40:3 – Juni-Zeit ist Greenfield-Zeit!
Mit einer Dreier-Spitze (Sandro, Luke, Silas) und einem Fotografen (pam), der textlich auch noch etwas mitsenft, berichtet Metalinside.ch vom Greenfield Festival 2023. Was der Titel zu bedeuten hat und ob 2023 ein guter Festival-Jahrgang ist, erfährt und seht ihr in den nächsten Zeilen und Bildern.
Sandro: Mein erster – und bislang einziger – Greenfield-Besuch geht auf das Jahr 2019 zurück. Und somit kurz vor einer Zeit, als die Welt mal eben einen dreifachen Toeloop vollführte. Wie bereits vor vier Jahren beschliesse ich, am ersten Festivaltag mit dem Auto und genügend Zeitreserve anzureisen. Das Zimmer im schmucken Gasthof Schönegg in Goldswil ist reserviert und so stehen drei entspannten Tagen am bedeutendsten Metal-Festival des Landes eigentlich nur zwei Dinge im Weg: Einerseits ein Stau, der sich über mehrere (gefühlt: unendlich viele) Baustellen erstreckt und die mehr als doppelt so lange Fahrzeit wie Schnee in der brennenden Frühsommersonne dahinschmelzen lässt – und meine selbst auferlegte Mission!
Nennen wir sie in Anlehnung an einen Sabaton-Song doch 40:3 – vierzig Bands (plus die für Traditionalisten wie uns unverzichtbaren Alphornbläser) in drei Tagen. Und das mit dem Ziel, bei allen zumindest für ein paar Songs in die jeweilige Klangwelt einzutauchen und für ihre Performance ein paar mehr oder weniger treffende Worte zu finden.
Und dieses „mehr oder weniger“ kommt nicht von ungefähr, stammen doch nicht gerade wenige der auftretenden Combos aus der Metalcore- respektive Punk-Ecke, wie Obermetalinsider pam in der letztjährigen Festival-Review so treffend feststellte. Was, nun ja, nicht unbedingt die Blaupause meiner üblichen Metal-Präferenzen darstellt. Also eine „Mission impossible“? Wir werden sehen. Zum Glück sind an allen drei Tagen mit pam, Luke und Silas drei weitere Metalinsider zugegen, welche meine naturgemäss vorhandenen Wissenslücken füllen. So denn, Let’s Get The Party Started!
Luke: Mein erstes Greenfield liegt ein paar Jahre zurück. Mein letztes war aber ebenfalls 2019, die 2022er-Ausgabe musste ich mir wegen Terminkollisionen entgehen lassen. Nun ist es endlich wieder so weit! Die Anreise bei uns erfolgt schon am Mittwoch und per Zug. Dieser ist zwar bereits gut gefüllt, aber wir haben unsere Sitzplätze. Im Hotel in Interlaken einchecken klappt reibungslos, nur für den Bändertausch beim Gelände stehen wir bereits heute – einen Tag bevor es richtig losgeht – gut 40 Minuten an. Wir hoffen so, die (vermeintlich) noch längeren Schlangen am Donnerstagmorgen zu umgehen. Zudem kann man sich schon einen groben Überblick verschaffen.
So richtig viel los ist aber noch nicht, also zurück nach Interlaken und erstmal noch gediegen Nachtessen und ein paar Bierchen in einer Bar zischen. In dieser begegnen wir auch bereits Kollege Dani Betschart von The Art 2 Rock. Natürlich geht so das Fachsimpeln schon vor dem eigentlichen Festivalstart los…
pam: Zum ersten Mal überhaupt seit zig Teilnahmen, bin ich mit meinen Festivalkollegen nicht auf dem Camping-Platz mit dem VW-Büssli von Kollege Shy-D. Aus irgendeinem Grund, der mir jetzt ehrlich gesagt auch nicht mehr ganz klar ist, haben sich alle in Hotelzimmer und AirBnBs verkrochen. So auch ich mit Kollege Hagi (spricht sich aus wie wenn darauf ein «Xundheit» folgt). Er hatte auch die glorreiche Idee, mit unseren Stahlrössern (yep, Manowars Textzeile «riding horses made of steel» lässt hier durchblicken) anzureisen und dabei grad noch ein paar Pässe aus dem Winterschlaf zu erwecken. Oder diese uns. Nun, ob die Idee am Sonntag für die Heimreise nach drei Tagen Greenfield Festival auch noch so glorreich ist, wird sich zeigen. Aber immerhin hat unsere Unterkunft in Matten – ca. 15 Minuten bis zum Infield – einen Whirpool. Tja, man muss sich von der Arbeit während dem Festival ja auch irgendwie erholen. Es soll jetzt niemand damit kommen, das sei unrockbar.
Greenfield Festival Tag 1 – Donnerstag, 08.06.2023
Sandro: Was die Headliner angeht, ist die diesjährige Ausgabe der von 2019 ziemlich ähnlich: Anstelle der Toten Hosen bestreiten Die Ärzte den ersten Abend, während Slipknot und Sabaton die Plätze getauscht haben. Und auch sonst sind heuer so einige bekannte Gesichter der vor vier Jahren abgehaltenen Sause am Start. Besonders gespannt bin ich heute auf die Donots sowie The Hu, wobei erstere nachweislich für eskalierende Partystimmung stehen, derweil letztere eher Exotenstatus haben. Und dann natürlich zu vorgerückter Stunde auf die beste Band der Welt!
Fotos Shelter 666 (pam)
Alphornbläser
Sandro: Die Alphornbläser gehören zum Greenfield Festival wie das Yin zum Yang – kaum wegzudenken und einfach ein Stück Tradition! Leider macht uns der Stau auf dem Weg über den Brünig einen gehörigen Strich durch die Rechnung, sodass wir bei der Ankunft gerade noch die letzten urchigen Klänge vernehmen. Immerhin, denn ansonsten wäre meine selbst auferlegte Mission schon an der ersten Hürde zerschellt.
Kleine Frage am Rande: Wusstet ihr, dass das Alphorn, das als Nationalsymbol der Schweiz gilt, instrumentalkundlich zu den Blechblasinstrumenten zählt? Schräg, oder? Und das, obwohl es traditionell überwiegend aus Holz gefertigt wird. Der Grund liegt in der sogenannten Anblastechnik, bei der eine Luftsäule im Resonanzkörper durch Anblasen zum Schwingen angeregt wird. Und wieder was dazu gelernt 🙂 Doch zurück zum noch halbwegs grünen Rasen vor der Jungfraubühne.
Ebenfalls traditionsgemäss nutzen viele Metalheads dieses urchige Spektakel als gelungenes Aufwärmprogramm. Meine Damen und Herren. Let’s get ready to rumble!
Luke: Danke für diese kurze Lektion in Instrumentenkunde, Sandro! Irgendwie gehören die Alphornbläser beim Greenfield einfach dazu, etwa wie die Feuerwehr in Wacken. So richtig mitbekommen hatte ich die bei meinen bisherigen Besuchen aber noch nicht. Da meine Frau dieses Jahr bei einem grossen Telefonanbieter Gratis-Lounge Plätze für uns und unsere Freunde Eve und Bömmel ergattern konnte, habe ich nun erstmalig beste Sicht auf die Bühne bei diesem urchigen Spektakel.
Wobei, nur urchiges wird dann schon nicht gespielt. Mit Unterstützung eines Keyboards wird auch noch “Heaven” von Gotthard dargeboten. Und im Publikum wird gerudert, gemosht und – tatsächlich – sogar der erste Circle Pit angezettelt. Diese sind zwar gemäss Festival-Richtlinien verboten, aber soweit ich mitbekomme, wird niemand des Geländes verwiesen. Glück gehabt! Nach nicht einmal 15 Minuten ist der Spuck vorbei, und nun kann es endlich richtig losgehen…
Silas: Dass eine Horde Alphornbläser bereits am frühen Nachmittag mächtig den trocknen staubigen Boden aufwirbelt und mit ihren eigentlich besinnlichen, eher ruhigen Klängen, das Publikum zu den ersten Moshpits verlockt, kommt für mich ziemlich überraschend. Auch meine Wenigkeit hat das erste Mal einen Fuss auf das Grüne Feld gesetzt und damit ist es das erste Mal, dass ich einem Auftritt der, manch einer mag sie als legendär bezeichnen, Alphornbläser beiwohne. Die Freude des Publikums über den ersten Act des Festivals, spiegelt sich in den Gesichtern der Musiker: Diese scheinen ihren Spass zu haben, eine solche Darbietung seitens ihrer Zuschauer dürfte für sie nicht alltäglich sein. Nach einer guten halben Stunde Spielzeit weicht die traditionelle Musik dem Rock und bleibt der Bühne fern, bis sie, mit «The Hu», in einem zeitgemässen Gewand zurückkehrt, einem zeitgemässen Gewand einer ganz anderen Volksmusik, aber doch auch traditionelle Musik.
