Amorphis auf dem Zenit?
Tomi Joutsen und Co. lancierten ihre «Halo»-Tour am Donnerstagabend in Zürich. Dabei präsentierten sich die Finnen in Bestform und unterstrichen einmal mehr, dass sie mittlerweile wirklich zu den hervorragendsten Kapellen ihres Landes zählen.
Viel stärker kann man kaum mehr abliefern. Aber wie haben sich die Support-Akteure Sólstafir und Lost Society geschlagen? Und was ist sonst noch alles passiert? Die nachfolgenden Zeilen liefern euch Antworten.
Amorphis kehren nach Zürich zurück! Erneut kommt der Komplex 457-Club zum Handkuss (zuletzt waren sie vor ungefähr einem Jahr zusammen mit Eluveitie, Dark Tranquillity und Nailed To Obscurity in diesem Laden zu Gast (siehe dazu die Konzertfotos von pam). Der Startschuss für die diesjährige Europarundreise erfolgt am heutigen Abend in der Limmatstadt. Namensgeber für die Tour ist der aktuelle Silberling «Halo». Da die Nordmänner jedoch für ihre abwechslungsreichen Setlisten bekannt sind, dürften sicherlich auch genügend alte Hymnen ins Feld geführt werden. Für das Einheizer-Programm sind die Truppen Sólstafir und Lost Society zuständig. Sie sollten dieses Gemäuer eigentlich noch in bester Erinnerung haben, denn beide haben in diesem Jahr schon einmal hier gespielt. Die isländischen Post-Metaller legten Anfang Februar zusammen mit ihren Kollegen von Katatonia einen Zwischenhalt in dieser Bude ein und die wilden Lost Society-Jungs brachten im Juni den im Untergeschoss gelegenen Komplex Klub zum Kochen.
Lost Society
Manchmal erfinden sich Bands neu – was nicht immer bei allen Fans auf pure Freude stösst (je nach Extremität des Stilbruchs). Die Jungspunde von Lost Society können davon freilich ein Liedchen singen. Von ihren Thrash Metal-Wurzeln hat sie ihre Route mittlerweile in modernere Gefilde geführt. Fortan steht bevorzugt Nu Metal respektive Metalcore auf dem Programm. Doch fairerweise sei angemerkt, dass sie ihre Vergangenheit niemals komplett «verraten» haben, denn das frischere Liedgut enthält nach wie vor genügend Groove. Und genau diesen versucht der Vierer nun aufs Parkett zu bringen.
Die Herrschaften von der Tontechnik-Abteilung verschlafen zwar sowohl den Anfang und Schluss des Sets, aber dazwischen klingt eigentlich alles paletti. Fronter Samy Elbanna, der heute in Sachen Outfit ausnahmsweise nicht den allerschrillsten Paradiesvogel raushängen lässt, versucht die Besucher charmant lächelnd auf Betriebstemperatur zu bringen. Ein paar Lücken sind vorhanden, aber das ist aufgrund der Uhrzeit jetzt keine grossartige Überraschung. Mir kommt sowieso zu Ohren, dass einige Leute noch irgendwo in mühseligen «Blechlawinen» feststecken. Hoffen wir, dass sie diese so schnell wie möglich überwinden und danach ebenfalls in den wohlverdienten Konzertgenuss kommen.
Mit Songs à la «112», «What Have I Done» oder «Stitches» lösen Lost Society ohne Zweifel erste Jubelstürme aus. Allerdings tickt die Uhr gnadenlos. 35 Minuten sind wahrlich eine knapp bemessene Angelegenheit. Gegen ein paar zusätzliche Tracks hätte sicherlich niemand etwas einzuwenden gehabt. Aber dafür muss dann wohl wieder einer Headliner-Show der «Suomi-Boys» herhalten. Diejenige von Anfang Juni dieses Jahres war nämlich absolut unterhaltsam.
Sólstafir
Tja, und dann folgt ein radikaler Wechsel der Szenerie. Ob die Zuhörerschaft dafür bereit ist? Ich weiss es nicht. Jedenfalls übernehmen nun Sólstafir das Kommando, was gleichbedeutend heisst, dass das Tempo spürbar heruntergeschraubt wird und verträumte Melodien ins Rennen geschickt werden. Front-Riese Aðalbjörn Tryggvason (das ist der Typ, der wie unser Domi the Stick aussieht – siehe unsere Meh Suff-Review) und seine Kumpels servieren einem bei jedem Gig das ultimative «Emotionen-Paket». Wenn man sich auf das Abtauchen in diese einlullenden Klangwelten einlässt, eröffnet das einem einen fantastischen Trip durch das eigene Befinden. Ich persönlich kann diese Aktion wärmstens empfehlen. Das ist Musik, die einen sogenannten «Seelen-Striptease» hervorruft.
