Within Temptation - Evanescence - Hallenstadion Zürich 2022 - Plakat neues Datum
Sa, 12. November 2022

Within Temptation, Evanescence, Veridia

Hallenstadion (Zürich, CH)
29.11.2022
Within Temptation - Evanescence - Hallenstadion Zürich 2022 - Plakat neues Datum

Wenn Welten aufeinanderprallen…

Lange mussten wir auf diesen Moment warten, sehr lange. Doch nach etlichen absagebedingten Enttäuschungen – und selbstredend beinahe ebenso vielen Neuansetzungen – war es am Samstag, 12. November 2022 endlich so weit: Within Temptation und Evanescence rockten anlässlich ihrer gemeinsamen „Worlds Collide“-Tour gemeinsam das nahezu ausverkaufte Zürcher Hallenstadion.

„Leider müssen wir das Konzert erster Termin 12.04.20, zweiter Termin 27.09.20, dritter Termin 08.09.21, vierter Termin 15.04.22 Hallenstadion, Zürich verschieben. Neu findet das Konzert am 12.11.2022 im Hallenstadion, Zürich statt.“ Solch einen Tazzelwurm an demotivierenden Nachrichten muss man sich in zugegebenermassen leicht masochistischer Manier erstmals auf der Zunge zergehen lassen. Auch wenn ein bitterer Nachgeschmack haften bleibt – oder eben eine „Bitter Truth“, um es in die Worte von Evanescence zu packen.

Wobei auch hier der markige Spruch eines einheimischen Halsschmeichler-Produzenten durchaus passend wäre: Wer het’s erfunde? Natürlich wir Schweizer. Beziehungsweise waren wir an der Entstehung dieses symphonischen Monster-Packages nicht ganz unbeteiligt. Denn wenn wir eine gefühlte Ewigkeit zurückblicken, so teilten sich diese beiden melodischen Urgewalten am Abschlusstag des Riverside Open Airs 2019 bereits dieselbe Bühne.

Veridia

Bevor wir aber auf das direkte Aufeinandertreffen der beiden Urgestirne des Symphonic Metals zu sprechen kommen, vorab ein paar Worte zum Supporting Act „Veridia“, welcher pünktlich um 19:20 Uhr den heutigen Reigen eröffnet. Die aus dem amerikanischen Nashville stammenden Alternative-Rocker liefern dabei eine ansprechende Show ab. Und das, auch wenn es in erster Linie wohl nicht unbedingt die musikalische Vielfalt ihrer Songs ist, welche die Zuhörerschaft in ihren Bann zieht, sondern die grundsolide und überaus sympathische Art, mit welcher das Quartett zu Werke geht.

Doch wie auch immer, der bereits ansehnlichen Zuschauerschar scheint das Dargebotene sichtlich zu gefallen. Und spätestens als Evanescence-Sängerin Amy Lee die Bühne betritt, um Veridia-Fronterin Deena Jakoub bei der emotionalen, für ihren verstorbenen Vater geschriebenen Ballade „I’ll Never Be Ready“ am Flügel zu begleiten, fliegen dem Kleeblatt aus dem Bundesstatt Tennessee die Herzen zu. Alles in allem ein gelungener Auftritt, auch wenn das Hauptaugenmerkt heute Samstag natürlich auf den beiden nun nachfolgenden Acts liegt.

Setlist Veridia

  1. Blood Diamond
  2. Feed the Animal
  3. Poppies
  4. Still Breathing
  5. I’ll Never Be Ready (with Amy Lee)
  6. At the End of the World
  7. I Won’t Stay Down

Evanescence

Nach einer ersten längeren Umbaupause – beide Headliner haben ihre eigene Spielwiese mit im Gepäck, was denn auch den vor dem Hallenstadion nicht zu übersehenden Stage-Truck-Park erklärt – steigt dann mit Evanescence das erste symphonische Schwergewicht des heutigen Abends in den Ring.

