Musketiere auf rauher See
dArtagnan riefen – und ihre treue Gefolgschaft strömte in Scharen in die Luzerner Schüür, um sich dem munteren Spektakel hinzugeben. Mit im Gepäck hatten die Recken rund um Ben Metzner zudem Rauhbein, welche den Laden ordentlich auf Betriebstemperatur bringen sollten. Ob’s geklappt hat? Lest weiter 🙂
Sandro: Gestern Solothurn (Kofmehl), heute die Leuchtenstadt. Diese beiden Gigs auf Schweizer Boden bilden quasi den Startschuss zur diesjährigen Felsenfest-Tour der Folk-Rock-Combo aus Nürnberg. Im Mai folgt ein Auftritt im nicht allzu weit entfernten Karlsruhe … und dann erst mal ein ganzes Weilchen gar nichts, bis von Oktober bis Dezember die wirklich grosse Sause mit rund 15 Konzerten steigt. Auch wenn die Tourgestaltung zumindest termintechnisch etwas speziell anmutet, freuen wir uns natürlich ungemein über die Möglichkeit, den ansonsten auch mit Feuerschwanz aufspielenden Ben mit seinen fünf Freunden hier und jetzt live erleben zu dürfen.
Kaum haben wir den Eingangsbereich der teilrenovierten Schüür betreten, ertönen auch schon die ersten rauen Töne aus der ein Stockwerk höher gelegenen Konzerthalle. Obwohl auf den Tickets 20 Uhr als eigentlicher Konzertbeginn vermerkt ist, scheint man das fröhliche Treiben bereits zehn Minuten früher in Gang setzen zu wollen. Also hinauf in den bereits gut gefüllten Saal, wo gerade der Support-Act loslegt.
Dutti: Seid gegrüsst, werte Metalinside-Leserschaft. Meine Wenigkeit ist heute ebenfalls in der Schüür zu Gast. Die Lokalität wird dieses Mal von einer buntgemischten Besucherschar heimgesucht. Vom Normalo, über den passend gekleideten Mittelalter-Sympathisanten bis hin zum knallharten Metallschädel ist gefühlt alles in der lautesten Scheune der Leuchtenstadt vertreten.
Im Erdgeschoss trifft man auf zahlreiche vertraute Gesichter und verquatscht sich dabei ohne Probleme. Zeitmanagement adé! Somit ergeht es mir ähnliche wie Kollege Sandro. Erst nachdem die ersten Töne der Vorgruppe erklingen, flitze ich schnurstracks die Treppe hoch ins obere Stockwerk. Irgendwo rechts von der Bühne findet sich noch ein kleines Fleckchen, in welches sich Kumpel Benji und ich hineinquetschen können. Lecko mio, ist das voll hier! Das dürfte fraglos eine weitere „Sauna-Party“ werden (Erinnerungen an den Dark Tranquillity-Abend sind umgehend wieder präsent.
Rauhbein
Sandro: Rauhbein dürfte für viele noch ein unbeschriebenes Blatt sein. Ursprünglich als Elvis-Imitator und Sänger von Heimatliedern unterwegs, schwingt sich Namensgeber Henry M. Rauhbein nach einem schweren Arbeitsunfall aufs Motorrad und braust nach Irland, wo er sich mit einer Gitarre im Gepäck eine Weile als Pubmusiker durchschlägt. Zurück in good old Germany startet der bärtige Musiker dann 2019 sein selbst betiteltes Projekt, das nach vier Singles im März 2022 in der Veröffentlichung des Debütalbums Steh wieder auf gipfelt. Album Nummer zwei soll bereits diesen Juli folgen – einen ersten Vorgeschmack erhält die bestens gelaunte Zuhörerschaft heute Abend in Form des Songs Wir sind eins.
