Aufbruchsstimmung
Ende Juni dieses Jahres veröffentlichte das Luzerner Punk-Folk-Trio Hendricks The Hatmaker sein drittes Studioalbum Back In Style. Was sich wie eine x-beliebige Release-Meldung liest, ist das Resultat einer dreijährigen Selbstfindungsphase, an der wohl so manch andere aufstrebende Band zerbrochen wäre.
Musik kann nebst der reinen Unterhaltung mitunter auch der Katharsis dienen, der Befreiung von seelischen Konflikten und inneren Spannungen. Etwas, das nach dem selbst gewählten Tod ihres Sängers Reni deutlich in den Vordergrund rückte. Dem Moment des ersten Schocks folgte die Verarbeitung des Unfassbaren. Und irgendwann wohl auch die Frage, ob und wenn ja, wie es mit der Band weitergehen sollte. So entstand mit Back In Style – bzw. auf dem Weg dorthin – schliesslich ein Werk des Abschlusses. Und gleichwohl auch des Aufbruchs, des Blicks nach vorn. Ein Opus, das sehr emotional, rau, ja treibend daherkommt, das aber auch hin und wieder einen Blick über die Schulter wirft, wie um das Vergangene mit dem Werdenden zu verknüpfen. Dazu gleich mehr.
Doch beginnen wir mit ein paar generellen Eckpunkten zur neuen Langrille: Back in Style vereint die Arbeit von drei Jahren, in denen die beiden EPs Slightly Dangerous und Hendricks The Hatmaker sowie zwei weitere Songs entstanden sind. Das Gesamtwerk schliesst dabei ein grosses und nicht minder bewegtes Kapitel in der Bandgeschichte ab. Und wer sich über den Namen der LP wundert: Die drei haben die Angewohnheit, ihre Alben nach früheren Liedern zu benennen. So stammt das namensgebende Stück denn vom Vorgänger Mostly Harmless. Im Kontext von Aufarbeitung und Neuanfang sicher eine passende Wahl.
Übermotiviert und rotzig
Was mir bei den Recherchen zu dieser Review besonders auffiel, ist die schier überwältigende Flut an Details, die in den letzten zwei Jahren angehäuft wurde (nicht zu Unrecht bezeichnen sich die drei verbliebenen Protagonisten selbst als „etwas übermotiviert“, was mir durchaus eine Warnung hätte sein können). So ist auf YouTube ein reichhaltiger Fundus an kürzeren und längeren Videoclips entstanden, der einem die Band, wie auch die Ideen und Gedanken hinter ihrer Musik näher bringt. Dass das Gezeigte zudem sehr natürlich und professionell (!) daherkommt sowie zu keinem Zeitpunkt aufgesetzt wirkt, macht das Ganze nur noch sympathischer. Gerade bei den Track-by-Track-Beiträgen merkt man, mit wie viel Herzblut die Musiker bei der Sache sind (auch wenn das eine oder andere Video vielleicht eine Spur mehr Tiefe vertragen hätte – aber das ist Mäkeln auf wirklich hohem Niveau). Als wolle man sich selbst therapieren, indem man sich auf das alles verbindende Element „Musik“ konzentriert.
Was ebenso auffällt: Nicolas, Ramona und Stefan sind in dieser Zeit als Band enger zusammengerückt, haben die Lücke in ihren Reihen notgedrungen geschlossen und sich musikalisch neu ge- (oder auch: er-) funden.
So wurde die ehemals doch recht starke Liaison zu folkigen Klängen deutlich reduziert, vielleicht unbewusst, aber sicher aus der neuen personellen Situation heraus geboren. Back In Style ist deutlich stärker im Punk verwurzelt als seine Vorgänger, der Sound energischer, wilder, rotziger.
In die Vollen – Groovig …
Etwas, das einen schon bei den ersten Klängen des in ein edles schwarzes Gatefold gehüllten Vinyls förmlich anspringt und gehörig auf die Lauscher gibt. Der Opener All My Friends macht definitiv keine Gefangenen! Sehr speziell finde ich hier zudem die Bassline, welche in den Strophen eine eher gedrückte Stimmung, im Refrain Verzweiflung, innerliches Chaos und Zerrissenheit zu transportieren scheint. Sehr gelungen! In eine ähnliche Kerbe schlägt das groovige, knackig-treibende Why So Serious?
Mag bei Metamorphosis der Mittelteil zumindest für meinen Geschmack vielleicht einen Tick zu lang geraten sein, so beweist Shouter Nicolas hier doch bereits eindrücklich, dass sein Stimmorgan auch mit Klargesang keine Probleme hat. Etwas, das sich bei One O’Clock (welches mich entfernt an Pink Floyd erinnert und Kollege Kaufi live durchaus zu überraschen vermochte) oder dem wunderschönen Falling Off The Planet noch viel mehr herauskristallisiert! Überhaupt präsentiert sich die Scheibe erfreulich dynamisch und abwechslungsreich, was sich nicht zuletzt auch im abschliessenden, quirlig-hippigen Government widerspiegelt!
