Feuerfontänen, Bonbons und 3M Kapselgehörschützer
Wenn das Z7 in Pratteln mit Kindern gefüllt ist, Lieder über Kaugummi gesungen werden, Konfetti durch die Luft fliegt, an der Bar mehr Sirup als Bier verkauft wird, dann treten Heavysaurus auf: die einzigen nennenswerten Vertreter des «Kinder-Heavy-Metals».
2009 wurde in Finnland die Kreidezeit eingeleitet: Der Sohn des Musikers Mirka Rantanen (Thunderstone) erkannte die Marktlücke von Heavy Metal für Kids und fragte seinen Vater, warum diese denn nie gefüllt wurde. Vermutlich nach einem Blick auf die schon wieder nicht aufgeräumten Spielsachen des Sohns, gründete daraufhin der Vater «Hevisaurus», ein Band, die aus vier Dinosauriern und einem Drachen besteht.
In weiten Teilen der Erde blieb dieser Evolutionsschritt des Metals unbekannt. Die Metal-Head-Kids hörten weiterhin Black Sabbath und Megadeth, nicht weil es sie ansprach, sondern weil ihre Eltern die Musik mochten. Es dauerte ganze acht Jahre, bis die Archäologen bei Sony Music Germany 2017 aus der DNA der Hevisaurus die «Heavysaurus» züchteten. Anfangs waren diese kaum fähig selbstständig zu überleben, weshalb ihre Lieder von der Vorlage mehr oder weniger eins zu eins in das Deutsche adaptiert wurden. Gar die Musikvideos wurden übernommen, bloss die Tonspur wurde ausgetauscht. Doch wie das mit der Evolution so ist, entwickelten sich auch die deutschen Dinosaurier weiter und begannen eigene Songs zu schreiben und aufzuführen.
Im Z7 gibt’s Sirup
Trotzdem oder gerade, weil überall Fasnachtsumzüge stattfinden, stürmen am dritten Sonntag des Februars zahlreiche Kinder das Z7; ein Veranstaltungsort, der normalerweise nicht um 14 Uhr seine Pforten öffnet und wenn dann höchstens für den Soundcheck. Auch Kinder sind hier gewöhnlich eher selten anzutreffen, schon gar nicht in solchen Horden so wie heute. Doch heute treten die «Heavysaurus» auf, da ist alles ein bisschen anders.
Eine Stunde vor Konzertbeginn hat sich bereits einiges an Besuchern angesammelt. Die Halle an sich ist trotzdem eher spärlich gefüllt. Dafür stehen die Leute für Wurst und Pommes Frites Schlange, die Pfiffigen haben sich zudem bereits vor dem Merchandise-Stand positioniert, wohl wissend, dass sich nach der Show, sollte ein Besuch von diesem eingeplant sein, der Nachhauseweg schnell mal um eine halbe Stunde verlängert werden könnte. Und wer geht schon gerne das Risiko ein, Kindernerven mit langem ödem Anstehen zu strapazieren, besonders wenn man anschliessend zusammen in einem Auto sitzen muss.
Vor dem Konzert hat kein Kind das Bedürfnis, seine dunklen Gefühle in der Weise eines Death-Metal-Sängers mitzuteilen. Dafür sorgen die erwähnte Wurst und Pommes Frites, die die Eltern ihren Kindern kompromisslos aushändigen. Auf das «Weil-Es-Gesünder-Ist-Gibt-Es-Wasser» Argument antwortet das Z7 mit Sirup, der günstiger ist als das Wasser in PET-Flaschen an der Bar, dafür die Kinder zufriedenstellt und lautstarke Diskussionen zwischen ihnen und ihren Erziehungsberechtigten verhindert. Möglichkeiten um den Zucker wieder «rauszutoben», wird es ja gleich geben.
Nachdem aufgegessen wurde, ziehen die Kinder ihre Eltern nach drinnen. Wie so oft ist das Z7 gut überheizt, denn Pullover kann man ausziehen. Hitzig, vermutlich aufgeregter als die Dinos (und ein Drache) sind auch die Kids. Für viele von ihnen wird es das erste Konzert sein oder, «Das erste richtige Konzert, nicht nur so eine Veranstaltung in einer Mehrzweckhalle», wie eine Mutter ihrem Nachwuchs erklärt.
