Die Rückkehr des Rocks
Zwischen Sam Smith, Miley Cyrus und wie sie alle heissen hat es keinen Platz mehr für Rock. Wer es an die Spitze, in die POPularität, schaffen will, soll gar nicht erst die E-Gitarre auspacken. So scheint die Devise zu lauten, wenn man das Radio einschaltet. Dem zum Trotz spielt sich die noch junge Band Måneskin weltweit bereits mehrmals mit kompromisslosem harten Glamrock bis an die Spitzen der Charts. Und ihr Erfolg hält an: Ihre «loud kids get louder» Tour ist nicht nur im Zürcher Hallenstadion ausverkauft.
Für die meisten Teilnehmer heisst es: Einmal Eurovision Song Contest und zurück – das gilt, nicht nur für die Plätze 2 bis ganz nach hinten, selbst die Sieger gehen oft schneller vergessen als ich mein Taschentuch in der Hosentasche zurücklasse und mich erst nach dem 40 Grad «Pflegeleicht» Waschgang wieder daran erinnern kann. Genauso wenig mag sich kaum einer erinnern, wer beispielsweise den ESC 2017 gewonnen hat. Doch keine Regel ohne Ausnahmen: ABBA und Céline Dion sind zwei Namen, die sich nach ihrem Sieg beim weltweit grössten Musikwettbewerb eine bemerkenswerte Karriere aufbauen konnten. Dies gelang 2006 ebenfalls der Gruppe «Lordi», eine Band «der verzerrten Gitarren», wobei hier die verkörperte Geisterbahn Thematik sicherlich ihren Anteil dazu beigetragen hat. Danach wurden die Gewinner wieder ruhiger, bis 2021 eine Band aus Italien, bestückt mit Gitarre, Bass und Schlagzeug, angeführt von einer rotzig-rauen Stimme, den Sieg an sich riss. Måneskin nannte sie sich und hatte zuvor, wie jede Prominenz, die in Italien was auf sich hält, eine Fernsehshow gewonnen, in ihrem Fall den X Factor Italia.
Trotz ihrer Triumphe schien die Welt nicht wirklich bereit für die Rückkehr des Rocks zu sein – so musste sich Sänger Damiano David, kurz nach dem ESC-Sieg einem Drogentest unterziehen, da man vermutete, er hätte, zur Feier des Tages eine Bahn weisses Pulver gezogen. Man sprach gar davon, dass man bei einem positiven Ergebnis, der Band den Sieg aberkennen würde – etwas, was noch 40 Jahre zuvor undenkbar gewesen wäre: In den 80ern war jedem klar, dass es dem Naturell eines (Rock-) Musikers entspricht, die Nasenhöhlen mit Koks verstopft zu haben.
Mag die Band mittlerweile in der öffentlichen Wahrnehmung wieder ein wenig in Vergessenheit geraten sein, so hat sie es dennoch geschafft eine beachtliche, stetig wachsende Fangemeinde aufzubauen, eine Fangemeinde offenbar so gross, dass ihr Schweizer Konzert im Rahmen der «loud kids get louder» Tour innert kürzester Zeit ausverkauft war und daher von der Halle 622 in das Hallenstadion verlegt wurde, dessen Plätze dann ebenfalls prompt weggekauft wurden.
Alle Handys in die Luft!
So überfluten am 26. April, wie so oft, Horden an Besuchern des Hallenstadions, die öffentlichen Verkehrsmittel oder geben viel zu viel Geld für Parkplätze in Zürich aus.
Bereits beim Einlass zeigt sich: Dieses Publikum ist nicht dasselbe, das man für gewöhnlich an Rock, geschweige denn Glamrock, Veranstaltungen trifft. Das hier ist ein Querschnitt durch die «heutige Jugend», im Durchschnittsalter von zirka 15 Jahren. Eine Generation, die Guns’n’Roses vor allem von T-Shirts kennt und das letzte Mal im Hallenstadion war, als Ed Sheeran auftrat. Und doch ist sie heute hier.
Was ist es nur, was Måneskin für die Generation Z so interessant macht? Ist es die niedrige Altersdifferenz zu den meisten Fans? Ist es ihr Auftreten in den sozialen Medien, das sie präsentiert als ungewöhnliche «gewöhnliche» Leute, die ein erstrebenswertes wildes, aber nicht abgehobenes Rockstardasein fristen, mit spontanem Tätowieren Backstage und wilden After-Show-Partys? Ist es ihr optisches Auftreten, dass früher mal zu Diskussionen über Moral und Anstand geführt hätte, heute vielmehr als Zeichen des Supports der LGBTQ+ Bewegung gesehen werden kann, die Make-up und Kleidung von Geschlechter-Klischees befreien möchte? Oder ist es schlicht die Kombination aus all dem zusammen, gepaart mit musikalischem Können und der Fähigkeit, und Unterstützung durch zahlreiche Produzenten, eingängige Melodien zu erschaffen?
