Mord im Komplex
Es ist Freitagabend als die Ultima Ratio Tour in Zürich Halt macht und uns Paradise Lost, Primordial, Omnium Gatherum und Harakiri for the Sky anspült. Der Ort des Geschehens ist der Komplex 457, leer wie die stillgelegten Büroräumlichkeiten hinter den verspiegelten Fassaden des gegenüberliegenden Gebäudes.
Während die Sonne sich an diesem unverschämt warmen Spätsommertag langsam dem Horizont entgegen kämpft, sind in der Konzerthalle emsig umher wuselnde Techniker das einzige Anzeichen für den baldigen Beginn des ersten Auftritts.
Sind wir etwa noch vor der eigentlichen Türöffnung eingelassen worden? Ein Blick auf die Uhr verrät Gegenteiliges und auch die Dame an der Abendkasse wickelt die Presseakkreditierung über den Veranstalter Good News normal ab. Dann wird wohl einfach die verfügbare Zeit für den Aufbau knapp gewesen sein. Verspätung gibt es deshalb aber keine, denn bereits fünf Minuten vor der Zeit beginnen Harakiri for the Sky mit ihrem Konzert.
Harakiri for the Sky
Als die fünf Österreicher loslegen, ist die Bühne in Nebel gehüllt. Spärliches Licht fällt grösstenteils von hinten auf die Protagonisten, was Metalmitinsider Friedemann sicher darin bestätigt, heute Abend nicht als Fotograf sondern normaler Besucher anwesend zu sein. Harakiri for the Sky untermalen die dunkel gehaltene Stimmung mit ihrer Musik perfekt. Da es sich um mein erstes Zusammentreffen mit der Band an einem Konzert handelt, wusste ich nicht, was mich erwartet und was ich zu hören kriege, macht einen sehr guten, eingespielten Eindruck. Sehr lobenswert ist auch, dass jedes einzelne Instrument gut hörbar, ja der Mix im Allgemeinen richtig ausdifferenziert ist.
Als der Auftritt andauert, werden zwei weitere Dinge klar. Die Post Black Metaller verzichten auf jegliche gesprochenen Worte und haben ihre Setliste sehr gelungen zusammengestellt. Das Fehlen von Ansagen in Kombination mit meiner Unkenntnis des Ausgangsmaterials führt leider dazu, dass ich keine Ahnung habe, was hier gerade für Songs gespielt werden. Eine kurze Begrüssung der Anwesenden hätte diese zudem sicher gefreut. Kompensiert wird das teilweise durch die erwähnte Zusammenstellung des heute gespielten Liedguts. Jeder Song nimmt die Stimmung des vorangehenden auf, entwickelt diese weiter und baut sie aus. Damit steigert sich der Auftritt im wahrsten Sinne Stück für Stück, wobei die zweitletzte Komposition den musikalischen Höhepunkt darstellt. Der Abschluss fällt danach leicht ab, worunter auch die Tatsache fällt, dass das Quintett ohne ein einziges Schlusswort unverzüglich die Bühne verlässt. Trotzdem haben Harakiri for the Sky einen tollen Auftritt geliefert, der überraschenderweise ganze 50 Minuten gedauert hat, die wie im Flug vergangen sind.
Omnium Gatherum
Bevor die nächste Band sich anschickt, den Komplex 457 zu erobern, findet zuerst einmal ein Soundcheck statt. Nachdem die vorangegangene Gruppe einen so guten Klang auf den Leib geschneidert bekam, sind wir dabei alle sehr optimistisch, dass auch Omnium Gatherum in dieselbe Kerbe schlagen können. Doch was staunen wir alle, als die Finnen ihren ersten Song anstimmen. Von der rechten Bühnenseite (aus dem Publikum gesehen) ist so gut wie nichts zu hören. Die Gitarre kommt zwar schwach durch, aber der Gesang geht total unter und das Keyboard ist gar nicht vorhanden im Mix – nicht mal in den Soloparts. Gerade das Keyboard, welches einen so wichtigen Baustein im Melodic Death Metal-Gefüge einnimmt, das sich Omnium Gatherum als Stil herausgearbeitet haben. Nun gut, ist ja bloss der erste Song, das kommt vielleicht noch. Doch auch der nächste kommt in diesem Fahrwasser daher. Und der nächste.
Und der danach. Metalmitinsider Dutti neben mir, erkennt trotz Ansage nicht einmal seinen Lieblingssong „Paragon“ wieder, so stark verfälscht die unausgewogene Abmischung die Musik. Klar, dass da im Publikum null Stimmung aufkommt. Leid tut mir vor allem die Band. Die rackert sich nämlich ab, als ob es kein Morgen gäbe, versucht das Publikum zum Mitmachen zu bewegen und bekommt offensichtlich gar nicht mit, dass wir hier unten einfach nicht das hören, was wir eigentlich sollten. Nach 50 Minuten steht endgültig fest: hier wurde der engagierte Auftritt einer gut aufgelegten Band vom Mix abgetötet. Wie bedauerlich für Omnium Gatherum, die Band hätte anderes verdient gehabt. Immerhin ermöglicht mir das Desaster mal eine richtig saftige Schlagzeile im Titel, aber darauf hätte ich liebend gern zugunsten eines schönen Konzerts verzichtet.