Heavysaurus – Der Auftritt
Dass die Halle heute so voll ist, trotzdem die meisten Besucher nicht einmal halb so gross sind, wie normalerweise, dürfte unter anderem an dem zeitgemässen Marketing der Uhrzeitmonsterband liegen. Erfolgreich sind diese nämlich sicherlich auch, nebst dem, dass sie ein grosses klaffendes Loch in der Musiklandschaft füllen, durch ihren souveränen Auftritt in den sozialen Netzwerken wie Instagram oder TikTok. Dabei scheint ihnen klar zu sein, wen sie dort erreichen: nicht das Zielpublikum, sondern die Eltern und somit auch Sponsoren dessen. Inhalte, die sich an Kinder richten, werden eher selten für das Internet produziert. Solche werden hauptsächlich analog angeboten: Auf CD oder Tolino-Figur (anscheinend der Renner im Kinderzimmer).
Vor Konzertstart kommt als Vorprogramm ein Backliner auf die Bühne, der das zu erwartende: «XY sucht seine Eltern …» in die Menge ruft. XY scheint dadurch seine Eltern zu finden und die Show kann starten. Schnell werden die «3M Kapselgehörschützer für Kinder» aufgesetzt, es wird dunkel, man freut sich ab der Nebelmaschine und eine Stimme aus dem Nirgendwo beginnt zu erklären, dass die Kinder sich von den grossen Dinos nicht zu fürchten brauchen, überflüssig, und was Kinder tun können, wenn sie wie XY ihre Eltern verlieren. Es wäre wünschenswert, wenn letzteres auch andere Veranstaltungsorte bei Familienevents kommunizieren würden. Weitergefahren wird mit dem Erzählen der komplizierten Geschichte der Heavysaurus:
«Vom Einschlag, eines riesigen Meteoriten in die Erde verschont, blieben fünf riesige Eier in einem Berg in Finnland liegen, bis ein Blitz der in den Berg einschlug, die Eier wieder zutage brachte. Hexen sorgten dann mit Zaubersprüchen dafür, dass aus den Eiern Heavy-Metal-Dinos schlüpften», so die Kurzfassung. Wie der Gitarrist Riffi Raffi, kein Dino, sondern ein Drache, wie später erklärt wird, in die Band kam, bleibt der Fantasie überlassen.
Unter Jubel und der Titelmelodie von «Jurassic Park», kommen nach und nach die Bandmitglieder auf die Bühne und beginnen, mit dem für die Tour namensgebenden Song: «Kaugummi Ist Mega» noch mehr einzuheizen (uff!).
Unerwarteter- und daher umso erfreulicherweise wird live gespielt und gesungen, was mit und in der ganzen Maskerade sicherlich als Leistung gewertet werden kann, auch körperlich: Atmungsaktiv scheinen die Dino-Ganzkörperkostüme nicht zu sein, der Ventilator am Platz jedes Dinosauriers respektive Drache wird nur wenig helfen. Wer ein Dino sein will, muss wohl wie ein Dino riechen. Diese Überlegung sollte man sich unbedingt machen, bevor man das teurere Eintrittsticket mit meet-and-greet dem Nachwuchs auf den sechsten Geburtstag schenkt.
Ganz so konsequent wird das Live-Spielen nicht durchgezogen, meist sind es, wie auch bei anderen Bands gang und gäbe, orchestrale Samples und Chöre, die als Ergänzung des Gespielten dienen und von der Keyboarderin «Milli Pilli» (Valentin Findling) eingespielt werden. Bei ihrem Lied «Dino-Disko», dass sie, zumindest in den Augen der Kinder, singt, kommt der Gesang komplett vom Band. Augenscheinlich nicht nur, weil im Körper von Milli Pilli, im Gegensatz zum Sänger «Mr. Heavysaurus», kein Headset verborgen ist, sondern auch weil hinter, beziehungsweise unter, «dem Mädchen der Band» kein Mädchen steckt. Trotzdem braucht es eins. Emanzipation respektive Gleichstellung wird hier grossgeschrieben, was besonders beim Lied «Was Willst Du Mal Werden?» zum Ausdruck kommt und in den Ansagen immer wieder mal Thema ist. «Wir sind alle gleich, egal ob gross, klein, dick, dünn …», eine standardmässig in ziemlich jeder Unterhaltung für Kinder gepredigte Moral, für Erwachsene kaum mehr durch ständiges Wiederholen zu ertragen, doch für Heranwachsende eine wichtige zu lernende Grundhaltung. Schöner wäre es sicherlich, wenn eine solche Selbstverständlichkeit gar nicht mehr ausgesprochen werden müsste.
