall. Die Ausgangslage für Crisix ist allerdings alles andere als günstig. Ihr Drummer hat gestern Abend ein positives Testergebnis auf Corona erhalten und fällt darum für heute aus. In einer Nacht und Nebel-Aktion haben die Spanier allerdings für Ersatz gesorgt oder wie es Sänger Julián Baz ausdrückt: „We couldn’t miss this, guys, come on!“ Als erstes kommt Job von Tagada Jones auf die Bühne, um den Platz hinter dem Schlagzeug einzunehmen. Der hat gestern Abend auf die Schnelle zwei Songs gelernt und sorgt nun dafür, dass die Fans in Form von „Leech Breeder“ und „G.M.M. (The Great Metal Motherfucker)“ eine ordentliche Ladung Thrash Metal serviert bekommen. Für die nächsten zwei Songs, übernimmt Gitarrist Albert Requena das Schlagzeug. Dessen Part spielt beim zweiten der beiden Lieder Bassist Pla Vinseiro, der wiederum sein Instrument abgibt an Sänger Julián. Den Gesang übernimmt konsequenterweise der sonst als Gitarrist tätige Marc Busqué. Nachdem anschliessend jeder wieder sein angestammtes Arbeitswerkzeug in den Händen hält, begrüssen Crisix Chris Williams, seines Zeichens Schlagzeuger der später noch auftretenden Gama Bomb.
So kann die Band doch noch „World Needs Mosh“ und „Ultra Thrash“ zum Besten geben. Die beiden Gitarristen lassen es sich auch nicht nehmen, ins Publikum hinunterzuklettern und im Auge des Circle Pits zu spielen, während rings um sie herum das Publikum rennt wie verrückt. Danach hat die Truppe aber alle Trümpfe ausgespielt respektive alles ihre möglichen Songs aufgeführt und muss ihren Gig leider frühzeitig beenden. Das Verständnis seitens der Fans ist aber vorbehaltslos vorhanden und es sind alle glücklich, dass Crisix ihr Improvisationstalent unter Beweis gestellt und ihren Auftritt soweit es ihnen möglich war, durchgezogen haben. An den werden sich sowohl die Band als auch das Publikum mit Sicherheit noch lange erinnern.
pam: Ah, die hätte ich aufgrund der Album- und Kochbuch(!)-Review von unserem Domi The Stick auch gerne mal live gesehen. Schon geil, wie die sich bemühen, dass sie doch ein paar Songs spielen können. Ich mach da jetzt einen kleinen Seitenhieb Richtung Metallica in die Zukunft fürs Out In The Green in Frauenfeld. Wobei, ähnlich haben sie es ja auch schon mal gemacht, als Lars am Monsters of Rock in Donington kurzfristig ins Spital musste. Da haben u.a. Dave Lombardo (Slayer) und Joey von Slipknot seinen Part übernommen. Das nenn ich jetzt einfach mal Old School Thrash Metal.
Gaerea
Raphi: Direkt im Anschluss warten Gaerea im Temple auf mich. Black Metal der modernen Schule spielen die Herren aus Portugal und dementsprechend setzen sie bezüglich ihres Looks ganz auf kapuzenverhüllte Gesichter, die keinen Blick auf die Gesichter der Musiker zulassen. Die Musik soll ganz für sich sprechen und das tut sie auch. Die dichten Kompositionen erzeugen einen Sog, der die Aufmerksamkeit der Zuhörer unerbittlich an sich zieht. Je länger der Auftritt dauert, desto mehr kommen Gaerea zudem aus sich heraus und gehen in ihrer Musik auf. Das scheinen auch die umstehenden Leute zu honorieren, denn der Applaus wird mit jedem abgeschlossenen Stück etwas lauter. Diese Steigerung im Laufe des Konzerts ist beinahe schon eine Art Verkörperung von Gaereas Musik und der Frontmann wirkt am Ende ziemlich ausgelaugt, als er sich bei den Anwesenden bedankt. Den Zuspruch hat sich die Band mit ihrem Auftritt aber auch absolut verdient.
Nun muss ich mich beeilen, um den Rest unserer Gruppe vor der Mainstage 2 zu treffen.
Blues Pills
Hier ist nämlich das Konzert der Blues Pills angesagt, die mit „Proud Woman“ loslegen. Der Bluesrock der Schweden ist gerade ein rechtes Kontrastprogramm zu vorher und bietet fast schon Entspannung. Das gilt natürlich nicht für Frontfrau Elin Larson, die in gewohnter Manier auf der Bühne hin und her tanzt, die Leute immer wieder zum Klatschen anregt und so viel Zeit in der Hocke verbringt, dass ich an ihrer Stelle schon lange Muskelkater in den Oberschenkeln hätte. Im Gegensatz zu vergangenen Auftritten ist aber sogar sie etwas gemächlicher unterwegs als auch schon. Doch da sprechen wir von Veränderungen auf einem hohen Niveau.
Der Rest der Band agiert solide, verbleibt aber im Hintergrund hinter Elin. Mir ist die dargebotene Musik wie bereits beim letzten Mal nach einer Weile etwas zu bluesgetränkt, auch wenn dieser Aspekt weniger stark zum Tragen kommt wie damals, als Gitarrist Dorian Sorriaux noch aktives Mitglied war. In ihrer Sparte bieten die Blues Pills aber eine gute Show, die sich sehen lassen kann. Jetzt freue ich mich dennoch über etwas mehr Dampf im Temple.
pam: Ich frag mich grad, wo ich grad stecke.
Fotos Blues Pills – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
Stöner (Fotos – Alain)
Dirty Shirt and the Transylvanian Folkcore Orchestra
Raphi: Was mich hier erwartet, erahne ich nicht in Ansätzen. Ich weiss nur, dass Dirty Shirt eine rumänische Folk Metal Band sind und sie mit einem kleinen folkloristischen Orchester auf Tour sind. Optisch wirkt das wie die Umbaupause am Abschlusskonzert in der Schule und musikalisch macht der erste Song ein wenig den Eindruck, als ob Haggard sich im Anschluss einer Reise nach Osteuropa von Trollfest zum Songwriting inspirieren haben lassen (pam: Köstlicher Vergleich, auch wenn dies hoffentlich nie wahr wird…).
Insgesamt zähle ich neunzehn Beteiligte auf der Bühne, gemäss Ansagen des Frontmanns sind sie sogar mit achtundzwanzig Personen angereist. Neben der klassischen Bandbesetzung steht da oben ein weiterer Sänger, mehrerer Violinen, ein DJ, ein Cimbal (eine Variante des Hackbretts), eine Klarinette, ein zweites Holzblasinstrument, das ich nicht richtig erkennen kann, das dem Klang nach aber eine Oboe sein könnte, eine klassische Gitarre und drei Backgroundsängerinnen, die zu allem was sonst schon auf der Bühne los ist, auch noch bei jedem Song eine synchrone Choreografie aufführen.
Nach der ersten Verwirrung fällt es mir schliesslich auch einfacher das ganze musikalisch einzuordnen. Die Basis der Songs bildet moderner Metal mit bisweilen leicht poppigen Anleihen. Darin flechten Dirty Shirt rumänisch geprägte folkloristische Melodien ein und arbeiten unter anderem bei „Geamparalele“ auch mit Rhythmen, wie sie in der östlichen Volksmusik immer wieder anzutreffen sind. Das Gemisch wird angereichert mit klarem Frauen- und Männergesang sowie harschen Vocals und abgerundet durch Beats und Einschübe des DJs. Das Ergebnis ist eine sehr eigenständige Art von Folk Metal, der zum Tanzen und Hüpfen anregt. Gefördert wird dies durch die aktiven Bandmitglieder, welche das Publikum mit viel Charme dazu animieren, sich zu bewegen und diesem verrückten Konzert auf einer äusserst aktiven Art beizuwohnen. Und das klappt, denn bei so viel geballtem Spass fällt es wirklich schwer, die Füsse stillzuhalten.
Als schliesslich der letzte Song angesagt wird, schaltet die ganze Truppe nochmals einen Gang höher. Die Backgroundsängerinnen machen sogar einen Stagedive und lassen sich vom Publikum herumtragen. Eine der drei wird von der Menge allerdings schnurstracks nach hinten aus dem Zelt herausbefördert, hoffentlich kriegen Dirty Shirt and the Transylvanian Folkcore Orchestra sie im Anschluss wieder zurück.
Pam, bist du auch so gut gelaunt wie ich?
pam: Ah, da bin ich. Aber sicher doch. Folk Metal darf alles, oder? Vor allem auch fröhlich sein und bei den Instrumenten gibt es sowieso keine Tabus. Also ich hab sogar 23 Leute auf der Bühne gezählt. Aber meine Augen sind vielleicht auch noch nicht ganz so wach wie deine. Aber anyway, schon krass, die haben ja einen halben Zirkus dabei. Selbsterklärend, dass dann keine Samples mehr nötig sind.
Ich staune übrigens Raphi, dass du als ehemaliger Hackbrettlärmetlär (der musste jetzt sein) das Hackbrett oder Cimbal wie du es nennst, nicht noch mehr abfeierst.
Raphi: Oh, ich feier das schon ab, glaub mir. Der Rest der Darbietung hat mich einfach so überrollt, dass ich gar nicht nachkomme mit hin und her schauen zwischen all den Instrumenten.
pam: Legendär sind auf jeden Fall die Ansagen der Bands mit wunderbarem Ost-Europa-Akzent. Müsterchen? Gerne: „Because we are at Hellfest and yesterday it was hot. Hot and summer, our next song is Hot for Summer.“ Na, wenn das keinen Sinn macht, dann darf aber Metallica auch nicht mehr „Whiplash“ spielen.
Ihr polkiger Sound und Auftritt hätte grosse Chancen am European Song Contest (ESC). Meine Stimme hätten sie. Das Fanzit: Perfekter Einstieg in einen wunderbarfröhlichen Festivaltag. Und weil ich grad so fröhlich bin, schau ich doch kurz bei der Pressekonferenz von Mister „Kill“-Mille von Kreator rein.
Und wer diese lustige Sause verpasst hat, das Konzert-Video von Dirty Shirt – mit leider gekürzten Ansagen …
Health (Fotos – Alain)
Kreator – Pressekonferenz mit Mille Petrozza
pam: Mille ist schon köstlich legendär. Was er an Live-Konzerten schon alles getötet und in Blut getränkt gesehen haben will entspricht eigentlich gar nicht seinem Naturell. Er sitzt ganz relaxed und auskunftsfreudig da. Ganz rockstarlässig mit dunkler Sonnenbrille.
Aufgrund der Fragen erfahren wir mehr über den Songswritungsprozess. Vor zwei Wochen kam ja die neue von Kreator – Hate über alles – raus. Und die hats knüppeldick drin, was es für ein hammermässiges Thrash Metal-Album Marke Kreator braucht. Nach dem folgenden Konzert von heute Abend notier ich mir, dass ich unbedingt noch eine Review zu diesem weiteren Meisterwerk schreiben muss. Die kommt noch, versprochen.
Nun, spannenderweise startet er beim Schreiben von neuen Songs mit dem Titel von diesen. Er kann dabei auch nicht mit Riffs von anderen arbeiten. Es muss bei ihm also alles aus einem Guss von ihm kommen.
Was er denn sonst so machen würde, wenn er kein Musiker wäre? Was denkt ihr? Er würde lazy am Strand hängen, eventuell surfen und ein bisschen tauchen. Und welche war die erste Band die er live sah? Iron Maiden, 1980 als Vorband von Kiss. Ob er dann Kiss noch angeschaut hat, erfahren wir leider nicht 😉. Aufgrund seiner musikalischen Entwicklung würde ich jetzt mal behaupten nein.
Meine Frage an ihn bezieht sich auf einen alten Dokumentarfilm von Kreator und ihrem Umfeld in den 80ern in Altenessen vom deutschen Fernsehen (siehe Doku). Wie stark ihn die Wurzeln im Ruhrgebiet heute in seiner Musik noch beeinflussen würden. Eigentlich gar nicht (mehr). Eher die ganze Musik-Community von damals und dass er in so jungen Jahren bereits ein Album aufnehmen konnte.
Welches Album er denn nicht mehr machen oder neu aufnehmen würde? Eigentlich würde er alle wieder veröffentlichen, einzig bei einem Album aus den Mitte 90er Jahren würde er den Mix ändern (das dürfte dann wohl „Cause For Conflict“ sein). Aber das sei halt immer sehr subjektiv, weil grad diese Scheibe das Lieblingsalbum ihres neuen Bassisten sei…
Danke Mille, aufs Selfie verzichte ich zugunsten eines anderen „Massenmörders“ auf der Bühne… Psycho-Jones… Raphi, lebt ihr noch?
Danko Jones
Raphi: Bis jetzt schon, sind wir denn in Gefahr? Danko Jones haben hier auf der Mainstage jedenfalls bereits angefangen, als wir eintreffen. Der Rock der Kanadier ist mir gerade etwas zu sanft, um voll durchzustarten, aber durchaus nett genug, um hier am Auftritt zu verweilen. Dafür ist Frontmann Danko Jones eine Rampensau wie aus dem Bilderbuch. Kleines Beispiel gefällig: „Everybody in front of the stage makes so much noise that the people outsight of the Mainstages will wonder what’s going here.“ Die Menge lärmt mit vollem Einsatz und Danko brüllt regelrecht in Richtung Eingang: „THAT’S WHAT’S GOING ON HERE !!!“ Seine Band unterstützt ihn mit einem engagierten Auftritt, der sich durchaus sehen lassen kann, so dass ich unter dem Strich ein sanftes positives Fazit ziehe.
pam: Ja, überraschend sanft. Weil er kann definitiv auch anders. Dachte ich zumindest. Aber zu meiner Schande hab ich den guten Danko grad mit Devin Townsend verwechselt. Zu meiner Verteidigung, die beiden sehen ja wirklich sehr ähnlich aus und beide sind aus Kanada. Nun, der Danko ist nicht ganz so mit Killergrimassen wie der Devin drauf, aber seine Sprüche sind ja wirklich deftig-köstlich. Die werden in zwei Tagen an der offiziellen Hellfest-Pressekonferenz noch in die Gender-Woke-Diskussion einbezogen… warum genau, hab ich jedoch nicht so genau mitgekriegt. Nun, zumindest einmal erwähnt er am Konzert, dass er 2.5-mal den Daumen dreht und mit seinem „Dick“ spielt. Den Kontext dazu kann ich aber auch grad nicht mehr liefern. (Raphi: es ging darum, dass live spielen sich gerade genial anfühlt, weil wir aufgrund der Pandemie zweieinhalb Jahre nur zuhause Daumen drehen und mit unseren „Dicks“ spielen konnten 😉). Ach so. Na ja, selbst Rockstars werden vor political Correctness nicht verschont. Und mit dem Gruppendruckbiertrinken vergisst man das eine oder andere.
Ein weiteres Müsterchen von ihm, als die Fotografen wie üblich nach den ersten drei Songs den Fotograben verlassen müssen: Sie sollen die Show doch auch nach den drei Songs weiterschauen. Speziell der eine Fotograf, der bisher kein Foto gemacht habe und auf den 6 Mio. Doller-Shot warte. Schön, dass er dann auch um einen Applaus für die Fotografen bittet.
Soundmässig ist das nicht so weltbewegend, aber Danko ist ein genialer Entertainer und so macht das Konzert doch ziemlich Spass und Durst.
Am Hellfest trinkt man übrigens nicht wie an einem Greenfield oder so aus 3dl-Bechern, sondern man holt sich grad einen Pitcher, den man dann auch mit Freunden teilen kann. Gut, dann nimmt man meistens zwei oder drei. Und hat dabei auch die Auswahl von verschiedenen Bieren, vom klassischen Lager, zu Grimbergen Rouge oder auch einem Guinness im Offenausschank (Raphi: den Wein und den bretonischen Cidre verkaufen sie hier übrigens ebenfalls gleich im Pitcher) . Das hab ich so an einem Festival selten erlebt. Da schiesst Frankreich gegen Deutschland grad wieder ein Tor und ist damit wohl wieder in Führung. Hat jemand mitgezählt? Nun, es bleibt spannend.
Selbsterklärend, dass die Pitcher Mehrweg sind. Wie auch die Becher. Die man aber interessanterweise zwar bezahlt, aber nicht zurückgeben kann. Mit dem Effekt, dass wir praktisch die ganzen 4 Tage aus den gleichen Bechern trinken. Das nenn ich jetzt mal nachhaltig. Und was noch auffällt und mich offen gesagt auch ziemlich überrascht: Es gibt praktisch keinen Güsel – weder auf dem Park- bzw. unserem inoffiziellen Campingplatz, auf dem Weg zum Festivalgelände noch im Infield selbst. Vor dem Haupteingang stehen Glassammelcontainer, weil ja eh jeder zweite mit einem Bier aus der Glasflasche zum Gelände läuft. Also richtig, richtig geil und ein riesiges Châpeau vor den Franzosen. Wenn ich das mit dem Saustall Greenfield vergleiche… da gewinnt Frankreich gleich 10:0 gegen die Schweiz.