Trotzdem die langen Holzrohre und die von ihnen verursachten Klängen zu den eher exotischeren Darbietungen des Festivals zählen dürfte, verglichen mit den anderen Musikgruppen, schienen weder die Leute vor noch, die auf der Bühne ihn als fehlplatziert, empfunden zu haben. Zumindest jene, die sich nicht bereits für die Ärzte in der ersten Reihe vor dem Foto-Graben die Füsse in den Bauch stehen. Für den letzten Act des Tages …
Less Than Jake
Sandro: Wir beginnen den ersten Tag mit Less Than Jake, einer Ska-Punk-Band aus Gainesville, Florida. Respektive zu den Klängen des Imperial March aus Star Wars, welchen sie als Intro für uns bereithalten, bevor sie top motiviert auf die Bühne stürmen. Die Stimmung ist von Anfang an sehr ausgelassen und schon bald bilden sich die ersten kleinen Circle Pits. Von aussen betrachtet hat das Treiben des Ami-Quintetts fast schon etwas Fasnächtliches an sich, wozu natürlich auch ein tanzendes Skelett im gelben Overall beiträgt. Der Sound, der auch mal mit Reggae-Vibes angereichert wird, trägt irgendwie dieses Feel-Good-Gen in sich und so gleiten wir nach den eher ernsten Klängen der zuvor verwendeten Langhölzer immer tiefer in den Festivalmodus hinein.
Selbst Sänger Chris Demakes scheint zu merken, dass man auf gutem Wege ist. Und das, obwohl er anfangs dachte, als Opener eher schlechte Karten zu haben. „Aber schaut euch das an!“ Tja, Leute, ihr seid hier eben am Greenfield, der aktuell grössten Partymeile der Eidgenossenschaft! Zu den Klängen von „All My Best Friends Are Metalheads“ bildet sich dann schon bald die erste heftigere Moshpit der dreitägigen Sause. Welch cooler Einstieg!
Kleiner Funfact am Rande: Der etwas ungewöhnliche Bandname stammt von einer 80 Pfund schweren Bulldogge namens Jake, die die Eltern des ursprünglichen Schlagzeugers Vinnie Fiorello besassen. Anscheinend war ihnen der Hund so ans Herz gewachsen, dass alles irgendwann nur noch „less than Jake“ (dt.: unwichtiger als Jake) war.
Luke: Irgendwie erstaunlich, die Alphornbläser hatten fast mehr Leute vor der Bühne, als der “eigentliche” Opener Less Than Jake. Die Amis haben die Anwesenden aber schnell im Griff und animieren – wie von Sandro erwähnt – bereits zu einiger Bewegung. Der Good Times Ska Pop Punk ist ganz ok für den Einstieg in den Festivaltag, auch wenn mich der Auftritt 2019 der Jungs am Open Air Gränichen noch ein bisschen mehr überzeugt hat. Solide 40 Minuten, nicht mehr und nicht weniger…
Enter Shikari
Sandro: Vorderhand spielt sich das wilde Treiben noch uneingeschränkt vor der Hauptbühne ab, sodass ich mir das flinke Herumgewusel von einer Stage zur anderen für später aufheben kann. Als zweiter Teil des offiziellen Aufwärmprogramms schicken sich die aus England stammenden Enter Shikari an, uns mit ihrem Post-Hardcore (oder Trancecore, wie sie es selbst bezeichnen) zu beehren. Nach einer kurzen, a capella vorgetragenen Einleitung, geht’s auch schon in die Vollen. Ihr mit harten elektronischen Beats durchsetzter Sound (zu dem der prominent auf der Spielfläche platzierte, an PCs der 90er-Jahre erinnernde Musikcomputer perfekt passt) lässt die Ausgelassenheit des zahlreich erschienenen Publikums noch ein, zwei Gänge höher schalten. „Wir spielen nun vier Songs in sieben Minuten“. Klingt fast wie eine Kampfansage und schafft es, das Partygaspedal einige weitere Zentimeter nach unten zu drücken.
Frontmann Roughton „Rou“ Reynolds ist sichtlich gerührt von den Reaktionen: „Ein durchschnittliches Leben umfasst rund 690’000 Stunden. Und ihr teilt knapp eine davon mit uns – vielen Dank!“ Wer jetzt noch keine Betriebstemperatur erreicht hat, hat wohl vor der falschen Bühne Stellung bezogen!
Luke: Auch mit Enter Shikari hatte ich bereits einmal das Vergnügen am Open Air Gränichen. Damals hat mir die Band gar nicht gefallen und ich habe nicht den ganzen Auftritt gesehen. Dementsprechend habe ich keine allzu grossen Erwartungen. Nach gewissen Anlaufschwierigkeiten gefällt mir das heute aber einiges besser als damals.
Was wir hier erleben, ist die wohl mit Abstand britischste Gruppe auf dem Festival. Der Stilmix der Engländer ist total schräg und vielfältig, aber alle Bands, die mir als Vergleich in den Sinn kommen, sind aus dem Vereinigten Königreich. The Streets dürfte zumindest bei Fronter Rou Reynolds sicher einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben, die Electro Punks Sleaford Mods ebenso. In den ruhigen Momentan schaut auch einmal Oasis ein bisschen vorbei, wenn’s härter wird eher Sylosis. Dazu etwas Dubstep und fertig ist das britischste Gemisch seit der Erfindung der Tea Time.
Musikalisch ist das definitiv nicht zu 100% mein Ding, gewisse Songs gefallen mir aber überraschend gut. Und durch das Intensive Stageacting von Rou kommt auch optisch keine Langeweile auf…
Bloodred Hourglass
Sandro: Auf meinem ersten Gang zur – ich nenn’s mal: Nebenbühne, auch wenn dort in den kommenden drei Tagen so einige coole, aber halt nicht ganz so bekannte Acts zu sehen sind – treffe ich auf Mary und Piri von Infinitas (unser letztes Interview mit ihnen findet ihr hier). Heute noch als Zuschauer. Doch dürfte es wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis die überaus sympathische Truppe eine der beiden Bühnen zum Erbeben bringen wird!
Letztlich bei der Eiger Stage angekommen, sind die Herren von Bloodred Hourglass bereits rundum in ihre schweisstreibende Arbeit vertieft. Melodic-Death-Metal ist angesagt, welcher in jüngerer Vergangenheit mit Elementen aus Metalcore und Alternative Metal angereichert wurde. Was mir an dieser Band besonders gefällt, ist die zum Teil recht melodiöse Gitarrenarbeit, die durch den klar abgemischten Sound begünstigt wird. Zudem herrscht auch hier schon eine verhältnismässig ausgelassene Stimmung, und nicht wenige lassen – wohl inspiriert von den Saitenbändigern auf der Bühne – ihre Haarpracht wild entschlossen kreisen.
Nach erbaulichen zwanzig Minuten zieht es mich aber bereits wieder zurück zur Jungfrau Stage, wo einer meiner persönlichen Höhepunkte des Tages auf mich wartet!
Luke: Wenn schon mal so etwas wie Death Metal am Greenfield läuft, bin ich natürlich auch vor der Bühne anzutreffen. Bloodred Hourglass agieren gleich mit drei Gitarristen, welche, wie von Sandro erwähnt, auch sehr gut abgemischt werden. Hingegen ist das Keyboard viel zu leise und kommt – wieder einmal – ab Band. Ich frage mich ja immer wieder, wann der WWF endlich tätig wird. Live-Keyboarder scheinen eine der akut gefährdeten Rassen zu sein, man bekommt sie heutzutage in freier Wildbahn fast nicht mehr zu Gesicht…. (Sandro: Da empfehle ich gerne Delain …)
Abgesehen davon bieten die Finnen einen guten Auftritt. Ihr Melodic Death Metal ist für meinen Geschmack fast etwas gar modern geraten, in guten Momentan erinnern sie aber an die Landsmänner von Children Of Bodom oder ganz alte In Flames. Und auch die Stimmung passt, die Menge vor der Bühne schüttelt nicht nur die Haarpracht, es wird auch gesprungen und teilweise sogar gemosht.
Im Zentrum des Auftritts steht der aktuelle Longplayer “Your Highness” von 2021, welcher genau die Hälfte der Setlist ausmacht. Aber auch zwei neuere Singles und zwei ältere Songs kommen zum Zug, sodass sich nach der Show ein guter Überblick über das bisherige Schaffen der Gruppe ergibt. Gefälliger Auftritt, der mich jetzt nicht zum Mega-Fan macht, aber definitiv auch nicht in die Flucht treibt.
