Absturz der Wespe
Die erfolgreiche 80er-Jahre Gruppe W.A.S.P. gastierte am Mittwochabend im Komplex 457. Die Fans kamen in Scharen, um Blackie Lawless und seine Kumpanen zu bejubeln. Allerdings verliessen einige von ihnen den Club am Ende mit enttäuschter Miene. Wie das passieren konnte, entnehmt ihr den nachfolgenden Zeilen.
Ich bin immer noch völlig geflashed von der gestrigen Floor-Jansen-Solo-Show. Die Nightwish-Frontröhre hat gestern das X-Tra in Grund und Boden gesungen. Trotz Schwangerschaft gelang der Niederländerin eine überragende Darbietung. Chapeau! Doch heute Abend erwartet die Zürcher Konzertgänger in Altstetten ebenfalls ein grosses Kaliber: W.A.S.P. schauen vorbei! Blackie Lawless (ohne Zweifel eine schillernde und zugleich polarisierende Persönlichkeit in unserer Szene) und seine Gefolgschaft sind anlässlich der «40 Years Live»-Tour am Start. Heute wird die Limmatstadt gerockt und morgen kommen die Westschweizer Kollegen in Lausanne zum Handkuss.
Man darf die Amis keinesfalls unterschätzen oder gänzlich ausklammern, denn schliesslich haben sie eine beachtliche Anzahl von fantastischen Hymnen komponiert. Neben den altbekannten Klassikern zählen insbesondere «Babylon’s Burning» oder «Heaven’s Hung In Black» zu meinen persönlichen Favoriten. Mal schauen, welche Titel in der Setliste berücksichtigt werden. Vor sechs Jahren durfte ich im Z7 Zeuge einer grandiosen Wespen-Performance werden (siehe Bericht) und bin deshalb guten Mutes für den bevorstehenden Gig (zu diesem Zeitpunkt wusste ich ja noch nicht, dass die Angelegenheit ziemlich ernüchternd enden wird…).
Seitens Organisator Good News Productions AG reibt man sich bei diesem riesigen Publikumsaufmarsch garantiert freudig die Hände. Es scheint fast so, als wäre die Popularität von W.A.S.P. selbst im Jahr 2023 nach wie vor ungebrochen. Mit Ach und Krach kann ich mir am Tresen noch ein Bierchen sichern, ehe das Leben in der vollgestopften Sardinenbüchse seinen Lauf nimmt.
W.A.S.P.
Auf einen Support-Act wurde offenbar verzichtet. So können sich die Besucher direkt auf den Headliner als alleinige Attraktion einstimmen (mir ist allerdings schleierhaft, wieso die Türöffnung dann trotzdem bereits auf 19 Uhr angesetzt wurde). Aus den Boxen erklingen beliebte Metal-Hymnen von Pantera und Konsorten. Auf der Bühne steht – unübersehbar – der markante Skelett-Mikrofonständer «Elvis» und wartet auf seinen Einsatz. Die «Spielwiese» ist ohnehin üppig dekoriert. Ein Banner auf der rechten Seite verrät uns, dass das Ganze hier bald zu einer «Arena Of Pleasure» mutieren könnte. Aber wo zur Hölle bleiben die Akteure?! Ich bin ja notabene nicht hergekommen, um einfach gelangweilt in einer Metal-Disco herumzustehen und irgendwelchen Stücken ab Konserve zu lauschen. Da hätte ich genauso gut im Ebrietas ein paar Feierabend-Blondinen vernichten können…
«Lecko mio!» Mit satten 35 (!) Minuten Verspätung schleppen sich Blackie und seine Begleiter doch noch ins Rampenlicht. Sorry, das ist eine unverschämte Frechheit! Habe ich schon länger nicht mehr erlebt. Das kennt man sonst eher von anderen «Paradiesvögeln» und arroganten Säcken wie Manowar oder Marilyn Manson… Als zum Auftakt «This Is The End» von den Doors ertönt, schwirrt eine ordentliche Portion Galgenhumor mit. Ähm, liebe W.A.S.P.-Protagonisten, wollt ihr nicht zuerst einmal anfangen?
Immerhin folgt danach gleich eine Vierer-Ladung von Liedern. Die Zuhörerschaft scheint kaum nachtragend zu sein und jubelt ihren Helden lauthals zu (andere hätten wohl längst ein Pfeifkonzert gestartet). An der Seite des gesetzlosen Fronters agieren Doug Blair (Lead-Gitarre), Aquiles Priester (Drums) und Mike Duda (Bass). Rasch wird klar, dass es sich hierbei allesamt um brauchbare Musiker handelt, die ihr Handwerk verstehen und beherrschen. Ungeachtet dessen dürften die Backing Vocals ruhig ein wenig lauter sein. Wer jetzt auf den sogenannten Flow gehofft hat, wird leider bald abermals enttäuscht. Nach dem angesprochenen Song-Quartett verschwinden die Herrschaften bereits wieder. Diese Aktion quittieren einige Zuschauer mit Zugabe-Rufen. Naja, glücklicherweise bleibt uns der Humor erhalten.
