«Wir scheissen uns einfach direkt ins Portemonnaie!»
Ja, Knorkator melden sich am 7. Oktober mit einem neuen Album zurück! Ja, Texte und Musik sind teilweise primitiv, doch werden dafür stellenweise auch sehr tiefgründig. «Sieg Der Vernunft» schlägt dabei den 2019 mit «Widerstand Ist Zwecklos» eingeschlagenen, humorvoll kritischen Weg fort.
Ein ganz normaler Freitagmorgen vergangenen Sommer, wie jede Woche höre ich in Neuveröffentlichungen verschiedener Bands rein. Darin findet sich ein Song namens «Milliardäre». Der Interpret? Knorkator, Deutschlands meiste Band der Welt! Einige Zeit später bekommt Metalinside eine Vorab-Version des neuen Albums «Sieg Der Vernunft» , worauf ich mich für eine Review melde.
Zeitsprung, es ist 7. Oktober. Zwei weitere Singles sind seither erschienen, heute erscheint die gesamte Scheibe. Es ist das inzwischen zehnte Studioalbum der Berliner Band und ich rate dir, es sogleich laufen zu lassen!
Von Asteroiden, menschlichen Exkrementen und wirtschaftlichen Krisen
Die Rolle des Openers übernimmt das bereits als Single veröffentlichte «Die Welt Wird Nie Wieder So Wie Sie Vorher War». Elektrosounds, ein simples Riff, markantes Drumming. Sänger Stumpen erzählt uns, ein Asteroid rase auf die Erde zu. Das im Sprechgesang vorgetragene Gedankenexperiment erinnert musikalisch an «Ein Wunsch» vom Vorgänger «Widerstand Ist Zwecklos». Die zweite Strophe bringt den Plottwist (nicht weiterlesen, wenn du es direkt von Stumpen erfahren möchtest): Der Asteroid ist aus Scheisse und wir beschliessen, diese werde zu unserem neuen Geld. Etwa so sinnvoll, wie wenn in «Schwanzlich Willkommen» entschieden wird, das Wort ‘Herz’ konsequent durch ‘Schwanz’ zu ersetzen…
Doch damit nicht genug! Die dritte Strophe bringt eine weitere Wendung: Der Asteroid fliegt an der Erde vorbei. Die logische Konsequenz ist die Inflation; Scheisse wird begehrt. Alle essen viel, um selber zum Goldesel zu werden, öffentliche Klos werden zu Banken und, wie es der Titel sagt: «Wir scheissen uns einfach direkt ins Portemonnaieeee!». Okay, die im Lead erwähnte Kritik kann zwar erahnt werden, doch vordergründig weist der erste Song vor allem viel Gaggi-Humor auf. So wie Knorkator ihn auch schon in «Mich Verfolgt Meine Eigene Scheisse», «Revolution» oder «Narrenkappe» einflochten.
Rache! Vernichtung! Töten!
An zweiter Stelle folgt der Titeltrack. Noch immer studiere ich am vorangegangen Gedankenexperiment herum, als Xylophontöne und dann schneidende Riffs einsetzen. Mit sanfter Stimme beginnt Stumpen einen textlichen Aufbau, der in einem einsilbigen, von Alf Ator vorgetragenen «Rache!» kulminiert. Aha, so ist das… Das Wechselspiel geht weiter, der Kontrast zwischen Strophe und Refrain wird zelebriert. Es folgen weitere Einsilber à la «Vernichtung!» und «Töten!». Musikalisch macht das Ding Spass, textlich muss der Titeltrack des neuen Albums jedoch hinter vielen anderen Knorkator-Songs anstehen…
Wild und kritisch
Schnell und punkig geht es weiter mit «Der Hofstaat». Musikalisch lehnen sich die Berliner weiter aus dem Fenster als auch schon. Der Tempowechsel zum Refrain macht das Stück spannend und das erste Mal auf dem Album strotzt der Text nur so vor Kritik. Wenn das Ding auch live gespielt wird, sind Mosh- und Circlepits garantiert!