Setliste Bloodred Hourglass
- The Sun Still In Me
- In Lieu Of Flowers
- Leaves
- Waves Of Black
- Drag Me The Rain
- Veritas
- Nightmares Are Dreams Too
- Where The Sinners Crawl
Fotos Bloodred Hourglass (pam)
Donots
Sandro: Dass die Donots aus deutschen Landen auch dieses Jahr wieder ganz vorne mitmischen, wenn es um den Titel der fucking besten Live-Band des Festivals geht, ist kein Zufall. Bereits zum siebten Mal hier im Berner Oberland zu Gast, ist ihr Auftritt schon fast ein Heimspiel. Waren die Texte der fünf Herren früher noch eher englischlastig, so geht der Trend seit dem 2015er Longplayer „Karacho“ klar in Richtung Muttersprache. „Heute ist ein guter Tag“ heisst nicht nur das aktuelle Album, sondern steht zudem fett auf dem Backdrop – und ist Programm für die kommenden fünfundvierzig Minuten!
Auch wenn mittlerweile etwas dickere Tropfen vom Himmel fallen, ist die Stimmung vor der grossen Bühne nach wie vor hervorragend. Als es in einem der riesigen Circle Pits zu einem kleinen Malheur kommt (wohl ein Sturz oder ähnliches), unterbricht Sänger Ingo Knollmann mal kurz das wilde Treiben und begibt sich höchstpersönlich, quasi als Aufpasser, mitten in die wogende Menge. Respektive wird etwas später gleich selbst zum Crowdsurfer. Das gegen Ende des Sets abgefeuerte Twisted Sister Cover „We’re Not Gonna Take It“, lässt dann endgültig alle Dämme brechen. Was für eine Party! Und als ob sie sehen wollte, welch hochgradige Eskalation da unten gerade zugange ist, blinzelt zum Schluss sogar noch die Sonne durch die dunkle Wolkendecke.
Wem der Auftritt des Quintetts aus dem nordrhein-westfälischen Ibbenbüren zu kurz war und Lust auf mehr hat – kein Problem. Am 4. November werden die Donots das Dynamo in Zürich in ein Tollhaus verwandeln.
Luke: Mir waren die Donots immer etwas zu glatt, so richtig warm geworden bin ich mit der Band nie. Aber ich muss Sandro absolut recht geben, was die Herren hier abliefern ist grosses Kino! Die Band hat richtig Bock, und auch das Publikum lässt sich trotz leichtem Regen die Feierlaune nicht verderben. Nach Ende des Konzerts wird vor der Bühne noch so lange weiter gesungen, bis nochmal eine Zugabe folgt. Für viele Anwesende definitiv ein Highlight, auch wenns mich rein musikalisch wieder eher kalt lässt.
Fotos Donots (pam)
The Menzingers
Sandro: Mal sehen, wie es auf der Eiger Stage weitergeht. Die nun auftretenden The Menzingers stammen aus dem schönen Philadelphia (das wurde damals in den ersten Rocky-Filmen zumindest so suggeriert) – und sind heute ganz in schwarz gekleidet (womit ihre farbliche Präferenz mit wohl rund 98% der hier Anwesenden übereinstimmen dürfte). Ihr melodischer, mit viel Elan vorgetragener Punkrock sollte zwischen all den im Was-auch-immer-Core verankerten Combos eigentlich den Funken auf mich überspringen lassen, doch irgendwie scheine ich noch nicht so recht im richtigen Festivalmodus angekommen zu sein. Nix Funke, tut mir leid.
Also wende ich mich dem Unterhaltungsprogramm eines grossen Schweizer Chips-Herstellers zu. Paralleles Wasserrutschen-Climbing (wer schneller oben ist, gewinnt) beziehungsweise Barcode-Scanning der vorne im Eingangsbereich gratis abgegebenen Müsterchen, bei dem es nette Sachpreise zu gewinnen gibt. Oder auch nicht – was soll’s (Lätsch-nach-unten-Emoji).
Hollywood Undead
Sandro: Das erste, was mir bei Hollywood Undead auffällt, ist ihr lauter, aber glasklarer Sound. Davon scheint vor allem die Schlagzeugarbeit von Anthony Ghazel zu profitieren, der für die 2005 gegründeten Kalifornier auf Tour die Sticks wirbeln lässt. Spannend an der Truppe finde ich zudem, dass gleich alle fünf hauptamtlichen Künstler singen respektive rappen, was der Sache eine zusätzliche Dynamik verleiht. Ihr Musikstil dürfte als Rap-Rock durchgehen, durchmischt mit einigen Inputs aus der Nu-Metal-Ecke.
Als besonderen Gag stellt Lead-Shouter Danny Murillo dann die Frage in der Raum, wer im Publikum Gitarre spiele. Also nicht nur Akkorde, sondern echte Soli! Ein junger Fan streckt den Arm wohl am weitesten gen Himmel und wird prompt auf die Bühne geholt, wo er eine astreine Performance abliefert. „Play along with your heroes“, welch wirklich geile Idee!
Auch der bereits erwähnte Anthony bekommt einen speziellen Slot für eine rhythmische Einzelnummer – und wird anschliessend aufgefordert, doch noch was Gesanglich zum Besten zu geben, „Living On A Prayer“ von Bon Jovi zum Beispiel. Tja, wenn der gute Herr John Francis Bongiovi Jr. eines Tages in Rente gehen sollte, wüsste ich einen mehr als passablen Ersatz! Ebenfalls aus fremden Federn entstammt ein Medley aus „Enter Sandman“, „Nightmare“ und „Du hast“, was einfach nur gute Laune verbreitet.
Für mich ein wirklich cooler Auftritt der cool und relaxed agierenden Amis, der von den Anwesenden denn auch gebührend gewürdigt wird.
Luke: Ich steh ja eigentlich auf Crossover, wirklich. Aber Hollywood Undead sind mir zu viel Linkin Park und zu wenig Rage Against The Machine. Das Hollywood im Namen steht wohl für extra viel Grossleinwand-Musik und wenig Ecken und Kanten. Das Ganze ist gut gemacht, und die Stimmung im Publikum passt auch, aber irgendwie ist das einfach gar nicht mein Ding. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich die Band mit 16 abgefeiert hätte. Aber dafür sind sie leider zu spät gegründet worden. Sorry!
Silas: Viel wurde mir in der Vergangenheit über die Zombies aus der Filmstadt vorgeschwärmt, bisher hatte ich aber nie das Vergnügen diese live zu erleben. Den Bandshirts einiger Zuschauer nachgemessen, scheine ich meine Neuland-Erfahrungen mit einer grösseren Menge der Anwesenden nicht zu teilen. Ebenfalls meine Stimmung, die durch die Musik eher in Richtung Ernüchterung umschlägt, scheine ich nicht mit vielen zu teilen. So erzählt beispielsweise eine Kollegin, die vor dem Festival eher zu den «Unrockbaren» zählte und nur dank ihres Freundes den Weg nach Interlaken fand, dass Hollywood Undead zu diesen Bands zählt, die sie «überraschenderweise überrascht haben». Mich persönlich enttäuscht die Band eher, was nicht unbedingt an der Darbietung der Rapper und Musikern auf der Bühne liegt, viel mehr störe ich mich an den Musikern, die nicht auf der Bühne stehen, stattdessen Playback aus den Lautsprechern dudeln. Immerhin kann mich die Gruppe, wenn schon nicht musikalisch, einigermassen mit ihrer Performance überzeugen. Nebst Einlagen wie der bereits erwähnten Leihgabe einer Gitarre an einen Fan, wird an einer Stelle ein Mikrofon in die Zuschauermenge geworfen, mit dem Ziel, dass derjenige, der es fängt, seine Stimme dem Song beisteuert. Wenig überraschend artet dies in laute Gröhl-Gesänge aus.
Nebst Mikrofonen werden immer mal wieder Wasserflaschen in das Publikum geworfen, womit Hollywood Undead beinahe mehr gegen die Dehydration der Festivalbesucher unternimmt als das Greenfield selbst. Denn wer nicht verdursten will, muss entweder tief in die Brieftasche greifen oder sich eine halbe Ewigkeit lang in die Schlange vor einen Wasserkanister stellen (Sandro: Da hilft wohl einzig antizyklisches Anstehen …).
Fotos Hollywood Undead (pam)
Sleep Token
Sandro: Hinten bei der Eiger Stage hat sich inzwischen eine leichte Verspätung eingeschlichen. Zwar sind es beim aktuellen Gig nur acht Minuten (respektive ich wohl einfach ein übergenauer Bünzli), aber bei meinem (selbst auferlegten) engen Zeitplan zählt nun mal jede Sekunde. Der Musikstil der in London ansässigen Briten wurde im Vorfeld gerne als alternativ, aufregend und genreübergreifend beschrieben, ihr Look als extravagant und geheimnisvoll. Fakt ist, dass die 2016 gegründete Band die Identität ihrer Mitglieder anonym hält und stets maskiert auftritt.
Live kann ihr eher schleppender Sound die bei mir geweckten Erwartungen allerdings nicht erfüllen. Nach knapp zwanzig Minuten breche ich meine als Horizonterweiterung eingestufte Hörprobe etwas ernüchtert ab und zottle in Richtung Hauptbühne, wo schon bald eine weitere, von mir als überaus spannend klassifizierte Combo an den Start gehen wird.