Überhaupt gelingt es den fünf Jungs aus Hessen von Anfang an, die ausgelassen feiernde Menge in ihren Bann zu ziehen. Die erfrischende Mischung aus rockigen Tönen und in der irischen Folkmusik verwurzelten Klängen wirkt einfach ansteckend. Und dass man auch ohne grossen Schnickschnack und aufwendige Bühnendekoration ordentlich abrocken kann, ist längst kein Geheimnis mehr. Eine zentrale Rolle im Sound des Quintetts spielt, wie auch beim folgenden Headliner, das Geigenspiel von Justin Ciuché, der mit seiner mal verspielten, mal melancholischen Art einen wunderbaren Kontrast zur erdig-rauen Stimme des in ein schlichtes Trägerhemd gekleideten Sängers bildet. Und wenn Henry zwischen den Liedern von Freundschaft spricht oder den Trinkspruch „Prost ihr Säcke“ – „Prost du Sack“ zum Besten gibt, dann wirkt das absolut authentisch und sympathisch! Ein wahrer Büezer Bueb eben, nur in Echt!
Viel zu schnell ist die knapp fünfzigminütige Show vorbei. Dass beim obligatorischen Abschlussfoto lautstark eine Zugabe gefordert wird, darf als höchster Ritterschlag gewertet werden. Leider verhallen die Rufe ungehört. In der folgenden Umbaupause lässt es sich Henry nicht nehmen, am Merch-Stand Autogrammkarten zu signieren oder für das eine oder andere Selfie zur Verfügung zu stehen. Ein durch und durch bodenständiger Typ! Ja, Rauhbein ist in der Tat ein Name, den man sich für die Zukunft merken sollte!
Dutti: Authentizität ist tatsächlich das passende Schlagwort. Henry und seine Mitstreiter besingen auf ehrliche und glaubwürdige Art Dinge aus dem Leben, die man ihnen ohne nachzudenken abnimmt. Das sind eben kernige, bodenständige Typen, die wissen, wovon sie sprechen. Wobei – gestern sei dem Fronter in Solothurn trotzdem ein kleiner Fauxpas unterlaufen, denn er habe den ihm servierten Hopfentrunk als italienisches Bier bezeichnet… Autsch! Immerhin wiederholt er diesen Fehltritt beim heutigen „Feldschlössli-Fläschli“ nicht.
Die Party-Eskalation in den Publikumsreihen ist von Beginn weg gewährleistet. Die diversen Mitmach-Hymnen tragen selbstverständlich ihren Part dazu bei. Rauhbein bestätigen hier gerade die Lobpreisungen, welche sie von zahlreichen Personen für ihre Z7-Performance vor rund einem Jahr erhalten haben. Ich gehe mit Sandro einig, dieses Quintett ist wirklich eine verheissungsvolle Entdeckung! Schade nur, dass sie ihren Luzern-Aufritt ziemlich abrupt abbrechen müssen. Hat da jemand etwa vor lauter „Flow“ die Zeit aus den Augen verloren? Halb so wild, meinetwegen hätten gerne noch ein paar weitere Songs folgen dürfen.
dArtagnan
Sandro: Musketier-Rock! So lautet zumindest die Selbsteinschätzung der musikalischen Barden aus dem bayerischen Nürnberg. Ferner attestiert Wikipedia den sechs Herren einen Schlager-Rhythmus, eine Nähe zur Volksmusik und „kumpelhafte Texte“. Das muss man als gestandener Metalhead jetzt erst mal sacken lassen. Und ja, so ganz Unrecht hat die freie Enzyklopädie nicht, vor allem, wenn man sich die eher älteren Werke der vor Partylaune nur so sprühenden Liedermacher zu Gemüte führt. Zwar ist die Instrumentierung rauer, härter ausgelegt als bei ihren schunkelnden Kollegen aus der Schlagerabteilung, melodisch ist aber dennoch eine gewisse Verwandtschaft zu erkennen, so auf Cousinsniveau oder ähnlich. Doch über die Jahre, respektive fünf Alben hinweg, hat man sich eine eigene Nische am Rande des Mainstreams geschaffen. Und sich nicht zuletzt dank des grossartigen Albums Felsenfest in der Szene etabliert.