Das Publikum scheint sich diese Gedanken nicht zu machen. Für sie sind Måneskin schlicht Popstars genauso wie ihre anderen Idole, mit dem einzigen Unterschied, dass Måneskin dafür verantwortlich gemacht werden darf, den Zugang zur Rockmusik erleichtert zu haben.
Wie es zur Würdigung eines modernen Popstars gehört, hält bereits ab dem ersten Klang die halbe Halle überteuerte Telefone in die Luft und nimmt verwackelte Bild-und-Ton-Aufnahmen auf, die sich später keiner freiwillig ansehen möchte und das, obwohl es zu Beginn nicht wirklich viel zu sehen gibt: Über die erste Hälfte des ersten Songs «Don’t Wanna Sleep» hält sich die Band hinter einem Vorhang versteckt, lediglich ihre Silhouetten werden, wie bei einem Schattentheater auf diesen projiziert, dies reicht jedoch aus, dass die ersten Mädchen hysterisch zu kreischen beginnen. Auf der Albumversion dauert das Lied bloss Streaming-taugliche zweieinhalb Minuten, live, jedoch wird das, durch schnelle Social-Media-Plattformen wie TikTok in ihrer Aufmerksamkeit eingeschränkte Publikum, mit einem langen ausgedehnten Instrumentalintro, auf die Folter gespannt. Dabei beweisen die Italiener, dass sie mehr als nur Castingshow Gewinner sind. Gewiss, hier steht nicht der neue Gitarrengott oder die neue Bass-Grösse auf der Bühne, allerdings sind Ambitionen zu hören, dass man zu dem werden möchte.
Zum gebrüllten «Don’t wanna sleep at all!» fällt der Vorhang und gibt den Blick auf die Band frei, die in unsäglich hässliche Fetzen der Marke Gucci gehüllt ist, von der Måneskin Markenbotschafter sind. Was früher als Provokation galt, wird heute für mehrere Tausender an das gut betuchte Bürgerdumm verscherbelt.
Abgesehen von den koketten Outfits, die mehr präsentieren als bedecken, fällt das optische Auftreten der Gruppe verhältnismässig minimalistisch aus: klar, ein bisschen Publikumsunruhe durch das Verwenden einer B-Stage für ein klitzekleines Akustik-Set, ein Scheinwerfer, mit dem Damiano über die Bühne rennt und Spotlight spielt und ein bisschen Feuer beim thematisch passenden Song «Gasolin», dies aber nicht ansatzweise vergleichbar mit Bands wie Rammstein oder Slipknot. Das war es dann auch schon. Was nicht heissen will, dass es nichts zu sehen gäbe: In einer ähnlichen Unruhe wie Flea, der Bassist der Red Hot Chili Peppers, hält sich Bassistin Victoria kaum länger als ein paar Sekunden an einem Platz auf, schmeisst sich für Solos auf den Boden oder wahlweise ins Publikum und nimmt zwischendurch Platz auf dem Bauch des Gitarristen Thomas, der, sich ebenfalls immer mal wieder einen Powernap auf «den Brettern, die die Welt bedeuten» gönnt. Und das alles in hochhackigen Stiefeln!
And everyone knows that Rock and Roll is shit – but I don’t give a fuck about being a cool kid
Ohne Unterbruch führt man das Programm mit dem Lied «Gossip» fort, dem Rage Against The Machine Gitarrist Tom Morello ein Solo beisteuerte, das heute, zu meinem Erstaunen, nicht als Playback eingespielt wird. Generell wird das ganze Konzert hindurch einen grossen Bogen um das Thema Einspieler gemacht, was für Bands mit einem Zielpublikum wie Måneskin eine Seltenheit darstellen dürfte: Versuchen doch Musiker vermehrt krampfhaft live identisch wie auf Platte zu klingen, auch mit der Konsequenz nicht mehr wirklich live zu spielen, sondern nur ein bisschen zur eigenen Musik rumhampeln. Diesen Anschein machen Måneskin aber ganz und gar nicht und steuern statt Klängen ab Konserve, ihren Liedern lieber ausgefallene Instrumentalsolos bei.