Luke: Ich bin nicht ganz vom Anfang der Show an vor der Eiger Bühne. Was Sleep Toke aber danach abliefern, weckt irgendwie mein Interesse. Keine Ahnung, ob es nur am souligen Gesang liegt, aber irgendwie erinnern mich die Engländer ein bisschen an Zeal & Ardor. Musikalisch finde ich die Basler zwar noch ein Stück interessanter. Aber auch Sleep Token haben definitiv ihre Momente. Die drei während der ganzen Show komplett unbeweglichen Back-Vocalists sorgen für zusätzliche Farbtupfer im sowieso schon spannenden Sound.
Für mich passt das Ganze nicht so richtig und zu 100% ans Greenfield Festival. Ich nehme mir aber fest vor, das Material einmal mit dem Kopfhörer anzutesten. In meine Augen eine eher positive Überraschung.
The Hu
Sandro: The Hu stammen aus der Mongolei und sind so ziemlich anders als alles, was wir bisher gehört haben. Respektive im Verlauf der kommenden zweieinhalb Tage noch auf die Ohren bekommen werden. Ihr Sound ist in gewisser Weise einzigartig und hebt sich so wohltuend von den doch oft recht ähnlichen Klangfarben des Festivals ab. Folk-Metal trifft es wohl am ehesten, aber eben ganz andersartig, als wir es hier in Europa kennen. Dies mag nicht zuletzt an den interessanten bzw. etwas fremdartig anmutenden Instrumenten liegen. Morin Khuur (Pferdekopfgeige), Tovshuur (mongolische Gitarre) und Tumur Khuur (Maultrommel) seien hier beispielhaft genannt. Gepaart mit modernen Klangwerkzeugen und tiefem Kehlgesang entsteht so ein packender, energiegeladener und auf ihre Weise hypnotisierend wirkende Tonwelt, der ihresgleichen sucht und eine faszinierende Verschmelzung von alten und neuen Klängen schafft.
Auch wenn die Menge vor der Jungfrau Stage anfangs noch etwas abwartend reagiert und nicht so recht zu wissen scheint, was es von dem seltsamen Treiben auf der Bühne halten soll, wechselt es doch schon bald von zögerlichem Begutachten zu ausgelassenem Feiern, wie die aufkommenden Mosh- und Circle-Pits beweisen.
Abzüge in der B-Note gibt es allenfalls für die eher statisch anmutende Bühnenpräsenz sowie die auffällig einsilbige Kommunikation mit dem Publikum. Mehr als „Thank you“ oder „The next song is“ lässt die Sprachbarriere offenbar nicht zu. Andererseits gibt es wohl nur wenige Bands, die mit so wenig Bewegung so viel Ausstrahlung auf die Bretter zu bringen vermögen.
Noch ein kleiner Einschub: Die Silbe „Hu“ ist die mongolische Wurzel für das Wort Mensch. Der Bandname, der gleichzeitig ein Homonym für The Who ist, bedeutet also übersetzt in etwa „die Menschen“. Und auch wenn die Künstler hierzulande (noch) das Etikett der Exoten anhaftet, wurden sie doch bereits mehrfach ausgezeichnet: So erhielten sie 2019 aufgrund ihrer musikalischen Erfolge und der Förderung der mongolischen Kultur die Auszeichnung „Cultural Envoy of Mongolia“. Im Jahr darauf folgte die höchste nationale Würdigung der Mongolei, der Orden des Dschingis Khan. Und 2022 wurde ihnen von der UNESCO das Prädikat „Artist for Peace“ verliehen.
Alles in allem ein sehr überzeugender Auftritt des Oktetts aus der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar, mit dem sie sicherlich viele neue Fans gewonnen haben dürften.
pam: Sodeli, jetzt melde ich mich nach dem Intro auch mal zu Wort. Bis jetzt haben ja nur meine Fotos für mich gesprochen. The HU ist eine Band, die ich mir schon länger mal reinziehen wollte, aber die nach einem Bier benannten Seuche, hat diesem Vorhaben immer wieder einen Strich durch die Rechnung gezogen. Einerseits bin ich ja dem Folk-Metal seit Sepulturas «Roots» Mitte 90er ganz und gar nicht abgeneigt, andererseits erwarte ich jetzt auch nicht grad, dass mich der Schamanentanz grad aus den Socken haut. Mein Befürchtung war – und jetzt Betonung auf die Vergangenheit – dass es sich zwar ganz toll für ein paar Minuten anhört, aber irgendwann dabei eingelullt wird. Heilung und Konsorten lassen grüssen. Aber hey, dem ist überhaupt nicht so. Wow, ich steh einfach da und trag mein Kinn katholisch – also auf den Knien.
Ich bin nicht sicher Sandro, ob The HU übersetzt eigentlich nicht Raupe heissen sollte. Denn so erklär ich nach deren Auftritt meinen Kollegen, was ich grad erlebt habe. Ja, es ist trancartig und wiederholt sich immer wieder ein bisschen, aber sie haben einen extremen Drive nach vorne und so kommt der Panzer vorwärts. Die Raupe dreht nur vermeintlich im Kreis. Yep, ich mein mit Raupe die Kette eines Raupenfahrzeugs.
Besser hätten sie das nicht beweisen können, als mit einem Hammer-Metallica-Cover («Through The Never») vom Schwarzen Album, den sie live zum absoluten Kracher machten. The HU sind jetzt schon meine heimlichen Gewinner des Greenfield Festival 2023. Auf jeden Fall die für mich tollste Neuentdeckung. Zieht euch The HU unbedingt mal live rein, ihr werde es nicht bereuen. Es muss ja nicht immer der Panzer von Sabaton sein.
Fotos The HU (pam)
Swiss & die Andern
Sandro: Auf Swiss und die Andern bin ich, naja, sagen wir mal: ebenfalls gespannt. Dies wohl auch deshalb, weil für mich auf dem letzten Saltatio Mortis Studiowerk „Für immer frei“ deren Zusammenarbeit mit eben jenem Swiss – „Mittelfinger Richtung Zukunft“ – eines meiner persönlichen Lowlights auf besagter Scheibe darstellte. Doch soll dies hier und jetzt erst mal keine Rolle spielen. Der Sound bei der Eiger Stage ist für einmal nicht gerade optimal, was der gebotenen Sause klar abträglich ist, legt die Hamburger Rap-Formation doch sehr viel Wert auf textliche Inhalte. Aber es bleiben ja die Ansagen, in denen wir vom Frontmann mit der helvetischen Namensanleihe unter anderem erfahren, dass er einmal im Jahr nach Grindelwald fährt und sich somit hier in der Gegend bestens auskennt. Oder dass seine Eltern aus Solothurn stammen (daher wohl der Name? Weiss jemand mehr?) und das nächste Konzert der Truppe auf Schweizer Boden deshalb im Kofmehl stattfinden wird.
Irgendwie will mir ihre etwas schrille Art nicht so recht zusagen. Ausserdem habe ich in Zeiten, in denen sich alle über alles und jeden aufzuregen scheinen, einfach auch keine Lust auf politisch überdrehte Ansagen, egal ob von links oder rechts. Abflug meinerseits.
Luke: Um gleich zum Anfang deine Frage zu beantworten: Swiss ist in Hamburg-Altona aufgewachsen, sein Vater war aber ein Schweizer Theater-Schauspieler. Ich habe zum ersten Mal von ihm Notiz genommen, als er 2008 mit “Es kann nur einer befehlen” ein damals noch reines Rap-Album veröffentlicht hat, welches ich nicht schlecht, aber auch nicht überragend fand. Swiss & die Andern habe ich dann am Anfang nicht so richtig gefühlt. Es brauchte – auch hier – zuerst einen starken Gig am Open Air Gränichen, bevor ich mich näher mit dem Phänomen “Missglückte Welt” (das Label und sowas wie die Bewegung hinter der Gruppe) auseinandergesetzt habe.
Und leicht macht es einem die Band definitiv nicht. Es gibt auf Tonträger und im WWW doch so einige Tracks der Truppe, die mir nicht gefallen. Aber Live räumen die Jungs einfach immer ab, so auch heute!
Klar, man muss schon ein kleines bisschen Rap-Affin sein, um dem Dargebotenen etwas abgewinnen zu können. Die Attitüde ist aber durchaus tief im Punk verwurzelt. Und wenn dich politische Ansagen stören, Sandro, kann ich das zwar ein ganz kleines bisschen verstehen. Da mir in diesem Jahr aber zum ersten Mal überhaupt am Greenfield tatsächlich Leute in Thor Steinar-Klamotten über den Weg gelaufen sind, ist aus meiner Sicht der Punkt erreicht, wo es das halt leider doch wieder einmal braucht. Und in der (Eigenzitat) Gossensprache von Swiss heisst das dann halt “Jeder Nazi ist ein Hurensohn”.
