Epische Apokalypse
Was war das bitteschön für ein bombastischer Abend !?! Sowohl die flinken Cello-Finger der Apocalyptica-Jungs als auch der grandiose Symphonic Metal von Epica versetzten die Komplex-Besucher ins Staunen. Zur Vorspeise wurden uns allerdings zuerst progressive Klänge serviert.
Heute Abend können wir ein weiteres Häkchen hinter einen Event setzen, der diverse Male verschoben wurde. Endlich gibt’s die geballte Doppelladung Epica und Apocalyptica auf die Lauscher! Dass meine Wenigkeit Feuer und Flamme für das rothaarige Stimmwunder Simone Simons ist, muss ich den aufmerksamen Lesern unseres Magazins wahrscheinlich nicht mehr grossartig erklären. Die charmante Frontdame und ihre männlichen Mitmusiker haben dank der Veröffentlichung des aktuellen Silberlings «Omega» ohne Zweifel den Symphonic Metal-Olymp erreicht (und diese Worte stammen notabene von einem leidenschaftlichen Nightwish-Anhänger!). Höchste Zeit also, dass man diese neuen Hymnen im Live-Gewand bestaunen kann (diese Gelegenheit ist mir nämlich bisher verwehrt geblieben).
Der andere Headliner stammt aus dem Land der tausend Seen und weist ein Faible für das Cello-Spiel auf. Klassik und Schwermetall? Apocalyptica beweisen seit nunmehr drei Dekaden, dass diese Fusion problemlos funktioniert. Es ist eine geniale Sache, dass man auch sie wieder einmal in Action bestaunen darf. Die Eröffnung des heutigen Konzertreigens obliegt allerdings ihren Landsleuten Wheel, welche in die Rolle des Support-Acts schlüpfen.
Ein Negativpunkt sei vorab erwähnt: Parallel zu dieser Veranstaltung treten in der Dübendorfer Hall Kreator und Lamb Of God auf. Diese Überschneidung tut mir als «Multi-Metalist» schon verflucht weh…, aber die Liebe zu den symphonischen Klangwelten ist einfach nochmals ein Spürchen grösser.
Wheel
Passend zum St. Patrick’s Day genehmigen wir uns während des Auftritts von Wheel selbstverständlich eine erste Hopfenblondine. Die komplexen, facettenreichen und nicht alltäglichen Melodien der Nordmänner sind für viele sicherlich gewöhnungsbedürftig, aber ich finde sie stark! Prog Metal mit dem «Suomi-Gütesiegel». Da sind echte Virtuosen am Werk, die sogar bereits auf der gesamten Bühne herumrennen dürfen. Das typisch eingeengte «Vorgruppen-Schicksal» scheint für das Quartett somit nicht zu gelten. Ihr kurzes Gastspiel schliessen die Künstler mit einer monströsen 10-Minuten-Nummer ab. Bleibt zu hoffen, dass das Publikum bei den nächsten beiden Gruppen aus dem Beobachter-Modus herauskommt und ein wenig mehr Elan an den Tag legt.
Epica
Im Vorfeld wurde ausgiebig darüber gerätselt, welche der zwei Hauptattraktionen zuerst auf die Massen losgelassen wird. Offenbar wird diesbezüglich auf der gesamten Tour regelmässig rotiert. Die mit einem grossen «E» verzierte Schweiz, welche auf der Videoleinwand im Hintergrund erscheint, liefert den Fans die erhoffte Klarheit. Simone Simons und Co. erhalten den Vorzug. Ob die häufig kritisierte Komplex-Soundqualität dieser Herausforderung standhalten wird? Wir werden es gleich wissen.
Nach dem Intro folgt mit «Abyss Of Time – Countdown To Singularity» bereits ein erster Kracher! Hui, meine Herzdame singt wie eine Göttin. Fantastisches Kino mit Hühnerhaut-Garantie. Dazwischen lässt Axtmann Mark Jansen immer wieder sein harsches Gebrüll ertönen. Derweil ist die Zuhörerschaft entweder mit Headbangen oder engagiertem Mitsingen beschäftigt. Seitens Videoleinwand werden unsere Augen zudem andauernd mit weiteren Reizen bombardiert. Wir erleben hier in Tat und Wahrheit gerade eine Vorführung aus dem Headliner-Bilderbuch.
Die neuen Stücke sind ebenfalls im Live-Gewand der erwartete Hochgenuss. Das balladeske «Rivers» rührt mich obendrein beinahe zu Tränen. Überragend gesungen! Und wenn dann als Rahmhäubchen noch Liedgut von meiner Lieblingsplatte «The Divine Conspiracy» zum Handkuss kommt, ist die Setliste eigentlich nahezu perfekt. Keine Ahnung, wann ich «Fools Of Damnation (The Embrace That Smothers – Part IX)» letztmals als Bestandteil eines Gigs gehört habe.