Zwar ist das Stadion mittlerweile rappelvoll, das Centerfield mit den Stehplätzen sogar komplett ausverkauft, und auch der viel bemühte Funke springt von Anfang an belebend auf das über so viele Monate hinweg vertröstete Publikum über. Doch vermag dieser erstaunlicherweise nicht den eigentlich erwarteten Flächenbrand in der gierenden Zuhörerschaft zu entfachen – die ganz grosse Begeisterung bleibt vorderhand aus. Klar, die Fans klatschen, singen mit, und bei den langsameren Liedern werden fleissig die illuminierten Handys in die Höhe gereckt, aber totale Ekstase sieht dann halt doch etwas anders aus. Apropos Balladen: Eines der besonderen Extras der Evanescence-Stage ist das im Boden versenkte Piano, welches bereits bei Amys Veridia-Gastspiel sein Debut feiern durfte. Dieses wird während des eineinhalbstündigen Auftritts gleich mehrfach hoch- und wieder runtergefahren. Ein cooles Gadget, das die dynamische, agile Sängerin glänzen, sie aber auch klar am weitaus hellsten erstrahlen lässt.

Nicht, dass der Rest der Band keine Glanzmomente hätte, doch steht bei dieser Darbietung die stimmgewaltige Fronterin weit mehr im Zentrum des Geschehens als nachfolgend dann Sharon Den Adel bei ihren Mitstreitern. Die beiden Gitarristen Tim McCord und Troy McLawhorn nutzen ihr Spielfeld ordentlich aus und wechseln des Öfteren die Seiten, und wenn es einen bandübergreifenden Contest um das coolste Drumkit des Abends gäbe, der Sieg wäre den Amerikaner respektive Schiessbudenbetreiber Will Hunt gewiss. Einzig Jen Majura-Nachfolgerin Emma Anzai (seit Frühjahr 2022 bei der Band), welche links hinten am Bass zupft, scheint noch nicht ganz im Bandgefüge angekommen zu sein und wirkt ein wenig statisch.

Die sich über zwei Ebenen erstreckende Bühne wird durch eine markante, dreieckig geformte Videoleinwand sowie viele, zum Teil äusserst beeindruckende Lichteffekte aufgepeppt. Bei der Songauswahl schöpft die aus Little Rock stammende Combo aus dem Vollen und nutzt die in mehr als zwei Jahrzehnten erworbene Erfahrung weidlich, was speziell der allgegenwärtigen Miss Lee anzumerken ist. Aber auch wenn man mit Titeln wie „Going Under“, „My Immortal“ oder „Call Me When You’re Sober“ echte Kracher im Gepäck hat, so klingt das Vorgetragene in meinen Ohren über die 75 Minuten hinweg doch etwas eintönig, auch wenn mich eingefleischte Fans für diese Aussage wohl steinigen werden. Als klar positiven Ausreisser nach oben notiere ich im Geiste das energiegeladene „Use My Voice“, welches sich inhaltlich Themen wie Ungerechtigkeit, Lügen oder Unterdrückung annimmt und dem ein eindrücklicher Videoclip auf dem virtuellen Dreieck zur Seite steht.

Beendet wird das Set wenig überraschend – und ohne abgesetzten Zugabeblock, was dann doch etwas erstaunt – mit der Evanescence-Hymne schlechthin, „Bring Me To Life“. Und vielleicht ist es genau diese Erkenntnis, dass Amy und Co. jetzt dann gleich das Feld räumen werden, welche die in grosser Zahl vertretene Fangemeinde zumindest zum Schluss zur Höchstform auflaufen lässt und so für einen überaus stimmigen Abschluss sorgt. Über alles hinweg betrachtet ein guter Gig einer eingespielten, spielfreudigen Band, welcher, hätte der Konzertabend hier und jetzt geendet, das Publikum mit einem wohligen Gefühl in der Magengrube in die kühle Nachtluft entlassen hätte. Aber da ist ja noch der andere Headliner…