Primordial
In der Umbaupause beginnt nun – untermalt wie bereits letztes Jahr im Z7 (siehe hier) von Choralgesängen – das grosse Rätselraten und Bangen. Was ist da schiefgelaufen? Habt ihr das ebenfalls so erlebt? Wird es derart weitergehen mit der Abmischung? Düster sind die Gedanken, als Primordial schliesslich ihren Teil des Abends eröffnen mit dem passend betitelten „How it ends“, dem Titeltrack des heute erschienen Albums. Was die Abmischung angeht, geht ein Aufatmen durch die Runde, ist nämlich das Niveau von Harakiri for the Sky zurück
Etwas weniger gelungen ist der Einstieg in den Song. Irgendwie sitzt der Übergang von der „Pausenmusik“ zu den ersten Tönen nicht so ganz und die Iren schleichen sich mit dem ruhigen Beginn auf eine Art in ihr Set, die nicht so ganz zusammenpassen will mit Frontmann Alan Averills anstachelndem Auftreten. Zwei Minuten später ist das aber bereits Geschichte; die Gitarren walzen durch den Saal, das Schlagzeug treibt die Köpfe in horizontale Bewegungsmuster und der Gesang zieht das Publikum gewohnt in seinen Bann. Mit den drei vorab veröffentlichten Singles des neuen Werks und einer Auswahl an absoluten Spitzentracks der vergangenen Schaffensphase bieten die Pagan Metaller eine spannende Mischung aus neu und alt.
Alan ist mit seiner gelebten Intensität natürlich wie erwartet der zentrale Blickfang, wenn er auch insgesamt mehr Ruhe ausstrahlt als auch schon. Das passt aber gut zu den neuen Songs, die dem bekannten Erfolgsrezept von Primordial neue Details hinzufügen und ein Stück der bisher den Liedern eigenen Wut im Bauch gegen Nachdenklichkeit eintauschen. Das Publikum ist dennoch mit genauso viel Freude bei der Sache wie früher, so dass „Empire Falls“ zum Abschluss sogar noch zu einem Pogopit von ansehnlicher Grösse führt. In Anbetracht des – nach einem komischen Starts – starken Auftritts verwundert dann auch der grosse Schlussapplaus keineswegs.
Paradise Lost
Ob Paradise Lost da noch einen draufsetzen können? Eine Herausforderung wird das sicher, doch über die Engländer und ihren Gothic Metal habe ich schon das ein oder andere Positive vernommen, so dass ich meinem Erstkontakt gespannt entgegenblicke. Wabernder Nebel hüllt die Bühne ein. Von den Scheinwerfern in bläuliches Licht getaucht, sorgt er für eine Atmosphäre, die dem düsteren Sound angemessen ist. Die Fans beklatschen Paradise Lost von Beginn weg frenetisch. Das saubere Spiel der Band verdient diesen Zuspruch total während Sänger Nick Holmes mit trockenem britischem Humor punktet, als er vor „As I die“ mitteilt, dass der nächste Song einen negativen Titel besitze und dann nachschiebt, dass sie nur solche Songs im Repertoire haben.
Abgesehen davon bleibt der Auftritt aber sehr unspektakulär. Vielleicht liegt es einfach am direkten Vergleich zu Primordial, dass er mich gerade nur bedingt begeistert. Den sich bewegenden Köpfen nach zu schliessen, kann aber doch eine fast so grosse Anzahl an Personen im Publikum einiges mit dem Auftritt anfangen, wie dies bei der vorangegangenen Band der Fall gewesen ist. Paradise Lost sind schliesslich die einzige Band heute Abend, die das altbekannte und ausgeleierte Zugabenspiel durchzieht. Dadurch dass die anderen Gruppen darauf verzichtet haben, fällt umso stärker auf, wie überflüssig dieser Ritus ist. Solange das Licht im Saal noch nicht an ist, wissen alle, dass die Protagonisten auf die Bühne zurückkehren werden, um noch einige Abschlusslieder zu spielen. Heute sind es deren zwei, wobei „Ghosts“ den Abschluss des Auftritts markiert. Eines Auftritts, an dem es musikalisch nichts zu rütteln gab, der aber sonst nicht weiter aufgefallen wäre.
Das Fanzit – Paradise Lost, Primordial, Omnium Gatherum, Harakiri for the Sky
Ein zu drei Vierteln gelungener Abend im ungefähr halb gefüllten Komplex 457 geht zu Ende. Primordial haben sich in guter Form gezeigt, was das Gesamtpaket angeht. Harakiri for the Sky und Paradise Lost legten demgegenüber den Fokus vor allem auf die Musik. Omnium Gatherum haben den Kampf gegen die Abmischung verloren und gehen undankbar als die grossen Pechvögel nach Hause. Das Format mit den vier Bands, die alle zwischen 50 und 60 Minuten lang spielen, hat etwas von einem Festivalsetting und ist leicht verdaulich. Über den ganzen Abend hinweg gesehen, entsteht ein rundes Programm, das Abwechslung bietet.
Die Kehrseite der Medaille ist, dass die beiden Headliner mit ihren Sets nicht so sehr in die Tiefe gehen können, wie das beim „klassischen“ Modell jeweils der Fall ist. Erwähnenswert ist zum Schluss der Verzicht aller vier beteiligten Bands auf ein Schlussfoto mit dem Publikum. Sehr schön zu sehen, dass von dieser mittlerweile zur lästigen Routine verkommenen Praxis wieder vermehrt abgerückt wird. Da dürfen sich andere Gruppen gerne ein Vorbild an der Ultima Ratio Tour nehmen.