Fotos Danko Jones – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
Witchery (Fotos – Alain)
Nitzer Ebb
Raphi: Während du Getränke holst, halte ich so lange mal die Stellung, auch wenn Nitzer Ebb meinen Geschmack weit verfehlen. Die Briten spielen EBM, was für Electronic Body Music steht und sicherlich eine Besonderheit hier am Hellfest darstellt. Im Internet war im Voraus zu lesen, Trent Reznor, der später am Abend mit seiner Band Nine Inch Nails als Headliner spielen wird, hätte als Bedingung für seinen Auftritt ausgehandelt, dass er das heutige Programm auf der Mainstage 1 zusammenstellen darf. Aus diesem Grund liegt der Fokus hier auch auf Bands, die allesamt Schnittpunkte mit elektronischer Musik haben. Nitzer Ebb sind sicher das extremste Beispiel, was dies angeht. Auf der Bühne ist neben dem Sänger ausschliesslich ein Synthesizer zu sehen, der von einem weiteren Musiker bedient wird. Die Beats laufen ununterbrochen weiter, so dass die einzelnen Songs zu einem einzigen Klangablauf verschwimmen.
Den Publikumsreaktionen nach zu urteilen, kann nur eine kleine Schar an Besuchern wirklich etwas mit der Musik anfangen, was ihnen natürlich gegönnt sei. Ganz zum Schluss erklärt der Sänger, welcher sich als Vaughan Harris vorstellt noch, dass sonst neben ihm und David Gooday am Synthesizer eigentlich noch Douglas McCarthy als dritter Mann dazugehöre. Dieser sei aber krank, weshalb sie nun nur zu zweit aufgetreten seien (und ich nehms gleich vorweg: auch die nächste Band wird noch vom Pech eingeholt werden).
pam: Na ja, dann hatten wir ja noch Glück, dass es nur zwei von drei waren. Tapfer, dass du die Stellung gehalten hast, da hätte man mich festbinden müssen. Bei allem Winkelried in mir, aber sowas tu ich mir nicht freiwillig an. Schon gar nicht an einem Metalfestival. Man kann mir Intoleranz vorwerfen, aber sowas gehört hier nicht her. Auch nicht auf den Campingplatz und irgendeine Partybühne. Den Scheisstechno hören wir ja sonst schon zu genüge in jedem Club etc.
Benighted, Killing Joke (Fotos – Alain)
Dragonforce
Raphi: Zum Glück gibts gleich wieder Metal auf die Ohren. Der Bühnenaufbau mit unter anderem zwei riesigen Arcade Automaten verrät bereits, dass hier auf der Mainstage 2 gleich eine Gruppe auftreten wird, die mehr als nur kleine Berührungspunkte mit der Welt der Videospiele hat. Die Rede ist von Dragonforce, die mit „Highway to Oblivion“ furios und eingängig loslegen und mit „Fury of the Storm“ vor allem auf der furiosen Schiene weiterfahren.
Die ganze Band macht einen gut aufgelegten Eindruck: Neuzugang Alicia Vigil geniesst es sichtlich, hier mit dem Bass auf der Bühne stehen zu dürfen, Gitarrist Hermann Li ist sowieso eine Frohnatur schlechthin, Sänger Marc Hudson grinst genauso oft wie Gee Anzalone am Schlagzeug und auch Sam Totmann lässt durchblicken, dass er mit seiner Gitarre Spass hat. Der einzige Spielverderber bleibt der Wind, der den Sound hin und her wirft, dass es für die Tontechniker ein wahrer Albtraum sein muss. Das bessert zur Mitte des Sets hin etwas und „The Last Dragonborn“ wird mehrheitlich verschont. Bei diesem Lied treiben Dragonforce das Thema Videospiele auf die Spitze, indem sie auf dem grossen LED-Screen hinter ihnen Trailer und Intros aller möglichen Games einspielen von Assassin’s Creed bis zu Warcraft. Passend ist das aber durchaus, wurde der Song doch inspiriert vom Computerspiel Skyrim.
Mit „Cry Thunder“ steigert sich die Band noch etwas, bevor das Highlight „Valley of the Damned“ vom gleichnamigen Debutalbum folgt. Marc führt immer noch gekonnt durch das Konzert und sagt als nächstes eine Coverversion an: „My Heart Will Go On“ würden auch alle kennen und mitsingen können, die noch nie von Dragonforce gehört hätten. Der Song fällt allerdings auch in seiner „verdragonforceten“ Version kompositorisch gegenüber dem restlichen Liedgut doch merklich ab.
Kurz bevor der letzte Refrain einsetzt, beendet Hermann den Solopart mit seinem Signature Move, bei dem er die Gitarre hochhebt und aus Schulterhöhe fallen lässt, um sie mit dem Knie zurück in seine Hände zu kicken. Und genau hier holt das Pech den begnadeten Gitarristen ein: der Gitarrenhals bricht sauber und das Instrument fliegt in zwei Teilen an den ausgestreckten Händen vorbei zu Boden. Innert Sekunden streift Hermann den Gurt ab, lässt die zerstörte Gitarre liegen und holt sich aus dem Seitenbereich der Bühne ein neue mit der er den Song sogar noch mit zu Ende spielen kann. Der Strahlemann, der er ist, lacht er bereits mit Alicia darüber, kaum steht er wieder neben ihr auf der Bühne. Damit steht auch dem unvermeidlichen Schlusslicht auf der Setlist nichts mehr im Weg, mit dem die ganze Videospielverknüpfung begonnen hat: „Through the Fire and Flames“. Trotz aufgefrischtem Wind singt das zahlreiche Publikum mit und feiert nochmals so richtig mit Dragonforce.
pam: Nichts hinzuzufügen. Hat Spass gemacht und die überdimensionierten Arcade-Game-Kisten sehen schon sehr cool aus. Und bevor wir zu fröhlich werden, geht’s zu Kreeeeeaaaatoooooooor.
Kreator
Raphi: Genau, für Kreator sind wir nach einer kurzen Wanderung über das Gelände zurückgekehrt vor die Mainstage 2. Von dem Konzert hält uns auch der leichte Nieselregen nicht ab, den der Wind langsam mit sich bringt. Für die deutschen Urgesteine übergebe ich das Wort erst einmal an unseren Thrash-Spezialisten pam.
pam: Öhm, ja, was soll ich jetzt sagen. (Raphi: sag was gescheites 😉). Das reduziert den Druck jetzt nicht grad signifikant. Also eigentlich sagen die Fotos und Videos von uns nach dem Festival alles. Bei keiner anderen Band hat der gute alte Headbanger in mir so reingekickt wie bei Kreator. The Kreator has definitively returned. Auch sie haben jetzt nicht grad die Garage zu Hause geleert, als sie Richtung Frankreich losfuhren. Da hatten sie an anderen Festivals schon ganz anderes und viel mehr Arsenal dabei – wenn ich zum Beispiel an ihren Auftritt am Bang Your Head denke, wo sie spontan zum Headliner wurden.
Kreator ist wie ein Bordeaux. Der richtige Thrash-Metal-Jahrgang aus den 80ern und mit viel Liebe und Würde gealtert bzw. gelagert, werden sie immer besser. Die letzten 4, 5 Scheiben sind alle absolute Top-Alben über den Thrash-Metal hinaus. Und auch heute zeigen sie, dass man auch als ältere Band noch so richtig Gas geben kann. Nur Mille hält sich mit seinen „Kill. I want see blood in the mosh pit“-Sprüchen merklich zurück. Aber das nimmt nichts von der Power der messerscharfen Riffs und einzigartigen Aggressivität in Milles Gesang. Also für mich sind Kreator die ganz klaren Tagessieger und was sicher schon klar ist, sie werden auf dem Podium der Festivalgewinner sein. Vielleicht sogar ganz oben. Was denkst du Raphi?
Raphi: Da kommt mächtig Druck vor der Bühne. Kreator hauen voll rein und es funktioniert auf der ganzen Linie. Die ganze Band macht zudem einen sehr geerdeten Eindruck, der dem unprätentiösen Auftritt total entspricht. So schafft unter anderem Mille vor „The Flag of Hate“ spontan auf sehr sympathische Art ein Mitmachspielchen, bei dem die Leute nahe an der Bühne gegen die Leute weiter hinten antreten müssen. Das Backdrop wechselt immer wieder und zeigt einen Querschnitt durch die Albencover in Kreators Diskografie. Sowas ist mit dem LED-Screen natürlich um einiges einfacher zu realisieren als mit klassischen Stoffbannern. Dazu haben die deutschen Thrasher die Bühne übrigens mit diversen erhängten und aufgespiessten Puppen dekoriert. Ein wenig gestöbert haben sie also schon in der Garage. Zusammengefasst liefern Kreator durchs Band ab und können mich mit einem krachenden Konzert begeistern. Der Nieselregen geht inzwischen je länger je mehr über in einen ausgewachsenen Regenschauer. Das macht hungrig und ich beschliesse, Ministry sausen zu lassen, um mich zu verpflegen. Matthias, kannst du mal kurz übernehmen?
Fotos Kreator – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
Moonspell (Fotos – Alain)
Ministry
Matthias: Mach ich gerne. Es folgt ein Gastbeitrag zu Ministry. Das ist nun aber so, wie wenn ein Apple-User etwas zu einem Windowsgerät schreiben sollte, eher schwierig. Beginnen tut das Konzert auf alle Fälle mit Regen, etwas doch eher Seltenes auf dem Hellfest. Aber der Regenschutz will ja auch mal wieder benutzt werden, wäre schade, wenn wir den immer umsonst mitnehmen würden. Den Einstieg machen Ministry mit der Ukraine-Flagge, um danach loszulegen. Die musikalische Einordnung überlasse ich anderen (Raphi: Industrial Metal 😉), die Fans vor der Bühne feiern aber zumindest ab dem zweiten Song kräftig mit. Uns selbst reisst die Musik aber zu wenig mit – siehe Anfangsproblem – und wir beschliessen dann Mitte Konzert, uns ebenfalls den Essens- und Trinkgelüsten zu widmen, Croque Monsieur sei Dank.
pam: Ich hab zwar kurz bei Ministry vorbeigeschaut, aber war nicht meins. Industrial Metal ist bei mir ein schmaler Grad zwischen sehr geil und zu elektronisch, zu wenig Melodie, zu dumpf. Ministry landet bei mir eher im zweiten Topf. Und ja, ich gebs zu, der Regen treibt mich auch her zu den bedachten Bühnen…
Raphi: Da der Himmel nun vollends seine Schleusen öffnet, treffen wir uns im Schutz des Zelts beim Temple wieder. Eigentlich stünde jetzt Alice Cooper auf dem Programm, aber schauen wir doch mal, was hier drin als nächstes angesagt ist.
Marduk
Raphi: Ah, Marduk, warum auch nicht. Ist musikalisch zwar meilenweit von Herrn Cooper entfernt, aber wird sicher auch lustig. Wobei lustig vielleicht die Essenz des Black Metals, den die Schweden spielen, nicht ganz korrekt beschreibt. Intensiv wäre vermutlich ein besseres Wort. Oder kraftvoll. Oder energetisch. Sicherlich überraschend zugänglich. Mit letztgenannter Meinung stehe ich in unserer Gruppe aber alleine da, denn bereits nach „Frontschwein“ als erstem Song verlassen mich die anderen, um ins Camp zurückzukehren. Dabei regnet es draussen immer noch. Ich ziehe auf jeden Fall Marduk jedem Regentropfen vor und wenn eine Band mit einem derart ausdrucksvollen und mächtigen Auftritt überzeugt, ist das Wetter sowieso schnell vergessen. Links und rechts neben mir werden ebenfalls die Fäuste gereckt und der Kopf geschüttelt, die Band macht also offensichtlich einiges richtig. Nach einer Stunde und „Panzer Divison Marduk“ ist Schluss und der Regen hat auch aufgehört. Meine verehrten Kollegen, das ist nun der richtige Zeitpunkt, um schlafen zu gehen.
pam: Ich irre noch etwas in der VIP-Bar rum und geb mich ein bisschen den Schnäpsen hin. Aber irgendwann hab ich auch genug und es wissen nur noch die Götter, ob ich jetzt vor oder nach Raphi zurück in unserem Camp bin. Aber egal, morgen geht’s ja wieder weiter mit dem den-Mann-stehen.
Hellfest Part 2 2022 – Tag 6 von 7 (Samstag, 25. Juni)
Raphi: Ein weiterer Tag verlangt nach früher Tagwache, denn auch heute geht es von Öffnung des Konzertgeländes weg los mit sehenswerten Bands. Zum Stichwort sehenswert sind von gestern zuvorderst der überbordende Auftritt von Dirty Shirt und dem Transylvanian Folkcore Orchestra, die Fröhlichkeit bei den Sons of O’Flaherty und der starke Gig von Kreator im Gedächtnis. Dann mache ich mich doch mal auf zur Mainstage 2, um der Liste noch weitere Namen hinzuzufügen. Pam, du darfst noch etwas liegen bleiben bis zu deinem Einsatz.
pam: Danke Raphi. Sehr gnädig. Ich muss mir ja auch wieder eine Dusche suchen. Ich gehöre zu den uncoolen, die jeden Morgen Duschen und Haarewaschen müssen. Sonst bringt man mich nicht raus. Gestern hatte ich mir noch eine „bezahlte“ Dusche mit eigenem Kabäuschen geleistet, in der Hoffnung, dass ich dort meinen Föhn anstöpseln kann. Aber das war nix. Bei den öffentlichen Duschen gibt es keinen Strom. Da wird dem Hellfest grad mindestens ein Goal aberkannt. Duschen und Haarewaschen und Föhnen geht gar nicht. Drum mach ich heute auf FKK und Dusche mit der Masse. Bevor jetzt eure Fantasie abgeht, die mit wirklich schönen Körpern teilen den Freikörperkult nicht mit uns.
Und was ist jetzt mit Haareföhnen? Tja, da weiss Mann sich zu helfen. Ich geh ins Pressezelt, wo all die Fotografen ihre Fotos sichten und aussortieren, denn dort hat es genügend Steckdosen. Es führt zu einer kleineren Auflockerung in unserer Truppe, als ich denen später davon erzähle. Ja, das war sicher ein lustiges Bild, als ich da mittendrin am Haareföhnen war. Vor allem mit meinem pinkigen Mini-Girli-Föhn. Jetzt darf eure Fantasie abgehen.
Und noch die Ironie der Geschichte: Kaum hab ich meine Haare schön geföhnt und laufe los zurück zum Camp, fängt es mal richtig an zu regnen. Ich werde mehr oder weniger zum ersten und einzigen Mal nass am Hellfest Part 2 2022.
Sodeli, dann hätten wir auch das abgehakt. Raphi, du darfst wieder zum Wesentlichen kommen. Was bietet der Frühschoppen?
Existance
Raphi: Nichts geringeres als guter alter Heavy Metal erwartet mich hier und Existance präsentieren ihn endlich so, wie ich mir das wünsche: mit viel Saft, voller Elan und der Spielfreude in Grossbuchstaben ins Gesicht geschrieben. Ja, die spielen die ehrwürdigen Pioniere gleich mal an die Wand und das vor einem Bruchteil der Zuschauer, die andere Bands vor sich versammelt sahen. Beirren lassen sich die vier Franzosen davon kein bisschen. Im Gegenteil, sie ziehen ihr Ding voll durch. Antoine Poiret an der Gitarre und Julien Robilliard stehen kaum einmal still, während Julian Izard als Frontmann mit Gitarre und Gesang die Band selbstbewusst anführt.
Existance ziehen alle Register inklusive Mitsingspielchen bei „Power of the Gods“, die sie aber nicht unnötig in die Länge ziehen sondern in einem sehr vergnüglichen Ausmass in den Song einbauen. Das Publikum dankt es ihnen mit beherztem Einsatz und entsprechendem Jubel. Julian holt dafür zum Abschluss noch die T-Shirt-Kanone raus und verschiesst mit sichtlichem Spass an der Sache mehrere der Kleidungsstücke in die Reihen der Fans. Existance empfehlen sich mit diesem Auftritt definitiv für zukünftige Konzertbesuche. Den letzten Song vor mich hin summend wandere ich hinüber zum Temple für den nächsten Programmpunkt.
Les Chants de Nihil
Bezüglich des Herkunftslandes verbleiben wir allerdings noch in Frankreich, denn auch Les Chants de Nihil stammen von hier (pam: Das Greenfield könnte sich da was abkupfern… und auch ein paar mehr einheimische Bands ins Billing einbauen). Ihr Black Metal zeichnet sich durch vielschichtige Lieder aus, denen eine gewisse Komplexität nicht abzusprechen ist. Besonders haften bleiben bei mir zwei Songs. Einerseits „Le tyran et l’esthète“, eine interessante Komposition, die viele abwechslungsreiche Elemente enthält und andererseits vor allem „Ma doctrine, ta vanité“. Der Song wird eingeleitet mit Chorgesang von der ganzen Band und die Melodie greift diese schönen melancholischen Harmonien auf, wie sie im französischen Liedgut aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert so verbreitet sind. Das verleiht dem Stück eine starke eigene Identität und lässt es aus der restlichen Setlist hervorstechen.
