Von Lampenschirmen, Inseln, Göttern und Kobolden
Nach Corona-Pause und dem Release von Studioalbum Nr. 8. stand für Versengold die Tour zu «Was Kost Die Welt» an. Diese führte sie am 8. Oktober nach Zürich in den Komplex 457.
Versengold. Steht dieser Name auf dem Programm, verspricht dies einzigartige Konzerte mit ruhigen und emotionalen, aber vor allem auch sehr vielen Party-Momenten. Daher war klar: Eigentlich müsste man an diesem Oktobersamstag schon im Komplex vorbeischauen…
Schon vor dem Konzert, beim Eintreten in die Konzerthalle, stelle ich fest: Die Stimmung ist heute irgendwie anders als bei den beiden Z7-Konzerten (2017 mit d’Artagnan und 2019 mit Mr. Irish Bastard), bei denen ich Versengold schon erlebte. Und sowieso nicht zu vergleichen mit Auftritten an Open Airs oder gar dem MPS; aber das ist eine ganz andere Geschichte. Statt dem typischen Folk-Publikum machen hier und heute vor allem ‘urbane’ Konzertgänger das Publikum aus. Schlecht ist das nicht unbedingt und vor allem trage ich selber ja auch zu diesem Bild bei.
Von Grambusch oder: Reflexion zu Konzertgängen
Der Opener des Abends hört auf den Namen Von Grambusch. Der Vierer ist ebenfalls, wie auch die Hauptband, in Bremen zuhause und nennt ihren Musikstil selber «Akustik Pop Punk». Naja, dann bin ich ja mal gespannt.
Die Bühne ist schon mal ansprechend dekoriert: Das Backdrop, das vom eigenen Schriftzug nur so übersäht ist, bietet eine schlichte Abwechslung zu den visuell geradezu bombastischen und überladenen Backdrops anderer Bands. Und dann die Lampenschirme, welche überall auf der Bühne rumstehen…
Dann geht’s los. Der Sound ist in der ganzen ersten Auftrittshälfte wirklich eher mager abgemischt und vor allem viel zu leise. Dies fördert wiederum – auch bei uns, welche seitlich zwischen Bühne und Merch-Stand stehen – das Quatschen während dem eigentlichen Auftritt. Die Musik ist eigentlich sehr überzeugend und auch das Auftreten der Band schreit nur so nach Eskalation. Doch der so oft beschworene «Funke» scheint nicht auf das Publikum überspringen zu wollen. Ehrlich gesagt bin ich nicht mal davon überzeugt, dass er es überhaupt bis zur Band geschafft hat…
Im Nachhinein werde ich über ein Gespräch reflektieren, das ich kurz vor dem Konzert in der Uni-Mensa führte. Kernpunkt davon war die Frage, ob Konzerte heutzutage weniger als früher wegen der Musik und deren Zelebrierung besucht werden und stattdessen der «Besuch» selber, das Zusammensein mit Freunden und natürlich auch die instagrammability des Events im Fokus stehen. Ob Besucher den Künstlern tendenziell weniger Aufmerksamkeit schenken, gar mehr vom eigentlichen Bühnenauftritt abgekoppelt sind als früher. Trotz dem inzwischen üblichen Bild von hochgehaltenen Smartphones dürfte mir ein Grossteil der Leser zustimmen, dass, falls eine solche Tendenz spürbar ist, dies die Metalszene (noch) weniger trifft als andere Genres.
Und doch, oder gerade wegen… Nein, ich möchte diesen Punkt nicht aufs Genre reduzieren. Auf jeden Fall erinnert mich das aktuelle Bild – ausserhalb der vorderen Reihen schauen viele Besucher gar nicht zur Bühne, sondern unterhalten sich in kleinen Kreisen mit Kollegen – an genau dieses von meinen Uni-Kollegen bemängelte Verhalten. An den Verlust des Bezugs zu den Künstlern und dem, was diese auf der Bühne darbieten. Ob dies nun am Publikum oder dem schon pop-nahen Stil liegt… Wer weiss. Als Einzelperson kann (und will) ich dies auch gar nicht beurteilen.
Wie auch immer! Gegen Ende dieses eröffnenden Auftritts kommt etwas mehr Stimmung auf. Auch wenn sich diese auf rhythmisches Mitklatschen beschränkt… Das ist wenigstens einiges mehr als noch zu Beginn! Die Band hat den Rank noch gefunden, der Funke ist zumindest intern gesprungen und für eine leicht unterdurchschnittliche Opener-Darbietung hat es allemal gereicht.
