Kampf der Engel
Das US-amerikanische Seattle gilt als Geburtsstätte des Grunge. Ein Hype, der wie ein Strohfeuer nach drei Jahren erlischt und damit auch die lokale Metalszene mit in ihre Trümmer nimmt: Während Queensryche oder Metal Church von ihrem Status und der langjährigen Fangemeinde profitieren und sich damit irgendwie über Wasser halten können, fallen andere Bands dem mangelnden Support zum Opfer. Fifth Angel Mitbegründer und Drummer Ken Mary erlebt das hautnah mit, denn seine Teenagerband wird nach gerade mal zwei Alben aufgelöst. Allerdings erweist sich der Titel des zweiten Albums «Time Will Tell» (1989) rückwirkend prophetischer als beabsichtigt …
30 Jahre danach
Nach zwanzigjähriger Funkstille tauchen Fifth Angel im Jahr 2010 für einen Gig am Keep It True auf, um sich schliesslich 2017 endgültig zu reformieren. So folgt nach knapp 30 Jahren die dritte Langrille «The Third Secret» (2018). Mit einem zeitgemässen und etwas kantigeren Sound knüpft das Album nur bedingt an den beiden Vorgängern an, das Kultfeeling der 80er-Alben bleibt fast gänzlich aus. Nicht nur die Musiker sind inzwischen aus ihren Teenager- und Frühzwanzigerjahren herausgewachsen, auch ihr Sound hat sich weiterentwickelt. Textlich beschäftigt sich das Album zu grossen Teilen um das dritte Geheimnis von Fatima (u.a. spekulative Prophezeiungen über den dritten Weltkrieg), was wiederum perfekt ins textliche Konzept von Fifth Angel passt. Denn seit jeher beschäftigen sich die Herren aus Seattle mit dem Weltgeschehen und verflechten mehr oder weniger symbolisch Themen wie Macht, Tyrannei, Verrat, Täuschung, Unterdrückung oder Krieg in ihren rassigen Power Metal der alten Schule.
Mit «When Angels Kill» knüpfen Fifth Angel musikalisch nahtlos am Vorgänger an, gehen aber lyrisch noch einen Schritt weiter. Während einer Spielzeit von knapp 70 Minuten erzählt das Album die Geschichte von Phoenix, einem Widerstandskämpfer in einer korrupten, tyrannisierten und apokalyptischen Welt. Die Songs verketten sich narrativ und musikalisch zu einem Ganzen und erinnern von der Idee her spontan an die Mutter aller Metal-Konzeptalben «Operation: Mindcrime». Und wie das Meisterwerk von Queensryche ist auch «When Angels Kill» kein Album für Zwischendurch, wenn man es in seiner Tiefe erfassen möchte. Zwar gehen die Songs fast ausnahmslos sofort ins Ohr, brauchen aber vereinzelt mehrere Anläufe, um sich dort noch festzusetzen. Hat man sich einmal auf Sound und Geschichte eingelassen, lässt einen das musikalische Kopfkino kaum mehr los.
Apokalyptisches Szenario
Den Anfang machen nach kurzem Intro der Titelsong und ‹Resist The Tyrant›, die bereits als Vorabsingles musikalisch und als Videoclips auch visuell Einblick in das neue Werk gewähren: Musikalisch routiniert und packend arrangiert, knackig und druckvoll produziert und stimmlich mit Neuzugang Steve Carlson perfekt besetzt. Nostalgiker der ersten beiden Alben (und da reihe ich mich ein) mögen sich immer noch an die modernere Ausrichtung gewöhnen müssen, aber ganz ehrlich – frischer, inspirierter und spielfreudiger haben Fifth Angel seit ihrem bärenstarken Debut nicht mehr geklungen. ‹On Wings Of Steel› bekräftigt das nochmal eindrücklich, bevor dann mit ‹We Are Immortal› eine neue potenzielle Hymne aufwartet. Doch damit noch lange nicht genug, denn mit ‹Empire Of Hate› folgt ein echter Reisser, der förmlich «Aufdrehen!!» schreit. «Run To The Black» setzt etwas gemässigter nach, weiss aber mit starkem Refrain die Aufmerksamkeit hochzuhalten, um schliesslich mit dem Knaller ‹Seven Angels› alles wegzuhauen. Das sind Fifth Angel in absoluter Bestform!
Die Geschichte nimmt an Dramatik zu. ‹Blinded And Bleeding›, ‹Kill The Pain› und ‹Five Days To Madness› kommen merklich heavier daher und münden in die epische Ballade ‹Ashes To Ashes› ein, wo Marta Gabriel von Crystal Viper ihren gesanglichen Gastauftritt hat. Ein Song, der es problemlos mit Band-Klassikern wie ‹Wings Of Destiny› oder ‹Broken Dreams› aufnehmen kann – welch ein leidenschaftliches, atmosphärisches Juwel! ‹The End Of Everything› läutet danach schleppend die Schlussphase ein, welches mit ‹Light The Skies› noch das letzte Feuerwerk zündet und das musikalisch apokalyptische Szenario zu einem furiosen Ende bringt.
Das Fanzit Fifth Angel – When Angels Kill
Fünf Jahre liegen zwischen «The Third Secret» und «When Angels Kill», wovon effektiv zweieinhalb Jahre am neuen Album gearbeitet wurde, erklärt Drummer und Produzent Ken Mary. Und das ist unüberhörbar. Nie waren Fifth Angel knackiger, härter, düsterer und epischer, ohne dabei ihre ursprüngliche Soundnatürlichkeit zu verleugnen. «When Angels Kill» ist ein sehr ambitioniertes Album geworden, das musikalisch und narrativ cineastisches Ausmass besitzt und mit Songs bestückt ist, die ohne weiteres das Potenzial zum Klassikerstatus haben. Man mag Nostalgiker sein oder nicht, ein besseres Album hätten Fifth Angel im Jahr 2023 nicht raushauen können – ganz, ganz grosses Kino!
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Trackliste Fifth Angel – When Angels Kill
- Descent Into Darkness
- When Angels Kill
- Resist The Tyrant
- On Wings Of Steel
- We Are Immortal
- Empire Of Hate
- Run To The Black
- Seven Angels
- Blinded And Bleeding
- Kill The Pain
- Five Days To Madness
- Ashes To Ashes
- The End Of Everything
- Light The Skies
Line Up Fifth Angel
- Steve Carlson – Vocals
- Ed Archer – Guitars
- Steve Conley – Guitars
- John Macko – Bass
- Ken Mary – Drums
- Jim Dofka – Guitars (Guest)
- Marta Gabriel – Backing Vocals on ‹Ashes To Ashes› (Guest)