Der Auftritt an und für sich bleibt etwas statisch. Etwas mehr Wildheit hätte den Songs vermutlich nicht geschadet. So nehme ich primär die beiden erwähnten Lieder mit auf den Weg zu den Essensständen, doch halt, was ist das? Vom Bereich der Mainstages her ertönt ein symphonisches Intro voller Epik. Wer spielt denn dort als nächstes auf?
Manigance
Ein Blick auf das Backdrop verrät den Namen Manigance, was so viel bedeutet wie Ränkeschmied. Das sagt mir jetzt gerade gar nichts, aber gemessen am Intro lohnt es sich sicherlich, das Essen auf später zu verschieben. Als die ersten Takte der Band erklingen, ist es wie vom Intro aus geschlussfolgert Power Metal, der aus den Boxen erschallt. Die Texte sind dabei ganz in Französisch gehalten, was irgendwie sehr gut zur Musik passt. Ins Auge sticht zudem der Bassist, welcher immer wieder die Bühnenseite wechselt und so für einiges an Dynamik sorgt. Die Sängerin kümmert sich derweil um die Aktivierung des Publikums, was bei den Fans in den vorderen Reihen gut, etwas weiter hinten eher mässig funktioniert.
Nachdem ein wenig mehr als die Hälfte der Auftrittszeit vorüber ist, wird der Song „Haute trahison“ angesagt und für den holen Manigance Julian auf die Bühne, der heute Morgen bereits mit Existance hier vorne stand. Das Duett der beiden Stimmen tönt trotz der sehr ähnlichen Stimmfarbe ansprechend und die Chemie auf der Bühne bietet das gewisse etwas, nachdem solche Duette verlangen. Als das Konzert schliesslich vorüber ist, bin ich froh, die Verpflegungspause noch etwas aufgeschoben zu haben, denn das war die Musik von Manigance wert. Zeit zum Essen ist jetzt ja vorhanden, bevor es hier auf der Mainstage 2 weitergeht.
Gloryhammer
Das Intro entbehrt ebenfalls nicht einer gewissen Epik und schon zeigen sich Gloryhammer vor einem äusserst grossen Meer an erhobenen Horns. Die Schotten scheinen hier am Hellfest auf eine grosse Fangemeinde zählen zu können. Dadurch erhält der neue Mann am Mikrofon, Sozos Michael, bereits beim eröffnenden „The Siege of Dunkeld (In Hoots We Trust)“ lautstarke Unterstützung im Refrain und „Gloryhammer“ wird bis weit nach hinten nicht minder enthusiastisch mitgebrüllt. In der Zwischenzeit ist auch bereits ein Goblin auf der Bühne aufgetaucht, der von Sozos in seiner Rolle als Angus McFife mit dem grossen Schaumstoffhammer verprügelt wird, bevor jener die knapp zwei Monate alte Single „Fly Away“ anstimmt.
Nicht dass Gloryhammer wahnsinnig tiefgründige Musik schreiben würden, aber dieser Song ist nochmals ein Stück simpler und spannungsärmer aufgebaut als der Rest. Mit „Hootsforce“ geht es weiter, die Band setzt also gerade voll auf ihre Singleauskopplungen. In dieses Schema passen auch noch „Angus McFife“ und „Universe on Fire“, welche vom Publikum kräftig abgefeiert werden. Sozos meistert seine Aufgabe als neuer Frontmann ohne Blösse, auch wenn ihm der spitzbübische Charme von Thomas Winkler abgeht und er noch nicht komplett in seinem Charakter aufgeht. Da drücken wir aber ein Auge zu und geben ihm noch etwas Zeit, um so richtig in die Rolle reinzuwachsen. Wieso dagegen James Cartwright am Bass so viel zurückhaltender als auch schon agiert, kann ich nicht ergründen. „The Unicorn Invasion of Dundee“, bei dem Angus McFife auch noch Keyboarder Michael Barber alias Zargothrax mit dem Hammer traktieren darf, beendet schlussendlich das Konzert von Gloryhammer oder genaugenommen eigentlich das Outro „The National Anthem of Unst“ zu dem sich die Band nochmals ordentlich bejubeln lässt.
Humanity’s Last Breath (Fotos – Alain)
Fejd
Wieder einmal wechseln wir die Bühne. Im Temple spielen Fejd und die schwedischen Folk Metaller möchte ich mir nicht entgehen lassen. Nicht nur weil die Schlüsselfidel ein Instrument ist, das selten auf der Bühne anzutreffen ist, sondern auch weil die Band ihren Liedern einen sehr archaischen Charakter verleiht. Einerseits natürlich durch den Einsatz besagter Schlüsselfidel und weiterer folkloristischer Instrumente, andererseits aber vor allem durch die Melodieführung und Zusammensetzung der Kompositionen, deren Inspiration problemlos auf die Grundzüge der schwedischen Volksmusik zurückgeführt werden kann.
Dem Auftritt haftet dann auch trotz des Metalanteils eine gewisse Gemütlichkeit an. Bei „Drängen och kråkan“ wäre beispielsweise ein Lagerfeuer in der Mitte der Zuhörerschaft gar nicht fehl am Platz. Bei anderen Bands würde ich eine solche entspannte Unaufgeregtheit, die sich auch im Allgemeinen Auftreten der ganzen Truppe niederschlägt, vermutlich eher negativ beurteilen, doch hier bei Fejd wirkt es sehr stimmig, dass die sechs Musiker einfach sauber aufgereiht da vorne auf der Bühne stehen und ihre Lieder zum Besten geben. Enthusiastische Moshpits oder ähnliche Aktionen seitens des Publikums bleiben dementsprechend aus, aber ein Blick nach links und rechts zeigt, dass die Anwesenden das Konzert deswegen nicht weniger geniessen. Ein Umstand, den auch der warme Abschiedsapplaus bekräftigt, ob dem die Band sichtlich erfreut ist. Verdient haben ihn sich Fejd mit ihrem schönen Konzert definitiv.
Folk (Death) Metal ist nach einer kurzen Verschnaufpause auch weiterhin angesagt, allerdings nicht hier im Temple sondern auf der Mainstage 2.
Fotos Fejd – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
Betraying the Martyrs (Fotos – Alain)
Gary Clark Jr (Fotos – Alain)
Eluveitie
Mittlerweile ist auch pam eingetroffen und als langjähriger Fan von Eluveitie gebühren ihm nun die ersten Worte zu den Schweizern.
pam: Damit starte ich jetzt auch in meinen Konzerte-Marathon. Heute ist für meinen Musikgeschmack der beste Tag am Hellfest. Aber welcher Tag ist bei diesem Line-up schon nicht gut? (Raphi: der Abreisetag…)
Nach einer gefühlten Ewigkeit sehe ich unsere ureigene Speerspitze des Folk Death Metals endlich wieder Mal live. Ich will schon schreiben, seit Corona das erste Mal. Das stimmt jedoch nicht. Es kommt mir nämlich doch noch in den Sinn, dass ich sie letztes Jahr ja auch am Alcatraz Festival in Belgien gesehen habe.
Aber 10 Monate ohne Elu ist dennoch eine lange Zeit und vielleicht sogar ein neuer persönlicher Rekord seit meinem ersten Konzert von Chrigel & Co. Umso mehr freue ich mich, als sie grad mit meinem absoluten Lieblingssong „Rebirth“ starten. Der hat alles drin, was Elu ausmacht: Sehr geiles Death Metal Riff und (zweistimmige) Soli, Growls und Klargesang und alle „Folk-Instrumente“ kommen ebenfalls zum Zug. Es ist so eine Art Signature-Song – ähnlich wie „Helvetios“ – mit dem sie gleich markieren, was die Meute heute erwarten darf. Aber bei Eluveitie ist es Open-Air oft so, dass es ein, zwei Songs braucht, bis der Song gut abgemischt ist. Neun Musiker und noch mehr Instrumente auf der Bühne machen es für die Tontechniker jeweils nicht einfach – vor allem, wenn dann der Wind auch mithören möchte.
So kommt Rebirth nicht ganz so wuchtig und klar rüber wie gewohnt, wenn der jeweils im Zugabenblock folgt. Doch Eluveitie lässt nichts anbrennen und knallt grad zwei weitere Fan-Favorites nach. Also eine Art Zugabenblock zu Beginn. Mutig, aber auch sehr cool, so in das Set zu starten. Denn nach „King“ folgt grad der grösste „Hit“ der Band mit der Ansage: „This is for you: Inis Mona“. So früh hab ich diesen bei Eluveitie noch nie erlebt.
Das war ein starker Beginn und die Band ist supergut drauf. Chrigel strahlt und sein Charme wirkt bei seinen Ansagen definitiv bis in die Zehenspitzen. Und Fabienne tief in die Herzen der Franzosen rein. Das Strahlemädel macht einfach alles richtig. Vor allem wenn sie dann dies noch in lokaler Sprache macht – beispielweise vor „A Rose For Epona“. Da wird’s grad noch lauter und man sieht förmlich, wie ihr die Herzen zufliegen.
Ein Stich in meinem Herz versetzt jedoch die Tatsache, dass da eigentlich gar nicht neun, sondern nur acht Musiker*innen auf der Bühne stehen. Kai fehlt und mit ihm auch der Bass! C’est une catastrophe! Kai ist bekanntlich nie an Übersee Konzerten dabei. Der Legende nach weil er Flugangst hat. Aber hier ist man mit dem Bus unterwegs und schon gar nicht Übersee… ich meine aber gehört zu haben, dass ihn den Virus gepackt hat. Aber warum man dann nicht den Tour-/Sessionbassisten dabeihat, ist mir ein Rätsel und der Tolggen im Reinheft. Die Ironie dabei: Als am Anfang der Sound noch nicht so gut abgemischt war, ist ausgerechnet der Bass ab Band viel zu laut im Verhältnis mit den live gespielten Instrumenten…
Ansonsten wechselt sich der eine zum anderen Hühnermoment im sehr gut gefüllten Infield ab. Die Schweizer sind hier eine Institution. Gemäss Setlist.fm ist das heute schon der vierte Auftritt am Hellfest. Von der Setliste her – die schon kürzer als gewohnt ist – sind einige (Halb-)Balladen dabei. Man hat jetzt nicht grad den Frontalangriff ausgefahren, aber ich denke, der Mix kommt beim Publikum um diese Zeit (zwischen 16 und 17 Uhr) und von der Mainstage gut an. Einziger Bruch im Konzert ist dann schliesslich der letzte Song – welches auch grad der neue Song ist: „Aidus“. Nun, ist halt immer so eine Sache mit neuen Songs an einem Festival-Set. Dazu kommt, dass zumindest für mich, dies jetzt nicht grad der weiteste Wurf von Elu ist. Ich hab den noch nicht so ganz ins Herz geschlossen. Aber die Reihenfolge der Songs war heute definitiv sehr speziell und eigentlich auch cool. Es muss nicht immer der grösste Hit am Schluss kommen.
Die Band lässt sich danach zu Recht von der Menge feiern. Das war sehr stark.
Aber genug von mir. Raphi, siehste, das passiert, wenn du mir den Vortritt gibst. Bin gespannt, was dein Eindruck ist. Du stehst ja grad neben mir 😉.
Raphi: Genau deshalb habe ich dir den Vortritt ja gelassen. Bei mir ist es bereits eine ganze Weile her, seit ich Eluveitie das letzte Mal live gesehen habe. Wenn ich den Vergleich zu den Konzerten in meiner Erinnerung ziehe, dann ist die Band mit den Jahren etwas ruhiger geworden. Das trifft einerseits auf die Darbietung an und für sich zu, als auch auf die Lieder, welche das Oktett für den heutigen Auftritt ausgewählt hat. Unter dem Strich hören wir mit der heutigen Setlist fast mehr Musik zum einfach Zuhören als solche zum total Abgehen. Nicht, dass dies die Fans hiervon abhalten würde. Sicher gut kommt beim Publikum an, dass Fabienne „L’Appel des Montagnes“ in der hiesigen Landessprache singt. Auch ihre französischen Ansagen erzeugen eine grosse Resonanz. Schade finde ich hingegen, dass Chrigel keinerlei Bezug auf die vielen traditionellen Melodien nimmt, die Eluveitie in ihren Kompositionen verwenden. Clisson liegt immerhin direkt an der Grenze zur Bretagne und da würde sich doch beispielsweise bei „Inis Mona“ ein Querverweis auf das dem Song zugrundeliegende, lokal sicher bekannte „Tri martolod“ mehr als anbieten. Nichtsdestotrotz werden Eluveitie von der Menge mit viel Jubel belohnt zwischen den Songs und natürlich auch am Ende des Konzerts nachdem als letzter Song „Aidus“ verklungen ist.
Setliste Eluveitie – Hellfest Part 2 2022
- Rebirth
- King
- Inis Mona
- Deathwalker
- A Rose for Epona
- Ambiramus
- Havoc
- L’Appel des Montagnes
- Aidus
Das ganze Konzert von Eluveitie auf Arte.
pam: Das war für mich ganz klar ein weiteres Highlight am Hellfest Part 2 2022.
Fotos Eluveitie – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
The Rumjacks
pam: Wenn wir doch grad bei irisch angehauchtem Folk Metal sind, dann schauen wir doch noch schnell in der Warzone bei den Australiern The Rumjacks vorbei. Doch die Warzone ist pumpenvoll und so lauschen wir von weiter hinten auf der Seite den lüpfigen Klängen und sehen von fern einen fetten Circle Pit.
Myles Kennedy (Fotos – Alain)
Wir schalten zurück zur Hauptbühne. Raphi, was kannst du berichten? Ich bin auch gleich wieder präsent.Epica
Raphi: Nach dem kurzen Abstecher zu den Rumjacks geht es mit Epica auf der Mainstage 2 weiter und die Niederländer haben eine Bühne aus dutzenden Metallstreben mitgebracht, die links und rechts von zwei metallenen Kobraköpfen beschlossen wird (pam: Die bisher eindrücklichste und schönste Bühnendeko). Begleitet von Feuer und Flamme kredenzt uns das Sextett lupenreinen Symphonic Metal, der auch ganz ordentlich abgemischt ist.
Da ich die Band zum ersten Mal live erlebe, bin ich ziemlich überrascht, als Keyboarder Coen Janssen plötzlich mitsamt seinem Instrument hinter dem Schlagzeug durchdüst und auf der anderen Seite auch gleich noch eine Drehung um die eigene Achse vollführt. Die Videoaufnahmen auf den Bildschirmen neben der Bühne zeigen schliesslich eine in die Bodenplatten eingelassene Schiene, auf der sich das Keyboard bewegen lässt. Das ist eine sehr coole Idee um der Person, die das Instrument bedient, Spielraum zu ermöglichen und dem Auftritt mehr Dynamik zu verleihen. Auch der Rest der Band ist sehr aktiv, bewegt sich viel und headbangt regelmässig zur Musik. Dazu kommt eine Zusammenstellung an Songs, die einen konstant hohen Spannungsaufbau mit sich bringt und dem Konzert eine Konstanz verleiht, die ihm äusserst gut steht. Für mich sind Epica aktuell die Speerspitze des Subgenres. Sie haben diesbezüglich aus jüngerer Zeit die interessantesten Kompositionen vorzuweisen und mit dem heutigen Auftritt gezeigt, dass sie diese auf der Bühne auch umsetzen können. Dem grossen Applaus nach zu urteilen als die Band die Bühne verlässt, sind auch viele andere Metalheads zufrieden, die hier zugehört haben.
pam: Jo, ich auch. Meine einzige Notiz dazu: Gut.
Fotos Epica – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
Airbourne
Raphi: Kaum sind Epica verschwunden kündigt eine Luftalarmsirene die Ankunft der Australier von Airbourne an (pam: Und als Intro gibt’s „Heatseeker“ und „Fire Your Guns“ von den ganz grossen Landsleuten. Ich brauch endlich wieder AC/DC live). „Ready to Rock“ heisst es da gleich mal zu Beginn und das sind wir – trotz der vielen Konzerte die wir schon gesehen haben -immer noch. Doch nicht nur ich, auch die anderen Zuhörer vor der Mainstage 1 scheinen Bock auf klassischen Hard Rock zu haben, immerhin sind bereits die ersten Crowdsurfer unterwegs, um auf Händen getragen den Fotograben zu erreichen (im Nachhinein ist in der lokalen Zeitung anlässlich eines Interviews mit dem Securitychef zu lesen, dass es bei keinem anderen Konzert so viele Crowdsurfer gab wie bei Airbourne: über 300 Stück sollen es in diesen 75 Minuten gewesen sein).