Die Harmonie unter den einzelnen Protagonisten scheint absolut zu stimmen. Lead-Klampfer Isaac Delahaye ist bestens gelaunt. Sein lächelndes Antlitz wirkt unfassbar ansteckend. Und was ist bitteschön mit Bassist Rob van der Loo passiert? Der hat ja gefühlt noch mehr Haare und Bart als sonst. Jedenfalls sind grosse Teile seines «Felles» ständig in Bewegung. Der beste Entertainer der Truppe ist und bleibt aber glasklar Coen Janssen. Ich glaube, dass der Keyboarder gleich eine ganze Wagenladung von Clowns zum Frühstück verspeist hat. Ihm schaut man effektiv nur allzu gerne bei seinen Spässchen und Mätzchen zu.
In diesem Laden und Ambiente hätte ich es nicht unbedingt erwartet, aber wir werden hier gerade Zeugen einer der besten Epica-Darbietungen, die ich je erlebt habe. Eine Machtdemonstration der Niederländer, welche für das Finale die Hüpf-Nummer «Beyond The Matrix» und das imposante «Consign To Oblivion» (inklusive Wall Of Death) ins Rennen schicken. Das kann allerhöchstens noch von einer Festival-Produktion übertroffen werden.
Apocalyptica
Das Fernsehprogramm läuft direkt weiter, denn auch die Jungs von Apocalyptica setzen auf eine Videoleinwand. Aber ob sie dem phänomenalen Epica-Auftritt überhaupt noch in irgendeiner Form das Wasser reichen können? Das wird eine zähe Herkulesaufgabe. Morgen in Lausanne werden sie vor den Holländern spielen. Diese Reihenfolge hätten sich eigentlich auch viele Besucher für den heutigen Abend gewünscht. Aber hey, wir wollen den Saunaliebhabern ebenfalls eine faire Chance geben.
Mit dem Einstiegs-Track «Ashes Of The Modern World» stellen sie umgehend ihr aktuelles Eisen «Cell-0» in den Vordergrund. Ein solider Beginn, wobei der darauffolgende Hit «Grace» schon deutlich intensiver beklatscht wird. Beeindruckend, wie die Herrschaften ihre Mähnen schwingen und dazu noch locker die richtigen Töne aus ihren Streichinstrumenten herauspressen. Ausserdem ist es fraglos ein kleiner Kraftakt, die hölzernen Dinger praktisch ununterbrochen in der Gegend herumtragen zu müssen. Da hat’s Mikko Sirén deutlich entspannter, denn der darf durchgehend hinter seiner Schiessbude sitzen und brav den Takt angeben.
Hmm, wenn Lieder wie «I’m Not Jesus» oder «Not Strong Enough» in der Setliste auftauchen, kann ein Gastsänger eigentlich nicht allzu weit entfernt sein. Tatsächlich setzen Apocalyptica auf eine Kollaboration, die ihnen bereits in der Vergangenheit schöne Erfolge beschert hat. Der US-amerikanische Sänger Franky Perez übernimmt nämlich abermals den Job am Mikrofon. Das hat er ebenfalls 2015 getan, als der Tross hier im Komplex 457 vorbeigeschaut hat (siehe Review von meiner Kollegin Liane).
Die «Lausbuben» auf der Bühne leben sich sichtlich aus. Die Cellos rocken! Sie können zwar nicht hundertprozentig mit der Epica-Show mithalten, sind aber nichtsdestotrotz äusserst ansprechend unterwegs. Mit den beiden Metallica-Cover-Versionen «Nothing Else Matters» und «Seek & Destroy» ziehen die Finnen die Leute sowieso ohne Schwierigkeiten auf ihre Seite. Und sonst gibt’s da ja auch noch einen gewissen Schönling namens Perttu Kivilaakso, der uns mit trockenem, finnischem Humor eine unterhaltsame Bandvorstellung präsentiert. Im Anschluss lassen die Künstler den Abend mit dem hörenswerten «Hall Of The Mountain King» gekonnt ausklingen.
Das Fanzit – Apocalyptica, Epica, Wheel
Epica und Apocalyptica brillierten jeweils mit mitreissenden Headliner-Performances. Die Soundqualität hat dem erzeugten Druck ausgezeichnet standgehalten und die Stimmung im bumsvollen Komplex 457 war wirklich top. Einzig die in der Gerüchteküche heiss angepriesene gemeinsame Darbietung eines Songs von Simone und den Cello-Akteuren blieb leider aus.
Setliste – Wheel
- Blood Drinker
- Movement
- Vultures
- Wheel
Setliste – Epica
- Intro – Alpha – Anteludium
- Abyss Of Time – Countdown To Singularity
- The Essence Of Silence
- Victims Of Contingency
- Unleashed
- The Final Lullaby
- Fools Of Damnation (The Embrace That Smothers – Part IX)
- The Skeleton Key
- Rivers
- Code Of Life
- Cry For The Moon
- Beyond The Matrix
- Consign To Oblivion
Setliste – Apocalyptica
- Ashes Of The Modern World
- Grace
- I’m Not Jesus
- Not Strong Enough
- Rise
- En Route To Mayhem
- Nothing Else Matters (Metallica-Cover)
- Inquisition Symphony (Sepultura-Cover)
- Shadowmaker
- I Don’t Care
- Seek & Destroy (Metallica-Cover)
- Farewell
- Hall Of The Mountain King (Edvard Grieg-Cover)