Schmutziger Honig zum Sonntags-Dinner
Okay, der Titel könnte euch zugegebenermassen vielleicht auf eine falsche Fährte führen. Mit der Nahrungsaufnahme war an diesem Tag nämlich alles in Ordnung, und sämtliche konsumierten Speisen entsprachen den Hygienestandards. Der einzige «Dirty Honey» des Abends konnte lediglich auf der Bühne des Zürcher Dynamos vorgefunden werden. Dieser hat jedoch mächtig abgerockt und die Ohrmuscheln der Besucher in gelungener Manier beglückt.
«Am siebten Tag sollst du ruhen» – irgendwie so steht das doch in der Bibel geschrieben, oder? Na ja, aber wenn der Sonntag ein solch dichtes Programm zu bieten hat, wird das natürlich verdammt schwierig. Im sportlichen Sektor flimmern unter anderem diverse Fussballspiele (Hopp Winti!) und später dann auch noch der Super Bowl LVII über die Bildschirme. Ich wende mich allerdings von der «Flimmerkiste» ab und richte meinen Fokus lieber auf ein Konzert, welches heute in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofs vonstattengehen wird.
Im Jugendkulturhaus Dynamo gastieren nämlich die Herrschaften von Dirty Honey. Eine Band, die ich zuerst kennenlernen muss. Mit der Schweiz hatten die Jungs in der Vergangenheit jedoch bereits Berührungspunkte, denn sie waren an der letztjährigen – und leider finalen… – Ausgabe des Rock The Ring-Festivals mit von der Partie. Mit Grössen wie Alice Cooper, Black Label Society oder Accept am selben Ort aufzutreten, muss für das Quartett zweifellos eine riesige Ehre gewesen sein. Schauen wir einmal, welche Eindrücke die Akteure mit ihrem Blues Rock heute im kleinen Rahmen hinterlassen werden.
Die Support-Equipe ist mir ebenfalls gänzlich unbekannt. Kommt davon, wenn man an einem Sonntagabend einfach spontan und ohne Vorbereitung an einen Gig pilgert, anstatt gemütlich daheim auf dem warmen Sofa herumzugammeln. Willkommen im Leben des Metal-Dutti! Aber ich drifte ab – kommen wir zurück zum Wesentlichen. Der Opener hört auf den Namen The Wild Things und stammt aus Grossbritannien. Angeführt wird die Truppe von der Sängerin Sydney Rae White, welche aus der Netflix-Serie «Uncle» und dem Action-Streifen «American Assassin» bekannt ist. Offenbar habe ich diesbezüglich weitere Bildungslücken, die gelegentlich geschlossen werden sollten. Man lernt eben tatsächlich nie aus.
The Wild Things
Als die Londoner loslegen, zeigt mein Smartphone 19 Uhr an. Der Start erfolgt somit pünktlich gemäss dem von Veranstalter Good News Productions AG veröffentlichten Zeitplan. Ich bin gespannt, was uns diese «wilden Künstler» so alles anbieten. Bei Musikern mit Serien-Hintergrund schwirrt bei mir oftmals eine gewisse Skepsis mit. Schauspielerei und professionelles Gitarrenspiel sind nicht immer eine Erfolgskombination. Taylor Momsen und ihre The Pretty Reckless-Formation feiere ich beispielsweise überhaupt nicht… Aber vielleicht belehren mich dafür Sydney und ihre Mitstreiter eines Besseren.
Drummer Pete Wheeler muss mit einer kleinen Schiessbude auf der linken Seite vorliebnehmen. Er darf also nicht mit dem Headliner-Gerät spielen. Trotzdem geniessen seine Kollegen ausreichend Bewegungsfreiheit. Axtmann Rob Kendrick ist mit seiner College-Jacke in leuchtenden Farben und den türkis-violett gefärbten Haaren (je nach Scheinwerferlicht) eindeutig der schrille Paradiesvogel der Band. Der macht doch auf Punk! Ausserdem ist er der geborene Entertainer. Frontdame Sydney mag zwar eine kleine, zierliche Person sein, aber mit ihrer kräftigen Rockröhre gleicht sie das locker wieder aus.
Vom musikalischen Aspekt her lauschen wir hier gerade den Klängen einer typisch englischen Rock-Gruppe. Eine solide Leistung, aber freilich keine bahnbrechende Angelegenheit. Da haben andere das Rad schon eher neu erfunden. Der Vierer zeigt sich dankbar für das zahlreiche Erscheinen der Zuhörerschaft. Dies sei für einen Sonntagabend alles andere als selbstverständlich und wäre in ihrer Heimat eine grosse Sache. Nun ja, wir Schweizer gönnen uns vor der Rückkehr in den routinemässigen Arbeitsalltag eben gerne noch ein bisschen Live-Mucke. So sonderbar ist das meines Erachtens nicht. Dafür stellt der letzte Song «Drunk Again» passenderweise die Weichen für mein nächstes Abenteuer. Nach der Show geht’s nämlich zur Blasen-Entleerung und anschliessend für die Sicherung des Hopfennachschubs retour an den Bartresen.
