Eine Frage der DNA …
Delain ohne Charlotte Wessels? Für viele ein Ding der Unmöglichkeit! Doch die (nicht ganz so neuen) Musiker um Bandgründer Martijn Westerholt bewiesen bereits Ende letzten August am Riverside Open Air in Aarburg, dass es auch ohne die ehemalige, charismatische Sängerin funktionieren kann.
So wagte man denn einen veritablen Restart. Vor allem die Besetzung hinter dem Mikro dürfte dabei für reichlich Gesprächsstoff gesorgt haben. Die neue Charlotte hört auf den Namen Diana Leah, und wäre von mir beinahe über den Haufen gerannt worden. Keine schöne Vorstellung! Was war passiert? Da in der Halle des Komplex 457 gerade Xandria mit ihrem extralangen Soundcheck beschäftigt waren (die Gründe hierfür erfahrt ihr im Konzertbericht sowie dem Interview mit Marco Heubaum), beschlossen mein Gesprächspartner Martijn Westerholt und ich, das Interview im Tourbus der Niederländer zu führen. Kaum eingestiegen, kommt mir die zierliche Sängerin entgegen – Vollbremsung meinerseits. Diana will mir Platz machen, damit ich Martijn folgen kann. In ihrem Nightliner, wohlverstanden … Klar, dass ich zur Seite trete und sie passieren lasse. Ein freundliches „Thank you“ haucht mir zum Dank entgegen. Nichts Weltbewegendes, aber eine kleine Episode, die zeigt, wie normal und sympathisch es in den Reihen von Delain zugeht.
Nach unserem Gespräch wird mir der total entspannt wirkende Keyboarder noch die verschiedenen T-Shirts am Merch-Stand zeigen (den Grund dafür lest ihr weiter unten), und mir auch seine Frau Robin vorstellen, die den Verkauf der mannigfaltigen Fanartikel stemmt. Trotz grosser Erfolge in der Vergangenheit, ist die Bodenhaftung hier allgegenwärtig. Und so plaudere ich denn ganz entspannt mit Mastermind Martijn Westerholt über die Entstehung des neuen Albums „Dark Waters“, die rasante Entwicklung ihrer neuen Stimme Diana Leah, Veränderungen im Musikbusiness – sowie über Star Trek (aka Raumschiff Enterprise). Philosophieren über taH pagh taHbe‘, sozusagen …
MI: Zuallererst ganz herzlichen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst.
Martijn: Mit Vergnügen.
MI: Wie läuft die Tour bisher?
Martijn: Ich muss sagen, dass diese Tour eine der schönsten und spassigsten ist, die ich je gemacht habe. Ich bin absolut dankbar, dass ich das erleben darf. Die Atmosphäre ist fantastisch, die Leute sind offen und aufgeschlossen. Das Ganze übertrifft wirklich meine kühnsten Erwartungen. Wir hatten ja beschlossen, es vorderhand auf rund drei Wochen zu begrenzen. Einfach, um erst einmal das Wasser ein bisschen zu testen, wenn man so will. Zu sehen, wie alles läuft. Aber wenn ich auf die bisherigen Shows zurückblicke, freue ich mich schon enorm darauf, neue Tourpläne zu schmieden. Mal sehen, was passiert!
MI: Eines der zentralen neuen Elemente bei Delain ist Diana. Wie ich gelesen habe, kam das Ganze über Instagram zustande… Klingt irgendwie spannend …
Martijn: Ja, das ist in der Tat eine lustige Geschichte. Ich war damals auf der Suche nach einer neuen Sängerin und habe mir viele YouTube-Kanäle angeschaut, in denen Leute Coverversionen singen oder so. Das war für mich ein guter Ausgangspunkt, um ein erstes Gefühl dafür zu bekommen, ob jemand infrage käme. Dabei bin ich auf Dianas Channel gestossen, den sie eigentlich nur so zum Spass betrieben hat. Jedenfalls war ich ziemlich beeindruckt, also notierte ich ihren Namen und nahm mir vor, sie anzuschreiben. Lustigerweise reagierte sie fast zeitgleich auf einen Instagram-Post von Delain. Ich meine, ich lese selten Kommentare in sozialen Netzwerken, also war das schon ein verrückter Zufall. Sinngemäss stand da: „Hey, wenn ihr eine Sängerin für Delain braucht, könnt ihr mich jederzeit kontaktieren“ – mit einem „winking face“-Emoji dahinter.