„Back in the Game“ folgt als nächstes und danach „Too Much, Too Young, Too Fast“, dessen Refrain allerdings von etwas weniger Leuten mitgegrölt wird, als ich erwartet hätte. Am Engagement der Band kann es nicht liegen, das ist nämlich ausgezeichnet. Bereits nach diesen wenigen Songs, kann ich nachvollziehen, woher der gute Liveruf rührt, den Airbourne ihr Eigen nennen. Doch uns rufen jetzt langsame, schwere Klänge angefüllt mit Düsternis an einem anderen Ort zu sich.
Fotos Airbourne – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
Draconian
Doomiger Gothic Metal ist also angesagt im Altar, denn Draconian stehen auf der Bühne. Für die Band aus Schweden ist heute ein ganz spezielles Konzert. Es ist nämlich der letzte Auftritt von Sängerin Heike Langhans, die zehn Jahre nachdem sie die Nachfolge von Lisa Johansson angetreten hatte, weiterzieht. Eben diese Lisa Johansson kehrt nun zur Band zurück, um in die Fussstapfen von Heike zu treten. Wie es sich für eine standesgemässe Übergabe gehört, spielt die Band erst mal „The Sacrificial Flame“ und „Heavy Lies the Crown“ mit Heike am Mikrofon, bevor Lisa von ihr übernimmt und „Bloodflower“ gefolgt von „The Drowing Age“ zum Besten gibt.
Obwohl Gothic Metal eigentlich weniger mein Ding ist, kann ich mit den ausladenden Melodien von Draconian überraschend viel anfangen. Inmitten dieses riesigen Festivals existiert hier im Zelt gerade so etwas wie ein schwelgerischer Ruhepol. Da bin ich also froh, dass ich deiner Empfehlung gefolgt bin, pam. Der Höhepunkt sind dann natürlich die letzten drei Lieder, bei denen Heike und Lisa sich das Mikrofon teilen und im Duett singen. Überrascht bin ich nur, dass eher wenig Publikum anwesend ist, aber wer da ist, geniesst die Musik offensichtlich. Mit einer herzlichen Umarmung verabschieden sich die beiden Sängerinnen schliesslich voneinander und Heike verschwindet unter Applaus rasch von der Bühne. Doch die Band holt sie nochmals zurück für das abschliessende Foto vor der Menge. Auch ohne die Band vertieft zu kennen, war es schön, diesen speziellen Auftritt miterleben zu dürfen.
pam: Gothic ist schon sehr mein Ding. Vor allem wenn es bombastisch, episch, sphärisch und gerne auch mal düster ist und noch gerner auch operettenhaft gesungen wird. In diese Schublade passt Draconian sehr gut. Ich hab vor gut 20 Jahren mal eine Scheibe von denen gekauft und dann ein bisschen den Anschluss verloren. Kaum zurück vom Hellfest hab ich dann gleich aufgestockt und die letzten Alben alle bestellt. Und das hat sich gelohnt. Und endlich erlebe ich sie auch mal live. Sie wären dieses Jahr im März im Hall of Fame in Wetzikon gewesen – leider wurde das Konzert/die Tour jedoch abgesagt. Drum bin ich umso glücklicher hat es jetzt hier geklappt. Sehr stark und schön bist du dabei Raphi.
Was weniger stark als die Band und deren Songs sowie Performance ist, ist die Leistung vom Mischer. Leider überschlägt der Sound wieder mächtig – obwohl ich grad vor dem Mischpult stehe. Hört der Gute an den Reglern das denn nicht auch? Das ist mir manchmal echt ein Rätsel, wieso man das nicht besser hinkriegt. Oder sind das lokale Mischer und denen ist es einfach egal? Oder geht das manchmal technisch einfach nicht besser? Wäre echt froh, wenn mir das mal jemand beantworten könnte.
Raphi: Leider bin ich diesbezüglich genauso ratlos und kann deshalb auch nicht weiterhelfen. Zudem muss ich nun nach nebenan zum Temple. Währenddessen hat sich pam davon gemacht zur Mainstage 2.
Monkey3 (Fotos – Alain)
Nightwish
pam: Ja, Nightwish gehört bei mir immer noch zum Pflichtprogramm, auch wenn es immer viel Herzschmerz bedeutet. Epica waren stark, vor allem auch wie eigentlich immer deren Bühnenperformance und Instrumentalfraktion. Nightwish haben die ganz grossen Melodien, sind aber seit dem Abgang von Tarja eher lahm auf der Bühne. Das gilt leider auch für Sängerin Nummer drei Floor Jansen. Ich mag die sympathische Niederländerin ja sehr; sie hat eine starke Stimme, keine Frage. Insbesondere auch damals bei After Forever. Doch sie ist auf der Bühne oft sehr statisch und klebt am Mikrofonständer wie ein Ozzy oder der Meine Klaus.
Hey, aber bei „I Want My Tears Back“ belehrt sie mich eines Besseren und tanzt über die ganze Bühne. Das macht doch schon was ganz anderes her. Doch leider bleibt das die Ausnahme. Witzig, als dann „Nemo“ als sehr alter Song angekündigt wird. Shit, ich werde alt. Schön, den wieder mal zu hören – aber da klebt Floor schon wieder in guter alter Ozzy-Manier am Ständer. Stimmenmässig geht das so einigermassen mit Nemo, aber als darauf „Sleeping Sun“ folgt, klink ich mich kurz aus. Mein Herz blutet zu stark, dieser Song kann nur Tarja bringen. Tut mir leid, ich mag ein ewiger Nörgler sein, aber wenn ihr Tarja mit Nightwish erlebt habt, dann versteht ihr mich. Das war einfach eine andere Liga. Ich mag die Post-Tarja-Alben (bis auf das letzte Human II Human) alle wirklich sehr. Auch mit Anette, aber live ist es halt eine andere Geschichte, wenn die Nachfolgerinnen „Tarja-Songs“ singen. Und da gibt es ein paar, die funktionieren nur mit ihr. Dazu gehört definitiv „Sleeping Sun“.
Alles in allem haben Nightwish ein Hitfeuerwerk geliefert und für mich trotz meines blutenden Herzens bewiesen, dass sie bei den Symphonic Metal Bands (ohne Orchester) nach wie vor die Spitze bilden. Entschuldige Raphi, da bin ich also nicht ganz bei dir, was Epica betrifft (Raphi: Als Tarja-Fan von Herzen sei dir das gestattet). Auch wenn die sicher mit auf dem Podest stehen. Und klar an zweiter Stelle sind. Sie konnten den Abstand auch beträchtlich zur 1. Stelle verkürzen. Das liegt aber vor allem an Nightwish selber.
Aber wie läuft es denn im Temple?
Setliste Nightwish – Hellfest Part 2 2022
- Noise
- Planet Hell
- Tribal
- Élan
- Storytime
- How’s the Heart?
- Dark Chest of Wonders
- I Want My Tears Back
- Nemo
- Sleeping Sun
- Shoemaker
- Last Ride of the Day
- Ghost Love Score
- The Greatest Show on Earth
Fotos Nightwish – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
Myrkur: Folkesange
Raphi: Unter normalen Umständen wäre mir im Anschluss an Draconian nochmals ein sehr ruhiges Konzert vermutlich zu viel gewesen, aber die Stimme von Amalie Bruun alias Myrkur ist einfach wunderschön. Deshalb möchte ich hiervon auch nichts verpassen. Ruhig ist der Auftritt deshalb, weil Myrkur ein spezielles Set zu ihrem neusten Album Folkesange vorbereitet haben und dieses enthält nun mal ausschliesslich stromlose Lieder im nordisch volkstümlichen Stil respektive traditionelle skandinavische Volkslieder. Leider verzögern technische Probleme den Start, doch schliesslich klappt alles und wir kommen in den Genuss von einem sehr reduzierten Klang, bestehend aus wenigen Instrumenten und der über allem stehenden Stimme von Myrkur.
In ihren Ansagen erklärt sie bei verschiedenen Liedern, beispielsweise „House Carpenter“, die hinter dem Text stehende Geschichte, was trotz der gross dimensionierten Bühne für eine sehr intime Stimmung sorgt. Das Publikum, das anfangs noch etwas geschwätzig unterwegs war, lauscht mittlerweile aufmerksam und gebannt. So kommen die Stücke richtig schön zur Geltung und es entsteht eine andächtige Atmosphäre. Meine Highlights sind „Svea“ und vor allem „Gammelkäring“, die vor meinem geistigen Auge Fjorde mit steil abfallenden Felswänden, schroffen Steinlandschaften und dunklen Wäldern vorüberziehen lassen.
Aufgrund der Verzögerung zu Beginn muss leider ein Song von der Setlist gestrichen werden, welchen erfahren wir nicht. Ist ja auch egal, denn mit Kompositionen wie „Leaves of Yggdrasil“ treffen Myrkur sowieso voll ins Schwarze. Der hervorragende Auftritt endet schliesslich mit dem einzigen Lied im heutigen Programm, das nicht von Folkesange stammt. „Crown“ wurde ursprünglich auf Mareridt veröffentlicht, kann nicht ganz mit dem Rest der Stücke mithalten, ist aber immer noch sehr schön und so können sich Myrkur zum Schluss über viel Jubel freuen.
pam: Ui Raphi, nur schon beim Lesen krieg ich Hühnerhaut. Ich hab mir die CD jetzt grad bestellt. Die kannte ich gar nicht.
Guns N‘ Roses (erster Teil)
Raphi: Auf der Mainstage 1 beginnen nun Guns N‘ Roses mit ihrem zweieinhalbstündigen Konzert. Eine solche Spielzeit ist heutzutage schon bei normalen Konzerten kaum mehr üblich geschweige denn an einem Festival. Der Publikumsaufmarsch zeigt aber, dass das Interesse an der Band dies legitimiert. „Welcome to the Jungle“ wird bereits an dritter Stelle in den Nachthimmel geschmettert. Das anschliessende „Back in Black“ sorgt natürlich für Diskussionsstoff vor allem auch hinsichtlich Axl Roses ehemaligem Gastspiel bei AC/DC. Pam, ich übergebe an dieser Stelle mal an dich. Ich muss in den Tempel, denn dort spielt eine meiner Top 10-Bands.
pam: Tja, was soll ich sagen? Ich bin ja mit Guns n’ Roses in die Sek und gross geworden. Und gross wurden wir beide. Gut, bei mir auf die Länge bezogen. *Hüstel* Körperlänge. Ähm, die vertikale Körperlänge. Also egal, Guns n’ Roses sind nach wie vor eine grosse Nummer, auch wenn es Jahrzehnte dauerte, bis die Reunion zustande kam.
Und dass Axel immer noch singen kann, hat er – ja, ich hätte das selber auch nicht erwartet – mit AC/DC als Brian-Ersatz mehr als bewiesen. Doch ironischerweise ist heute „Back in Black“ der einzige Song, wo seine Stimme wirklich funktioniert. Und dann vielleicht noch bei einem anderen Cover, „Live and Let Die“. Bei den restlichen Songs ist die Stimme von Axl schon fast eine Tortour. Sein markantes Kreischsagengenäsle ist jetzt schon fast eine Parodie vom Original. So kommt es auch, dass seine Bandkollegen – die wollen ihn wohl auch nicht zu viel hören – möglichst viel Soli und Jam-Sessions einbauen. Duff übernimmt sogar bei einem Stooges-Cover – schön punkig – den Gesang komplett. Wer kam auf die Idee, G’N’R fast drei Stunden lang spielen zu lassen? Gekürzt auf 90 Minuten wäre das heute eine gute Show. (Raphi: da empfehle ich ein eingeschobenes Konzert von Moonsorrow zur Auflockerung) Aber irgendwann ist es mir einfach zu viel Gedoodle von Slash & Co., zu viel schlechter Gesang von Axl, so dass ich mich noch vor dem Zugabenblock verzieh – bei aller Liebe zur Band und deren Songs. Ein „Sweet Child o’ Mine“, welches in jeder Karaoke-Bar besser als das heute tönt, muss ich nicht haben.
Die Stimmung ist dann auch eher verhalten. Das war nicht so meins. Raphi kann euch sicher noch was vom Zugabenblock berichten. Ich bin dann mal weg bzw. zieh mir den Rest der Show auf den Screens so halbwegs im VIP-Zelt rein.
Moonsorrow
Raphi: Es ist viel zu lange her, seit ich Moonsorrow das letzte Mal gesehen habe. Das war vor fünfeinhalb Jahren auf der 70’000 Tons of Metal-Cruise und der Auftritt ist mir in bester Erinnerung (falls ihr eure Auffrischen möchtet, könnt ihr das mit dem entsprechenden Bericht hier tun). Die Band ist auch heute in bester Verfassung und bringt von Beginn weg mit „Kivenkantaja“ Druck und Atmosphäre zugleich auf die Bühne. Das ist einfach eine Qualität, die Moonsorrow so charakteristisch auszeichnet; dass die Finnen mitreissende Shows voller Energie spielen, obwohl ihr Folk Black Metal derart viele atmosphärische und schwierig umzusetzende Parts mit sich bringt.
„Ruttolehto“, das anschliessend gespielt wird ist gerade ein Paradebeispiel dafür. Gitarrist Mitja Harvilahti übernimmt dabei immer wieder eine Führungsrolle neben Frontmann Ville Sorvali, der den Hauptteil des Gesangs sowie den Bass verantwortet und mit der Ansage des nun folgenden „Jotunheim“ sicher viele Fanherzen höherschlagen lässt. Der Song ist ein Favorit vieler Anhänger von Moonsorrow und führt immer wieder die Listen der besten Lieder der Band an. Seiner epischen Melancholie stellt das Quintett die rifflastige Kompaktheit eines „Suden Tunti“ gegenüber, das in den vorderen Reihen zu wildem Kopfschütteln um mich herum führt. Davon verschont bleibe ich natürlich beileibe nicht, wer könnte denn bitteschön bei diesem Stampfer den Nacken stillhalten? Doch nichts währt ewig, nicht einmal bei Moonsorrow und bei den überlangen Songs, die den Grossteil der Setlist ausmachen, kommt die Truppe mit „Ihmisen aika“ bereits zum Schluss. Das Stück beinhaltet nochmals alle Facetten, die den Sound der Band definieren und beim verzweifelten Schrei von Ville kurz vor dem Schlussteil ist Hühnerhaut garantiert.
Als sich das Zelt zum Outro „Matkan Lopussa“ leert, stelle ich wieder einmal fest: Moonsorrow haben live einfach eine unglaubliche Konstanz zu bieten, die ihre Konzerte jedes Mal zu einem Erlebnis macht.
Fotos Moonsorrow – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
Guns N‘ Roses (zweiter Teil)
Raphi: Ich trete in die Nachtluft hinaus und realisiere, dass ja nach wie vor Guns N‘ Roses spielen. Da geselle ich mich doch mal zu den anderen und gönne mir noch etwas vom Auftritt der Hard Rocker. Die nutzen gerade die Videoleinwände zu „Coma“ in vollem Ausmass, es blitzt und leuchtet ohne Ende. Beim balladesken „Patience“ wird es danach recht schmalzig, da konnten mich die vorangehenden Bands mit ruhigen Songs um einiges mehr in Bann schlagen. Mit „You’re crazy“ nähern wir uns langsam dem Ende, das von „Paradise City“ eingeläutet wird. Ungewohnt wirds nochmals ganz zum Schluss hin, als Axl beim Ausklingen des Songs einfach sein Mikrofon ins Publikum wirft. Das habe ich nun auch noch nie an einem Konzert gesehen. Aber der dadurch entstehende Soundeffekt ist äusserst interessant und rundet den Song irgendwie ganz gut ab. Meine anschliessende Recherche zeigt auf, dass dies bei den Auftritten von Guns N‘ Roses üblich ist. Drumsticks und Plektren scheinen der Band zu wenig zu sein.
Da wir die Show etwas von der Seite verfolgen, haben wir zwar keine Chance das Mikrofon zu fangen (um es zurückzugeben natürlich!), müssen dafür aber auch keinen Meter laufen, um für das letzte Konzert des Tages auf der Mainstage 2 in Position zu sein und pam wieder zu begegnen.
