Europe-Volkshaus-Zuerich-2023
So, 1. Oktober 2023

Europe

Volkshaus (Zürich, CH)
29.10.2023
Europe-Volkshaus-Zuerich-2023

Zeitkapsel

In den 80er Jahren waren Europe eine der grössten Hardrock-Bands des Planeten. Zur Feier des 40-jährigen Jubiläums ihres Debütwerkes sollte daher eine ganz spezielle Tournee entstehen. So luden die Schweden von Europe denn am Sonntag, 1. Oktober 2023 ins voll besetzte Zürcher Volkshaus, um gemeinsam mit uns ihre Zeitkapsel zu öffnen.

Wobei das Adjektiv „besetzt“ hier sehr bewusst gewählt ist, in Anlehnung an „sitzen“. Denn das konnte man an diesem Abend im ehemaligen Konzerttempel der Limmatstadt (was waren das früher für geniale Abende dort, so Ende 80er / Anfang 90er Jahre) wahrlich zur Genüge tun. Ein Rockkonzert in einer komplett bestuhlten Halle – muss man erst mal sacken lassen! Wobei – die gesamte Tour der schwedischen Ikonen läuft unter dem Zusatz „Ein Abend mit …“ – dazu gleich mehr. Und schaut man sich das bunt gemischte Publikum an – von Fans der allerersten Stunde über elegant gekleidete Damen der Cüpli-Fraktion, kuttenbehangene Heavys, bis hin zu Kindern, die wohl schon früh von ihren Eltern mit dem Final Countdown-Virus infiziert wurden, ist hier und heute so ziemlich alles vertreten – erscheint die Ausstaffierung der Location plötzlich gar nicht mehr so abwegig. Im Foyer halten sich denn auch Bier und Weisswein die Waage, statt Wurst und Brot wandern Chips und Nüssli in die munter plaudernden Kauluken. Speziell ist der Abend definitiv und erinnert mich von der Ambiance her irgendwie an die orchestral untermalte Aufführung des Films „Drachenzähmen leicht gemacht“ im KKL. Ich vermute mal, dass mich der eine oder andere wegen meines Dauergrinsens vielleicht etwas befremdet angestarrt hat. Sei’s drum.

Ein Abend mit …

Als der in zwei Halbzeiten aufgeteilte Abend – Vorband gibt es keine, dafür eine 20-minütige Pause in der Mitte – pünktlich um 19 Uhr beginnt, sitzen alle brav auf ihren Stühlen und blicken auf eine die Bühne verdeckende Leinwand, auf der die Anfänge von Europe mit kurzen Videosequenzen und Statements der Bandmitglieder dokumentiert werden. Wie erwähnt: „Ein Abend mit …“ eben. Beziehungsweise ein Blick zurück auf die musikalischen Anfänge einer Band, die wohl einen der grössten Gassenhauer aller Zeiten hervorbrachte, später aber an diesem Erfolg auch ganz schön zu knabbern hatte (siehe unser Interview mit Joey Tempest direkt vor dem Konzert). Dann dreht die Bühnenbeleuchtung auf, die Silhouetten der fünf Musiker schimmern durch den weissen Stoff, der Vorhang fällt – und spätestens jetzt hält es niemanden mehr auf seinem Sitz. Dass die Jungs mit einer der wohl besten B-Seiten aller Zeiten, „On Broken Wings“, beginnen, hat fast schon etwas Freches. Und sorgt dafür, dass die Stimmung von der ersten Sekunde an brodelt!

Ich lasse meinen Blick kurz in die Runde schweifen. So unterschiedlich das Publikum auch ist, eines steht allen ins Gesicht geschrieben: Freude! Freude darüber, dass diese einst schon tot geglaubte Band noch immer so viel Energie versprüht. Dass Europe kein Abklatsch ihrer selbst sind, ihr Auftritt keine Hommage an längst vergangene, weit bessere Tage ist. Zwar hat sich die Stimmfarbe von Mister Tempest etwas verändert. Aber der Frontmann, der im Vergleich zu früher mit deutlich kürzerem Haar über die Spielfläche wirbelt, trifft nahezu jeden Ton perfekt. Und sorgt bei Balladen wie dem wunderschönen „Dreamer“ noch immer für jede Menge Hühnerhaut. Neben Joey ist Gitarrist John Norum, der die Combo nach „The Final Countdown“ zwischenzeitlich verlassen hatte, eindeutig der zweite Aktivposten des Quintetts. Ein wahrer Meister seines Fachs! Und auch Mic Michaeli am Keyboard und Schlagzeuger Ian Haugland wirbeln munter zu den mal treibenden, mal verträumten Rhythmen. Einzig Bassist John Levén wirkt manchmal etwas statisch, was den dynamischen Gesamteindruck aber keineswegs schmälert. Und bevor ihr fragt: Ja, Joey hat sein verschmitztes Lächeln sowie die kreiselnde Mikrofonständerakrobatik noch immer voll drauf!