Diana hat das eigentlich nur so als Scherz geschrieben und nicht wirklich damit gerechnet, jemals von mir zu hören. Für mich war es allerdings eine Art Zeichen, also habe ich mich bei ihr gemeldet – was sie sehr überrascht hat. In der Folge habe ich ihr ein paar Stücke zugeschickt, die sie einsingen sollte – und nach nur einem Tag retourniert hat. Als ich auf Play drückte, hat es mich einfach umgehauen. Ich habe sie daraufhin in die Niederlande eingeladen, wo sie zusätzlich noch Ronald (Gitarre) und Sander (Schlagzeug) kennenlernte. Tja, und jetzt sind wir hier [lacht].
MI: Kommen wir auf euer neues Album „Dark Waters“ zu sprechen. Dianas musikalische Wurzeln liegen ja auch im Trance-Bereich. Hatte dies einen Einfluss auf das neue Album?
Martijn: Nein, eigentlich nicht. Ich bin das Ganze wie immer angegangen, denn seit dem ersten Album schreibe ich den Grossteil zusammen mit Guus Eikens. Daran hat sich auch bei „Dark Waters“ nichts geändert. Natürlich kam Dianas Gesang neu hinzu, sodass dies allenfalls irgendwie unbewusst hineingespielt haben könnte. Aber ich denke, das ist dann doch etwas weit hergeholt. Zudem war Diana schon immer auch recht Metal-orientiert unterwegs, sie mag Bands wie die Metalcore-Truppe Architects.
MI: Abgesehen von Diana und Bassist Ludovico Cioffi ist wieder dasselbe Line-Up wie beim 2009er Album „April Rain“ am Start.
Martijn: Aber auch das hat die Entstehung des neuen Albums nicht wirklich beeinflusst. Der einzige Unterschied ist, dass Charlotte nicht involviert war. Früher hat sie alle Texte verfasst und mit der Zeit haben wir auch begonnen, gemeinsam Musik zu schreiben. Jetzt stammen die meisten Lyrics von meiner Frau Robin. Und da du das Line-Up von „April Rain“ ansprichst: Auf „Dark Waters“ ist Rob [van der Loo] von Epica am Bass zu hören, Ludo kam erst etwas später dazu. Somit hatten wir bis auf Diana eigentlich die komplette Besetzung von „April Rain“ mit drauf. Auf den Sound hatte aber auch das keine Auswirkung. Weisst du, als Musiker entwickelt man sich ständig weiter, verändert sich – ob man dadurch nun besser oder schlechter wird, sei mal dahingestellt. Und so klingt deine Musik im Laufe der Jahre auch immer etwas anders. Aber natürlich gibt es diesen Fingerabdruck, der in deine Arbeit einfliesst. Und ich hoffe, dass die Leute den Delain-Sound auch auf unserem neuesten Werk noch immer heraushören können.
MI: Im Vergleich zu früheren Alben ist nicht nur die Stimme anders, generell wirkt „Dark Waters“ auf mich eingängiger, lebendiger. Wie siehst du das?
Martijn: Es war mir wirklich wichtig, den Leuten zu zeigen, dass Delain trotz der Trennung vor zwei Jahren noch immer voll da sind. Dass noch genügend Delain-DNA vorhanden ist, um weiterzumachen. Sonst ergibt es einfach keinen Sinn. Zum Glück sind auch nach so vielen Jahren noch einige Leute mit dabei, die schon immer an der Entstehung unserer Musik beteiligt waren.