Auch Sólstafir müssen ihre doch häufig mehrere Zeigerumdrehungen fressenden Brocken von Songs in einen verhältnismässig engen Zeitplan reinquetschen. Wie gewohnt tun sie dies bevorzugt im Schatten und verzichten auf den Einsatz von zu hellen Scheinwerfen. Das verleiht ihren Kompositionen zusätzlich eine spezielle Atmosphäre. Gerade das facettenreiche «Ótta» haut mich dieses Mal völlig aus den Latschen. Den bereits getätigten T-Shirt-Kauf bereue ich somit zu keiner Sekunde. Einzige Störfaktoren sind ein paar Leute, die sich nach meinem Gusto etwas zu lautstark unterhalten und in die Stücke reinquasseln. Erledigt diese «interessanten» Gespräche doch bitte jeweils im Aussenbereich, merci!
Amorphis
Sodele, all diejenigen, welche wegen der Sólstafir-Performance eingeschlummert sind, werden jetzt unliebsam geweckt. Wie ein bellender Feldweibel zu meinen Militärzeiten markieren Amorphis ab 21.30 Uhr den grossen Macker! Dürfen die das? Aber so was von! Ab dem ersten Ton zeigen die Herren auf beeindruckende Art und Weise, weshalb sie heute Abend die Headliner-Rolle innehaben. «Northwards» – seines Zeichens Opener der aktuellen Platte – mausert sich zum facettenreichen Live-Kracher! (Gedanklich findet man sich umgehend in der atemberaubenden, finnischen Wildnis wieder). Santeri Kallio darf hier gleich zum Start in einer Zwischenfrequenz äusserst progressiv in die Tasten hauen. Auch in meiner inzwischen zwölften Amorphis-Show bleibt mein riesiges Highlight allerdings glasklar Tomi Joutsen. Wäre ich selbst Sänger einer metallischen Kapelle, würde ich mir exakt diese Technik wünschen. Es ist schlichtweg imponierend, wie er vermeintlich spielend leicht zwischen monströsem Gebrüll und Klargesang hin- und herwechseln kann. Jep, das habe ich gefühlt schon hundert Mal geschrieben, aber es lässt meine Kauleiste eben effektiv jedes Mal aufs Neue auf den Boden knallen.
Neben den «Halo»-Nummern werden ebenfalls Lieder der Alben «Queen Of Time» und «Skyforger» frenetisch abgefeiert. «The Moon», «Silver Bride», «Sky Is Mine», «Wrong Direction» – Kollege Umi trifft es mit seiner berühmt-berüchtigten Aussage «Nur Hits!» genau auf den Punkt. Das Sextett verwöhnt uns in Tat und Wahrheit mit der «Crème de la Crème». Des Weiteren können sie sich praktisch durchgehend an einer stabilen Soundqualität erfreuen. Brav, liebe Techniker. Es geht doch! Mir bereitet bloss ein Gedanke etwas Sorge: Können die Finnen überhaupt noch besser werden oder haben sie langsam ihren Zenit erreicht? Viel überzeugender und stärker kann man ja kaum auftreten. Naja, da kann man wohl lediglich hoffungsvoll auf den ausgelutschten Spruch setzen, dass eine Steigerung und Verbesserungen immer irgendwie möglich sind. Niemand ist perfekt. Obschon Amorphis heute Abend verflucht nahe dran sind. Das packende «The Bee» als abschliessende Zugabe ist dann schlichtweg noch die oft erwähnte Kirsche auf der Torte. Kiitos, Amorphis!
Das Fanzit – Amorphis, Sólstafir, Lost Society
Zahlreich vernichtete Gerstensäfte, sehenswerte Merch-Investitionen, ein gutgelauntes und zahlreich erschienenes Publikum und – insbesondere Im Fall von Sólstafir und Amorphis – mitreissende Darbietungen der ersten Güteklasse! All das mündete in einem erfolgreichen Konzertabend und einem ebenso geglückten Tourauftakt. Metallisches Herz, was willst du mehr?
Setliste – Lost Society
- 112
- Underneath
- Riot
- Awake
- What Have I Done
- Into Eternity
- No Absolution
- Stitches
Setliste – Sólstafir
- Dagmál
- Akkeri
- Ör
- Fjara
- Ótta
- Goddess Of The Ages
Setliste – Amorphis
- Northwards
- Bad Blood
- The Moon
- Thousand Lakes (ab Tonband)
- Into Hiding
- Black Winter Day
- Silver Bride
- Sky Is Mine
- Wrong Direction
- Amongst Stars
- Seven Roads Come Together
- On The Dark Waters
- My Kantele
- House Of Sleep
- The Bee*
*Zugabe