Emotionale Songsauswahl

Wie versprochen, wurde bei der Zusammenstellung der Setlist grossen Wert auf eine möglichst breite und ausgewogene Auswahl der Songs gelegt, was als absolut gelungen verbucht werden kann. Wobei Joey schmunzelnd anmerkt, dass, wenn jemand ein oder zwei Lieblingssongs vermisse, dies an seinen Mitstreitern liege. Zumal es eine schwierige Aufgabe gewesen sei, bei welcher gerade in ihm immer wieder Erinnerungen an Tragödien in der Welt, der Crew oder auch der Gruppe selbst hochgekommen seien. Ein emotionaler Moment in einer ansonsten quirligen Sause! Und was wären Konzerte ohne den Miteinbezug des Publikums. So darf denn unter der Anleitung von Mister Tempest zu Titeln wie „Rock The Night“ oder „Superstitious“ fröhlich mitgeträllert, oder im Falle von „Carrie“, die Gesangslinie zu Beginn gleich ganz gekapert werden. Man merkt, dass es sich bei den Anwesenden um keine ehemaligen Modefans handelt, sondern ihnen diese Band früher wie wohl noch heute mit ihren Hymnen und Melodien viel gegeben hat. Wie ja auch mir! Irgendwann ist dann mal Pause, die ich für einen Gang zu den gekachelten Nebenräumen nutze. Am Merchstand wird eine sehr überschaubare Auswahl an T-Shirts feilgeboten – sowohl was die Anzahl Motive (zwei) als die noch verfügbaren Grössen (XL aufwärts; ok, könnte man sich ja reinfressen – aber ne, lassen wir das) anbelangt.

Der zweite Teil der Show beginnt wieder mit einigen Rückblenden (die etwas kleinere Leinwand hängt nun vor dem Backdrop), bevor die ehemaligen Bravo-Starschnitt-Jungs (ja, im Ernst) mit „Always the Pretenders“ auf die Bühne zurückkehren. Wie bereits oben angedeutet, ist die Palette des präsentierten Liedguts sehr vielfältig und deckt nahezu alle bisher erschienenen Alben ab (mit Ausnahme von „Bag of Bones“, wenn ich mich nicht vertan habe). Wobei Tracks aus „The Final Countdown“ und „Out Of This World“ obenaus schwingen. Natürlich darf auch die brandneue Single „Hold Your Head Up“ nicht fehlen, die als Vorbote des für nächstes Jahr angekündigten Silberlings verstanden werden darf.

Disziplinierte Fans

Was gibt es sonst noch zu erwähnen? Nun, da wäre zum einen das aberwitzige Drumsolo von Ian, das zu den Klängen der Willhelm-Tell-Ouvertüre kredenzt wird. Dann sicher auch, dass sich jedes Bandmitglied mit ein paar persönlichen Worten an die Anwesenden wendet. Plus das akustische, auf Barhockern ausgetragene Saitenduett der Herren Tempest und Norum zu David Bowies „Space Oddity“. Zu welchem leider zwei schon ziemlich angeheiterte Kuttenträger lautstark ihren Unmut über das Saalsetting kundtun. Kann man so machen. Oder einfach rausgehen und den Frust in die laue Nacht hinausschreien – und die anderen diesen Moment geniessen lassen. Nur so als Anregung.

Spannend finde ich auch die Disziplin der Fans in der ersten Reihe, welche kein Gitter, kein Fotograben von der Bühne trennt. Und die dennoch brav vor ihren Stühlen stehen, mal jubelnd, mal hüpfend der Show frönen. Naja, bis Joey sie mit einer einladenden Geste zum Handshake auffordert (Serotonin-Ausschüttung garantiert). Danach huschen die überwiegend weiblichen Fans artig zurück zu ihren Plätzen. Schweizer Zurückhaltung! Ich habe lange überlegt, wie ich die Stimmung dieses Abends in Worte fassen soll. Schliesslich bin ich bei „gemeinsam in nostalgischen Glücksmomenten schwelgen“ hängen geblieben. Ich denke, das trifft es ziemlich gut.

Den Abschluss bildeten – wenig überraschend, da auch nach so vielen Jahren halt einfach noch immer überragend – das mit einem gewaltigen Drum-Sound eingeleitete „Cherokee“, sowie (ta-ta-taaa-taaa) „The Final Countdown“, bei dem die Stimmung nochmals so richtig durch die Decke geht. Wie sagte Joey vorhin doch so schön: „Heute feiern hier fünf Jungs, die es geschafft haben, 40 Jahre lang zusammen Musik zu machen.“ Lass ich als Schlusswort gerne so stehen.

Das Fanzit – Europe

Ja, Europa in einem bestuhlten Konzertsaal zu erleben, das hatte schon etwas – sagen wir mal – Besonderes. Und nein, Usus muss das jetzt nicht unbedingt werden, da wünsche ich mir schon beinahe nen goldenen Stimmungsbrecher zurück (Was es damit auf sich hat? Siehe unsere Review zum Summerside Festival 2023). Aber abgesehen davon war dieser spezielle Abend mit Europe ein wunderschönes Schwelgen in einem riesigen See toller Erinnerungen. Mit einer Setlist, die keine Wünsche offen – und „Open Your Heart“ in seiner ursprünglichen (von Wings Of Tomorrow), nicht hoffnungslos überzuckerten Version glänzen – liess.

Setlist Europe

  1. On Broken Wings
  2. Seven Doors Hotel
  3. Rock the Night
  4. Start from the Dark
  5. Walk the Earth
  6. Hold Your Head Up
  7. Dreamer
  8. War of Kings
  9. Vasastan
  10. Girl From Lebanon
  11. Carrie
  12. Stormwind
  13. Always the Pretenders
  14. Ninja
  15. Prisoners in Paradise
  16. Sign of the Times
  17. Space Oddity (von David Bowie)
  18. Last Look at Eden
  19. Open Your Heart
  20. Memories (mit Bass Solo)
  21. More Than Meets the Eye
  22. Drum Solo
  23. Ready or Not
  24. Superstitious
  25. Cherokee **
  26. The Final Countdown **

** Zugaben

Set 1: Songs 1 – 12 / Set 2: Songs 13 – 24


Wie fandet ihr das Konzert?

29.10.2023
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