Soviel zur theoretischen Eintütung. In der Praxis brechen dann schon beim Opener C’est la vie alle Dämme. Es wird getanzt, mitgesungen, die Arme im Takt von links nach rechts und wieder zurückgeschwungen. dArtagnan geben von Anfang an Vollgas, und die Leute im Saal quittieren diese Energiedusche mit vollem Einsatz ihrer Stimmorgane. Im Mittelpunkt steht Mastermind Ben Metzner, der unermüdlich wie ein Duracell-Häschen die jubelnde Menge zu Höchstleistungen anspornt. Was bei so eingängigen Songs wie Felsenfest, Tanz in den Mai oder dem historisch angehauchten Wallenstein auch nicht wirklich Rocket Science ist. Textlich schwimmt man zwar manchmal etwas gar weit ins offene Phrasenmeer hinaus, aber immer mit einem schelmischen Zwinkern in den Augen, wie etwa die Ansage zum aktuellen Kracher Westwind zeigt: „Wir sind wohl die schlechtesten Piraten, von denen ihr je gehört habt“. Solange der Rest stimmt, was soll’s? Nicht minder witzig ist in gewisser Weise das Fundament der Hoch-die-Gläser-Hymne Trink mein Freund. Mag das eingängige Klangmuster auch auf dem russischen Volkslied Korobeiniki basieren, so kommt mir bei der Tonfolge doch jedes Mal die Melodie des Spieleklassikers Tetris in den Sinn. Wetten, dass die Musiker genau dieses Gameboy-Gedudel im Ohr hatten, als sie den Song schrieben?
Wie bereits erwähnt, ist auch bei dArtagnan die Geige von Saitenstreicher Gustavo Strauss ein echter Aktivposten und verleiht dem quirligen Sound die gewisse Würze. Neben der kraftvoll-mitreissenden Stimme von Entertainer Ben natürlich, der mit viel Feuer und Leidenschaft durch den Abend führt. Oder auch mal seinen gerade nicht gebrauchten Dudelsack durch die Gegend pfeffert (zum Glück gibt es einen aufmerksamen Helfer am Bühnenrand, der das sicherlich nicht ganz günstige Instrument gekonnt auffängt). Was noch positiv anzumerken ist: War die Soundqualität schon bei der Vorgruppe sehr ansprechend, so ist sie bei dArtagnan schlichtweg klasse.
Neben viel Spass und Tollerei gibt es aber auch den einen oder anderen ernsten Moment. Zum Beispiel als Ben ankündigt, dass der nächste Song von Tim [Bernard; Gitarre] gespielt werde. Dieser habe das Stück nämlich speziell für seine Tochter geschrieben und sich geschworen, immer für sie da zu sein. Oder – in Anspielung auf den aktuellen Krieg in Europa (und möglicherweise auch der Grund, wieso Völkerschlacht keinen Platz im sonst gut durchmischten Set fand) – dass die alten Lieder, die wir heute noch singen, nicht von Hass, sondern von Liebe handeln würden. Denn die würde am Ende immer siegen. Es folgt die berührende Ballade My Love’s in Germany.
Zum Abschluss des regulären Sets kommt Henry von Rauhbein noch einmal auf die Bühne, um gemeinsam Was wollen wir trinken anzustimmen. „Einer für alle, alle für einen“ eben! Nach vier Zugaben ist dann aber endgültig Schluss. Zumindest für heute. Denn noch am selben Tag wird über die sozialen Kanäle die frohe Botschaft verbreitet, dass dArtagnan (inklusive des heutigen Supporting Acts) am 19. Oktober 2023 das Z7 in Pratteln rocken werden.
Dutti: Die Degen schwingenden Helden aus dem Roman von Alexandre Dumas haben im Rahmen ihrer Abenteuer schon so manche Herausforderung gemeistert. Ob der Überlebenskampf einer vollgestopften „Scheunen-Sauna“ ebenfalls dazu gehört hat, entzieht sich gerade meines Wissens. Aber just dieses Szenario müssen die wackeren Recken heute in der Zentralschweiz meistern. Doch damit bekundet die von Frontmann Ben angeführte Truppe kaum Probleme. Und ja, sorry an alle lieben Damen im Saal, die den charmanten Typen gerade anschmachten; der gute Mann hat kürzlich geheiratet und ist somit nicht mehr auf dem freien Markt zu finden. Ihr müsst euch leider anderweitig umsehen.