Dirty Honey
Von der Rückwand aus lächelt uns bereits das Logo des Headliners an. Und «lächeln» ist wirklich die ideale Bezeichnung, denn es handelt sich um einen grossen Mund, dessen Oberlippe mit dem Wort «Dirty» und das untere Pendant mit «Honey» dargestellt werden. Das hat irgendwie Stil und weckt Erinnerungen an die Rolling Stones. Ob die Amis ebenfalls einmal einen solchen Legendenstatus wie die unverwüstlichen Briten um Mick Jagger und Keith Richards innehaben werden? Zum jetzigen Zeitpunkt schwierig abzuschätzen. In ihrer Heimat scheinen sie jedenfalls ziemlich populär und auf dem aufsteigenden Ast zu sein. Demzufolge muss als nächste Etappe logischerweise die Eroberung Europas in Angriff genommen werden. Möglicherweise können sie hier in Zürich schon einmal ein paar erste Duftmarken platzieren.
Ausser Felle-Klopfer Jaydon Bean erscheinen alle Protagonisten mit Sonnenbrille im Rampenlicht. Hat die gestrige Partynacht allenfalls ein bisschen länger gedauert? Das wissen wohl nur die Götter. In Sachen Leistung macht sich jedoch überhaupt keine Katerstimmung bemerkbar. Dirty Honey haben definitiv mehr «Pfupf» als ihre Vorgruppe. So gefällt mir das! Der mit einem schicken Hut ausgestattete Sänger Marc LaBelle verfügt über ein astreines Stimmorgan. Er klingt phasenweise sogar wie ein gewisser Myles Kennedy. Regelmässig hält der Frontmann der Zuhörerschaft sein Mikro hin und animiert diese dadurch zum fleissigen Mitsingen. Wuschelkopf Justin Smolian scheint das «Tieftöner-Handbuch» effektiv auswendig gelernt zu haben, denn er agiert auf der Bühne schlichtweg wie die coolste Socke unseres Planeten. Derweil brilliert Saitenhexer John Notto mit fetzigen Soli. Es ist eine wahre Freude, diesem Virtuosen bei der Arbeit zuschauen zu dürfen.
Die Boys aus Los Angeles präsentieren uns ein gelungenes Gemisch aus Classic und Blues Rock. Rasantere und gemächlichere Kompositionen werden abwechselnd vorgetragen und sorgen so für einen ausgewogenen Spannungsbogen im Set. Vor dem Stück «California Dreamin’» lässt Marc verlauten, dass dies eine Hommage an ihre Heimat sei (welche weitaus günstigeren Kaffee zu bieten habe als Zürich). Jep, die helvetischen Preise haben wahrscheinlich schon so machen ausländischen Musiker leicht irritiert – wenn wir es mal gelinde formulieren möchten (pam: Ui, das sagt ein Ami aus Kalifornien … dann müsste er das nächste Mal ein Bier bestellen. Er wird erschrecken, dass er in der Schweiz dafür nur die Hälfte bezahlt als in seiner Heimat an solchen Veranstaltungen …).
Im Zugaben-Block stehen dann übrigens alle Protagonisten ohne Sonnenbrille da. Zuerst gibt’s eine Bandvorstellung, ehe im Anschluss die Schlussnummer «Rolling 7s» nachgereicht wird. Abermals kann ich die Gitarrenkünste von John ausschliesslich in den höchsten Tönen loben. Der Kerl hat’s einfach drauf! Danach ist aber bedauerlicherweise «finito». 75 Minuten sind für eine Headliner-Performance tendenziell etwas mager. An der Qualität des Gezeigten gibt’s hingegen nix zu bemängeln. Dass ich nach einem Konzert bereits um 21.15 Uhr die Heimreise antreten kann, ist ebenfalls eher ungewöhnlich. An einem Sonntagabend passt mir das allerdings hervorragend in den Kram. Da erscheint man am Montag ausnahmsweise nicht völlig K.O. im Büro.
Das Fanzit – Dirty Honey, The Wild Things
Dirty Honey waren für mich eine absolut lohnenswerte Neuentdeckung! Die Jungs aus Los Angeles werden sicherlich auch in Europa ihren Weg machen und überall bleibende Eindrücke hinterlassen. Sie können mich fortan gerne zu ihren Fans zählen. Bei ihrem nächsten Gastspiel hierzulande bin ich mit grösstem Vergnügen erneut am Start (sofern es die Agenda zulässt). Für einen Sonntagabend kam das Dynamo in den Genuss eines beachtlichen Besucheraufmarsches – ein positiver Trend, der unbedingt in diesem Stil weitergehen muss!
Setliste – The Wild Things
- Loaded Gun
- Only Attraction
- Skin & Bones
- Paradise
- You’re Really Something
- Devil’s Witness
- Heaven Knows
- Drunk Again
Setliste – Dirty Honey
- Gypsy
- Break You
- Heartbreaker
- The Wire
- Scars
- Tied Up
- Last Child (Aerosmith-Cover)
- No Warning
- Down The Road
- Ride On
- Let’s Go Crazy (Prince-Cover)
- Make Up Your Mind
- California Dreamin‘
- Another Last Time
- When I’m Gone
- Rolling 7s*
*Zugabe