Aus meiner Sicht ist es ein sehr repräsentatives Album, da wir immer noch auf die für unseren Sound zentralen Elemente wie Orchestrierung, schwere Gitarren, aber auch Popstrukturen setzen. Vereinfacht gesagt: Wir beginnen etwas poppig und enden symphonisch. Ein Ansatz, den wir bewusst gewählt haben, um den Fluss des Albums zu erhalten und auch einen gewissen Wiedererkennungswert zu schaffen. Aber ich hoffe, es klingt trotzdem frisch und unverbraucht.
MI: Absolut! Was ist dein Lieblings-Song auf „Dark Waters“?
Martijn: Oh, das ist immer eine schwierige Frage für einen Künstler! Und die Antwort kann sich von Tag zu Tag ändern. Momentan würde ich „Underland“ als meinen Lieblingstitel nennen. Ich vergleiche das stets ein bisschen mit Brot. Man hat den Brotteig, schiebt ihn in den Ofen und backt den Laib. Aber man weiss nie genau, was dabei herauskommt. Und so ist es auch mit der Musik. Man nimmt den Duft wahr, aber das gebackene Brot ist immer ein bisschen anders. „Underland“ ist ein Song, der mich in seiner Entstehung wie auch als Endprodukt wirklich überrascht hat. Ich mag ihn wirklich.
MI: Wir haben bereits darüber gesprochen, was den Sound von Delain nicht beeinflusst hat. Wie aber darf ich mir dann euren Songwriting-Prozess vorstellen? Wie schreibt ihr Lieder? Womit beginnt ihr?
Martijn: Normalerweise fängt es damit an, dass ich den Wunsch verspüre, Musik zu schreiben. Für mich ist der ganze Prozess sehr abstrakt. Man beginnt zu spielen, sucht sich eine schöne Melodie, ein passendes Thema und baut darauf auf. Oft entwickeln Guus oder ich einen Teil und legen ihn dann dem anderen vor, damit sich daraus etwas Grösseres entwickeln kann. Aber das Wichtigste ist definitiv, in der richtigen Stimmung zu sein, im Flow. Wir sind zum Beispiel zu meinen Eltern nach Spanien gefahren, einfach um in einer anderen Umgebung zum Schreiben zu sein. Und es hat wunderbar funktioniert. Erst danach kommen die Lyrics. Ich kann dabei einzelne Silben singen, auch den Rhythmus, aber den Text bekomme ich nicht hin. Das ist dann die Aufgabe meiner Frau Robin. Und wenn das Ganze zurückkommt, reden wir darüber, was es bedeutet und wie es klingt. Und so baut sich ein Lied sukzessive auf.
MI: „The Quest And The Curse“ ist auf dem Album in zwei total unterschiedlichen Versionen vertreten. Das Ganze erinnert mich etwas an „Abyss Of Time“ von Epica, wo die Acoustic Version auch völlig anders klang. Wann entstand die Idee, aus diesem Song auch eine Ballade zu machen?
Martijn: Eine sehr gute Frage! Eigentlich war es Dianas Idee. Sie schickte mir diese Version, die sie zusammen mit ihrem Freund sowie einem Kollegen ausgearbeitet hatte, als Überraschung zu. Ich fand die Idee verdammt gut und dachte mir, lasst uns das als zusätzlichen Track auf das Album packen. Das kam alles von ihr. Ich finde, wenn ein Lied eine schöne Melodie hat, sollte es egal sein, ob die Gitarren verzerrt sind oder nicht. Wenn das Motiv stimmt, kann ein Song in verschiedene Formen gepresst werden und dadurch eine ganz andere Energie entfalten.
MI: Absolut! Was soll das Albumcover von „Dark Waters“ zum Ausdruck bringen?
Martijn: Der Begriff „Dark Waters“ symbolisiert für mich ein wenig den Ort, an dem sich Delain vor nicht allzu langer Zeit befunden hat. Delain wäre fast ertrunken und die Leute wussten nicht, was passieren würde. Aber wir haben es geschafft, uns über Wasser zu halten! Und was das Bild betrifft … wir arbeiten seit Jahren mit dem Künstler zusammen, der diese Artworks entwirft [Glenn Arthur]. Das Ganze ist gewissermassen zu unserem Markenzeichen geworden – ein weiteres Stück dieser Delain-DNA. Also habe ich ihn auch für das neue Album angefragt. Das Bild hat dieses Wasserelement in sich – wie auch etwas sehr Piratenhaftes, aber das interessierte uns zunächst nicht. Uns ging es vorwiegend darum, das dunkle Wasser zu versinnbildlichen. Und ausserdem sieht das abgebildete Mädchen ziemlich zäh aus, so wie der schwarze Glibber vom Kolibri tropft. Plus Dunkelheit, womit es alle gewünschten Elemente in sich vereint ….