Wie wichtig eine solche Einstellung zum Thema «Performance» dem Grossteil des Publikums sein mag, ist fraglich. Diesem ist möglicherweise die perfekte Videoaufnahme wichtiger, in einigen Extremfällen ist gar zu beobachten, wie das ganze Konzert nicht nur aufgenommen, sondern ebenfalls für die Daheimgebliebenen per FaceTime übertragen wird. Klassische Konzertworkouts a la «Jump Jump Jump», werden nur mässig motiviert mitgemacht, ansonsten bleibt man standhaft, als hätte man sich auf ein kollektives Tanzverbot geeinigt.
Måneskin scheint sich nicht gross an der mässigen Publikumsbeteiligung zu stören, vermutlich kennen sie es nicht anders. Man bedankt sich stattdessen immer wieder bei den Fans und lädt, wie an jedem ihrer Konzerte, ein paar glückliche Auserwählte aus den ersten Reihen zum letzten Song «Kool Kids» vor den Zugaben auf die Bühne ein, um wenigstens da das Tanzbein zu schwingen. Gleich im Anschluss bugsieren Ordner die Tänzer, die sichtlich Gefallen daran gefunden haben, von Tausenden beneidet zu werden, wieder von der Bühne runter, von der sich auch die Band verabschiedet.
Ebenso verabschieden sich für eine Weile die Handys und mit lauten «Måneskin-Måneskin-Måneskin-Rufen» werden weitere Songs gefordert.
Wie gefordert so geliefert, doch erst betritt Thomas allein die Bühne und spielt mittels einer wunderschönen Fender Telecaster und der Zuhilfenahme eines Loop-Gerätes ein ausgiebiges Gitarrensolo. Von da leitet er gekonnt über zu DER Ballade der Gruppe «The Loneliest», was eigentlich ein wunderschöner sentimental-feierlicher Abschluss wäre, doch leider sollte es den nicht geben, denn Måneskin lässt das Konzert nach gut zwei Stunden Spielzeit gefühlt abrupt enden, indem sie einen ihrer grössten Hits «I Wanna Be Your Slave», ein zweites Mal spielen, obwohl sie eigentlich noch weitere eigene Songs im Repertoire hätten.
Das Fanzit – Måneskin
An dieser Stelle muss ich mich als riesigen Fan der Band Måneskin outen. Seit ich sie das erste Mal bei ihrem Auftritt am Eurovision Song Contest sah, hat sie mich in ihren Bann gezogen und ihre Musik sich in mein Hirn und Herz gebrannt. Trotzdem ging ich mit der Befürchtung zu diesem Konzert, danach vielleicht kein Fan mehr zu sein, weil Måneskin eine Castingshow Band ist und weil an den Songs, wie bei den meisten Popstars, beinahe unzählige, Produzenten mitarbeiten. Kann eine solche Band überhaupt live spielen?
Doch diese Zweifel waren schon nach wenigen Liedern wie weggeblasen. Måneskin ist eine nicht nur auf musikalischer Ebene geniale Band und keine Mixed-Gender-Group, die bloss zur Ausschlachtung des Musikmarkts und der Marktlücke «Rock für pubertierende Gen Zs» geschaffen beziehungsweise gecastet wurde. Auch wenn sie ihr Management mit einer endlos langen Tour derzeit ziemlich zu schlauchen scheint, haben sie offensichtlich Spass an dem, was sie machen. Ihr Sound hört sich weder alt, verstaubt oder uninspiriert an, noch lässt er zu, dass aktuelle Trends und Strömungen ihn ruinieren, wie das leider so oft bei anderen Bands der Fall ist. Måneskin hätte definitiv ein aktiveres und handyloseres Publikum verdient!
Jedem, der es wagt über seinen Schatten zu springen und auch mal einer Band ein Ohr zu leihen, die im Radio gespielt wird, kann ich Måneskin nur wärmstens empfehlen!
Setlist – Måneskin
- Don’t Wanna Sleep
- Gossip
- Zitti E Buoni
- Owm My Mind
- Supermodel
- Coraline
- Baby Said
- Bla Bla Bla
- In Nome Del Padre
- Beggin’ (The Four Seasons Cover)
- Timezone
- For Your Love
- Gasoline
- Vent’anni (Akustisch, B-Stage)
- If Not For You (Akustisch, B-Stage)
- I Wanna Be Your Slave
- La Fine
- Feel
- Mark Chapman
- Mammamia
- Kool Kids
- The Loneliest*
- I Wanna Be Your Slave*
*Zugabe
Line Up – Måneskin
- Damiano David – vocals
- Thomas Raggi – guitar
- Victoria De Angelis – bass
- Ethan Torchio – drums