Beim Publikum kommt das Ganze ebenfalls sehr gut an. Ob ein Crowdsurf-Gummiboot über den Köpfen, eine Fackel im Publikum, oder eine Wall Of Death, hier vor der Bühne steht von denen, die nicht die Flucht ergriffen haben, irgendwann keiner mehr still. Klar, am Tag, wo die Ärzte Headliner sind, ist ein “Schrei nach Liebe”-Cover kein allzu grosses Wagnis. Dass aber mit “Asche zu Staub” mitten in der besten Stimmung ein eher nachdenklicher Song (mein Favorit der Truppe) gespielt wird, zeugt schon von grossem Selbstvertrauen.
Dazu wird die eigentlich geplante Spielzeit ohne mit der Schulter zu zucken gnadenlos überzogen. Als mit dem obligatorischen “Linksradikaler Schlager” das Ende der Show eingeläutet wird, hätte eigentlich schon vor 15 Minuten Schluss sein sollen. In meinen Augen war dies – soviel kann ich jetzt schon vorwegnehmen – einer der besten Auftritte des ganzen Wochenendes! Ich habe absolutes Verständnis, dass Swiss & Die Andern nicht den Geschmack von allen Greenfield-Besuchern treffen. Deswegen wohl auch die kleinere Bühne. Aber mir – und wohl auch dem grössten Teil der sonst bis zum Schluss Anwesenden, was nicht wenige waren – hat es definitiv gefallen. Sogar noch ein kleines Stück besser als am Open Air Gränichen 2022.
Silas: Das erste Mal wurde mir Swiss & Die Anderen am „Open Air Gränichen“ in die Gehörgänge gespült. Zuvor kannte ich die Rap-Punk-Crossover-Truppe hauptsächlich von ihrem, sicherlich nicht ganz als ernst zu verstehenden Song „Linksradikaler Schlager“. Man könnte es als für die Band ungünstige Tatsache bezeichnen, dass sie zeitgleich zu Papa Roach auftreten muss, trotzdem ist es vor der Bühne gerangelt voll und die Moshpits sind brutaler und leider auch rücksichtsloser als an keinem anderen Konzert des Festivals. Der Frontmann Swiss, ein Künstlername, dessen genaue Bedeutung im Übrigen in seinem, je nach dem ab wann man beginnt zu zählen, 18-jährigen Bestehen nie offiziell der Öffentlichkeit preisgegeben wurde, spielt sich, wie ich mir von anderen Auftritten gewohnt bin als selbst ernannter „Prolet aus St. Pauli“ auf, zündet sich Joints auf der Bühne an, präsentiert seine Bauchmuskulatur, in dem sein Shirt bereits nach wenigen Songs «Lebewohl» sagt und stimmt „Jeder Nazi ist ein Hurensohn“-Sprech-Chöre an. In dieser Hinsicht richte ich mich nach der Predigt von Farin Urlaub von den die Ärzte, die dieser immer mal wieder zum Besten gibt, wenn an seinen Konzerten „Nazis raus!“ Rufe getätigt werden: „Hier hat es keine Nazis, spart euch diese Rufe auf für Orte, an denen sie tatsächlich aufkreuzen“, selbiges könnte man hier dem Publikum beinahe ununterbrochen mitteilen, nicht so Swiss, dieser scheint sich eher über die „Alerta, Alerta Antifascista“ Parolen, und wie sie alle lauten, zu freuen, schweisst ein gemeinsamer Feind doch unweigerlich zusammen. Und was gäbe es da für ein besseres Feindbild als ein Nazi? Wer, ausser einem Nationalsozialisten würde, negieren, dass ein Faschist DIE Verkörperung «des Bösen» ist? Aber um ehrlich zu sein: Auch ich lasse mich anstecken und gebe lauthals meinen Unmut über die Rassisten und alle anderen «schlechten Menschen» in diesem Land und anderswo kund. So kennt man es halt von Punk-Konzerten. Das muss wohl so?
Ausserdem, wie Luke beobachtet zu haben scheint, stimmt der Einwand, das Feld sei frei von Faschisten (-Sympathisanten), nicht ganz. Schade. Ebenfalls wie bereits von anderen Auftritten bekannt dürfen zwei auserwählte Zuschauer im Verlauf des Konzerts in einem Gummiboot über die Menge hinweg crowdsurfen, respektive crowdpaddeln (?). Zum unangepassten „asozialen“ Auftreten passend überzieht die Band ihr Set mehr als eine Viertelstunde, worüber aber, abgesehen vielleicht von der Stage-Crew, niemand verärgert zu sein scheint, jedenfalls ist jetzt klar, dass der Name „Swiss“ sicherlich nicht von einem Schweizer Uhrwerk abgeleitet ist.
Papa Roach
Sandro: Eigentlich müssten die Kalifornier von Papa Roach speziell auch angesichts des Genre-Mixes des diesjährigen Greenfields meinen musikalischen Nerv irgendwie treffen. Doch erstaunlicherweise berührt mich ihre Mischung aus Alternative Rock, Alternative und Nu Metal nicht wirklich. Das mag zum einen an der bisweilen etwas konturlos wirkenden Soundqualität liegen, vielleicht aber auch an meinem Stehplatz, der nur einen sehr eingeschränkten Blick auf das Geschehen auf der Bühne zulässt. So verfolge ich den Grossteil des Auftritts über die beiden (an allen drei Tagen) mit hervorragendem Bildmaterial gefütterten Grossbildleinwände links und rechts der Spielfläche. Denn voll ist es vor der Jungfrau Stage allemal!
Immerhin lässt die langsam hereinbrechende Nacht die Farben der grandiosen Lightshow in vollem Glanz erblühen, und auch die ersten Pyros des hiesigen Festivals bereichern das Gezeigte nun zusätzlich. Dass Rampensau Jacoby Shaddix keine Berührungsängste kennt, lässt sich an seinem Bad in der Menge unschwer erkennen. Allerdings klingt sein Gesang bei den langsamen, tragenden Stücken leicht schräg in den Ohren, was aber durchaus an meiner Unkenntnis der meisten Songs liegen könnte.
Bei der Ansage zu „Scars“ teilt er zudem mit, dass der Grossvater von Gitarrist Jerry Horton am Vortag verstorben sei – ein bewegender Moment, der sich auch in diesem Song emotional widerspiegelt. Den Abschluss des rund siebzigminütigen Sets bildet wenig überraschend ihr nomineller Überhit „Last Resort“, der noch einmal richtig, richtig Stimmung macht.
Eine gute Performance (den manche wohl als „grandios“ bezeichnen würden), der mich aber – um es mit den Worten von Poptitan Dieter Bohlen zu sagen – leider nicht sonderlich „getoucht“ hat. Doch es ist schön zu wissen, dass ich als Erstbesucher einer Papa Roach Show nun definitiv zur weltweiten Familie gehöre!
Luke: Wegen überzogener Spielzeit auf der Eiger Stage und eher gemächlichem Location-Wechsel, sehe ich von Papa Roach nur noch ganz den Schluss. Und dieser bewirkt nicht, dass ich mein spätes Kommen bereue. Ich liebe ja Queen, aber eine “We Will Rock You”-Einlage bei Last Resort braucht kein Mensch. Passt musikalisch nur mässig, und inhaltlich sowas von gar nicht …
Fotos Papa Roach (pam)
While She Sleeps
Sandro: Die Nebenbühne scheint heute zu später Stunde fest in britischer Hand zu sein. Und – Achtung Spoiler – auch die aus Sheffield stammenden While She Sleeps lassen mich bedauerlicherweise aus einem nicht genau zu definierenden Grund kalt – sehr kalt.
Das beginnt bereits mit der recht düster gehaltenen Bühne, auf der gerade mal ein knallpinkes Saiteninstrument herauszustechen vermag. Und auch musikalisch kann mich ihr Metalcore leider überhaupt nicht begeistern – auch wenn zumindest im vorderen Teil der Zuschauerreihen etwas Bewegung entsteht. So fällt es mir denn keineswegs schwer, der Eiger Stage nach vielleicht zehn Minuten für heute Adieu zu sagen und mich der Vorfreude auf die beste Band der Welt – aus Berlin! – hinzugeben.
Die Ärzte
Sandro: Mussten (eher: durften) wir bis 22:45 Uhr im wohl rockigsten Wartezimmer der Schweiz ausharren, machen uns nun Die Ärzte ihre Aufwartung. Respektive kommen auf Hausbesuch, denn schliesslich stammen sie ja aus Berlin (aus Berlin! – Anm. Luke). Bela, Farin und Rod heissen die drei Herren in – naja, nicht ganz so – weiss und sind bekannt als die beste Band der Welt.
Schon bei den ersten Klängen des Openers „Westerland“ wird klar, dass die deutschen Punk-Pop-Rocker keinen grossen Wert auf ein langes Vorspiel legen. Etwas überraschend findet sich „Herrliche Jahre“ aus dem Millennium-Album „Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer!“ in der Setlist, das nach eigenen Angaben in der Schweiz nun seine Live-Premiere feiert. „Das Leben ist ’ne Party, eine gottverdammte Party“ – kann man beim Blick in die verzückten Augen des Publikums getrost so stehen lassen!