Das Zwischenspiel
Während die bisherigen Tracks irgendwie herausstachen, folgt jetzt eine kurze Flaute. «Ihr Habt Gewonnen» ist zwar eingängig, Stumpen unterhält mit seiner Stimme, der Text stimmt nachdenklich. Doch dürfte sich dieser Track leider bei künftigen Durchläufen als ‘Skip-Nummer’ entpuppen.
Letzteres gilt auch für das Cover des Blondie-Klassikers «One Way Or Another». Coole Nummer, rockig, hüpfig und vor allem typisch Knorkator, und dies ohne die Ursprünge des 1978er-Originals zu verstecken. Der Track bildet das neueste Elemente in einer ganzen Reihe englischsprachiger Covers, wozu z. B. auch «Eldorado», «Ring My Bell», «Behind The Wheel» oder «Ma Baker» gehören. Nett, doch auch eher ein Skip-Song, sorry…
Neue Höhepunkte
Ba-ba-ba-baam, ba-ba-ba-baam! Nach der von mir liebevoll «Zwischenspiel» genannten Flaute melden sich Knorkator kraftvoll zurück. Gitarre, Bass und Schlagzeug sorgen für Headbang- und Ausrast-Passagen, bevor die hüpfige Strophe an die Reihe kommt. «Millionäre» war eine weitere Singleauskopplung. Genau genommen die erste von dreien und jene, die ich in der Einleitung dieser Review erwähnt habe. Mannomann, die Kritik ist suppenklar und doch äusserst humorvoll verpackt. Die Argumentationslinie ist logisch, und doch steht nicht nur der Text im Vordergrund, sondern sorgt in Zusammenarbeit mit dem spannenden Songwriting und den eingängigen Mitsingstellen für ein Highlight des Albums.
À propos Highlight: Es geht genau im gleichen Stil weiter! Nicht nur wurde auch «Tut Uns Leid» als Single ausgekoppelt und hat sogar noch hüpfigere Strophen. Nein, auch ist dies ganz klar einer der ganz starken Songs auf «Sieg Der Vernunft». Die Strophentexte vermitteln erst ein Gefühl von Gleichgültigkeit, bevor im Refrain der pure Egoismus ausgedrückt wird. Wer auch immer diesen Text geschrieben hat: Ich verneige mich! Ach ja, irgendwie weckt «Tut Uns Leid» Erinnerungen an «Rette Sich Wer Kann», einen meiner absoluten Knorkator-Lieblinge! Somit dürfte er es auch in diese Gruppe oft abgespielter Nummern schaffen…
Gegen Ende von «Tut Uns Leid» wagt Stumpen auch wieder Abstecher in höhere Tonlagen. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass es noch im Juli am Rockharz Festival so schien, als würde er all diese Stellen seiner Tochter Agnetha und dem Publikum überlassen. Doch ist das sich aus den hohen Schreien entwickelnde Krächzen und Husten beabsichtigt…?
Der etwas lange Abschluss, Teil 1
«Es Lebe Der Tod» ist der viertletzte Track des Albums und markiert schon langsam dessen Ende, ist er doch (meiner Meinung nach) der letzte einigermassen ernst zu nehmende Song. Der instrumentale Beginn wird – sofern der Titel es auf die Setlists schafft – live ebenfalls für schüttelnde Köpfe und hüpfende Körper sorgen. Alfs Sprechgesang in der ersten Hälfte der Strophe lässt an «Wir Werden Alle Sterben» denken, doch der Refrain könnte unterschiedlicher kaum sein: Ein durchdringendes «ES LEBE DEEER TOOOD!», dann die instrumentale Ausschöpfung des packenden Riffs, zurück zur Strophe.
Von «Menschenfleisch» hätte ich irgendwie bitterböse Texte und vielleicht auch harte Klänge erwartet. Stattdessen erwarten uns sanftes Keyboard-Geklimper, eine angenehme Melodie und ruhiges Drumming. Chorgesang im Hintergrund, dann einige schneidende Riffs zur Akzentsetzung. Bisher kein Text. Gegen Ende musikalische Eskalation, unmusikalische Fremdgeräusche, sogar mit den Tonspuren wird gespielt. Oh, Text! «Menschenfleisch!», mehr nicht. Abschluss mit Blastbeat und einem Pfeifen. Okay: wild und experimentell, doch der Song gefällt!
