Künstlernamen, Griechenland und ein kranker Sänger
Was würdet ihr tun, wenn der Sänger euer Band vier Stunden vor dem Headliner-Konzert krank wird? Absagen? Instrumental spielen? Einen Gastsänger auftreiben? Genau diesen Fragen mussten sich Judge Minos bei ihrem Auftritt in der Met-Bar stellen.
Raphi: Ein kurzes Telefon mit dem Veranstalter führte schliesslich zur Entscheidung, dass das Konzert stattfinden soll. Zum Glück sind Judge Minos nicht ganz auf sich alleine gestellt heute Abend. Zur Unterstützung sind Akroasis anwesend und bei diesem Package könnte das Konzertmotto beinahe lauten „Die Griechen kommen!“. Doch nicht nur die Bandnamen sind in derselben Richtung unterwegs, auch musikalisch bewegen sich die beiden Gruppen in demselben Quadranten des Metal-Universums. Metalinside ist zur griechischen Feier gleich mit vier Personen angereist. Während Dutti mit einer Akkreditierung und damit tatsächlich zum Arbeiten hier ist, haben sich Silas und ich verabredet, um ihm moralischen Beistand zu geben. Ganz spontan taucht dann auch noch Luke auf, womit wir vier rund zehn Prozent des Anwesenden Publikums ausmachen. Und ja, wir lassen euch selber ausrechnen, wie viele Zuschauer folglich anwesend sind.
Dutti: Vier Metalinsider vor Ort und somit auch gleich vier tatkräftige Schreiberlinge für diesen Bericht. Vorab schon einmal herzlichen Dank für die Zusammenarbeit, geschätzte Kollegen. Insbesondere Raphi scheint in einen regelrechten «Kritzel-Flow» verfallen zu sein. Da kann ich als eigentlich akkreditierte Nase ja kaum noch etwas ergänzen. Nichtsdestotrotz bleibt garantiert noch irgendwo Platz für den einen oder anderen «Senf-Kommentar» meinerseits.
Akroasis
Raphi: Akroasis machen wie bereits gesagt den Anfang. Die Fribourger haben ihr Debütalbum, welches sich thematisch ganz zum Bandnamen passend der griechischen Mythologie annimmt, vor rund anderthalb Jahren veröffentlicht. Seither gab es jedoch einen Wechsel im Line-Up und so markiert der heutige Abend zwar nicht seinen ersten Auftritt, aber Sänger Mike Brügger – einigen vielleicht noch bekannt von den leider aufgelösten Hedera – ist immer noch mit gutem Gewissen als „frisch dazugestossen“ zu bezeichnen. Dessen ungeachtet fügt er sich bereits nahtlos ins Bandgefüge ein. Dieses besteht aus Thrash Metal, der immer mal wieder in Richtung Heavy Metal schielt.
Die Setliste von Akroasis besteht heute zu 80 Prozent aus Stücken vom Debüt, das zudem bis auf einen Track vollständig durchgespielt wird. Die Musik sitzt, doch die fünf Herren agieren noch etwas scheu auf der Bühne und gerade die Ansagen zwischen den Songs könnten noch etwas Schliff vertragen. Da viele der Stücke zudem relativ ausplätschernd enden, verpasst das Publikum mehrmals die Möglichkeit für Applaus, bevor es mit dem nächsten Lied weitergeht. Dafür ist Mike sich auch nicht zu schade von der Bühne zu steigen, um gemeinsam mit den Metalheads vor der Bühne die Mähne zu schwingen.
Ziemlich genau nach der Hälfte des Konzerts steht Leadgitarrist Christof Schafer dann plötzlich ratlos vor seinem Verstärker. Das Ding gibt keinen Laut mehr von sich, keine einzige Leuchtdiode blinkt mehr. Beinahe einen ganzen Song lang versucht er, die Kiste erfolglos wieder zum Laufen zu bringen während seine Kumpels das Lied tapfer ohne ihn zu Ende spielen. Im Anschluss bleibt Akroasis nichts anderes übrig, als eine Pause zu verkünden, um das Problem zu beheben. Viel länger als fünf Minuten brauchen sie dafür aber nicht und so startet die zweite Hälfte pünktlich nachdem alle im Publikum ihren Bedarf nach Zigaretten und Bier gestillt haben.
Mittlerweile ist auch die Abmischung etwas besser geworden, am Anfang war das Schlagzeug doch sehr penetrant präsent im Mix und vor allem die beiden Gitarren unterschiedlich laut. Da bin ich von der Met-Bar eigentlich anderes gewohnt, doch da sich alles im tolerablen Bereich abspielt, brauch ich hier auch kein Büro aufzumachen deswegen. Nach sehr genau einer Stunde (trotz Pause) kommen Akorasis schliesslich zum Abschluss und jetzt kommen sie doch noch in den Genuss von Applaus. Die ganz grosse Offenbarung war dieser Auftritt für mich jetzt nicht unbedingt, aber allemal ein guter Einstieg in den heutigen Abend.