Setliste Guns n’ Roses – Hellfest Part 2 2022
- It’s So Easy
- Mr. Brownstone
- Welcome to the Jungle
- Back in Black (AC/DC Cover)]
- Slither (Velvet Revolver Cover)
- Hard Skool
- Reckless Life
- Live and Let Die (Wings Cover)
- Shadow of Your Love
- Rocket Queen
- You Could Be Mine
- I Wanna Be Your Dog (Stooges Cover – Duff McKagan on vocals)
- Absurd
- Civil War
- Better
- Slash Guitar Solo]
- Sweet Child o‘ Mine
- November Rain
- Knockin‘ on Heaven’s Door (Bob Dylan Cover)
- Nightrain
- Coma*
- Patience*
- You’re Crazy*
- Paradise City*
*Zugabe
Converge : Bloodmoon (Fotos Alain)
Blind Guardian
Raphi: Das Finale bestreiten hier Blind Guardian und die haben etwas spezielles mitgebracht. Nein, keine aufwändigen Bühnenaufbauten, da bleibt es beim Hintergrund auf der LED-Leinwand. Doch der verrät, worum es geht. Die Band spielt heute nämlich ihr beliebtes Album Somewhere Far Beyond (SFB), das fast auf den Tag genau heute vor dreissig Jahren veröffentlicht wurde in seiner ganzen Ganzheit. Doch die deutschen Power Metaller spielen sich erst mal mit „Into the Storm“ von Nightfall in Middle-Earth samt zugehörigem Intro „War of the Wrath“ warm. Die sogleich folgenden Guardian! Guardian!-Rufe kommentiert Sänger Hanis Kürsch augenzwinkernd mit „Other Bands play…we do the magic“, bevor er zu „Welcome to Dying“ ansetzt. Anschliessend kehren Blind Guardian mit „Nightfall“ und „Time Stands Still (At the Iron Hill)“, bei dem der Chor im Refrain ein wenig mehr in den Vordergrund gemischt sein dürfte, nochmals nach Mittelerde beziehungsweise ihrem Album über das von J.R.R. Tolkien geschriebene Silmarillion zurück, bevor es dann so weit ist.
pam: Die Somewhere-Scheibe gehört bei mir zusammen mit dem absoluten Top-Album Imaginations From The Other Side zu meinen beiden Lieblingen von Blind Guardian. Dementsprechend hab ich mich auf den Aufritt mit SFB in voller Länge gefreut. Doch fast gleichzeitig spielen die unvergleichlichen The Exploited. Da muss ich jetzt nach den ersten Songs von BG hin. SFB spare ich mir fürs Z7 am 4. September 2022 auf. Also, ich bin dann mal in der Warzone.
Raphi: Viel Vergnügen. Mit „Time what is Time“ beginnt bei uns der Reigen an Liedern von Somewhere Far Beyond. Der Song sorgt für Stimmung im Publikum und es braucht nicht viel Anleitung von Hansi, damit die Fans mitklatschen. Auch die Zwischenspiele wie „Black Chamber“ lassen Blind Guardian nicht aussen vor, die Band spielt wirklich das ganze Album von vorne bis hinten durch. Für mich sticht das Doppelpack „The Quest for Tanelorn“ und „Ashes to Ashes“ am meisten heraus, doch es fällt kein Song wirklich ab gegenüber dem Rest. Dass „The Bard’s Song – In the Forest“ vom Publikum praktisch ohne Hansi gesungen wird, brauche ich hier vermutlich nicht zu erwähnen, ist dies doch schon lange üblich an Konzerten der Band.
Eindrücklich ist es jedes Mal wieder und ganz sicher auch eine Auszeichnung für die Musik von Blind Guardian. Ebenfalls sehr toll ist „The Bard’s Song – The Hobbit“, der nun schon eine ganze Weile nicht mehr zu hören war. Nach dem Titeltrack des heute jubilierenden Albums ist aber nicht Schluss. Es folgen noch die beiden Unvermeidbaren. Zuerst „Mirror Mirror“, das wie immer eine Knallerhymne ist. Die Fans singen heute sogar die beiden Riffs mit, mit denen das Stück beginnt, vom Refrain ganz zu schweigen. Noch mehr drehen die Leute dann natürlich auf bei „Valhalla“, mit dem das starke Konzert ausklingt. Blind Guardian haben einen Auftritt ohne Firlefanz in höchster Qualität abgeliefert.
Pam, ist dir das bei The Exploited auch vergönnt?
The Exploited
pam: Ui aber sowas von. Während ihr da drüben auf der anderen Seite vom Mittelerde-Wald am Hobbit-Lieder-Schunkeln seid (Raphi: hey, es waren immerhin die Hobbits, welche den verdammten Ring zum Schicksalsberg getragen haben und wir alle wissen: man spaziert nicht einfach so nach Mordor), erleb ich da im Warzone den totalen Abriss! Die für mich noch wirklich echten Punker alter Schule zeigen wieder Mal, was unendliche Energie ohne Firlefanz ist. Vor allem Sänger Wattie Buchan steht keine Sekunde still. Kein Wunder hatte der schon zwei Mal einen Herzinfarkt auf der Bühne… Immer wieder knallt er das Mikro auf seinen auf der Seite kahl rasierten Irokesenschädel. Seine Ansagen sind auf das Aufsagen des jeweiligen Song-Titels beschränkt. Ausser einmal sagte er mit einem sarkastischen Unterton zusätzlich: „Who was at the Guns n’ Roses (show)? They were fucking shit.“ Wie recht er doch hat. Sagt es und kümmert sich wieder um den Abriss. Mehr braucht es nicht. Solche Abrisse von ihnen hab ich bei uns schon in der Schüür (Luzern) und im Dynamo (Zürich) erlebt. Die letzte Show in diesem Jahr im Sedel hab ich leider verpasst. Umso mehr geniesse ich hier jede Sekunde dieses denkwürdigen Auftritts. Die ganze Warzone ist im Krieg. Im Krieg mit der Physik, den Deos, den Haaren, denn der Moshpit ist völlig ausser Kontrolle.
Da soll mir keiner mit Guns n’ Roses oder Scorpions kommen, ja die sind halt schon alt, die können es halt nicht mehr besser. Dass das auch im höheren Alter geht, beweist genau ein Wattie.
Ich bin positiv überrascht, dass The Exploited auch auf einer grossen Open Air-Bühne funktionieren. Lustig sieht das zu klein geratene Backdrop mit dem markanten Irokesen-Schädel Marke Pushead aus. Das wirkt bei der grossen Bühne wie ein Shirt, dass beim Waschen eingegangen ist.
Leute, ihr glaubt mir jetzt nicht, was ich grad erlebe. Beim wohl letzten Song „Sex And Violence“ sagt Wattie, dass alle auf die Bühne kommen sollen. Die Franzosen gehorchen da ja noch mehr als die Deutschen… und so passiert es, dass zwar die ersten die die Bühne besteigen wollen, noch von der Security zurückbeordert werden, aber irgendwann sind es schlicht zu viele. Das wirkt wie die Szene bei „World War Z“ als all die Zombies die Mauer hochklettern. Irgendwann ist die wirklich nicht kleine Bühne komplett mit Leuten besetzt – ein Wunder, dass die Bühne nicht zusammenbricht. Weil die Meute steht dann da nicht einfach so rum, der Moshpit findet jetzt komplett auf der Bühne statt! Inklusive Crowdsurfing. Sowas hab ich noch nie gesehen !!! Ich bin komplett geflashed.
Ihr glaub mir nicht? Dann schaut euch mal das Video an (ab der 56. Minute bzw. 1 h 1 min … am besten grad das ganze Konzert).
Es kann heute nur einen Tagesgewinner geben: THE EXPLOITED !!!
Nach diesem denkwürdigen Ereignis meldet sich mein Magen. Ich geh mal was essen, nimm einen Lemmy auf Lemmy, weil der steht hier ja in wohl 30 Meter Höhe und unten drin soll ein Teil seiner Asche sein. Leute, ich weiss, ich wiederhol mich, aber alleine die Lemmy Statue ist ein Besuch am Hellfest wert. Die übertrifft die Lemmy-Statue in Wacken um Längen und auch designmässig sehr, sehr geil. Frankreich: Goooooaaaal.
Ein Goal haben auch meine Freunde der Raphi Gang geschossen. Ich sage jetzt nicht, sie hätten sie abgeschossen. Aber als ich die nach längerem wieder Mal treffe – inklusive Nicole – sind alle ziemlich „fröhlich“ drauf. Klar, dass man in diesem Hoch noch nicht ins Bett kann. So verlassen wir zwar das Infield – das jetzt sowieso schliesst – und gehen Richtung offiziellem Camping bzw. dem Partybereich davor, dem sogenannten „Metal Corner“. Bevor wir jedoch aus dem Infield gehen, darf Siman endlich noch ein bisschen vom abendlichen Feuer geniessen. Da sind ein paar Pyromanen*innen am Werk, die mit dem – nicht ganz überraschend – Feuer spielen, jonglieren und schauen, dass es nicht ausgeht. Befeuert wird das übrigens mit Rebenholz, was schöne Funken schlägt und wunderbar brennt.
Im Metal Corner gibt es dann nochmals Food für alle in fester und flüssiger Form inklusive weiteren Lemmys. Weitere Details lass ich jetzt im Sinne aller Beteiligten aus und so um halb 5 ist dann Bettruhe. Raphi, du warst ja vernünftig und schon früher in der Heia. Drum schalt ich jetzt mal aus und übergeb dir wieder den Tagesanfang. Also dann gute Nacht.
Hellfest Part 2 2022 – Tag 7 von 7 (Sonntag, 26. Juni)
Raphi: Blind Guardian haben es gestern gesagt: Time, what is time? Wie im Flug ist die Zeit vergangen und heute steht der letzte Festivaltag an. Möge er nochmals so gut sein wie der gestrige, der so viele Highlights beinhaltete, dass es eine wahre Freude war. Beispielsweise Existance, die gezeigt haben, wie eine Heavy Metal Show zu sein hat, Epica mit ihrem bombastischen Auftritt oder Myrkur mit dem genauen Gegenteil. Dazu die überzeugenden Blind Guardian und allen voran Moonsorrow mit ihrer fantastischen Show.
pam (aus dem Schlaf gerissen): Nicht vergessen, DER Abriss von The Exploited oder auch dem sympathischen, überzeugenden Auftritt unserer Helvetier Eluveitie (das war jetzt ein Doppelmoppel, aber ich bin ja eigentlich auch noch am Schlafen).
Carnation (Fotos – Alain)
Nytt Land (Fotos – Alain)
Raphi: Also, saugen wir nochmals alle Eindrücke auf, die das Hellfest zu bieten hat und ab zur Mainstage 1.Spiritbox
Sofort ins Auge sticht hier, dass die Bühne mit einem trapezförmigen Laufsteg erweitert wurde für den später am Abend folgenden Auftritt von Metallica. Das Publikum steht also etwas weiter weg von der kanadischen Formation Spiritbox. Die noch relativ junge Band ist momentan sehr präsent im Internet und mischt eine gehörige Portion Djent unter ihren Metalcore. Leider hat sie zu Beginn erhebliche technische Schwierigkeiten zu überwinden bevor sie schliesslich mit rund zehn Minuten Verspätung loslegen kann.
Für meinen Geschmack dürften sich Spiritbox auf der Bühne durchaus noch etwas nahbarer geben. Sängerin Courtney LaPlante kommt zwar des Öfteren über den Laufsteg ganz zu den vorderen Reihen hin, nimmt dort aber nicht wirklich Kontakt auf mit den Personen am Gitter. Die Darbietung berührt mich daher nur wenig, wobei die Gruppe es auch schwierig hat, mit ihrem musikalischen Mix bei mir zu punkten. Dennoch wünschte ich mir, dass Courtney mehr aus den Möglichkeiten machen würde, die sich ihr durch die erweiterte Bühne bieten.
Spirtibox liefern insgesamt einen leider etwas kühlen Auftritt ab, mit dem sie sich nicht unbedingt stark in mein Gedächtnis brennen. Versuchen wir es doch mal mit der nächsten Band drüben auf der Mainstage 2.
Novelists FR
Die fällt gleich mal durch ihren Namen auf. Ich dachte im Vorfeld, der Zusatz FR stehe einfach da hintendran im Programmheft, weil die Truppe aus Frankreich kommt, doch die beiden Buchstaben sind integraler Bestandteil des Bandnamens (Novelists FR mussten den Zusatz anscheinend aus rechtlichen Gründen anfügen). Musikalisch bewegen sich die Jungs grob im selben Fahrwasser weiter, mit dem wir den heutigen Tag begonnen haben. Ein progressives Gemisch aus technischen Charakteristiken des Djent und Songstrukturen des Metalcore tönt von der Bühne. Das Ergebnis ist ein abwechslungsreicher Mix, der vor allem hinsichtlich der Instrumentalteile viel zu bieten hat und einen gewissen Aufmerksamkeitsgrad einfordert.
Etwas irritierend sind allerdings die Ansagen des deutschen Sängers Tobias Rische, der ziemlich konsequent das ganze Konzert hindurch von „tonight“ spricht. Nun, irgendwo auf der Welt ist zur Zeit schon Nacht, doch hier am Hellfest um zwölf Uhr mittags ganz sicher nicht. Viel mehr gibt es am Auftritt der Novelists FR nicht auszusetzen, die jungen Herren machen ihre Sache im Gegenteil prima und Fans des besagten Stils kommen hier total auf ihre Kosten.
Aus sehr jungen Bandmitgliedern besteht auch die nächste Gruppe und bequemerweise müssen wir die Bühne nicht wechseln, sondern können uns hier gleich noch eine kurze Verschnaufpause gönnen.
Alien Weaponry
Die Pause ist vorbei als die fernen Rufe des Intros von Alien Weaponry in aufpeitschenden Gesang übergehen und Schlagzeuger Henry de Jong hinter der Schiessbude beginnt, einen rituellen Tanz der Maori, einen sogenannten Haka, aufzuführen. Es dauert nicht lange und die restlichen Bandmitglieder erscheinen auf der Bühne, um ihn zu unterstützen. Die Sprache und Bewegungen vermitteln dabei auf eine eindrückliche Art und Weise die Atmosphäre einer Zeremonie der neuseeländischen Ureinwohner. Dass Bassist Tūranga Morgan-Edmonds Maori-Tätowierungen im Gesicht trägt, untermauert diesen Eindruck nur noch.
Als die groovigen Gitarrenriffs von „Hatupatu“ einsetzen verfliegt der Zauber mitnichten. Alien Weaponry transportieren genau die im Intro erzeugte Stimmung mit ihrer Musik. Ausgehend von einem Teppich aus Groove Metal flechten sie traditionelle Herangehensweisen an die rhythmische Gestaltung in ihre Songs ein und greifen auch bei den Gesangsteilen immer wieder dieses ritualhafte Element auf. Dazu passt auch, dass sehr viele der gesungen Parts aufgeteilt werden zwischen den Bandmitgliedern und die Texte regelmässig in der Maori-Sprache verfasst sind. „Ahi Kā“ macht da keine Ausnahme, doch irgendetwas scheint mit Gitarre und Bass nicht zu stimmen. Die beiden Herren geben immer wieder Zeichen auf die Seite der Bühne und kommunizieren mit der Bühnencrew. Die Erklärung folgt schliesslich postwendend von Gitarrist Lewis de Jong. Die Instrumente des Trios sind der Fluggesellschaft verlorengegangen, weshalb es jetzt mit Ersatzgeräten der Kollegen von Carnation auskommen muss.
Und das gleich beim zweiten Konzert der Tournee, da kann ich verstehen, dass einem alles andere als zum Lachen zumute ist. Vor allem Lewis an der Gitarre ist sichtlich unzufrieden mit dieser Tatsache, doch es gelingt ihm wie auch der restlichen Band, die negative Energie zu kanalisieren und dem Auftritt dadurch noch ein Quäntchen Extrakraft zu verleihen. „Tangaroa“ profitiert davon, doch der überragende Höhepunkt ist unanfechtbar „Rū Ana Te Whenua“. Bei einer Wall of Death ist es ja üblich, dass sich die Beteiligten spielerisch etwas aufpeitschen bevor es losgeht, doch was das Publikum hier vor der Bühne bietet ist ein richtiges Spektakel. Plötzlich reissen die Leute auf der einen Seite die Augen auf, strecken die Zungen heraus und beginnen mit einem improvisierten Haka. Die Gegenseite zögert kaum und bietet Paroli mit ihrer eigenen Version davon, dass es trotz beträchtlicher Erfahrung mit Walls of Death beinahe ein wenig beängstigend wird. Als die Dämme brechen und der Moshpit tobt, steht allen Beteiligten dann der Spass ins Gesicht geschrieben, was sich auch nicht ändert, bis Alien Weaponry mit „Kai Tangata“ ihren grossartigen Auftritt beenden.
Eine anschliessende Verschnaufpause liegt dieses Mal nicht drin, auf der Mainstage 1 geht es nämlich nahtlos weiter.
Fotos Alien Weaponry – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
Vltimas (Fotos – Alain)
Angelus Apatrida
Raphi: Angelus Apatrida sind sehr kurzfristig noch ins Line-up gerutscht und bringen Verstärkung an der Thrash Metal Front. Das Quartett aus Spanien ist auch bereits eine ganze Weile unterwegs, doch bisher sind wir – wie es bei so mancher Band meines Programms hier am Hellfest der Fall ist – noch nie aufeinandergetroffen. Ich erkenne jetzt, dass das schade ist, denn Angelus Apatrida geben hier und jetzt richtig Gas. Songs der Marke „One of Us“ oder „Give ‚Em War“ zünden auf Knopfdruck und die sympathische Band versteht es auch um einiges besser als zuvor Spiritbox hier auf der Mainstage 1, etwas aus der Bühnenerweiterung herauszuholen. Immer wieder sind die beiden Gitarristen und der Bassist auf dem Laufsteg unterwegs, wenden sich direkt an die Fans und stellen viel Kontakt zum Publikum in unmittelbarer Nähe her. Die Zuschauer danken es ihnen mit ausdauerndem Einsatz bei den Circle Pits und natürlich entsprechendem Zuspruch hinsichtlich Applaus.