Der etwas lange Abschluss, Teil 2
Das Album könnte an dieser Stelle eigentlich zu Ende sein, doch es folgt «Knurrkater». Hier verrät der Titel ganz genau, aus was der Song besteht: Dem Knurren (oder eher Schnurren) einer Katze, unterbrochen von Knorkator-Musik. Nach genau einer Minute (und auch hier ohne Text) ist dieser Track vorbei. Wenn ich ehrlich bin, werde ich wohl auch hier des Öfteren skippen…
Es dürfte jetzt wirklich langsam Schluss sein! Nein, es gibt noch «Augen Zu» dazu… Irgendwie scheint mir auch diese Nummer ein Füller zu sein, und doch machen die verschiedenen Referenzen zu früheren Stücken das Ganze spannend: Das «Uh-ah! Ah-uh! Uh-uh! Ah-ah!» erinnert an die «Kopp in Arsch»-Abfolgen in «Nur Mal Angenommen», die randomly aneindergereihten und doch Muster erahnen lassenden Wortfolgen an «Fortschritt» oder «Buchstabensuppe». Generell weist «Sieg Der Vernunft» viele Anspielungen zum Knorkator-Songkatalog auf. Zufall oder geschickt eingeplant, zumal die neue Scheibe ja Nr. 10 ist?
Das Fanzit – Knorkator – Sieg Der Vernunft
Während frühe Knorkator-Songs sich kaum mit Politik oder dem aktuellen Weltgeschehen befassten (aber sehr wohl kritisch sein konnten, man denke zum Beispiel an «Eigentum»), führt «Sieg Der Vernunft» den schon auf «Widerstand Ist Zwecklos» eingeschlagenen Weg fort. Dies jedoch, ohne an Humor einzubüssen. Der Pressetext trifft mit der Beschreibung ‘entwaffnende Heiterkeit’ den Nagel auf den Kopf!
Wie gewohnt begeistern Knorkator mit viel Wortwitz, ungewöhnlichen Ideen (man denke an den Gaggi-Asteroiden), versteckter und doch klarer Kritik und jeder Menge Humor. Und doch stechen nicht nur die Texte hervor, nein, auch das musikalische Konzept stimmt. Was dies anbelangt, bleiben sich Knorkator treu und erfinden (vielleicht abgesehen von «Der Hofstaat») ihre Welt nicht neu.
Gewiss, gegen den Vorgänger von 2019 kommt «Sieg Der Vernunft» nicht wirklich an. Zu stark war ersterer, zu viele Füller oder zumindest weniger spektakuläre Songs finden sich auf der aktuellen Tracklist. Der erste Hördurchgang machte mir persönlich am meisten Spass, zumal auch Songs wie «Menschenfleisch» und «Knurrkater» noch spannend waren. Wer weiss, vielleicht reift das Album auch wie ein guter Wein. Doch befürchte ich, dass es im Gegensatz zum Debüt «The Schlechtst Of», zu «Das Nächste Album Aller Zeiten» oder zu «Widerstand Ist Zwecklos» und ähnlich wie bei «We Want Mohr» oder «Ich Bin Der Boss» nur vereinzelte Songs den regelmässigen Weg in meine Gehörgänge finden werden…
Anspieltipps: Die drei Singles («Die Welt Wird Nie Wieder So Wie Sie Vorher War», «Milliardäre», «Tut Uns Leid»), «Der Hofstaat» und «Menschenfleisch»
Mediabook (CD) portofrei bestellen
Trackliste Band – Album
- Die Welt Wird Nie Wieder So Wie Sie Vorher War
- Sieg Der Vernunft
- Der Hofstaat
- Ihr Habt Gewonnen
- One Way Or Another
- Milliardäre
- Tut Uns Leid
- Es Lebe Der Tod
- Menschenfleisch
- Knurrkater
- Augen Zu
Line Up – Band
Max Mustermann – Instrument
Stumpen – Gesang
Alf Ator – Keyboard, Gesang
Buzz Dee – Gitarre
Rajko Gohlke – Bass
Philipp Schwab – Schlagzeug