Witzig, aber auch ein bisschen langatmig sind die immer wieder eingeflochtenen Spässe zwischen den drei Musikern. Das Ganze erinnert mich manchmal ein wenig an die ausschweifenden Zwischenansagen von Avantasias Tobi, nur dass ich diese dort einfach noch einen Tick spritziger finde. Und so wundert man sich bei keiner der beiden Kapellen nur eine Sekunde lang, dass die Shows einen zeitlichen Überhang aufweisen (die Ärzte kommen heute auf zweieinviertel Stunden Bühnenzeit). Immerhin schafft es Farin, den gleich zu Beginn getätigten Vorsatz, heute gänzlich auf Schweizerdeutsche Versuche zu verzichten, über weite Strecken zu beherzigen. Doch all das hält die begeisterte Zuhörerschaft keineswegs davon ab, gemeinsam mit den Medizi tanzend, hüpfend, singend und johlend in den neuen Tag hineinzufeiern.
Ich für meinen Teil fühle mich bestens unterhalten, auch wenn mich eher die älteren Lieder wie „Schunder-Song“, „Meine Freunde“, „Hurra“, „Junge“ oder das finale, alles noch einmal in den Schatten stellende „Schrei nach Liebe“ zu triggern vermögen. Doch weiss ich, dass wir weit grössere Ärzte-Fans vor Ort haben! pam, Silas, eure Meinung?
Luke: Bevor die Hardcore-Fans zu Worte kommen, grätsche ich auch noch kurz rein. Für mich ist das hier und heute mein erstes DÄ-Konzert im neuen Jahrtausend. Ende der Neunziger war ich mal Fan, irgendwann habe ich BelaFarinRod dann nicht mehr ganz so intensiv verfolgt. Aber mit dem “Hell”-Album haben sie mich irgendwie zurückgewonnen. Und der Auftritt heute macht wirklich Lust auf mehr!
Ich habe ganz vergessen, wie viele geile Lieder die Doktoren im Katalog haben. Und die Ansagen zwischen den Songs finde ich auch nach wie vor grösstenteils unterhaltsam und witzig. Somit gibt es von mir als Nicht-Experte einen Daumen nach oben! Und nun geht das Wort definitiv an unsere Ärzte-Ultras Fraktion.
Silas: Umstritten – so könnte man wohl diesen Auftritt, der die Ärzte bezeichnen. Nicht weil sie einen, für die Band typischen, „an der Grenze des guten Geschmacks“ nagenden Witz über das „Rammstein-Row-Zero“ Skandal reissen, wie zwei Tage zuvor bei einem Auftritt in Luxemburg, was für grosse (mediale) Empörung gesorgt hat, nein, vielmehr der Auftritt an sich steht in der Kritik, ganz davon abhängig, wen man fragt. Meinen Körper liess die ungefähr zweieinhalb Stunden lange Dosis «die beste Band der Welt» Unmengen an Endorphinen ausschütten, das Fanzit anderer Festivalbesucher hingegen, geht eher in Richtung „Die Gruppe hat ihren Zenit längst überschritten – nun sind sie nur noch ein Spiegelbild ihrer selbst“. Sicherlich war es aber ein besserer Auftritt als denjenigen von 2019 am Open Air St. Gallen, beispielsweise unterstellte bei jenem Farin Urlaub gegen Ende des Auftritts dem Publikum, mit Sarkasmus, aber doch auch einer Spur von Enttäuschung in der Stimme, dass es (das Publikum) «doch nur warte, bis sie den Song Junge spielen, damit es danach zum Zeltplatz zurückkehren könne». Heute wirken die Ärzte spielfreudiger, treiben immer wieder mal ihre Spässe mit dem Publikum und nehmen sich so viel Zeit, wie sie gerade für richtig halten für ihre ausufernden Ansagen. Wahrlich ein gelungener Auftritt, jedoch gilt zu erwähnen, dass ich auch die rosa (Ultra-)Fan-Brille trage.
pam: Hm, ich bin hier wohl der dienstälteste Die Ärzte-Fan. In den 90ern waren DÄ-Konzerte das Mass der Dinge (für die 80er bin sogar ich zu jung). Ich hab keine andere Band öfters live gesehen – auch wenn Metallica ihnen dicht auf den Fersen sind – und hab somit wohl auch die grössten Erwartungen an die Super-Drei aus Berlin (aus Berlin!). Wer so anfängt, bringt dann natürlich ein “aber”.
Und da ist das Aber. Wie ich es schon bei der Review vom letzten Jahr vom Konzert in Konstanz im das Fanzit geschrieben habe, sind wohl sowohl sie als auch ich älter geworden. Die Erwartungen aufgrund den Erfahrungen von damals – grad in kleineren Konzert-Locations – sind eigentlich gar nicht mehr erfüllbar. Die Sprüche jedoch Sandro, waren früher schon ein Grund genug, an ein DÄ-Konzert zu gehen. Ich hab zig Bootlegs nur mit Sprüchen von Live-Konzerten. Selbst auf deren offiziellen Live-Alben – u.a. auch auf “Live – nach uns die Sintflut, übrigens eines der besten Live-Alben ever – sind diesen einen guten Teil der Fläche der jeweiligen Tonträger gewidmet. Unvergessen im Juni 1994 auf deren Reunion-Tour in Luzern: “Ficken ist Hippiescheisse.” Oder “Cindy Crawford, wenn du da bist, ruf mich an.”
Nun, bevor ich mich jetzt einfach wiederhole, was ich schon letztes Jahr geschrieben habe, verweise ich doch einfach auf die Review von damals. Wer nicht alles lesen möchte, scrollt einfach runter zum “Das Fanzit” (zur Review Die Ärzte ϟ Metalinside).
Als Ergänzung, konnte früher ein DÄ-Konzert nicht genügend lang sein – alles unter drei Stunden war enttäuschend – so frag ich mich etwas, ob es so sinnvoll ist als letzte Band an einem Festivaltag sich an dieser Messlatte zu versuchen. Wie bei Guns n’ Roses letztes Jahr am Hellfest. Ist ja schön, wenn solche grossen Bands sich so viel Zeit nehmen für ihre Fans, so kann dann einfach ein grosser Teil des Festivalpublikums schlicht nicht mehr. So überrascht es nicht, dass gegen Ende immer mehr Leute vorzeitig die Szenerie verlassen.
Und jetzt noch das fetteste ABER ever. Ich hatte bis heute noch zwei Bands, die ich unbedingt einmal fotografieren möchte. Dazu gehören nebst AC/DC eben auch die Ärzte. Beides einer meiner Top-3-All-Time-Fav-Bands. Beide machen sich jedoch etwas rar, was Fotopässe betrifft. AC/DC vor allem weil sie halt schon nicht so oft auftreten und dann jeder in den Graben will, bei die Ärzte zwar auch wegen immer weniger Live-Darbietungen, aber auch, weil sie schlicht oft gar keine Fotografen zulassen. Dies jetzt nicht wegen irgendwelchen Allüren, sondern weil sich das schlicht und einfach uncool finden. Sie sind ja wohl auch als die einzigste Band der Welt nicht auf den Sozialen Medien präsent.
Zurück zu heute. Ich hab fast auf den Knien gefleht, ein Auserwählter zu sein. Und so küsse ich die halbe Pressemannschaft am Greenfield ab, als ich sehe, dass ich auf der Liste bin. Und nicht einfach so auf der Liste, sondern ganz oben als einer der Medien, die man besonders wollte. Das hab ich jetzt mal so zu unseren Gunsten interpretiert ;-). Weil bei anderen Medien stand was im Sinne von “wenn es dann unbedingt sein muss …”.
Yep, jetzt bin ich bei der besten Band der Welt der glücklichste Mensch und Fotograf der Welt im Fotograben. Ich hab einen Dauersmile. Gut, unter uns, ein Foto von Farin U. reicht ja. Er bewegt sich eh keinen Schritt. Da könnte er gut beim Ozzy-wer-sich-zuerst-aus-seinem-Einmeter-Radius-Bewegt-Fliegt-Raus-Contest teilnehmen. Und als sich Bela B. zum ersten nach vorne bewegt – er überkompensiert das Nicht-Bewegen von seinem Kollegen F. – ist es leider schon wieder vorbei mit der ollen Knipserei.
So feiere ich nach Abschluss des Konzerts von die Ärzte irgendwie sie, uns, Metalinside und auch ein bisschen ich mich selber und orientier mich an die Abstürzende Brieftauben im Sinne von “Der Letzte macht die Tür zu.” Also: Pröschtli zämä.