MI: Gibt es etwas, auf das du im Zusammenhang mit dem neuen Album besonders stolz bist?
Martijn: Besonders stolz bin ich auf all die Menschen, die alles für diese Band geben. Ohne sie hätte ich Delain nicht wieder zum Leben erwecken können. Ich bin so stolz, dass Delain lebt und wir unsere Fans damit glücklich machen können. Denn das ist das grösste Privileg, das man als Künstler haben kann. Menschen mit seiner Musik zu begeistern. Ich bin so stolz auf die Leute in der Band, Ludo, Ronald, Sander und Diana. Und Paolo, der uns als Gast unterstützt. Das alles erfüllt mich mit enorm viel Stolz!
MI: Paolo wird heute Abend auch auf der Bühne stehen …
Martijn: Genau. Und ich finde es toll, dass er neben seinen eigenen Parts auch die von Marko Hietala übernehmen kann.
MI: Wie wird Diana von den Fans aufgenommen?
Martijn: Fantastisch! Ich bin so stolz auf sie! Als wir letztes Jahr am Riverside Open Air in Aarburg gespielt haben, war das unser erster öffentlicher Auftritt in der neuen Besetzung. Und ja, das war schon etwas beängstigend, weil Festivals generell schwieriger zu spielen sind als normale Clubshows. Man hat keinen richtigen Soundcheck und kann sich auch nicht so wie sonst vorbereiten, da auf einem Festival alles hektischer zu und hergeht und der Druck sehr gross ist. Aber schon da hat alles super geklappt. Und wenn ich jetzt sehe, wie wahnsinnig schnell sie sich entwickelt… das ist einfach unglaublich! So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt. Normalerweise benötigt man als Sänger Jahre, um auf diese Art und Weise mit dem Publikum zu kommunizieren, es zu spüren. Aber bei ihr geht alles so schnell und mit einer unglaublichen Leichtigkeit. Ich bin sehr stolz auf Diana!
MI: Gibt es eigentlich Songs, die ihr besonders gerne live spielt?
Martijn: Es ist einfach so, dass manche Songs live besser funktionieren als andere. Und das sind nicht immer die Stücke, welche die Leute auf dem Album am meisten mögen. Aber live erzeugen sie einfach diese Energie, diese Magie, die man sich wünscht. Darauf achte ich in erster Linie. Wenn ich eine Setlist zusammenstelle, möchte ich zudem eine ausgewogene Mischung aus alten und neuen Delain-Songs. Wir werden heute Abend sechs oder sieben Titel von „Dark Waters“ spielen und diese mit Liedern aus unserem Backkatalog mischen, die unseren Sound am besten repräsentieren. Es soll einfach ein guter Flow entstehen.
MI: Hat es handkehrum auch Songs, die du am liebsten aus dem Programm kippen würdest?
Martijn: Nun, wenn ich denn einen Song vom neuen Album nennen müsste, wäre es wahrscheinlich „Beneath“. Die Leute lieben ihn als Single, aber er hat nicht die Art von Live-Energie, die ich suche. In Zukunft werden wir ihn wahrscheinlich weglassen und durch einen anderen coolen Track ersetzen.
MI: Ihr habt nicht darüber nachgedacht, diesen Song bereits jetzt zu droppen?
Martijn: Noch nicht, nein. Es ist nun mal ein Lied von „Dark Waters“, und ich finde, dass ein neues Album durch eine adäquate Anzahl von Songs repräsentiert werden sollte. Obschon ich da einen Track im Hinterkopf habe, den ich live gerne mal ausprobieren würde, nämlich „Hideway Paradise“. Es würde mich wirklich reizt, ihn ins Set reinzunehmen. Aber die Sache ist auch die, dass wir Paolo mit auf Tour haben und ihm genügend Bühnenpräsenz geben wollen. Das ist ein weiterer Grund, warum wir „Beneath“ im Set lassen.
