Technisch hochstehende Kost
Am Mittwochabend gabs im Komplex Klub fantastische Saitenhexer und einige progressive Elemente zu bestaunen. Veranstalter Good News Productions AG hat die drei Equipen Obscura, Persefone und Disillusion in die Schweiz gelockt. Ein Package für Geniesser und Liebhaber der anspruchsvolleren Klänge.
Nach der Festivalsaison ist vor den Hallen- und Club-Shows. Ich bin jedenfalls bereit für einen intensiven Konzert-Herbst/Winter. Heute Abend führt mich meine Mission nach Zürich Altstetten ins Kellergewölbe des Komplex 457-Gebäudes. Mein letzter Besuch hier unten liegt definitiv schon eine Weile zurück. Das müsste wahrscheinlich das Gastspiel von Alien Weaponry Mitte Juli 2019 gewesen sein (siehe Review).
Hauptattraktion sind dieses Mal die Münchener Obscura, welche der Zuhörerschaft endlich Songmaterial ihrer im vergangenen Jahr veröffentlichten Scheibe «A Valediction» präsentieren möchten. Meine Wenigkeit wurde allerdings hauptsächlich von Persefone zu diesem Event gelockt. Sie sind die Meister des progressiven Melodic Death Metal und ihre Alben verdienen zurecht das Prädikat «Blockbuster». Seit unserer ersten Begegnung im Z7 (guckst du hier) bin ich Feuer und Flamme für die Herren aus Andorra. Komplettiert wird das Programm durch die mir (noch) unbekannten Disillusion.
Disillusion
Rund 50 Minuten sind für das gemeinsame Kennenlernen der Jungs aus Leipzig und mir eingeplant. Sänger und Klampfer Andy Schmidt teilt uns mit, dass sämtliche Bands erst äussert spät am Ort des Geschehens eingetroffen seien und dass es für sie nun ein richtiger Kaltstart werden würde. Aufgrund dessen gehe es – vor allem hinter der Bühne – ziemlich hektisch zu und her. Die Protagonisten zeigen zwar keine atemberaubende, aber trotzdem einigermassen solide Performance. Stimmig eingesetzte Scheinwerfer sorgen für die ideale Stimmung. Da das in der Bühnenmitte platzierte Drumset von Martin Schulz viel Platz in Anspruch nimmt, bleibt der Bewegungsradius der anderen Musiker gezwungenermassen bescheiden.
Der finale Track «Tormento» ist eindeutig der beste! Während dessen Wiedergabe lassen Disillusion ihr gesamtes Können aufblitzen. Andys Stimme weist gelegentlich Elemente aus dem Gothic-Sektor auf. Er merkt ausserdem an, dass wir uns in einer komplexen Zeit befänden (was wegen des Namens der Location zu einem ungewollten Wortwitz mutiert). Falls alle Stücke mit einer solchen Qualität daherkommen, muss ich dem neuen Eisen «Ayam» (Anm. der Redaktion: Welches mittlerweile am 04. November 2022 erschienen ist) unbedingt eine faire Chance geben.
Persefone
Bedauerlicherweise mussten Persefone diese Tour mit einem grossen Handicap antreten. Sowohl Growl-Bestie Marc Martins Pia als auch Tastenmann und Klarsänger Miguel «Moe» Espinosa verzichteten aufgrund von familiären Angelegenheiten und anderen Geschichten auf die Rundreise durch Europa. Der Ausfall dieser zwei prägenden Figuren ist zweifelsohne eine herbe Schwächung der Truppe… Ersatzmann Danny – ein Spanier, der in der Band Eternal Storm engagiert ist – soll nun gleich beide Stimmlagen abdecken respektive vertreten. Ich bin gespannt auf seine Leistung. Das dürfte eine waschechte Herkulesaufgabe werden.