Fotos die Ärzte (pam)
Das Fanzit – Greenfield Festival Tag 1
Sandro: Der Donnerstag bot wie erwartet einige echte Highlights, für die sich die nicht ganz stressfreie Anreise nach Interlaken mehr als gelohnt hatte. Das Wetter zeigte sich von seiner – positiv ausgedrückt – abwechslungsreichen Seite, aber längere Regenschauer oder gar Sturmböen blieben zum Glück aus. Den Organisatoren möchte ich an dieser Stelle schon einmal ein Lob aussprechen, denn die Bedürfnisse abseits der Bühne liessen sich recht unproblematisch und ohne übermässige Wartezeiten erledigen (von extremen Stosszeiten natürlich abgesehen). Saubere Toiletten (auch in den Toi Tois herrschte nicht das sonst immer wieder anzutreffende Grauen), gut markierte und stets nachgefüllte Wasserstellen, ein reichhaltiges Angebot an Speis und Trank (auch wenn die Rückgabe des Pfandgeschirrs manchmal etwas mühsam war). Wobei gerade hier manche Besucher an den zuweilen etwas enervierenden Wartezeiten nicht unschuldig sind. Leute, hört bitte auf, über eine Rückgabe in Noten zu diskutieren!
Als meine drei persönlichen Highlights des Tages würde ich klar die Donots, The Hu sowie die headlinenden Ärzte nennen, wobei die mongolischen Exoten auch den Titel der Entdeckung des Donnerstags für sich beanspruchen können.
Luke: Naja, aufs Bier habe ich teilweise nicht soo kurz gewartet. Da es zudem nur 3 DL Becher gibt, muss man da halt auch immer wieder hin. Ich würde echt auch nicht über den Preis motzen, aber 0.5 wäre schon sehr schick, liebe Organisatoren… Mein Highlight heute waren Swiss & Die Andern, aber auch Bloodred Hourglass waren alles andere als schlecht.
Silas: Was die Entdeckung des Tages angeht, kann ich mich nur Sandro anschliessen. Der Auftritt von den Mongolen hat mich sogleich eine CD von dieser Formation bestellen lassen. Was den Zustand der Infrastrukturen anbelangt, kann ich Sandro leider nicht ganz zustimmen, musste man doch oft lange anstehen, um seine Bedürfnisse zu stillen, sauber war es im Allgemeinen aber allemal.
pam: OK, ich bin zwar schon am Feiern, aber dann halt auch noch mein Senf dazu. Im Mix bin ich mit allen was meine Kollegen oben im das Fanzit geschrieben habe einig. Bier 3dl ist definitiv zu klein, zu mühsam, zu wenig. 4dl wäre das absolute Minium. Pitchers wie am Hellfest wären schön. Und auch mehrere Biersorten. Aber das wäre ja schon fast Luxus. Kein Luxus wären Becher mit Festival-Sujets oder Band-Logos. Wie schon früher geschrieben, könntet ihr, liebes Greenfield-Team, damit sogar gut Geld verdienen, weil ja praktisch jeder Metalhead ein Sammler ist … Was aber definitiv obermühsam ist, ist die Rückgabe von Geschirr und Pet-Flaschen. Da steht man wirklich ewig an und läuft auch nicht weniger, bis man eine der glaub nur zwei Rückgabestellen erreicht. Keiner hat wirklich Bock mit dem dreckigen Geschirr über das halbe Gelände zu latschen. Depot aber unbedingt beibehalten, das find ich gut und im Sinne der Umwelt. Also, ich geb mich wieder dem Selbstbefeiern hin.
Fotos Frontrow und Leute Tag 1 (pam)
Greenfield Festival Tag 2 – Freitag, 09.06.2023
Sandro: Heute stehen wieder einige mir bekannte Grössen (Sabaton, Zebrahead, The Amity Affliction), aber auch viel musikalisches Neuland auf dem Programm. Besonders gespannt bin ich auf die erste Begegnung mit Arch Enemy, denn Alissa White-Gluz‘ brachiale Knurrstimme ist nicht unbedingt jedermanns Sache. Und am Abend dann die schwedischen Historyteller – das Buffet ist angerichtet. Guten Appetit!
Überyou
Sandro: Tag Nummer zwei des diesjährigen Greenfield wird eröffnet von „Mer sind Überyou us Züri“. Genau. Und diese Truppe zieht um 13:10 Uhr bereits beachtlich Volk vor die Jungfrau Stage. Die Freude, an diesem Festival auftreten zu dürfen, ist dem Fünfer, der schon um die ganze Welt getourt ist und unter anderem in Havanna, São Paulo, Kiew, Kuala Lumpur und Texas gespielt hat, förmlich ins Gesicht geschrieben. Und das färbt definitiv ab, denn schon bald bildet sich in der ausgetrockneten Wiese vor der Spielfläche ein schnell wirbelnder Ringelreihen. Mindestens ebenso energiegeladen zeigt sich Sänger Ian, welcher der Meute trotz der bereits vorherrschenden Hitze zusätzlich gehörig einheizt. Dass Vico (Bass) und Marc (Gitarre) auch noch Gesangslinien beisteuern, verleiht dem zwischen Punk und Hardcore angesiedelten Sound zusätzliche Tiefe.
Überyou habe für diesen Auftritt extra die Bandkasse geplündert. Man merkt in der Tat, mit wie viel Herzblut die Jungs hier zu Werke gehen! Einzig das Aufblasmännchen, das gegen Ende des Sets im Hintergrund auftaucht, kann mit der aufgebauten Dynamik nicht ganz mithalten und flattert leicht geknickt vor sich hin. Was Fronter Ian aber keineswegs davon abhält, ein Bad in der Menge zu nehmen. Der Start in den Freitag ist definitiv geglückt!
Luke: Davon, dass Überyou eine geile Live-Band sind, konnte ich mich schon mehrmals überzeugen. Und auch heute liefern die Jungs aus Zürich ab. Sowohl bei den bereits Anwesenden Besuchern vor, als auch auf der Bühne, ist die Stimmung bestens. Trotz früher Spielzeit gibt es schon einiges an Bewegung von Seiten der Zuschauer. Gegen Ende sind sogar die ersten Crowdsurfer des Tages unterwegs.
Ich persönlich finde Überyou in einem kleinen, verschwitzten Club noch eine Spur geiler als auf der grossen Hauptbühne des Greenfield. Aber einen guten Auftritt liefern sie allemal auch hier ab. Und durch das die Jungs – wie in früheren Jahren auch schon andere Schweizer Opener – zum Ende noch Merch ins Publikum schmeissen, ist sicher nicht der dümmste Schachzug. So wird dann gleich noch ein bisschen Werbung gemacht…
pam: Ach doof, die hätte gerne live erlebt. Aber der Whirlpool war nach der etwas gar kurzen Nacht zu verlockend …
Zebrahead
Sandro: Die Zebraköpfe aus dem kalifornischen Orange Counry sind für mich so was wie ein Blueprint für die vollendete Live-Kapelle. Und wirbeln gehörig Staub auf – oder besser: lassen Staub aufwirbeln. Läck Bobby, am diesjährigen Greenfield hätte man mit Fug und Recht meinen können, vor der Jungfrau Stage würde ein veritabler Tornado wüten. Dabei ist es nur ein etwas zu gross geratener Circle Pit, der dort die schwebenden Feinstaubpartikel zum Rotieren bringt.
Und auch sonst wissen die Punkrocker mit eigener Bar auf der Bühne, wie man Party macht und die Leute mit Walls Of Death, Mosh Pits oder zur Abwechslung auch mal einer flotten Schunkeleinlage ordentlich bei Laune hält. Oder man schickt kurzerhand eines der beiden mitwirkenden Skelette (fragt nicht!) auf einer aufblasbaren Wassermelone zum Crowdsurfen.
Kurzum: Zebrahead ist und bleibt die perfekte Klamauk-Truppe, um auch die grösste Schnarchnase aus dem Schlafsack zu locken. Bliebe nur noch die Frage, wie sich dieser vernichtende Abriss auf die Kraftreserven bzw. das weitere Durchhaltevermögen der früh aus den Zelten gerissenen Besucher auswirken wird. Auflösung folgt …
Silas: Ich habe schlecht geschlafen: Meine Luftmatratze hat aufgehört Luftmatratze zu sein und der Boden war härter, als man von einer Wiese erwarten könnte, doch auch das ist Festival. So komme ich müde, mit dem Vorhaben passiv, «vom Rand aus», dem Treiben zuzuschauen, um noch ein bisschen Kraft für den restlichen Tag zu tanken, auf das Konzertgelände. Zebrahead macht dieses Vorhaben aber sogleich zunichte und treibt mich mit ihren aufrüttelnden Tönen mitten in die Pits. Nun wird mir auch klar, warum sie die deutsche Punkrockband ZSK zu Beginn dieses Jahres als Supportband mit auf Tour genommen hat. Enttäuschenderweise ging damals die Idee, Zebrahead, als Einheizer einzusetzen, beim Auftritt im Februar im Solothurner Kofmehl nicht ganz auf, mag vielleicht auch am Publikum gelegen haben. Auf offenem Feld, nachmittags um zwei, bei sengender Sonne funktioniert diese Idee aber ausgesprochen gut. Nur schade gelingt es dem nächsten Act auf der Mainstage, Funeral For A Friend, nicht mal annähernd den Energiepegel aufrecht zu halten.