Setlist Evanescence

  1. Intro: Artifact/The Turn
  2. Broken Pieces Shine
  3. Made of Stone
  4. Take Cover
  5. Going Under
  6. Wasted on You
  7. Lose Control / Part of Me / Never Go Back
  8. Far From Heaven
  9. Your Star
  10. End of the Dream
  11. Better Without You
  12. Call Me When You’re Sober
  13. Imaginary
  14. Use My Voice
  15. Blind Belief
  16. My Immortal
  17. Bring Me to Life

Within Temptation

Die 35-minütigen Umbaupause, in welcher das Bühnendekor komplett umgekrempelt wird, nutzen die Niederländer gleich mal zur Bewerbung ihrer kommenden Single „The Fire Within“ sowie generell der Within Temptation-eigenen App. Dass der auf der Videoleinwand präsentierte QR-Code bei den fleissig um mich herum ausprobierenden Fans nicht so wirklich funktionieren will, mag etwas irritieren. Auf der anderen Seite zeugt diese Aktion aber auch von durchaus innovativer Equipment-Nutzung, welche sicher ihre Nachahmer finden wird. Ich bin gespannt, wohin die Reise da noch führen wird.

Als um 22 Uhr die Saallichter erlöschen und zu den ersten Klängen von „Our Solemn Hour“ das Konterfei von Winston Churchill auf dem mittleren der drei in alle Richtungen beweglichen Monitore erscheint, ist der Abend nun so richtig, richtig eingeläutet. Die passend zur Song-Thematik in ein düsteres Dunkelrot getauchte Stage dürfte wohl nicht nur bei mir für einen gehörigen Wow-Effekt gesorgt haben. WT ziehen wirklich nahezu alle Register, welche die Metal-Welt an Live-Spielzeugen zur Erquickung der Fans so zu bieten hat: eine riesige, digitale Leinwand als Backdrop, vor der sich die drei bereits erwähnten flexiblen, runden Bildschirme frei bewegen lassen. Dazu ein riesiger, futuristisch wirkender Kopf (der sich später dann zu den Klängen von „Entertain You“ auch noch als ausfaltbar entpuppen wird) sowie massig Pyro- und Lichteffekte. Hier wird definitiv nicht gekleckert, sondern massigst geklotzt (wie ja auch bereits am Summer Breeze 2022, wie ihr der Festival-Review von Kollege Dutti entnehmen dürft)! Und ja, mit ihrem Krönchen gleicht Sharon in der Tat der berühmten Miss Liberty aus New York.

So lässt sich das Publikum denn auch mühelos von den ständig zum Mitklatschen animierenden Musikern mitreissen, wodurch sich die Affiche für das Gros der Anwesenden zu einer ziemlich schweisstreibenden Sache entwickeln wird (und in keinster Weise an den wohl nicht ganz so tollen Auftritt anno 2014 erinnert). Die Songauswahl ist wenig überraschend ein kunterbuntes Potpourri aus alten wie neuen Titeln – und zumindest in meinen Ohren um einiges vielfältiger ausgestaltet als noch bei Evanescence zuvor. Was mitunter auch damit zusammenhängen dürfte, dass die Niederländer in ihrer über 25-jährigen Bandgeschichte das eine oder andere musikalische Experiment gewagt und dadurch eine variantenreichere Soundbasis gelegt haben.

Die Ansagen von Frontlady Sharon Den Adel kommen stets herzlich, etwas schüchtern und mit einem Lächeln im Gesicht daher – speziell auch, als sie sich nach „Angels“ für ein technisches Malheur entschuldigt, welches von den meisten wohl unentdeckt geblieben wäre. Während der ersten Strophe sowie dem darauffolgenden Refrain des Klassikers glänzte die autodidaktische Sängerin nämlich durch Abwesenheit, lediglich ihre engelsgleiche Stimme hallte durchs grosse Rund. Nun, eigentlich hätte die Dame per einer Art durchsichtigem Korb hinter der Plastik des überdimensionierten Kopfes in die Höhe gezogen werden sollen (wie YouTube-Videos von anderen Shows belegen). Heute fällt diese luftige Attraktion leider aus. Aber auch ohne die himmlische Einlage werden die visuellen Showgrenzen mehr als nur ein wenig verschoben.