Für die nächste Etappe (und sogar bis zum Ende des Gigs) kommen Videoleinwände zum Einsatz, die passende Clips zu den jeweiligen Nummern zeigen und damit irgendwie auch an bessere und glorreichere Zeiten erinnern. Selbstverständlich wird der Hit «Wild Child» frenetisch abgefeiert. Das Publikum ist nach wie vor hellwach. Für einige von ihnen ist das freilich eine Reise retour in ihre rebellische Jugendära. Logischerweise ziehen sich Blackie und seine Gefährten nach diesem Track erneut zurück… Mein lieber Scholli, was macht der denn immer?! Muss er etwa unters Sauerstoffzelt oder sein Krönchen richten? Keine Ahnung, aber das ist definitiv frustrierend und mühsam. Wäre ich nicht als pflichtbewusster Schreiberling im Einsatz, hätte ich möglicherweise schon längst die Flucht ergriffen.
Das restliche Set ziehen die Herren einigermassen stabil durch. Bei «The Idol» lässt der mittlerweile oben ohne agierende Doug sein gesamtes Können aufblitzen. Welch fulminante Soli-Einlagen! Wow! Genau solche Momente beweisen uns wieder, dass es W.A.S.P. eigentlich schon noch draufhätten. Traurigerweise wirkt der werte Blackie konstant erschöpfter und klammert sich regelrecht an den vor ihm stehenden Mikrofonständer. Er spricht von einer «shitload of pain». Auf dem Heimweg muss ich unbedingt das Internet zu dieser Thematik durchforsten. Das sind effektiv nicht bloss irgendwelche Diven-Allüren. Der Fronter scheint tatsächlich körperliche Schmerzen zu haben. Nichtsdestotrotz beisst er auf die Zähne und versucht mit «I Wanna Be Somebody» einen einigermassen versöhnlichen Schluss anzustreben. Seine Anhänger greifen Blackie beim Refrain aus vollen Kehlen unter die Arme. Danach steht der verfrühte Feierabend an. Keine Ahnung, wann ich zum letzten Mal bereits kurz nach 22.10 Uhr eine Konzertlocation verlassen konnte…
Das Fanzit – W.A.S.P.
Hmm, wie soll das «Fanzit» nun genau lauten? War es schlichtweg eine schwache Darbietung oder muss man allenfalls ein bisschen Nachsicht mit dem physisch angeschlagenen Band-Leader haben? Ich tendiere auf das Prädikat «enttäuschend». 35 Minuten Verspätung, nur knapp 70 Minuten Live-Musik, bescheidene Setliste und dafür musste der Besucher ungefähr 60 Stutz abdrücken. Nicht unbedingt das Gelbe vom Ei, oder? Da denke ich weitaus lieber an die 2017er-Show in der Prattelner Konzertfabrik zurück. Das war damals grossartiges Kino.
Sodele, und nun muss ich mir nochmals einen Nachtrag erlauben. Der «Gegenwarts-Dutti» hat inzwischen mittels Recherche herausgefunden, dass Blackie seit dieser Europarundreise mit einem Bandscheibenvorfall im unteren Rücken zu kämpfen hat. Deswegen waren (und sind) seine Schmerzen fraglos echt und keinesfalls simuliert. Allerdings stellt sich die Frage, ob man unter diesen Umständen den Auftritt eventuell nicht gleich komplett hätte unterbinden sollen. Ja, ich weiss, Absagen sind uncool und «echte» Rockstars ziehen ihr Ding sowieso bis zum bitteren Ende durch. Aber wenn die Qualität so stark darunter leidet, macht das Durchsetzen seines eigenen Dickschädels wahrlich überhaupt keinen Sinn. Ich wünsche Mister Lawless jedenfalls gute Besserung und hoffe, dass er sich rasch von dieser mühseligen Geschichte erholt.
Trotz aktualisiertem Wissensstand werde ich meinen Bericht nicht anpassen, denn dieser ist schliesslich eine Momentaufnahme dessen, was ich als ahnungsloser Besucher vor Ort wahrgenommen und erlebt habe. Frust und Enttäuschung stützen dabei die Authentizität. Bei Metalinside.ch werden euch nämlich keine Märchen aufgetischt. Hätte ich schon im Vorfeld oder während der Performance von diesem «Bandscheiben-Malheur» gewusst, wären gewisse Zeilen wahrscheinlich minim milder ausgefallen.
Setliste – W.A.S.P.
- On Your Knees / The Flame / The Torture Never Stops / Inside The Electric Circus
- L.O.V.E. Machine
- Wild Child
- The Idol
- The Great Misconceptions Of Me
- Animal (Fuck Like A Beast)
- The Real Me (The Who-Cover)
- I Wanna Be Somebody
Ergänzung: «Chainsaw Charlie (Murders In The New Morgue)» und «Blind In Texas» wurden aufgrund der Gesundheitsprobleme von Blackie gar nicht erst gespielt