«Eine Fee hat mein Mikrofon, das ein Knochen ist, verzaubert. Darum funktioniert es, auch wenn ich es nicht an den Mund halte» erklärt Mister Heavysaurus, um die Entwicklungsstufe «Magische Phase» nicht abrupt und brutal zu beenden. Doch inwiefern sich Leute, die an den Samichlaus glauben, Gedanken über die Funktionsweise eines Mikrofons machen, ist fraglich. Diese freuen sich lieber über Showeffekte, wie die Feuerfontänen, die immer mal wieder am Rand der Bühne emporschiessen oder die Schatztruhe, aus der beim Lied «Schatzsuche» eifrig Bonbons in die Menge verteilt werden. Ebenfalls die, durch die Luft wirbelnden Konfettischlangen kommen gut an, so gut, dass es nach dem Konzert zu Diskussionen kommt, warum man solche nicht mit nach Hause nehmen darf.
Abgesehen von den vielen visuellen Aspekten, überzeugen Heavysaurus auch musikalisch. Klar, an der Gitarre steht kein neuer Jimi Hendrix und am Klavier sitzt kein neuer J. S. Bach, zumindest wäre dies im Rahmen dieses Konzertes nicht erkennbar: Die Lieder lassen wenig Raum für ausufernde Instrumentalsolos, der Rahmen ist für künstlerisches Ausschweifen zu straff durchorganisiert und choreografiert. Das hier ist kein Konzert, es ist eine Show und angesprochen werden muss nicht der erwachsene kritische Kritiker, sondern das aufgeregte Kind, das gerade sein erstes Konzert erlebt; und das gelingt der Band wunderbar. Ab dem ersten Lied hat sie ihr Publikum um den Finger gewickelt. Manche Band, die sich an ein erwachsenes Publikum richtet, kann nur von einer solch aktiven Zuschauerschaft träumen. Wenn da vom Sänger gefragt wird «Wollt ihr noch einen Song?», dann wird da so was von geschrien und wenn ein «Geht das auch lauter?» folgt, wünscht man sich man hätte ebenfalls ein «3M Kapselgehörschützer» mitgebracht.
Ansonsten hat das Konzert eine angenehme Lautstärke. Durchschnittlich schaukelt der Pegel irgendwo zwischen 80 und 85 Dezibel hin und her, für ein Metalkonzert leise, für ein Kinderkonzert dann doch eher laut. Auf jeden Fall aber gut abgemischt, nur die O-Töne des Bassisten «Muffi Puffi», die dieser zu den Ansagen beisteuert, verschwinden manchmal im Gemurmel der Zuschauer.
Die Ansagen drehen sich meist um die Band selbst, um diese herum existiert, wie erwähnt, eine komplexe Geschichte. So hat beispielsweise jedes Bandmitglied seine eigenen bezeichnenden Charakterzüge. Das finnische «Original» hat diese Geschichte in einen eher mässig als mittelmässig guten Spielfilm umgewandelt, dem eine ebenfalls eher mässige deutsche Synchronisation verpasst wurde. Auf der Bühne wird diese Geschichte mehr oder weniger in Theaterform vorgetragen, beispielsweise ruft die Mutter der Heavysaurus (eine Hexe) an, um ihnen mitzuteilen, was es zum Mittagessen gibt. Andere Male werden Geschichten einfach erzählt. So oder so, die Fans lauschen und schauen gebannt zu.
In Anbetracht dieses Showkonzepts, mit den kostümierten Figuren auf der Bühne, drängt sich schnell mal ein Vergleich zu einer anderen Band auf, deren Wurzeln auf Finnland zurückzuführen sind. Die Rede ist natürlich von Lordi. Hierzu gilt allerdings anzumerken, dass diese, trotz dem beide Bands viel Wert auf ihr visuelles Erscheinungsbild legen, nicht 1:1 miteinander zu vergleichen sind. So ist die eine Band für Leute die den Zahlenraum über Hundert kennen, oft eher befremdlich, kindisch, nicht zu sagen fremdschämend, die andere Band hingegen sind die Heavysaurus. Ausserdem spielen letztere im Gegensatz zu Lordi live.
Gegen die Mitte des Konzertes lässt «Mister Heavysaurus», mal ein wenig, «Frank Beck» durch den Dinosaurierpanzer schimmern, richtet sich in der Ansage an die Fahrer und Geldgeber des Publikums, auch Eltern genannt. Er bedankt sich beim Z7, wo er seine «Misses Heavysaurus» kennengelernt habe und er immer wieder gerne einkehrt. Dann rutscht ihm gar noch ein «… Egal in welcher Band» raus. Gemeint ist damit, nebst derjenigen, die gerade auf der Bühne steht, «Gamma Ray», bei der er ebenfalls den Sänger mimt.