„You Are Next“ ist schlussendlich nicht nur der nächste, sondern auch der letzte Song und erst noch einer der stärksten, die ich hier von Angelus Apatrida kennenlernen durfte. Die Band hat dem Thrash Metal heute also alle Ehre gemacht.
Positiv überrascht von diesem tollen Auftritt wechseln wir nun wieder hinüber zur Schwesterbühne.
Fotos Angelus Apatrida – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
Ill Niño
Auf der Mainstage 2 bemerken wir ziemlich viel Perkussionsmaterial, während wir einen guten Platz einnehmen, um die Show zu verfolgen. Ganze drei Schlagzeuger mitsamt Congatrommeln und Djembe zählen Ill Niño in ihren Reihen und dementsprechend rhythmuslastig kommt ihr Nu Metal daher. Lateinamerikanische Einflüsse sind definitiv nicht von der Hand zu weisen was die Kompositionen der Truppe aus den USA angeht. Das Ganze verfügt über eine gehörige Portion Groove, wenn nur nicht die Leadgitarre so leise abgemischt wäre. Im Mix geht sie leider völlig unter. Rätsel gibt uns auch der Rucksack auf, den der eine Gitarrist für die ganze Dauer des Konzerts trägt. Sein Bewegungsradius wird davon allerdings keineswegs eingeschränkt; er springt, rennt, posiert und steht damit dem Rest der ziemlich aktiven Band in nichts nach.
Mit der Zeit wird die Musik von Ill Niño dann etwas eintönig, was durchaus auf die fehlende Gitarre zurückzuführen sein könnte. Die Fans werden dennoch nicht müde, zu moshen was das Zeug hält und die Band kann am Ende in viele zufriedene Gesichter sehen.
Erstmals will jetzt der Magen gefüllt werden mit irgendeinem feinen Menu aus dem Food Court bevor wir uns nach einer verdienten Stärkung im Temple einfinden. Pam zieht es derweil in die Warzone. Was läuft denn da, pam?
pam: Genau, frisch geduscht und geföhnt steh ich meine Tussi… ähm Mann. Ui, Raphi, du hast ja schon einiges erlebt heute. Dein Bericht zu den einen oder anderen Bands macht Lust auf mehr. Vor allem bei Alien Weaponry schein ich ja definitiv was verpasst zu haben. Die Band steht bei mir aber auch schon länger auf der Bucket List. Von Spiritbox hätte ich in der Tat mehr erwartet.
Also, dann starte ich doch jetzt auch in den Tag im Infield. Heute ist bereits der letzte Tag und es kommt schon etwas Wehmut auf. Was ist die beste Medizin gegen Wehmut? Geniessen was noch vor uns liegt. Genau das machen wir. Schliesslich kommen auch noch die Metal-/Thrash-Götter Metallica vorbei, die ihre Premiere am Hellfest feiern. Wie Raphi ja schon zu Beginn geschrieben hat, haben sie sich so richtig aufgedrängt. Etwas, was das Wacken Open Air bisher nicht geschafft hat. Das könnte man also auch als Goal zählen, aber da Wacken auch seit Jahren Hammer Line-ups bietet, wird das jetzt mal vom VAR aberkannt. Ein Festival sollte ja nie auf einen (zu) grossen Headliner alleine setzen, der dann die ganze Aufmerksamkeit für sich beansprucht. Das ist mit Metallica schon etwas die Gefahr, wobei beide Wochenenden innert zwei Stunden ausverkauft waren; das erste Wochenende bevor überhaupt eine Band bekannt war. Dennoch hat es hat heute gefühlt nochmals mehr Leute als die schon vollen Tage zuvor.
Aber hey, die Sonne scheint – die Regenjacke haben wir demonstrativ im Camp zurückgelassen – und bis Metallica kommt, gibt es noch einige andere Bands, die um unsere Gunst spielen. Das wollen wir entsprechend würdigen.
Fotos Ill Niño – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
Terror
pam: Sodeli, ich bin inzwischen in der Warzone angekommen. Danke fürs Zuhören auf meinem Weg dorthin. Das war jetzt für mich auch ein bisschen kurzweiliger.
Nach Agnostic Front am Greenfield (siehe Review und Fotos) gönne ich mir heute eine andere Hardcore-Band, die zwar nicht ganz so viele Jahre auf dem Buckel hat wie das „Original“ aus New York City, aber dennoch in den letzten 20 Jahren auch ihren Status in der Szene erschaffen hat.
Die Warzone ist bereits wieder sehr gut gefüllt. Wie eigentlich fast immer. Das ist schon cool, es kann auf den Hauptbühnen spielen wer will, die Warzone ist nie leer (gut, da werden wir später am Abend noch eines Besseren belehrt). Terror liefern jedoch nicht annähernd den Abriss von The Exploited gestern Abend. Aber das zu toppen ist eigentlich rein den Naturgesetzen entsprechend gar nicht mehr möglich. Denn gibt es eine Steigerung von Abriss? Abrissiger?
Ganz ohne ist es heute natürlich schon auch nicht. Sie schalten so nach zwei Dritteln ihres Sets auch ein oder grad mehrere Gänge höher. Sänger Scott Vogel (ja, der heisst echt so) meint dann auch, dass er jetzt den ultimativen Circle Pit sehen möchte. Er treibt die Masse immer mehr an. Es werden keine halben Sachen mehr geduldet.
Beim Schreiben des finalen Songs „Keepers Of The Faith“ habe er an die Band „Warzone“ – eine andere legendäre HC Band aus NYC – gedacht. Tja, das passt doch jetzt wie die Faust aufs Auge. Päng, Schluss.
Jetzt folgt ein kleiner Beschiss, aber es ging vom Text etwas besser auf. Denn vor Terror waren wir noch ein bisschen im Hellfest Square unterwegs und haben mal die Marktstände abgecheckt – also nicht nach Terror wie man jetzt vermuten könnte.
Die Verkaufsstände sind mehrheitlich in zwei grösseren Zelten untergebracht. Das hat den Vorteil, dass bei Regen nicht alles nass und dreckig wird. Aber umso dreckiger bzw. stickiger ist die Luft in den Zelten. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie das vor einer Woche bei 42° C war. Nun, die Stände sind ein Mix aus Kitsch mit ein paar ganz coolen Anbietern. Was Shopping betrifft, ist Wacken der klare Gewinner. Das sag nicht ich, sondern Nicole. Und die ist da Expertin. Tor für Deutschland (und für unser Portemonnaie).
Wir gönnen uns heute im Metal Corner auch etwas anderen Food. Die Gümelburger (Kartoffelburger) waren zwar fein, aber irgendwann brauchts auch mal was anderes. Wir werden mit Bio-Rippli aus dem Smoker fündig. Schön, an einem Festival Bio-Fleisch zu kriegen. Merci beaucoup.
Was macht eigentlich Raphi die ganze Zeit? Der hat sich doch nicht auf die faule Haut gelegt?
Cult of Fire
Raphi: Hallo!?! Sicher nicht, doch ich bevorzuge gerade einen anderen Ort als die Warzone. Bei uns im Temple ist die Bühne zu Beginn von einem Vorhang verdeckt. Als ein Roadie diesen zu den schweren Orgelklängen des Intros zur Seite zieht, wird eine reich dekorierte Bühne enthüllt. Vorne am Bühnenrand steht in der Mitte ein Altar, bestückt mit dutzenden schmalen Kerzen, goldenen Figürchen und sonstigen Utensilien. Gehüllt ist er in Banner, von denen mehrere die Gestalt Kalis zeigen, der hinduistischen Göttin des Todes und der Erneuerung. Flankiert wird der Altar von zwei goldenen Kobraköpfen zu deren Füssen sich jeweils auf einer Art Podest die beiden Gitarristen im Schneidersitz niedergelassen haben. Sowohl die Gitarristen als auch der Schlagzeuger und der Sänger sind gänzlich verhüllt mit langen Roben, die beim Frontmann etwas geschmückter ausfallen als beim Rest der Band. Einen Bassisten entdecke ich nirgends.
Cult of Fire legen umgehend los, kaum ist das Intro durch. Epic Black Metal scheint eine passende Bezeichnung zu sein für die Musik der Tschechen und das passt ganz gut zur opulenten Einrichtung auf der Bühne. Showtechnisch gestaltet sich der Auftritt sehr statisch, doch der Sänger fungiert als eine Art Zeremonienmeister, was wiederum zum textlichen Konzept der Band passt, das sich um hinduistische und vedische Rituale dreht. Zwischen zwei Songs wird da auch mal irgendein Figürchen mit weissem Pulver oder einer Flüssigkeit übergossen und diverse Dinge an Ketten hin und her geschwenkt, aus welchen Gründen auch immer. Das ist manchmal fast schon etwas zu viel des Guten, aber die Musik hat definitiv ihre Qualitäten und gemeinsam mit der optischen Präsentation verschmilzt sie zu einem schönen Gesamtpaket.
Plötzlich klingt der bisher gute Sound jedoch leer. Eine Gitarre ist ausgefallen. Der Gitarrist sitzt etwas hilflos im Schneidersitz auf seinem Podest, als ein Mitglied der Crew auf die Bühne kommt, um nach dem Rechten zu sehen. Anscheinend lässt sich der Defekt nicht vernünftig beheben und so hilft der Roadie dem Gitarristen, sich dem Instrument zu entledigen und ein neues in Betrieb zu nehmen. Zum Glück, denn letzterer hätte dies mit seiner Robe vermutlich kaum selber machen können, ohne die ganze Atmosphäre zu zerstören. Wenn nächstes Mal nun noch der Bass live gespielt wird, bin ich vollends zufrieden mit Cult of Fire.
pam: Ui, das sieht ja alles sehr opulent und faszinierend aus, aber das ist mir definitiv zu fest Black Metal. Soundmässig bin ich raus. Wenn ich schon in der Nähe bin, schau ich doch mal im Pressezelt vorbei…
Raphi: Zufrieden bin ich auch mit unserer Fähigkeit, blitzschnell die Örtlichkeit zu wechseln, so dass wir rechtzeitig vor der Mainstage 2 sind. Unterwegs läuft uns dann tatsächlich noch (sehr entspannt) Ben Barbaud persönlich über den Weg, der sich ob unseres Dankeschöns sichtlich freut.
pam: Jetzt stellt sich nur die grosse Frage, wer von uns beiden war zuerst wo? Also ich schieb jetzt mal die PK dazwischen…
Fotos Cult of Fire – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
Pressekonferenz mit Hellfest-Gründer und -Chef Ben Barbaud
pam: Mit etwas Zufall lande ich spontan bei der Pressekonferenz zum diesjährigen Hellfest. Ben Barbaud – Gründer und Chef vom Hellfest – steht den Journalisten Red und Antwort. Die sind praktisch ausschliesslich auf Französisch (Red und Antwort). Ui, ja dann schauen wir mal, was ich davon verstehe… Es ist gar nicht einfach, sich zu konzentrieren und den langen Ausführungen von Ben zu folgen. Es ist sehr schwül im Pressezelt. Ben sieht zwar mehr aus wie ein erfolgreicher Banker mit seinem graumelierten Haar, ist jedoch oder trotzdem ein sehr sympathischer Zeitgenosse. Zumindest kommt er so rüber. Er hört sich die zum Teil sehr ausufernden Fragen mit viel Geduld an und beantwortet diese dann noch breitwilliger.
Nicht ganz überraschend betreffen die ersten Fragen vor allem Metallica, den zusätzlichen Festivaltag bzw. -Weekend. Ob dies nun zum Standard werde etc. Die Antworten kennt man eigentlich schon. Das Hellfest hat von Anfang an kommuniziert, dass dies eine einmalige Geschichte sei mit dem zusätzlichen Tag und auch Wochenende. Ebenfalls haben wir ja schon vorvorgestern von Raphi erfahren, dass Metallica ans Hellfest wollte und dadurch ein zusätzlicher Tag entstand. Also am achten Tag schufen Metallica einen zusätzlichen Festivaltag.
Wie schon angekündigt, kommt irgendwann die Woke-Bewegung zum Zug. Und ab da wird es eher mühsam. Die erste Frage löst eine Kettenreaktion aus und es geht jetzt fast nur noch drum, wie Ben und das Hellfest gedenke, dieses und jenes Problem der Menschheit zu lösen. Und natürlich wäre ein Tag gut, an dem auf den Hauptbühnen nur Frauen spielen. Auch hier nicht ganz überraschend die – immer noch sehr geduldige und freundliche – Antwort von Ben, dass er das ja gerne machen würde bzw. mehr Frauenbands engagieren möchte, aber es gäbe schlicht zu wenig. Was er nicht sagt und wohl viele denken, wir wollen ja auch kein Quotenfestival, sondern egal ob Frau oder Mann, ob menschenliebend oder menschenverachtend, ob Obermacho oder Gay, schlicht und einfach die bestmöglichen Bands in einem für alle ausgewogenen Line-up sehen.
Also ich hab nicht die gleiche Geduld wie Ben und irgendwann wird es mir zu mühsam. Die Wale (und alle anderen bedrohten Geschöpfe) rettet man nicht an einem Binnenfestival und mit coolen Hoodies, sondern mit seinen Taten im Alltag. Ich bin überzeugt, Raphi hat spannenderes zu berichten.
Bullet For My Valentine
Raphi: Habe ich. Hier gibts nämlich gleich nochmals eine Horizonterweiterung für mich mit Bullet For My Valentine. Die Briten sind bisher trotz ihres Bekanntheitsgrades immer an mir vorbeigerauscht und ich bin gespannt, ob ich mit der Musik etwas anfangen kann. Die baut auf einem Fundament aus Metalcore auf und verleibt sich diverse andere Einflüsse ein. Frontmann Matthew Tuck macht bei seinen Ansagen einen sympathischen Eindruck und seine Kollegen strahlen viel Freude aus. Auch akustisch kann ich dem Konzert etwas abgewinnen. „Waking the Demon“ bleibt beispielsweise auf positive Art bei mir hängen. Obwohl wir in etwas Entfernung von der Bühne stehen, komme ich mit einem Vollblutfan ins Gespräch, der direkt neben mir mitgeht, was das Zeug hält. Von ihm erfahre ich, dass die Setlist heute durchzogen sei, weil einige weniger gute Lieder neueren Datums darunter sind. Mehrheitlich kommt er aber voll auf seine Kosten und Bullet For My Valentine spielen aus seiner Sicht sogar einige der besten Songs, die sie im Repertoire hätten. Ich kanns schlichtweg nicht beurteilen, dafür fehlt mir das Wissen über die Band. Beurteilen kann ich aber den gelungenen Auftritt, der vom Publikum mit gemütlicher Zustimmung gutgeheissen wird.
Da wir von unserem Platz aus prima auf die Mainstage 1 hinübersehen, müssen wir nachdem das letzte Lied verklungen ist, keinen Schritt tun, um uns nun Avatar anzusehen.
Avatar
Raphi: Damit steht zum ersten Mal des heutigen Tages keine Livepremiere für mich an. Die schwedischen Überflieger habe ich nämlich bereits vor vier Jahren im Zürcher Dynamo gesehen. Damals haben sie eine ganz tolle Show abgeliefert und dass sie das heute ebenfalls zu tun gedenken, beweist die Tatsache, dass Schlagzeuger John Alfredsson mit leicht irrem Blick über den Laufsteg marschiert und dutzende von Rosen ins Publikum wirft, bevor er gemeinsam mit Gitarrist Tim Öhrström „Hail the Apocalypse“ anstimmt. Sobald dann Sänger Johannes Eckerström die Bühne betritt, wenden sich die Blicke unweigerlich ihm zu. Der ist einfach ein Naturtalent als Frontmann. Diese Mischung aus irrem Clown, durchgeknalltem Serienmörder und eifrigem Fanatiker gibt kaum jemand so überzeugend. Aber was erwartet man auch von einem Typen, der seinen Flüssigkeitshaushalt da oben mit einem Benzinkanister reguliert. Nur seine Stimme tönt noch etwas unaufgewärmt. Als wir dann beim dritten Lied „Colossus“ angelangt sind, pendelt sich das schliesslich ein und dem weiteren Verlauf des Konzerts steht nichts mehr im Weg.
Unterstützt von Pyros, doch ansonsten vor einem überraschend unauffälligen Backdrop auf einer praktisch leeren Bühne, rockt sich das Quintett durch sein Set. Das Publikum lässt sich von der Mischung aus Melodic Death Metal und Alternative Metal mitreissen und bei „Paint Me Red“ beobachte ich ganz viele Fäuste in der Luft. Bei „Bloody Angel“, das von seinem Wechsel zwischen ruhigen und brachialen Teilen lebt, glänzt nicht nur Kungen an der Gitarre, sondern Bassist Henrik Sandelin unterstützt Johannes auch tatkräftig am Gesang. „The Eagle Has Landed“ sorgt für noch mehr Reaktionen im Publikum als alles zuvor. Die französischen Fans scheinen wirklich viel für Avatar übrig zu haben. Da passt doch anschliessend der Titel „For The Swarm“ einfach wunderbar.