Dass Within Temptation auch immer mal wieder gerne mit Gastsängerinnen und -Sängern kollaborieren, dürfte hinreichend bekannt sein. Diese dann aber auf Tournee für einen fünfminütigen Kurzeinsatz physisch einzubinden respektive vor Ort auflaufen zu lassen, ist selbst für eine dermassen fulminant aufgezogene Darbietung dann doch etwas zu viel des Guten. Also behilft man sich – wie in der Vergangenheit schon wiederholt erfolgt – mit der bildlichen Einspielung der jeweiligen Gastmusiker. So kommen denn Tarja Turunen (bei „Paradise (What About Us?)“), Christoph Wieczorek von Annisokay („Shed My Skin“) sowie Keith (resp. Mina) Caputo (bei „What Have You Done“) hoch über den Köpfen der Band schwebend zu ihrem virtuellen Auftritt. Apropos „Hoch oben“: Zu den Klängen von „All I Need“ senkt sich vorne am Bühnenrand eine überdimensionierte Schaukel aus dem Himmel des Hallenstadions herab, auf die sich Sharon setzt und – im Rücken vom zentralen Monitor begleitet – in luftige Höhe gehoben wird. Ein weiterer dieser vielen Wow-Momente.

Auch Within Temptation verzichten wie bereits Evanescence zuvor auf das eigentlich traditionelle Zugabe-Ritual und beenden mit „Mother Earth“ als (nicht ganz so) heimliche Sieger des heutigen Abends eine Performance, welche sich mit Garantie in die Köpfe der Anwesenden eingebrannt und viele glückliche Gesichter zurückgelassen hat. Oder um es mal so zu formulieren: Wer es sich bei einer derart grossen Doppel-Headlinertour leisten kann, zumindest in Zürich einen Publikumsknacker wie „In The Middle Of The Night“ nicht im Set zu haben, muss niemandem auch nur noch das Geringste beweisen!

Wer Within Temptation auch 2023 gerne live erleben möchte, erhält am Summerside Festival zu Grenchen vom 23. – 24. Juni nochmals die Chance dazu. Ein Open Air, welches man sich nicht nur wegen den Niederländern fett im Kalender eintragen sollte!

Setlist Within Temptation

  1. Intro: You Want It Darker [Leonard Cohen]
  2. Our Solemn Hour
  3. Faster
  4. Paradise (What About Us?)
  5. Stand My Ground
  6. Angels
  7. Shed My Skin
  8. Raise Your Banner
  9. Entertain You
  10. Supernova
  11. The Reckoning
  12. Don’t Pray for Me
  13. All I Need
  14. Ice Queen
  15. What Have You Done
  16. Mother Earth
  17. Outro: For the love of the princess (Horner, “Braveheart” Sondtrack)

Das Fanzit – Within Temptation, Evanescence, Veridia

Wer davon ausging, dass sich bei dieser als Co-Headlinertour angekündigten Sause die beiden namensspendenden Bands auf Augenhöhe begegnen, dürfte am Ende etwas ratlos dagestanden sein.

Wie oben bereits ausführlich beschrieben, war es an diesem Abend kein Kräftemessen mit gleich langen Speeren, sondern schon fast ein Vorgruppe / Headliner-Ding, auch wenn diese Umschreibung sicher zu einseitig klingt und dem alles in allem guten Auftritt der Amerikaner nicht gerecht wird.

Aber dennoch wussten die Niederländer in nahezu allen Belangen mehr zu überzeugen, was ihnen denn den verdienten (und zumindest aus von meiner Warte aus betrachtet auch klaren) Tagessieg nach Punkten einbringt. So war das heutige Aufeinandertreffen denn auch keine wirkliche Kollision zweier gleichgestellten Welten. Ein Eindruck, welcher sich auch irgendwie mit meiner Erinnerung an den Ursprung dieser Idee deckt, selbst wenn anno 2019 in Aarburg die Diskrepanz – wohl auch wegen der eingeschränkten Bühnenextravaganz – nicht ganz so stark zu Tage getreten war.


Wie fandet ihr das Konzert?

29.11.2022
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