Luke: Wie Raphi schon richtig geschrieben hat, habe ich mich heute sehr spontan für einen Besuch in der Met-Bar entschieden. Und das, um ehrlich zu sein, vor allem wegen Akroasis. Während mir das Debütalbum musikalisch schon gut gefallen hat, wurde ich mit dem „alten“ Sänger Robin Hermanek nicht so wirklich und restlos warm. Da ich Mike von der 70’000 Tons Of Metal kenne, will ich die Truppe aber erst recht einmal live erleben, bevor ich mir ein richtiges Urteil bilde. Und ich muss sagen, was die Band heute abliefert, gefällt mir sehr gut! Die neuen Vocals sind für mich sowas wie das letzte Puzzle-Teil, welches mir bei Akroasis noch gefehlt hat. Dass Christof ein toller Gitarrist ist und auch das Songwriting stimmt, wusste ich aber sowieso bereits.
Die technischen Probleme bei der Leadgitarre sorgen zwar für eine kurze, unfreiwillige Pause, und wie von Raphi richtig angemerkt könnte auch das Stageacting noch etwas souveräner sein. Wird es aber mit weiteren Auftritten zweifellos sowieso werden. Mich haben die Jungs heute jedenfalls definitiv überzeugt! Werde ich mir bei der nächsten Gelegenheit wieder ansehen. Daumen hoch von mir!
Dutti: Für mich weisen die Songs von Akroasis gute Ansätze auf, aber bis zur durchgehenden Überzeugung fehlen dann trotzdem noch ein paar herüberspringende Funken. Dafür entpuppt sich Mike als geschickter Marketingstratege. Zuerst einen Moshpit anreissen und im Anschluss frische, nicht verschwitzte Shirts am Merch anpreisen. Cleverer Schachzug! Da hat jemand fleissig das «Verkäufer-Einmaleins» gepaukt.
Judge Minos
Raphi: Nach der rund halbstündigen Umbaupause, die wir – wie könnte es anders sein – für angeregte Diskussionen nutzen, lassen Judge Minos die ersten Klänge erklingen. Mittlerweile ist es halb elf und selbstverständlich sind wir nun alle gespannt, wie sich die Band ohne Shane Eagle schlägt. Die Lösung, welche die vier verbliebenen Instrumentalisten gewählt haben, ist schlicht: Bassist Josias Ming kümmert sich um den Gesang. Bereits nach den ersten Tönen wird klar, dass er besser Bass spielen als singen kann. Der Text sitzt allerdings hervorragend, wozu auch der Notenständer direkt vor ihm seinen Teil beitragen dürfte und insbesondere an der instrumentalen Leistung gibt es gar nichts zu rütteln. Im Gegenteil: Der mit einem Hauch Thrash Metal versetzte Heavy Metal der Zürcher weiss auch gleich noch kompositorisch richtig zu überzeugen.
Als Einheizer betätigt sich derweil Gitarrist Dominic Blum, der auch einen grossen Teil der Ansagen übernimmt und seinen Job hervorragend macht. Natürlich können Judge Minos heute einen riesigen Sympathiebonus verbuchen, doch auch ohne diesen zu berücksichtigen, kann ich mit gutem Gewissen von einer ausgezeichneten Bühnenpräsenz sprechen. Und das trifft nicht nur auf Dominic, sondern auf die ganze Band zu. Josias zeigt sich trotz seiner ungewohnten Rolle selbstsicher, Don Diego strahlt Coolness an der Gitarre aus und Jerry Jay am Schlagzeug verprügelt übers ganze Gesicht strahlend seine Felle, als ob es kein Morgen gäbe. Vorgestellt wird er zwar als Jeremy, aber hey, wenn ihr euch schon extra Künstlernamen zugelegt habt, dann benutzen wir die auch.
Die Reihen im Publikum haben sich bereits merklich gelichtet, doch die Zurückgebliebenen sind engagiert dabei. Dafür sorgt sicherlich das total «headbang-taugliche» Material, welches uns Judge Minos um die Ohren hauen. Am Ende verlangen die Anwesenden bei der Verabschiedung des Quartetts sogar eine Zugabe und die Band kommt diesem Wunsch spontan nach, obwohl Jerry Jay auf Nachfrage von Josias zugibt, eigentlich bereits allzu erschöpft zu sein. Aber da die Fans nicht lockerlassen, rafft er sich ein letztes Mal auf und so kommen wir in den Genuss eines ungeplanten letzten Stückes. Das wird als Instrumentallied angekündigt, beinhaltet dann aber doch noch einige Growls, woraus ich schliesse, dass es sich um einen „normalen“ Song handelt, den sie einfach ohne Leadgesang dargeboten haben. Nach diesem «Beinahe-instrumental» ist dann aber definitiv Schluss und Judge Minos beenden fast pünktlich um halb zwölf ihren Auftritt.