«Wisst ihr …», sein Wort richtet sich weiterhin an die über 18-Jährigen im Raum, «Wir werden oft gefragt, warum wir Metal für Kinder machen. Nun, unsere musikalische Früherziehung soll darauf hinauslaufen, dass eure Kinder wenn sie älter sind, zu euch kommen und sagen: Mama, Papa, ich brauch’ Geld für Wacken und nicht zu Helene Fischer gehen». Diese Rede führt natürlich zu tosendem Applaus, dieses Mal nicht von den Kindern.
Allzu konsequent, führt man den Schlachtzug gegen das Schlagermonster Helene Fischer nicht zu Ende, denn vor der Zugabe-Pause spielen die Dinos ein grauenhaftes Stück Musik namens «Heavysaurus Tag», ein Cover des Bierzelt-Grölers «Fliegerlied».
Es ist nicht das einzige Cover im Set. Bei den anderen bleibt man angenehmerweise dem eigenen Genre treu und bedient sich an Metal und Rock Klassikern. So wird zum Beispiel aus «Eye Of The Tiger», «Stark Wie Ein Tiger».
Mit «Dino Metalheads» als Zugabe verabschieden sich die Uhrzeitgiganten von der Bühne, nicht ohne vorher,gemeinsam mit dem Publikum ein Foto gemacht zu haben.
Mit einer Spielzeit von 75 Minuten würde man unter anderen Umständen von einer kurzen Show sprechen, aber in Anbetracht dessen, dass es sich hier um ein Kinderkonzert handelt, wurde ein eher langes Konzert zum Besten gegeben. Es ist bemerkenswert, wie Heavysaurus ihr junges Publikum 75 Minuten lang ohne Pause aufmerksam dabeibleiben lassen konnte. Manche Lehrperson knirscht da sicherlich eifersüchtig mit den Zähnen.
Das Fanzit – Heavysaurus
Die Heavysaurus haben geliefert, was sie versprochen haben.
Es würde an dieser Stelle keinen Sinn ergeben, den Finger auf einzelne Fehler oder handwerkliches Ungeschick zu richten, denn die wesentliche Aufgabe Kinder zu unterhalten, wurde mehr als erfüllt. Etwas, was erst einfach klingt, es aber ganz und gar nicht ist, schon gar nicht, wenn man künstlerische Ansprüche hat. Dafür reicht ein Blick auf Youtube-Kids, wo Kinderunterhaltung mit Reizüberflutung verwechselt wird. Doch Heavysaurus weiss welche qualitativen Ansprüche sie an sich selbst stellen und halten diese auch ein, abgesehen von Ausrutschern wie «Heavysaurus Tag».
Ich bin fest davon überzeugt, dass Heavisaurus und die ganzen davon abgeleiteten Bands, wie Heavysaurus oder Heavysaurios (das argentinische Pendent), etwas vom wichtigsten ist, was der Metalcommunity innerhalb der letzten 10–15 Jahren widerfahren ist. Denn ich denke, dass ein Heavysauruskonzert vielleicht nicht nur dazu führt, dass sich das Kind später denkt: «Hätte ich doch früher begonnen zu sparen, dann müsste ich jetzt nicht meine Eltern um Geld für Wacken bitten», sondern auch ein kleiner rollender Stein sein kann, der, wenn er sich zur Lawine weiterentwickelt hat, dazu führen kann, dass sich das Kind später dazu entschliesst, selbst eine Metalband zu gründen (um Geld für Wacken zu verdienen).
Diese Band ist für den Nachwuchs und das Fortbestehen des Metals essenziell!
Setlist – Heavysaurus
- Kaugummi Ist Mega
- Yeah, Heavysaurus!
- Was Willst Du Mal Werden?
- Rupuliina
- Stark Wie Ein Tieger
- Dino-Disko
- Die Waldfee
- Heavy Twister
- Medley
- Retter Der Welt
- Ufowerkstatt
- Raumschiff Juranoid
- Schatzsuche
- Rarrr
- Heavysaurus Tag
- Dino-Metalheads*
Line-Up – Heavysaurus Z7 2023**
- Mr. Heavysaurus (Frank Beck) – vocal
- Milli Pilli (Valentin Findling) – keyboard
- Muffi Puffi (Jürgen Steinmetz) – bass guitar
- Riffi Raffi (Christof Leim) – guitar
- Komppi Momppi (Philipp Klinger) – drums
**Das Line-Up variiert, je nach Konzert.