Mir gefällt „A Statue Of The King“ einmal mehr am besten, während „Smells Like A Freakshow“ vermutlich am meisten nickende Köpfe verantwortet. Egal welcher Song die Favoritenliste anführt, Avatar beweisen mit diesem Gig, dass sie nicht nur kleine Clubshows abliefern können, sondern auch mit einer grossen Bühne mehr als zurechtkommen und den Slot hier auf der Mainstage 1 redlich verdient haben.
Beinahe pausenlos geht es weiter und noch einmal können wir einfach stehen bleiben, denn die Mainstage 2 übernimmt wieder. Doch pam treibt sich glaub noch in der Warzone rum.
pam: Eigentlich nicht. Ich steh wohl nicht weit von euch ebenfalls bei Avatar mit offenem Mund. Dieses dient nicht zur Belüftung meines Inneren, sondern im Gegensatz zu Raphi hab ich heute meine Avatar-Premiere und staune grad ziemlich was ich da erlebe. Man bewegt sich zwischen Faszination, Peinlichkeiten und Alpträumen. Soundmässig eine ganz schöne Achterbahn, die eigentlich ganz schön Spass macht. Kinder- und Einschlaflieder wechseln sich mit brachialen Death-Metal-Riffs ab. Und darauf streuen sie eine, zwei Prisen Puderzucker in Form von Rock n’ Roll. Also wem das visuell zu extrem ist, der kriegt durchaus was Gutes für die Ohren geboten.
Johannes meint, dass wir im Inneren alle unsere Böse Seite haben bzw. entdecken. Ui, ich schliesse grad meinen Mund, sonst kommt das noch raus. Mit seinen schwarzen Lederlatzhosen und roten Strümpfen stolziert er wie eine Katze (ja, drum sagt man wohl Catwalk) über den Laufsteg ins Publikum von und für Metallica. Ja, definitiv: „It’s smells like a freak show.“
Das ganze Konzert von Avatar am Hellfest Part 2 2022 auf Arte.
Aber was wäre denn in der Warzone? Hab ich da was verpasst (ich schau grad auf der Running Order nach). Hm, ich glaub, du gingst davon aus, dass Destruction dort spielen. Denn bei denen bin ich jetzt grad… aber die spielen im Altar. (Raphi: ja genau, Destruction meinte ich. Die sieben Tage Festival fordern halt auch ihren Tribut)
Destruction
pam: Wer schon mal ein, zwei Reviews von mir gelesen hat, wird jetzt sagen, dass wieder mal die alte Leier von wegen „ich bin zwar durch und durch ein Thrasher alter Schule, aber mit Destruction wurde ich nie warm…“ kommt. Und wisst ihr was? Genau das wollte ich grad schreiben. Aber ihr habt mir das jetzt vorweggenommen.
Da der Damir – unsere Schweizer Sturmspitze an den Sechssaiten bei Destruction – ein netter Zeitgenosse ist, mich immer schön freundlich grüsst und der Schmier sowieso mit jedem spricht, fühle mich grad ein bisschen verpflichtet, ihnen nochmals eine Chance zu geben. Man wird ja älter und vielleicht auch toleranter? Oder sie werden älter und besser? Mal schauen, wo unsere Schnittmenge liegt.
Der Altar (also die Bühne heisst so) ist in einem der grossen Zelte, welches eher mässig besucht ist. Ich würde jetzt mal sagen, grosszügig halb voll. Also kann ich mir mit viel Platz einen guten Standplatz sichern. Da braucht es nicht einmal Raphis Reservierkünste.
Hey und wisst ihr was? Die Einleitung oben werdet ihr von mir wohl nicht mehr so schnell wieder lesen. Denn es gefällt. Ja, es gefällt mir. Inzwischen haben Destruction nebst Damir (seit 2019) mit Martin Furi seit letztem Jahr einen neuen Gitarristen. Mitgründer Michael „Mike“ Sifringer ist nicht mehr dabei. Und so leid es mir für Mike tut, aber ich glaub, das war der nötige Schritt, um mich zu gewinnen (gut, das war wohl nicht die alleinige Motivation für den Wechsel der Band). Denn als sie noch zu dritt – also Mike alleine an der Gitarre – waren, fehlten mir die klassischen Thrash-Metal-Riffs, die hängenbleiben. Mir war das zu viel Thrash und zu wenig Melodie (was für mich eigentlich ein Widerspruch ist…). Dass man prügeln kann, aber mit hookigen Riffs beweisen ja grad ihre Landsleute Kreator. Oder die Riffs kamen mir mit der einzigen Gitarre einfach zu wenig rüber. Und genau das funktioniert jetzt mit den beiden „neuen“ Gitarreros.
Dass Damir ein starker Leadgitarrist ist und Hammersoli hinknallt, ist genügend bekannt, aber auch Martin steht ihm da nicht viel nach und wer jetzt Lead ist, ist da gar nicht so eindeutig, wie man hätte erwarten können. Auf jeden Fall harmonieren die beiden sehr gut (u.a. mit einem sehr geilen zweistimmigen Solo beim Bandklassiker „Mad Butcher“), was mit Mike, irgendwie selbst mit Damir, nicht so funktionierte. Schon krass, dass der Gründer weg ist und die Band damit gewinnt. Aber verzeiht mir, wenn ich da einfach eine Entwicklung in den letzten Jahren verpasst habe. Ich bin alles andere als der Destruction-Kenner.
Schmier fragt in die Runde, wer alles nicht aus Frankreich sei. Gut die Hälfte hält die Hände in die Höhe… Wäre spannend zu wissen, wie sich das über alle Besucher verhält. Kann gut sein, dass bei Destruction überdurchschnittlich viele Nicht-Franzosen sind.
Zum Abschluss gibt es noch einen schönen Circle Pit und eine Choreo mit den Bass- und Gitarrenhälsen in bester Status-Quo-Manier.
Schmier & Co. Das war stark. Eine schöne Dosis Thrash-Geballer. Gerne wieder Mal.
So, jetzt müsste man wieder Mal eine Gang-Reunion machen. Raphi, wo steckt ihr?
Setliste Destruction – Hellfest Part 2 2022
- Curse the Gods
- Nailed to the Cross
- Mad Butcher
- Life Without Sense
- Release From Agony
- Diabolical
- Thrash Till Death
- Bestial Invasion
Bring me the Horizon
Raphi: Wir stehen immer noch vor der Mainstage 2. Hier starten schon mal Bring me the Horizon aus England in ihr Set und es dauert nicht lange bis ich merke, dass ich mich für den stark mit elektronischen Elementen durchsetzten poppig angehauchten Metalcore der zu sechst auftretenden Herren überhaupt nicht erwärmen kann. Oliver Sykes am Mikrofon glänzt bei seinen Ansagen zudem nicht gerade mit Charme, im Gegenteil; seine Forderungen nach grösseren Wall of Deaths bringt er ziemlich herrisch vor und insistiert richtiggehend, als das Publikum nicht derart enthusiastisch mitmacht, wie er sich das vorstellt. Deshalb nehme ich mir ein Beispiel an Metalmitinsider Domi einige Wochen zuvor am Greenfield Festival (dessen Bericht ihr hier findet) und nutze die Gelegenheit, um mich für unsere ganze Truppe auf die Jagd nach Essen zu begeben. Wieder zurück vertilgen wir zufrieden den Burger samt Rösti-Patties drin, als uns der Gitarrist und Schlagzeuger der Novelists FR (ja, das FR ist wichtig) samt sichtlich stolzer Eltern entgegenkommen. Moritz, kannst du trotz vollem Magen mehr zu Bring me the Horizon berichten?
Moritz: Ja, ich mag mich an die Zeit erinnern, als bei mir das Album Sempiternal rauf und runter lief und meinen musikalischen Nerv im Bereich des Metalcores mit elektronischen Fragmenten und melancholischen Textpassagen traf. Seither habe ich die sechs Briten ziemlich aus den Augen verloren und die Songs, welche man halt durch den alltäglichen Musikkonsum so aufschnappt, mochten mich bislang nicht mehr wie dazumal begeistern. So war es ein tolles nostalgisches Opening, als die Band mit „Can You Feel My Heart“ in den heissen Sommerabend starteten. Das Bühnenbild besteht hierbei lediglich aus treppenartig angeordneten LED-Wänden, wo neben diversen Animationen auch Lyrics für jene bereitgestellt werden, die nicht ganz so textsicher sind. Und es scheint zu funktionieren. Die Menge singt zu den Songs mit und feiert.
Auffällig sind ebenfalls die zwei Background-Tänzerinnen, welche jeweils links und rechts von der Bühne mit thematisch zu den Songs abgestimmten Outfits die Band ergänzen. Oder vielleicht sogar verdrängen? Erst jetzt fällt mir auf, wie wenig mir die Musiker neben Sykes und den Tänzerinnen auffallen und eher als Statisten wirken. Da helfen auch die etwas übertriebenen und plump wirkenden Ansagen des Frontmanns nicht weiter, wo bekundet wird, wie sehr wir alle vermisst wurden und er uns sogar einen Blowjob spendieren will. Ein klein wenig irritiert geht es in die aktuellen Hits der Band. Mit „Teardrops“, „Mantra“ und „Kingslayer“ wird mir ebenfalls bestätigt, dass sich die Band eher musikalisch von meinen Vorlieben distanziert hat. Nichtsdestotrotz ist das übrige Publikum tatkräftig mit der Band am Mitfiebern und die Stimmung ist ausgelassen. Als die letzten Klänge schlussendlich verklingen, muss ich mich meinen Freunden stellen, welche mit hochgezogenen Augenbrauen fragen, wer von uns denn dieses Konzert hören wollte!? Tja, das war wohl ich und an wenigstens zwei Songs hatte ich tatsächlich meine Freude.
Raphi: Immerhin zwei…
pam: Also mein Sound ist das ja überhaupt nicht, aber ich muss gestehen, der Fronter Oli zieht mich irgendwie in seinen Bann – nebst wohl all den anderen Teenie-Mädels hier. Er ist ein Mix zwischen Robbie Williams und Billie Joe Armstrong und verausgabt sich als Entertainer in seiner Musik wie diese beiden. Auch geht er wie die auf Tuchfühlung mit den Fans. Im Fotograben umarmt er zum Schrecken seiner Security so ziemlich alles und jeden.
Und Moritz, ich geb dir recht, die Mitmusiker muss man fast ein bisschen auf der Bühne suchen, die gehen ziemlich unter. Aber wenn man die mal gefunden hat und verfolgt… die gehen auch ganz schön ab. Also mangelndes Engagement kann man denen nicht vorwerfen. Auch das Bühnenbild mit den LED-Stufen und was darauf angezeigt wird, find ich stark. Da sieht man einen riesigen Generationenunterschied zwischen dem was uns Helloween auf den Screens zeigte und was man hier von BMTH erlebt. Die bisher mit Abstand beste Bühnenanimationen sowohl auf den Screens als auch von den Menschen darauf inklusive den fahnenschwingenden Cheerleader. (Raphi: du hast leider Gojira am Tag 3 verpasst, die haben da nochmals einen draufgesetzt).
Mit dem letzten Song sollen nochmals alle Reserven angezapft werden: „This is our last song. If that was your last song in your life, how crazy would you go? I need you to go so“.
Ich werde da jetzt keine CDs bestellen, aber eine gewisse Faszination haben sie bei mir ausgelöst. Cool, die mal erlebt zu haben. Danke Moritz, fürs Auf-die-Liste-Tun.
Raphi: Im Anschluss an das Konzert suchen wir uns einen guten Platz zwischen den beiden Bühnen. So können wir in der immer dichter werdenden Menge die Konzerte, die noch kommen gut verfolgen, ohne uns nochmals durch die Leute quetschen zu müssen.
Das ganze Konzert von BMTH am Hellfest Part 2 2022 auf Arte.
Black Label Society
Raphi: Doch auch von diesem Punkt aus überlasse ich die Begeisterung für Black Label Society anderen und ruhe noch ein wenig meine Beine aus, bevor es dann langsam aber sicher auf die Zielgerade zugeht. Du darfst gerne übernehmen, pam.
pam: Ui, du weisst schon, dass ich mit dem Gitarrenheld Zakk Wylde auf Kriegsfuss stehe, seit der mit seinem Gefrikel das Ozzy Konzert am Sweden Rock 2019 komplett verhunzt hat? Dazu kommt, dass es vom Stil her überhaupt nicht meins ist. (Raphi: deshalb durftest du übernehmen und musstest nicht…) Wir haben uns strategisch gut für Sabaton und dann vor allem auch für Metallica platziert. Wir können hier nicht mehr weg, drum ist das schon fast eine Tortur BLS zuhören zu müssen. Das Gelüllelüllelülllelüüüü will und will einfach nicht aufhören. Raphi, kannst du uns nicht ein bisschen ablenken? Oder schreib doch schon mal über die nächste Band… oder wir schauen uns Fotos von Tagada Jones an.
Tagada Jones (Fotos – Alain)
Midnight (Fotos – Alain)
Sabaton
Raphi: So, pünktlich für Sabaton melde ich mich wieder zum Dienst. Mit dem modernen Power Metal der Schweden wurde ich bisher nie so richtig warm. Nicht weil er modern ist, sondern weil mir die Melodiebögen und Harmonieabfolgen oftmals zu vorhersehbar konstruiert sind. Ausserdem finde ich die Diskrepanz zwischen fröhlicher unbekümmerter Musik und düsterer Thematik der Texte in manchen der Lieder zu gross, als dass sich ein rundes Gesamtbild abzeichnen würde. Doch bei uns im Metalinside-Team haben wir ja einen riesengrossen Fan von Sabaton und dem bin ich es fast schuldig, wenigstens einmal einem Gig der Band beizuwohnen.
Also Kaufi, falls du das hier liest: ich schaue mir dieses Konzert für dich an und springe über meinen Schatten, um Spass zu haben dabei. Mit „Ghost Division“ beginnt die Show. Der eingangs erwähnte Kontrast zwischen Musik und Inhalt widerspiegelt sich auch auf der Bühne: das Auftreten der Band ist erheiternd und sympathisch fröhlich, während die Dekoration und Effekte mit Stacheldraht, Panzer und immer wieder knallenden Böllerschüssen die tragischen Begebenheiten der modernen Kriegsführung abbilden. Zugutehalten muss ich der Band jedoch, dass sie ihr gewähltes Thema bis ins letzte Detail durchzieht (pam: Und dass sie aktuelle Konflikte wie der Krieg in der Ukraine gar nicht ansprechen geschweige drüber singen, denn dieser Schuss würde definitiv zum Rohrkrepierer). Wer sich darauf einlassen kann, kommt daher ganz bestimmt auf seine Kosten.
Sabaton lassen es sich zudem verdientermassen nicht nehmen, mehrmals auf ihren letzten Auftritt am Hellfest im Jahr 2019 zu sprechen zu kommen. Damals sind sie innerhalb eines knappen Tages spontan für Manowar eingesprungen, doch Sänger Joakim Brodén hatte nach der Zusage seine Stimme aufgrund einer Erkältung verloren. Die beiden Gitarristen übernahmen daraufhin kurzfristig den Gesang und brachten damit ein denkwürdiges Konzert in trockene Tücher. All dies erklärt uns Bassist Pär Sundström ausführlich, bevor Sabaton in Anlehnung an damals „The Red Baron“ zum Besten geben und Joakim fast den ganzen Song darauf verzichtet, mitzusingen. Die Fans bieten natürlich Hand für Unterstützung, so dass das ganze Unterfangen problemlos klappt.
Am stimmigsten ist der Auftritt für mich dann bei „Christmas Truce“, welches das Quintett mit einer passenden Ernsthaftigkeit darbietet. Bis zum Schluss mit „To Hell and Back“ setzt die Truppe danach wieder auf ihre bisherige fröhliche Aufgeräumtheit und macht damit die Fans um mich herum auf jeden Fall glücklich.
Ich freu mich jetzt erstmals auf das letzte Konzert dieser durchgeknallten Tage.
pam: Nun, ich seh das nicht ganz so kritisch wie du. Klar kann man das mit der Thematik und dem fröhlichen Auftreten auf der Bühne kritisieren. Aber wie viele Bands singen über krasse Themen und haben dennoch ihren Spass auf der Bühne? (Raphi: da müssen wir in Zukunft wieder einmal bei einem Milchbier drüber diskutieren) Und wie oben erwähnt, wäre es eine komplett andere Geschichte, wenn sie auf aktuelle Konflikte bezugnehmen würden.
Anyway, ich bin eh nie so der Textgänger, darum zählt bei mir in erster Linie die Musik und die Performance der Band. Musikmässig ist für mich Sabaton ganz OK. Muss nicht immer sein, aber ein, zwei Sabatonsongs passen eigentlich immer. Und die Geschichte mit Manowar oben ist schon sehr einmalig. So peinlich wie das für die selbsternannten Kings of Metal war, die alles für die Fans machen (sic!), und dann die sympathischen Schweden die übernommen haben.