MI: Martijn, du bist jetzt seit mehr als 20 Jahren im Musikgeschäft …
Martijn: 27, um genau zu sein [lächelt] …
MI: Was hat sich aus deiner Sicht im Laufe der Jahre am meisten verändert, positiv oder negativ?
Martijn: Ah, die Frage gefällt mir! Nun, ich bin kein grosser Fan von Social Media. Ich mochte die Zeit, als es noch Zeitschriften gab und man gute Gespräche führen konnte, ohne immer aufpassen zu müssen, was man sagt. Heute ist alles so schnelllebig. Das ist ein negativer Aspekt. Positiv sehe ich aber die Möglichkeit, über diese Kanäle direkt mit den Fans in Kontakt zu treten. Das ist eine gute Sache, weil sie dich so leichter erreichen können. Als etwas Gutes erachte ich zudem auch den technologischen Fortschritt, der dir enorme kreative Möglichkeiten in die Hand gibt. Was aber nicht unbedingt nur positiv sein muss. Es hängt immer davon ab, was man draus macht. In der Vergangenheit steckt nun mal eine gewisse Romantik, ein gewisser Charme, der mir irgendwie fehlt. Aber das liegt auch ein wenig in der menschlichen Natur. Menschen blicken gerne mit einer gewissen Melancholie zurück, weil aus ihrer Sicht früher alles besser war. Was so natürlich nicht stimmt. Manches geht verloren, manches bereichert das eigene Leben auf neue Weise.
MI: Wie siehst du die Zukunft des Albums? Sowohl Jean von Saltatio Mortis als auch Jake E von „How We End“ (Ex-Amaranthe) haben sich letzthin diesbezüglich eher skeptisch geäussert.
Martijn: Ich denke, Metal ist eine ziemlich konservative Nische, in der die Leute noch immer das Album als solches schätzen. Das liegt wohl auch daran, dass eine Sammlung von Liedern mehr sein kann als nur die Summe der einzelnen Stücke. Das kann ich absolut nachvollziehen. Aber ich glaube nicht unbedingt, dass alle Künstler das so sehen. Und in welche Richtung sich das Ganze entwickelt, ist schwer vorherzusagen. Bei Delain steht jedenfalls immer noch der Begriff Album in den Verträgen. Und darüber bin ich nicht unglücklich [schmunzelt].
MI: Hast du jemals darüber nachgedacht, ein Konzept-Album zu machen?
Martijn: Ja, schon. Aber da ich keine Texte schreibe, sondern nur die Musik, steht das für mich eigentlich nicht zur Debatte. Aber es ist etwas, worüber ich mit Robin bei Gelegenheit mal sprechen könnte. Mein Glück ist, dass sie sich sehr für Sprache und das Geschichtenerzählen interessiert. Sie schreibt schon ihr ganzes Leben lang und Englisch ist zudem ihre Muttersprache. Manchmal widerspreche ich ihr und sage, das sei aber grammatikalisch jetzt nicht ganz korrekt. Dann schaut sie mich an und meint, wegen dem und dem stimmt es eben schon. Es wirklich ein Luxus, jemanden wie Robin an meiner Seite zu haben.
MI: Wenn du zurückblickst, wie stark unterscheidet sich dein Leben als Musiker von dem Traum, den du als Kind damals davon hattest?
Martijn: Durch die sozialen Medien habe ich das Gefühl, dass man heutzutage mehr Entertainer als Musiker sein muss. Etwas, das ich wirklich hasse. Denn ich liebe Musik und möchte die Leute auf meine kreative Reise mitnehmen. Vielleicht bin ich da auch ein bisschen altmodisch. In letzter Zeit sehe ich viele Künstler in den sozialen Netzwerken, die tolle Bilder von sich posten – wirklich cool! Aber für mich hat das nichts mit der natürlichen Darstellung von Musik an sich zu tun. Bei manchen wird die Musik so zum Nebenprodukt, sie steht nicht mehr im Zentrum ihres Schaffens. Doch zumindest für mich sollte sie das aber stets sein.