Versengold
Da wollen wir vom Headliner nun aber mehr erwarten! Auf den vielleicht etwas ruhigeren, auf jeden Fall elaborierteren Stil der letzten beiden Alben könnte mancher Ur-Fan der Bremer wohl mit Unbehagen reagieren. Doch warten wir’s ab…
Gleich zu Beginn hauen Versengold eines dieser neuen Stücke raus und zwar eines der ganz Guten! «Hier kummp de Sturm», welch Ankündigung. Okay, nüchtern betrachtet laufen weder Band noch Publikum auf Hochtouren, das braucht noch ein bisschen… epische Mitsing-Stücke à la «Niemals Sang- und Klanglos» und «Verliebt In Eine Insel»? Könnt ihr haben!
Geschickt bauen Sänger Malte und seine Mitmusiker die neueren Stücke, welche noch nicht alle Fans so richtig in- und auswendig können, zwischen ältere Stimmungsgranaten. Geschickt vor allem deshalb, weil die Stimmungskurve konstant nach oben klettert.
Neue Lieder sind ja sowieso immer so ein bisschen eine kritische Sache, deren Menge und Platzierung durchaus zum Stimmungskiller werden können. Doch Titel wie «Hey Hanna» oder «Bella Schau» müssen sich keineswegs hinter älteren Knallern verstecken. Im Gegenteil: So sehr ich mir gewisse ältere Songs wie «Paules Beichtgang» oder «Drey Weyber» zurückwünsche, die Platzierung der neueren Hits ist mehr als richtig.
Ein (zugegeben extremes) Beispiel ist das nach dem wie gewohnt sehr emotionalen «Haut Mir Kein Stein» gespielte «Kobold Im Kopp». Was mir den ganzen Abend über ein wenig gefehlt hat, diese fast schon freche, absolut charakteristische Spielfreude der Band, genau das bekommen wir für einen Moment lang zurück. Dieser Kobold, den wir alle im Kopf tragen und der wie bekloppt Balalaika spielt. Der uns zum Ausrasten bringt. Der uns an Liveauftritten in höhere Sphären trägt und uns eskalieren lässt. Genau dieser Kobold ist jetzt nicht nur bei der Band, sondern auch im Publikum mehr zu spüren als während der ganzen letzten paar Stunden.
Eskalation? Die wird noch ein bisschen gepusht, indem Eike auf einer Instrumentenbox durch die Menge gestossen wird. Diese kurze Spezialdarbietung gibt dem Rest der Band genügend Zeit, sich auf eine B-Bühne zu bewegen, wo sie «Die Letzte Runde» ankündigen. Diese hört dann auf den Namen «Butter Bei Die Fische» (ein weiteres eher neues Lied mit absolut verdientem Setlistenplatz), auf welches nur noch der übliche und doch sehr humorvolle «Abgesang» folgt.
Setlist – Versengold:
- Hier Kummp De Storm
- Niemals Sang- Und Klanglos
- Verliebt In Eine Insel
- Hey Hanna
- Der Tag An Dem Die Götter Sich Betranken
- Was Kost’ Die Welt
- Windsbraut
- Augen Auf Und Durch
- Die Wilde Jagd
- Thekenmädchen
- Bella Schau
- Hoch Die Krüge
- Braune Pfeifen
- Eis Und Asche
- Haut Mir Kein Stein
- Kobold Im Kopp
- Die Letzte Runde*
- Butter Bei Die Fische*
- Abgesang*
*Zugaben
Das Fanzit – Versengold, Von Grambusch
Nach der Eröffnung des Abends durch Von Grambusch stand ich etwas ernüchtert da. Nicht, weil der Auftritt schlecht gewesen wäre. Nein, viel mehr ob der wirklich merkwürdigen Atmosphäre. Mein Hoffnungsschimmer war einzig, dass Versengold vielleicht umso mehr aufdrehen würden.
Das taten die Folk Rocker aus Bremen dann auch! Zwar würde der heutige Auftritt einen Direktvergleich wohl mit fast jedem meiner bisherigen Besuche bei der Band verlieren, doch: Versengold haben sich ihre weiterhin steigende Popularität verdient. Mit ihren eingängigen, zum Tanz anregenden Songs und einer gehörigen Portion Sympathie begeistern die Jungs immer und immer wieder. Dass ich beim nächsten Mal, wenn die Band die Schweiz besucht, zuhause bleibe, das wird wohl kaum passieren. Denn iiiich haaab nen Kobold im Kopf und der spielt wie bekloppt Balalaika!