Der Startschuss im mittlerweile leicht durcheinandergewirbelten Spielplan erfolgt neu um 20.35 Uhr. Schnell wird klar, dass die Andorra-Formation mit mehr Dampf agiert als zuvor Disillusion. Das führt auch zu diversen Mosh-Aktivitäten. Und irgendwie scheint plötzlich der halbe Komplex Klub Spanisch zu sprechen. Offenbar entfesseln Persefone eine gewisse Art von Patriotismus. Kracher-Hymnen wie «Stillness Is Timeless» oder «Merkabah» stellen optimales Futter für die Headbanger dar. Des Weiteren setzen die Herrschaften auf ein intensives Scheinwerferlicht-Gewitter. Die beiden Axtmänner Carlos Lozano Quintanilla und Filipe Baldaia lassen sich zudem zu einem Ausflug hinunter zu den Publikumsreihen hinreissen. Und Danny? Der ackert sich grundsolide durch die Kompositionen. Nichtsdestotrotz würde ich Persefone beim nächsten Mal bevorzugt wieder in ihrer Standard-Konstellation erleben wollen, weil das dann schon nochmals eine Prise mächtiger ums Eck kommt.
Obscura
Fragt doch bitte einmal Christian Münzner, wie viele Saiten er für sein Instrument als empfehlenswert erachten würde. Seine Antwort darauf kann eigentlich nur «Ja!» lauten. Unglaublich, was der Mastermind alles aus seiner «Waffe» herauskitzelt. Monströse Soli! Staunend lasse ich meinen Kiefer zu Boden sinken. Derweil sammelt der grinsende Fronter Steffen Kummerer mit seinen Ansagen fleissig Sympathiepunkte. Er mag die Schweiz und schätzt den stets offenen Empfang. Ausserdem sei es genial, dass ein solches «Underground-Paket» überhaupt noch Leute ziehe. Damit Obscura nicht ohne Bassist dastehen, haben sie kurzerhand Alex Weber aus den Vereinigten Staaten einfliegen lassen. Krass, dass der Typ diesem Ruf so rasch gefolgt ist und trotz Reisestrapazen auf der Bühne ein lupenreines Set durchzockt. Das nenne ich Passion und Einsatzwillen!
Der würdige Headliner darf vor einer für einen Mittwoch absolut anständigen und aktiven Kulisse aufspielen (was in Phasen der Konzert- und Tour-Absagen alles andere als selbstverständlich ist). Sie erwischen eindeutig die beste Soundqualität des Abends. Steffens Growls, welche er in sein «Rockabilly-Mikrofon» brüllt, lassen die Wände des Ladens erzittern. Von der aktuellen Platte «A Valediction» kommen stolze sechs Lieder zum Handkuss, die der Zuhörerschaft einen umfassenden Einblick in das taufrische Material gewähren. Dazu zählt ebenfalls eine Nummer, welche die Gruppe als «einzige Tech-Death-Ballade, die wir jemals hören werden» ankündigt. Das coole Teil hört auf den Namen «When Stars Collide». Im darauffolgenden Zugaben-Block schickt das Quartett noch das Doppel «Septuagint» und «Incarnated» ins Rennen. Ein astreiner Schlusspunkt!
Das Fanzit – Obscura, Persefone, Disillusion
Wir durften einen gelungenen und schweisstreibenden Mittwochabend im Komplex Klub erleben. Das grosse Highlight waren glasklar die technisch hochversierten «Saiten-Ungeheuer» von Obscura. Ich bin definitiv bereit für weitere Indoor-Shows!
Setliste – Disillusion
- Am Abgrund
- Alone I Stand In Fires
- The Great Unknown
- Alea
- …And The Mirror Cracked
- The Black Sea
- Tormento
Setliste – Persefone
- The Great Reality
- Stillness Is Timeless
- Prison Skin
- Merkabah
- Living Waves
- Katabasis
- Mind As Universe
Setliste – Obscura
- Forsaken
- Solaris
- Ocean Gateways
- Emergent Evolution
- A Valediction
- Devoured Usurper
- The Anticosmic Overload
- Orbital Elements II
- Universe Momentum
- Akróasis
- When Stars Collide
- Septuagint*
- Incarnated*
*Zugabe