MI: Was war das Tollste, das du bis jetzt mit Delain erlebt hast?
Martijn: Definitiv diese Tour! Es mag komisch klingen, aber es gab eine Zeit, in der ich dachte, ich würde so etwas nie wieder erleben … wegen Covid, wegen des Splits … Auch mein Vertrauen in die Menschen hatte einen ziemlich grossen Knacks bekommen. Doch glücklicherweise erhielt ich jede Menge Unterstützung, sei es von Fans, Freunden oder Musikerkollegen, die ich auch zu meinen Freunden zählen darf… Ich habe in letzter Zeit so viel positive Energie erfahren, dass dies mit Abstand die glücklichste Tour ist, die ich je gemacht habe.
MI: Etwas ganz anderes: Angenommen, du könntest das Rad der Zeit um 27 Jahre zurückdrehen – welchen Rat würdest du deinem jüngeren Ich geben?
Martijn: Ich würde ihm raten, seine musikalischen Träume beharrlich zu verfolgen und nur den Himmel als Grenze zu sehen. Denn leider hatte ich damals noch nicht den Ehrgeiz, Musiker zu werden. Das fing erst an, als ich Within Temptation verliess und krank wurde [Pfeiffersches Drüsenfieber]. Als ich wieder gesund war, wollte ich mir selbst beweisen, dass ich ein Album schreiben kann. Und so fing es an…
MI: Und jetzt sitzen wir hier und reden über mehr als 20 Jahre Musik. Was hattest du beruflich noch auf dem Radar? Was hätte aus Martijn Westerholt werden können, wenn nicht Musiker?
Martijn: Entweder Pilot, oder Historiker, da ich Geschichte liebe …
MI: Welche Epoche?
Martijn: Ich mag die Geschichte Amerikas um 1800, vom mexikanisch-amerikanischen Krieg bis zum Bürgerkrieg. Ausserdem den Unabhängigkeitskrieg. Naja, die nordamerikanische Geschichte eigentlich im Allgemeinen. Und auch die Römerzeit. In diese Richtung wäre es wohl gegangen. Oder eben eine Karriere als Pilot, obwohl ich in Mathe nicht so gut bin. Dafür aber in Topografie [lächelt]. Das wäre auch was gewesen, da ich sehr gerne reise.
MI: Wenn du die Möglichkeit hättest, im Remake eines Films mitzuspielen, welche Rolle würdest du wählen und warum?
Martijn: Oh, das ist cool! Nun, ich bin ein Trekkie [für Unwissende: ein Fan von Star Trek bzw. Raumschiff Enterprise], und ich mag insbesondere den Film „Star Trek First Contact“. Wenn ich da mitspielen könnte, wäre das wirklich toll! Und lustig, dass du fragst, denn vor ein paar Jahren war ich auf einem Konzert von Ayreon [Progressive Rock/Progressive Metal-Projekt des niederländischen Musikers Arjen Lucassen]. Und John de Lancie, der in Star Trek das übermächtige Wesen „Q“ verkörpert, trat dort als Erzähler auf. Ich hatte Backstage-Zugang und hätte ihn ansprechen können, sagte mir aber, dass ich mich nicht aufdrängen sollte. Das bereue ich bis heute [lacht].
MI: Letzte Frage für heute: Hast du noch eine besondere Botschaft an eure Fans in der Schweiz?
Martijn: Es mag nicht besonders originell klingen, aber es kommt von Herzen: Ich bin unseren Fans unendlich dankbar, dass sie für alles so offen sind und mir es so ermöglichen, das zu tun, was ich am liebsten mache. Nämlich mit meinen Musikerkollegen auf Tour zu gehen und live zu spielen. Ich bin ihnen unheimlich verbunden und freue mich schon sehr darauf, heute möglichst viele von ihnen zu treffen.
MI: Martijn, vielen Dank für dieses Gespräch!