Die Jungs von dArtagnan liefern eine astreine Show ab und lösen bei der Zuhörerschaft weitere Eskalationen aus. Da wird herumgehüpft, getanzt und urplötzlich schafft’s sogar ein mutiger Crowdsurfer bis auf die Bühne! Die Setliste bietet Trinklieder, Mit-Klatsch-Nummern und emotionale Balladen à la „Farewell“. Bei letztgenannter Komposition muss Tim die in der ursprünglichen Version von Patty Gurdy geträllerten Abschnitte übernehmen und löst diese Aufgabe souverän. Derweil hat Ben die optimale, leicht ironische Weisheit für den heutigen Abend parat. Man solle sich den kleinen Dingen erfreuen und dazu auch lauwarmes Bier und schweissgebadete Körper hinnehmen.
Böse Zungen würden bei dieser Art von Musik eventuell auch das Unwort «Schlager» in den Mund nehmen. Unsere Mundart-Rocker Megawatt (oder die Shanty-Seebären Santiano) sehen sich ja jeweils mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert. Vielleicht mögen diese Einschätzungen teilweise stimmen, aber aufgrund dessen sollte man die genannten Formationen längst nicht ausschliesslich in eine solche Schublade hineinzwängen. Dafür sind sie nämlich meistens schlichtweg zu rockig unterwegs. Und wer im Live-Gewand eine mitreissende Sause auslöst, verdient zurecht Anerkennung. Nach der Darbietung werde ich meinen Support für dArtagnan mit einem T-Shirt-Kauf gerne nochmals verdeutlichen – das steht jetzt schon fest!
Das Fanzit – dArtagnan, Rauhbein
Sandro: Wie erwartet lieferten dArtagnan in Luzern voll ab. Die brodelnde, ausgelassene Stimmung während des ganzen Sets verwandelte die Schüür nicht nur in ein Tollhaus, sondern auch in eine reinrassige Sauna (die zum Glück nicht extra verrechnet wurde). Rauhbein wurden ihrer Rolle als Anheizer mehr als gerecht – ich glaube, nicht nur ich habe diese bodenständige Truppe ins Herz geschlossen. Kurzum: Ein rundum gelungener Abend, der gerne noch etwas länger hätte dauern dürfen.
Dutti: Viel mehr gibt’s von meiner Seite her zu diesen Ereignissen gar nicht zu ergänzen. Den 19. Oktober dieses Jahres habe ich mir jedenfalls ganz fett in meinem Kalender angestrichen. Diese ausgezeichnet harmonierende und offenbar auch beinahe unzertrennliche Combo nochmals in Aktion zu erleben, ist nach diesem grandiosen Abend eigentlich fast schon Pflicht!
Setlist Rauhbein
- Intro
- Herz eines Kriegers
- Rauhbein
- Komm mit uns
- Wir sind eins
- Auf die Freundschaft
- Schrei es laut
- Hoch die Tassen
- Feier frei
- Zieh mit den Wolken
- Molly Mc Gee
- Typen wie wir
Setlist dArtagnan
- Intro ab Band: Billy Talent / Viking Death March
- C’est la vie
- Flucht nach vorn
- Felsenfest
- Westwind
- Feste feiern
- Chanson De Roland
- Feuer & Flamme
- Tourdion
- Tanz in den Mai
- My Love’s in Germany
- Dreht sich der Wind
- Mein Leben lang [Gesang: Tim Bernard]
- Instrumental-Stück
- Glücksritter
- Farewell
- Trink mein Freund
- Wallenstein
- An der Tafelrunde
- Was wollen wir trinken (zusammen mit Henry M. Rauhbein von Raubein)
- Seit an Seit*
- Die Nacht gehört dem Tanze*
- Sing mir ein Lied*
- Ja, ich will*
* Zugabe