Das treibende From The Cities, bei dem sich Nicolas und Tieftöner-Meisterin Ramona die Gesangsminuten teilen, lässt viel von diesem New-HtH-Stil durchscheinen, während Hedricks The Hatmaker wohl eher als Hommage an die ursprüngliche musikalische Ausrichtung der Truppe zu verstehen ist – und sich von aussen betrachtet wie zwei Tracks in einem anfühlt (aber keinesfalls als Sonderangebot auf irgendeinem Wühltisch verstanden werden sollte)! Und so rockig-chillig All We’ve Got auch daherkommt, im Kontext der Band hat gerade dieser Track einen tiefen, ja leicht bitteren Beigeschmack… Ursprünglich von Reni für einen Kollegen geschrieben, der Selbstmord begangen hat, intonieren dieses Lied nun die drei verbliebenen Mitglieder für ihn …
… aber auch tiefgründig und ernst …
Meine ganz persönlichen Highlights der Platte sind zum einen das gerade zu Beginn sehr ruhige, tragende Violet, das mit der eher poppig-folkigen Originalversion nicht mehr viel gemein hat. Und damit wie eine dieser extrem eigenständigen Coverversionen klingt, wie sie in Shows wie DSDS mit dem Anspruch „aus dem Song etwas Eigenes zu machen“ immer wieder gefordert werden. Plus What We’re in for, das ich als recht facettenreich beschreiben würde, aber immer noch etwas von dieser alten HtH-DNA in sich trägt (und in dem ich zumindest stellenweise einen gewissen Monty Python-Spirit zu erkennen glaube). Randnotiz dazu: Beim Schreiben des Textes wurden viele Tagebuchzitate aus verschiedenen Kriegen verwendet. So wurde aus „wenn man ruhig im Graben liegt, hört man den Wahnsinn draussen schreien“ schlussendlich „put your ear on the door and you’ll hear madness outside screaming“.
Überhaupt spürt man an vielen Stellen, wie sehr sich die drei Musizierenden auch mit den Inhalten ihrer Songs auseinandersetzen. Themen wie die (allzu oft zu wenig geschätzte) Leichtigkeit des Seins (Metamorphosis, Why So Serious?), Sinnsuche (Falling off the Planet), Gleichberechtigung (From The Cities), Geschichte (Violet, What we’re in for) sowie die bereits erwähnte Verarbeitung eines schweren Schicksalsschlages verleihen den Songs so eine zusätzliche Tiefe (und manchmal auch Schwere), die das Ganze nur umso interessanter und hörenswerter macht.
… beziehungsweise minimalistisch
Aufgenommen und gemischt wurde die Scheibe im New Sound Studio (wo u.a. ja auch bereits Infinitas zu Gast waren) von Manuel «Wigi» Wiget, das Mastering übernahm Anna Murphy / Echochamber (die bei All We’ve Got im „schalalalala“-Chor zu hören ist). Beim eher minimalistisch (alternativ: schlicht) zu bezeichnenden Artwork der Platte wurden Hendrick The Hatmakers von „Gango Luege“ unterstützt.
Aber lassen wir die Band zum Abschluss doch noch selbst zu Worte kommen: „Back in Style vereint die Arbeit von drei Jahren, unsere EPs Slightly Dangerous und Hendricks The Hatmaker sowie zwei weitere Songs, die in dieser Zeit entstanden sind. Das Gesamtwerk schliesst ein grosses Kapitel in der Bandgeschichte ab, und wir freuen uns schon auf das nächste! Ob beim Abgehen in der Bar oder beim Liebe machen im Schlafgemach, Back in Style bietet für alle Lebenslagen den passenden Sound.“
Das Fanzit Hendricks The Hatmaker – Back In Style
Während ich munter zwischen Arch Enemy und Babymetal hin und her pendelte – und mir dabei einmal mehr gewahr wurde, wie vielfältig Metal doch sein kann – landete unverhofft die neueste Scheibe der aus meiner Heimatstadt Luzern stammenden Hendricks The Hatmaker auf meinem Plattenteller. Einerseits eine willkommene Abwechslung, zugleich aber auch eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, da Punkrock normalerweise nicht so ganz in mein gewohntes Beuteschema passt (Kollege Dutti wird mich für meine Horizonterweiterung loben).
Nun, nach ein paar wenigen Durchläufen hat mich der schnörkellose, erdige Sound dann doch in seinen Bann gezogen. Wohl nicht zuletzt, da er in seiner – ich nenn’s mal: – Schlichtheit ein spannendes Kontrastprogramm zu den oft opulenten und durchaus auch mal überladen wirkenden Klangwelten anderer Acts bietet. Ein „Problem“, das jedoch grundsätzlich mit meinem üblichen Musikkonsum zusammenhängen könnte *g*. Zudem greifen die Instrumente so perfekt ineinander, dass man nie das Gefühl erhält, dass der ausgebreitete Klangteppich irgendwelche Lücken aufweist. Jedes Instrument hat seinen klar definierten Platz und weiß diesen gekonnt auszufüllen – ja, Songwriter-Qualitäten sind bei Hendricks The Hatmaker wahrlich vorhanden.
Und selbst wenn Back In Style in erster Linie als Rückblick respektive Abschluss einer turbulenten Schaffensphase gesehen werden muss, so versprüht das Eisen doch an allen Ecken und Enden jede Menge Aufbruchstimmung. Und zweifelsfrei macht sie Appetit auf mehr.
Wer sich selber ein Bild von den Qualitäten von Hendricks The Hatmaker machen möchte, kann dies am 14. Oktober 2023 anlässlich der Plattentaufe im Treibhaus Luzern gerne tun.
Anspieltipps: All My Friends, What We’re In For, All We’ve Got, Violet, Government
Trackliste Hendricks the Hatmaker – Back In Style
- All My Friends
- Metamorphosis
- Why so Serious?
- Hendricks the Hatmaker
- From the Cities
- One O’Clock
- All We’ve Got
- Violet
- What We’re in for
- Falling off the Planet
- Government
Line Up – Hendricks The Hatmaker
- Nicolas Sigrist – Elektrische Gitarre, Akustische Gitarre, Mandoline, Vocals
- Ramona Dal Ponte – Bass, Vocals, Keyboard
- Stefan Stangl – Schlagzeug