Luke: Joa, ist zum Glück nicht mein erstes Aufeinandertreffen mit Judge Minos. Und mit Sänger sind die definitiv besser… Aber – um Raphis Fanzit schon ein bisschen vorzugreifen – mir ist ein reduzierter Auftritt lieber als ein abgesagter. Ich habe grossen Respekt für die Entscheidung der Band trotz unglücklichen Vorzeichen die Bühne zu entern. Und ich halte ihn heute auch für absolut richtig, schliesslich werden die meisten der nicht gerade sehr vielen Anwesenden wissen, dass die Band sonst noch etwas besser ist. Als Support für einen grösseren Act mit einem Publikum das die Gruppe nicht kennt, hätte ich wohl für eine Absage plädiert. Heute gibt es aber wohl eh nicht viele neue Fans zu gewinnen, und so schlecht, dass man bereits überzeugte Supporter verloren hätte, wars dann doch nicht…
Dutti: Wenn es Shows in der Met-Bar betrifft, scheint auf Sänger Shane Eagle irgendein mühseliger Fluch zu liegen… Bereits den letzten Gig in diesem Laden musste er aufgrund eines Todesfalls im familiären Umfeld absagen. Damals sind Judge Minos überhaupt nicht aufgetreten. Das kommt dieses Mal – wie ihr bereits gelesen habt – anders. Die talentierte, helvetische Schwermetall-Hoffnung zieht die geplante Vorführung mit reduzierter Besetzung tapfer durch. Dabei schlagen sich die Akteure verdammt wacker und verdienen deswegen fraglos Respekt.
Das Fanzit – Judge Minos, Akroasis
Raphi: Im Anschluss gehen natürlich die Diskussionen los. Akroasis waren ganz in Ordnung, haben aber noch Potential bei der Bühnenpräsenz. Da sind wir uns einig. Nicht ganz einig werden wir uns bei der Frage, ob Judge Minos sich mit ihrem Auftritt einen Gefallen getan haben oder nicht. Meiner Meinung nach war der heutige Auftritt absolut in Ordnung und dem Publikum zumutbar. Der Eintritt betrug schmale 15.- Franken, das Preis-Leistungs-Verhältnis blieb also auch unter diesen widrigen Umständen gewahrt. Ausserdem hat die Met-Bar die Abwesenheit von Shane Eagle im Voraus in den sozialen Medien kommuniziert, so dass man auch die Wahl hatte, sich die Anreise zu sparen. Natürlich braucht es auf der rein musikalischen Seite ein bis zwei zugedrückte Augen, aber die Sympathiepunkte holen dies doch wieder auf. Das habe ich so auch bereits früher in diesem Jahr am Hellfest bei Crisix erlebt (bei Bedarf hier). Damit bleibt mein Fanzit unter dem Strich positiv und die Neugier auf einen Auftritt von Judge Minos MIT Sänger ist nur noch grösser als zuvor.
PS: Auf dem Bandfoto der Promo-CD, die mir am Merch-Stand in die Hände fällt sind auch nur vier Mitglieder drauf. Ich sag ja nur… 😛
Silas: Im Grunde überschneiden sich meine Eindrücke mit den deinigen, lieber Raphi. Judge Minos sowie Akroasis haben heute gezeigt, wie man trotz Pleiten, Pech und Pannen Metal macht. Denn manchmal geht es nicht darum, dass der Ersatzsänger mit dem Notenständer jede Oktave trifft oder darum, dass der Verstärker des Gitarristen durch Arbeitsverweigerung die Leute zum Rauchen nach draussen treibt. Wichtig ist die Einstellung und Attitüde, die ein gutes Konzert, vielleicht sogar eine gute Band, ausmacht, dass man mit Herz für die Sache an diese herangeht, sich auch bei den grössten Widrigkeiten nicht von seinem Weg abbringen lässt und dies von der Bühne runter auf das Publikum zu übertragen vermag. Selbst dann, wenn dieses zu zehn Prozent aus vier Kerlen von Metalinside besteht (Mein Gott ist das kitschig).
Dutti: Vier Fäuste für ein Halleluja? Nein, Bud Spencer und Terence Hill waren nicht in der Honigweintaverne zu Gast und es kam auch zu keiner Kneipenschlägerei. Dafür gab es ausreichend Musik für die spärlich vorhandenen Gehörgänge. Judge Minos hatten selbst ohne Frontmann ihre überzeugenden Augenblicke. Aber das nächste Mal würde ich sie also schon wieder liebend gerne in Bestbesetzung erleben.
Apropos Besetzung, dazu kann ich noch eine aktuelle Information nachreichen. Judge Minos haben sich Ende November dieses Jahres bedauerlicherweise von Joe und Jerry getrennt. Aufgrund dessen läuft jetzt die Suche nach einem neuen Bassisten beziehungsweise einem neuen Trommler. Potenzielle Interessenten können unter judgeminosmetal@gmail.com mit der Truppe in Kontakt treten. Freiwillige vor! Es wäre wirklich jammerschade, wenn dieses Projekt wieder eingestampft werden müsste…
Setliste – Akroasis
- Ulysses Fate
- Master Of The Gods
- Doomed
- Unberable
- Human Sacrifice
- Patroclus
- Watershed
- Polyphem
- Insult The Gods
- Retrieval
Setliste – Judge Minos
- Ruth
- The Keeper Of Imbalance
- Final Flash
- The Deadman
- Hail And Kill (Manowar-Cover)
- Sea Of Lies
- DTA
- Believe Or Die
- Nuclear Winter