Die Band hat ihr Handwerk trotz den einigen Pfunden mehr auf den Rippen – Joakims Riffelblech-Gilet scheint bald die nächste Granate zu werden… wenn die mal explodiert, ui – während Corona nicht verlernt. Von der Songauswahl her könnte es aus meiner Sicht gar noch fröhlicher und stimmungsvoller sein. Sie packen jetzt nicht nur die eingängigsten Gassenhauer aus. Und mit dem Bühnenbild machen den Schweden nicht viele was vor – ausser natürlich Maiden oder AC/DC. Der Panzer als Drumriser ist schon stark und gut ist die Bühne hier nicht so hoch wie am Greenfield, wo man die Schweden hinter ihrem Schützengraben kaum gesehen hat…
Höhepunkt der heutigen Show ist definitiv „Christmas Truce“. Nur sehr schade zeigt man da eine billige Christbaum-Animation auf dem grossen Screen und nicht das starke Original-Video dazu.
Setliste Sabaton – Hellfest Part 2 2022
- Ghost Division
- Stormtroopers
- Great War
- The Red Baron
- Bismarck
- The Attack of the Dead Men
- Soldier of Heaven
- Steel Commanders
- Carolus Rex
- Night Witches
- Christmas Truce
- Primo Victoria
- Swedish Pagans
- To Hell and Back
Metallica
Raphi: Die Ehre, das Hellfest 2022 konzertant abzuschliessen gebührt Metallica. Es könnte nicht passender sein: das grösste Metalfestival der jüngeren Geschichte wird von der grössten Metalband der Welt beendet. Diese Tatsache ist schlichtweg das Tüpfelchen auf dem i und streicht damit Weise nochmals heraus, was für ein tolles Festival die Jubiläumsmonsterausgabe war. Es macht den Anschein, als ob sämtliche Besucherinnen und Besucher des Hellfests die Thrash Metaller aus Kalifornien sehen wollen. Der Bereich vor der Bühne ist jedenfalls so dicht gefüllt, wie an keinem anderen Konzert in den vergangenen Tagen. Meine Sicht ist körpergrössenbedingt etwas eingeschränkt, doch zum Glück haben wir ja noch jemand hier, der einen ganzen Kopf grösser ist als ich. Was siehst du, pam?
pam: Also, da ist eine Bühne mit einem Schlagzeug drauf. Ein Gitarrist… halt, es sind zwei Gitarristen und auch ein Bassist… Reicht das so, Raphi?
Raphi: ausnahmsweise nicht 😛
pam: Also eigentlich wie gewohnt bei Metallica ist die Bühne sehr aufgeräumt. Mit dem rechteckigen Catwalk ins Publikum ergibt sich in der Mitte auch wie gewohnt der Snake Pit, in dem ein paar Hundert glückliche Fans „The Four Horsemen“ aus nächster Nähe erleben können. Ich hatte das Glück – die Plätze werden jeweils unter den Fans ausgelost – am letzten Konzert im Letzigrund in Zürich. Das war schon eine sehr coole Erfahrung.
Ui, langsam, aber sicher werde ich auch bei meinem x-ten Metallica-Konzert nervös und ganz kribbelig. Ich hab sie vor sechs Monaten bei ihrem Jubiläumsdoppelkonzert in San Francisco gesehen und dennoch ist es auch hier wieder ein sehr spezieller Moment für mich. Das wird es mit Metallica immer sein. Und als dann „It’s a Long Way to the Top (If You Wanna Rock ’n‘ Roll)“ – meiner zweiten All-Time-Favorit-Band ertönt, kann ich es kaum mehr erwarten. „The Ecstasy of Gold“ von Ennio Morricone sorgt dann wie gewohnt für Hühnerhautschübe.
Ich bin eigentlich nicht der Typ, der sich Setlisten vor dem Konzert spoilert. Doch bei Metallica musste ich einfach mal reinschauen, was sie bei den bisherigen Sommerkonzerten in Europa gespielt haben. Und da ist mir die Setliste in Kopenhagen ins Auge gestochen – u.a. haben sie dort sogar auf „Nothing Else Matters“ verzichtet… Diese Setliste würde ich doch glaub übernehmen… weil dort haben sie mit meinem ersten Lieblingssong – also so zusagen meine Einstiegsdroge – von Metallica begonnen…
Raphi: Du hast Glück! „Whiplash“ ist ein sehr cooler Anfang und „Creeping Death“ nimmt das Momentum gleich mit. Dass Metallica danach bereits mit „Enter Sandman“ um die Ecke kommen, hätte ich auch nicht erwartet, doch warum nicht?
pam: Hey, besser hätte das Konzert für mich als Old Metalliskuler nicht starten können. Whiplash und Creeping !!! Nachdem sie dann auch grad noch „Enter Sandman“ spielten, meinte James, dass sie soeben ihren besten Song gespielt hätten und jetzt somit alles spielen könnten, was sie wollten. Die Geister die sie riefen…
Raphi: Mit „Harvester of Sorrow“ folgt ein langsamerer Song und das funktioniert ebenfalls, doch statt „Wherever I May Roam“ und „No Leaf Clover“ hätte ich lieber zwei schnellere Songs gehört. Mit „Sad but True“ folgt gleich nochmals ein eher gemächlicher Song, was dazu führt, dass „Dirty Windows“ intensiver rüberkommt als ab Konserve. „Nothing Else Matters“ schraubt dann wieder einen Gang runter, macht aber viele Leute glücklich, wenn ich so um mich herumschaue. Nun, solange ich nicht zu pam schaue.
pam: Ja, besser nicht. Weil dem schläft das Gesicht ein. Wie kann man so grandios starten und dann während einer Ewigkeit nur noch Mid-Tempo-Nummern und Balladen liefern? Harvester ist sicher ein cooler Song, aber nicht, wenn er damit eine der langweiligsten Phasen eines Metallica-Konzerts ever einläutet. Und glaubt mir, ich hab Metallica wirklich, wirklich schon sehr oft gesehen.
Raphi: Weiter geht es mit zwei Songs, denen ich einiges abgewinnen kann: „For Whom the Bell Tolls“ und „Moth Into the Flame“. Insbesondere letzterer trifft bei mir auf total offene Ohren. „Fade to Black“ haut mich dann weniger um, doch das Schlusslicht des regulären Sets „Seek and Destroy“ ist schliesslich wieder auf der ganzen Linie nach meinem Geschmack. Mit der tatkräftigen Unterstützung von pam, kann ich den Song mit bester Sicht auf die Bühne geniessen. Ganz herzlichen Dank nochmals dafür.
pam: James ist immer noch nicht der gewohnt lockere Papa-Het, wie er bis zu seinem letzten Rückfall in den Alkohol vor drei, vier Jahren noch war. Seine Ansagen sind meistens düster und gespickt mit Sarkasmus. Er wirkt alt und müde. Er teilt uns mit, dass sie es endlich ans Hellfest geschafft hätten und es „beautiful“ sei, was man hier geschaffen habe. Aber selbst da spricht er seine Dämonen an: „This hell looks better than my hell (inside my head)“. Inmitten von „Fade To Black“ sagt er, dass es in diesem Song über Selbstmord ginge. Falls jemand solche Gedanken habe, solle man mit jemanden drüber sprechen, mit seinen Liebsten, seiner Familie … Da scheint einer aus eigener Erfahrung zu sprechen. Doch es gibt auch gute Momente als er vor „Seek & Destroy“ die Flying V umschnallt: „I love this guitar. This means an old song“.
Raphi: Der Zugabenblock mit „Damage, Inc.“ und „Master of Puppets“, die „One“ einrahmen, lässt für mich dann nicht zu wünschen übrig. Schmunzeln muss ich im Anschluss einmal mehr über die Angewohnheit von Metallica kübelweise Plektren und dutzende Drumsticks ins Publikum zu werfen. Irgendwie kommt mir das fast schon ein bisschen wie eine Parodie dieser weit verbreiteten Praxis vor. Sei’s drum, die Fans, welche etwas davon fangen, sind sicher glücklich.
pam: Der Zugabenblock ist definitiv dann wieder ein Genuss allerhöchster Güteklasse. Die ersten drei und die letzten drei Songs waren sackstark, auch soundmässig. Der Rest… sehr, sehr lahm. Das wäre ein Konzert für ein Bistro-Tischchen mit einer Flasche Wein und einer fetten Zigarre gewesen.
Raphi: Jetzt tust du aber „Moth into the Flame“ und „Seek and Destroy“ Unrecht. Die waren doch beide auch toll.
pam: Klar, die waren toll. Es waren auch „Fade To Black“ oder „Wherever I May Roam“ stark, aber es war halt ein langer Block mit Mid-Tempo-Nummern und Balladen. Moth und Seek gehören nicht unbedingt in diese Kategorie, aber es brauchte schon eine „Damage, Inc.“, um mich aus dieser Lethargie zu lösen.
Ich habe gemischte Gefühle. Soundmässig war es top, Lars hat mehrere Double-Bass-Salven abgeliefert (nicht nur bei „One“), aber James macht mir sorgen. Und leider sollte sich mein schlechtes Gefühl bestätigen, als wegen einem Corona-Fall in der Metallica-Familie drei Tage später das Konzert in Frauenfeld am Out In The Green (siehe Review) abgesagt wird. Ich könnte wetten, das war nicht Corona, sondern das waren irgendwelche Dämonen im Kopf von James…
Raphi: Die Hälfte unserer Truppe hat sich übrigens während des Konzerts davongeschlichen. Siman, sei so gut und berichte, was ihr parallel zum Auftritt von Metallica angestellt habt.
Setliste Metallica – Hellfest Part 2 2022
- Whiplash
- Creeping Death
- Enter Sandman
- Harvester of Sorrow
- Wherever I May Roam
- No Leaf Clover
- Sad but True
- Dirty Window
- Nothing Else Matters
- For Whom the Bell Tolls
- Moth Into Flame
- Fade to Black
- Seek & Destroy
- Damage, Inc.
- One
- Master of Puppets
Suicide Silence
Siman: Ja gerne. Obwohl Metallica ein wunderbares Schlusskonzert abliefern, zieht es uns in die Warzone zu Suicide Silence. Bei unserem Eintreffen ist die Warzone fast leer, ein doch eher seltener Anblick am Hellfest (Raphi: es stehen ja auch alle bei Metallica vor der Bühne. pam: Es soll jetzt keiner sagen, ich hätte euch weiter oben nicht vorgewarnt). Rasch zeigt sich, dass auch die Food- und Bierstände keine Warteschlangen mehr haben und so gönnen wir uns noch eine Stärkung.
Kurz vor Konzertbeginn füllt sich dann auch der Platz vor der Bühne und pünktlich auf die Minute kracht ein gewaltiges Drumgewitter auf die Festivalbesucher hernieder. Alle Deathcore Fans kommen hier nochmals voll und ganz auf ihre Kosten und vergessen für einen kurzen Moment, dass alles bald zu Ende sein wird. Es macht den Anschein, dass die Verantwortlichen des Hellfests nochmals alle Gashähne voll aufdrehen, denn die Warzone steht in Flammen und die Fans feiern in Ekstase. Und dann ist es soweit; die letzten Töne verstummen, die Feuer erlöschen und alle Besucher starren in den dunklen Nachthimmel. Ein episches Feuerwerk welches nicht enden will läutet das Ende eines der grössten Metalfestivals der Geschichte ein – dem Hellfest 2022!
Feuerwerk – das Ende
Raphi: Auch wir, die wir mit all den Highlights des Tages in den Köpfen – vom kraftvollen Auftritt Alien Weaponrys über die überraschenden Angelus Apatrida bis hin zum würdigen Konzert von Avatar – noch immer vor der Mainstage stehen, drehen uns zu den Leinwänden zur Seite der Bühne auf denen eine Videoproduktion den Abschluss des Festivals einläutet. „Congratulations Hellbangers, you’ve survived 7 days in hell“ heisst es da und dann „Thank you for everything“, ein Satz der gerade mein Gefühlsleben vollständig beschreibt als die ersten Bouquets aus farbigem Feuer den Himmel erhellen. Untermalt mit Klassikern kommen wir während zehn Minuten in den Genuss des vermutlich grössten Feuerwerks, das ich in meinem bisherigen Leben gesehen habe. Das Hellfest 2022 endet mit einem Riesenknall – alles andere wäre dieser ausserordentlichen Jubiläumsausgabe auch gar nicht gerecht geworden.
Und dann ist es vorbei, verklungen in der Nacht.
pam: Das war eigentlich noch emotionaler als die Show von Metallica. Mit den Knuser-Brüdern stehe ich da, unsere Arme auf unseren Schultern wie die Fussballnati vor einem Länderspiel während der Nationalhymne, stehen wir einfach da und schaun in den Nachthimmel. Unsere Hymnen sind jedoch „The Number Of The Beast“, „War Pigs“ und schliesslich „For Those About To Rock (We Salute You)“. Die vielen tollen Momente mit Raphi, Mätthe, Moritz, Siman und Nicole kommen alle nochmals hoch. Danke euch allen für eine geniale Zeit. Es war mir eine Ehre. I salute you!
Fotos Impressionen Feuerwerk – Hellfest Part 2 2022 (Alain)
Das Fanzit zum Hellfest 2022
Raphi: Was für eine Höllenwoche! Das meine ich im absolut positivsten Sinne überhaupt. Das Organisationsteam des Festivals hat sich selber übertroffen mit diesem Monsterfestival und in diesem Sinne: herzliche Gratulation zum gelungenen fünfzehnjährigen Jubiläum. Die Bands haben das ihre mitgetan, indem sie eine überwältigende Anzahl an Konzerten von höchster Qualität gespielt haben. Eine solche Dichte an guten Auftritten an einem einzigen Anlass habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Die Tage vergingen wie in einem Rausch, der immer weiter fortdauerte. Was sind wir doch für Glückspilze, eine so lange Zeit in dieser wunderbaren verrückten Metalwelt verbracht haben zu dürfen. Fantastisch wars und ein einmaliges Erlebnis. Schön, seid ihr alle dabei gewesen und habt dazu beigetragen, dass sich das Hellfest XV fest in meine Gedanken eingebrannt hat. Danke für alles!
pam: Raphi hat eigentlich schon alles gesagt. Für mich war es bekanntlich das erste Mal am Hellfest. Es war länger geplant und umso cooler endlich dazu sein. Und alles was ich über das Hellfest gehört habe, entsprach noch bei weitem nicht, was man hier erlebt und vor allem sieht. Mehr Herzblut und das bei einem solch grossen Festival geht nicht. Man muss auch nicht immer vergleichen, aber wenn man am Hellfest ist, dann kann man eigentlich nur den Benchmark in Betracht ziehen. Und der Benchmark ist im Metal nun mal einfach Wacken. Und es ist definitiv ein Kopf and Kopf-Rennen zwischen diesen beiden. Ich finde, ein Metalhead hat zwei Mekkas, die er in seinem Leben mindestens einmal besucht haben muss: Wacken und Hellfest. Und als Bonus, damit es für Metalhimmel mit den 70 Jungfrauen reicht, noch die 70’000 Tons of Metal. The Holy Trinity of Metal-Festivals. Ich werde nächstes Jahr sicher wieder die 70’000 und Wacken machen. Mal schauen, wann es mich wieder in den Nordosten von Frankreich verschlägt. Ganz bestimmt war das dieses Jahr nicht das erste und letzte Mal.
Danke an die Gang: Nicole, Raphi, Mätthe, Siman und Moritz. Es war sehr, sehr cool mit euch. Gerne jederzeit wieder.
Und der Festivalgewinner? Nun auch hier gibt es für mich eine Holy Trinity: The Exploited, Kreator und Therion. Eluveitie sind für mich die Gewinner der Herzen für ihren supersympathischen Auftritt und gehören eigentlich auch aufs Podest.
Raphi, dein Podest?
Raphi: Mist, ich hatte schon geglaubt ich komme darum herum, mich auf drei Bands festzulegen. Alleine mit meinen Tageshighlights liesse sich ein erstklassiges Festival von anständiger Grösse organisieren und es ist beinahe unmöglich mich da festzulegen. Aber wenn pam das Podest für Eluveite vergrössern darf, kann ich mir vielleicht auch etwas mehr erlauben. Auf jeden Fall kommen mir Aktarum, Einherjer und Dirty Shirt and the Transylvanian Folkcore Orchestra in den Sinn, aber Walls of Jericho, Kampfar und Moonsorrow waren ebenfalls unglaublich stark. Nicht zu vergessen der historische Auftritt von Windir. Gojira führen die Riege der Headliner mit Vorsprung an. Extrem kurzweilig war es bei Therion, Existance und Alien Weaponry, während Blind Guardian und Kreator einfach super Konzerte gespielt haben. Borknagar haben mich verzaubert, Myrkur emotional sehr berührt. Ferocious Dog und Sons of O’Flaherty…Seth…Epica… Ach, ich kann mich wirklich nicht entscheiden; lest doch besser einfach den Bericht nochmals durch.
Gastbeiträge: Matthias (aka Mätthe), Moritz, Siman