Luke: Sandro und Silas haben eigentlich schon fast alles geschrieben, was es zu diesem Auftritt zu sagen gibt. Von der Publikumsresonanz her ein absoluter Triumphzug! Auch wenn der riesige Pit nicht wie vom Frontmann gefordert ganz bis zum FOH-Turm geht, bleibt es wohl der grösste Circlepit des Festivals. Ich persönlich finde Zebrahead jetzt musikalisch nicht übertrieben spannend. Zum Party machen an einem Festival ideal, Zuhause würde ich mir das jetzt nicht anhören. Aber am Auftritt gibt es sonst gar nichts zu mäkeln, ausser vielleicht das er 5 Minuten vor Ablauf der eigentlichen Spielzeit schon beendet wurde.
Windshelter
Sandro: Frage: Was ist schlimmer als eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt? Genau, am Greenfield unmittelbar nach den Zebraheads aufzutreten, die zuvor alles und jeden in Grund und Boden gespielt haben (gilt dann sinngemäss auch für die direkt folgenden Funeral For A Friend )! Die Gewinner des Bandcontests in Montreux haben es wahrlich nicht leicht, geben sich aber alle erdenkliche Mühe, die eher überschaubare und apathisch wirkende Menge mitzureissen. Eine Mission impossible! Die Ansagen kommen sympathisch und auf Deutsch (!), obwohl die Romandie unter den Fans wohl in der Überzahl sein dürfte.. Und auch beim Versuch, eine Circle Pit auf die müden Beine zu stellen, finden sich ein paar Unentwegte, aber die Leute wirken einfach erschöpft, plattgewalzt von der zuvor auf Hochtouren laufenden Partymaschinerie.
Immerhin gesellen sich mit der Zeit einige Festivalbesucher hinzu, die das Geschehen zumindest aus der Ferne verfolgen. So schmilzt eine eigentlich gute Show in der prallen Sonne leider eher unbemerkt dahin.
Funeral For A Friend
Sandro: Nicht viel besser sieht es bei den Walisern Funeral For A Friend aus. Eigentlich schon 2016 totgesagt und aufgelöst, sind die zwischen Post-Hardcore und Emo wandelnden Herren nun wieder live auf Konzerten und Festivals zu sehen – so auch heute auf dem Greenfield 2023.
Doch wie bereits erwähnt, geht unter der sengenden Sonne – und nach dem energievernichtenden Auftritt von Zebrahead (sorry für die ständige Wiederholung) – nicht mehr viel (und das ist noch nett ausgedrückt). Als Frontmann Matthew Davies dann noch schüchtern fragt, ob es um diese Zeit im Greenfield noch zu früh für eine Wall Of Death sei, tut er mir irgendwie einfach nur leid. Musikalisch bewegen sich die nicht englischen Briten zwar in durchaus geordneten Bahnen, aber der berühmte Funke will auch bei mir nicht so wirklich überspringen. Zumal ihr Sound weit weg von dem ist, was ich sonst so höre.
Luke: Meine Grossmutter hat immer gesagt: Wenn du über jemanden nichts Positives sagen kannst, dann sag lieber gar nichts. Ich versuche immer wieder, mir das zu Herzen zu nehmen. Aber sorry, die Vocals von Matthew Davies sind absolut furchtbar. Musikalisch gäbe es zwischendurch interessante Ansätze – dies fällt umso mehr auf, als für einen Song ein Gast-Growler (ich habe leider nicht mitbekommen, wer das war) auf die Bühne kommt. Ansonsten aber sowas von nicht mein Ding. Also halte ich jetzt wieder die Klappe.
pam: Ui ja, im Medien-Container sagt Medienberater Michi, wer singt denn da so schief … Ich glaub das sagt alles. Nun, muss wohl kein guter Freund gewesen sein, denn man da beerdigte.
Coilguns
Sandro: Die Coilguns aus La Chaux-de-Fonds sind für heute die letzten einheimischen Vertreter. Ihr Mix aus Black Metal, Post-Hardcore und Sludge vermag mich jedoch nicht übermässig zu begeistern. Zudem leidet die Zuhörerschaft nach wie vor an einem akuten Post-Zebrahead-Trauma, was es für alle kurz nachfolgenden Bands auch für die Neuenburger definitiv nicht gerade einfach macht. Der Ansatz, einen so absoluten Live-Kracher wie die Zebraköpfe quasi als WeckiWecki-Combo ins Rennen zu schicken, ist von organisatorischer Seite her betrachtet natürlich Gold wert, für alle nachfolgenden, nicht ganz so schillernden Acts hingegen pures Gift. Vor allem, wenn es sich dabei um aufstrebende Nachwuchstalente handelt und die Sonne nach wie vor gleissend hervorguckt.
Immerhin kann vermeldet werden, dass der Zuschauerandrang am heutigen Nachmittag auch schon klar geringer war. Musikalisch passen die Coilguns zudem nicht so wirklich in mein Beuteschema, weswegen ich nach einer knappen Viertelstunde zurück zur Jungfrau Bühne disloziere.
Silas: Ist bei «Begräbnis Für Einen Freund» der Name, stimmungstechnisch, Programm, so steht bei Coilguns die Ursache für ein, ein wenig müde wirkendes Publikum, sicherlich nicht auf der Bühne. Es ist schwierig, diesen Auftritt in Worte zu fassen. Was da an Energie dem Publikum vorgesetzt wird, ist unbeschreiblich, vielleicht beinahe zu viel, fast schockierend. Im Zentrum des Auftritts steht sicherlich Sänger Louis, der nicht nur Mühe zu haben scheint, eine Sekunde ruhig an Ort und Stelle zu stehen, auch die Schwerkraft scheint auf ihn stärkere Auswirkung wie auf andere zu haben, so liegt er immer wieder auf dem Boden, steht wieder auf, nur um sich dann wieder hinzuschmeissen. Doch damit nicht genug: Hat sein Mund gerade nichts zu tun, da etwa ein Instrumentalsolo an der Reihe ist, stopft er seine Faust in ihn hinein, hat er gerade die Lust am «Sich-Zu-Boden-Werfen» verloren, spielt er Schlangenmensch und verrenkt sich, sodass einem als Zuschauer angst und bange wird.
Während des letzten Songs wirft sich Louis ins Publikum, scheinbar völlig unbeeindruckt davon, dass dieses viel zu weit voneinander entfernt steht, um ihn auffangen zu können. Einigen fällt dies auf und eilen herbei, um ihn nicht ein weiteres Mal das Prinzip der Schwerkraft erleben zu lassen. Vereint tragen sie ihn über das Feld, solange bis sich das kabelgebundene Mikrofon mit einem lauten «Plopp» vom Mikrofonkabel löst und noch weiter. Irgendwer sammelt das Mikrofon ein, verbindet es wieder mit dem Kabel und bringt es Louis, der seinen Platz «auf den Händen vieler» verlassen hat und nun über das Feld rennt und Leute umarmt (?). Er scheint nicht darauf gewartet zu haben, dass ihm sein Mikrofon gebracht wird, zwar bedankt er sich dafür, schleudert es aber sogleich wieder fort. Es ist das zweite Mikrofon dieses, gar nicht mal so langen Auftritts, ein ersteres hat bereits sein Zeitliches gesegnet. Auch der Rest der Band hat aufgehört Musik zu machen und experimentiert stattdessen mit Rückkupplungen, die entstehen, wenn Gitarren gegen ihre Amps gehalten werden. Ist das noch ein Konzert oder ist das eine dadaistische Art-Performance? Nachdem der Sänger seinen Umarmungs-Run beendet hat, wirft er sich ein letztes Mal zu Boden und bricht damit mit der Tradition, dass sich der Act am Ende seines Auftritts von der Bühne verabschiedet und in den Backstage-Bereich verzieht, hier bleibt er stattdessen im Staub liegen, bis die Stage-Crew mit dem Umbau für die nächste Band beginnt.
Coilguns ist keine Band, von der ich dringlichst empfehlen würde, ein Album zu kaufen – diese Band muss man live sehen!
pam: Hammer beschrieben Silas. Ich steh auch mit offener Kinnlade da. So was hab ich glaub selten erlebt. Da ist sogar Napalm Deaths Barney ein Farin U. im Vergleich. Ich glaub, die haben sich vor dem Konzert alle Seife auf die Schuhsohle geschmiert und haben jetzt einen Contest, wer sich am spektakulärsten hinknallt. Der Gitarrist steht auch nicht nur einfach so da …
Also ich find das was hier erleben, absolut der Hammer und auch der Sound selbst ist also ganz OK. Ob es mir ab Konserve gefallen würde … müsste man austesten, aber definitiv ist Coilgun eine Live-Band wie im Bilderbuche, die man einfach mal erlebt haben muss. Ich finde, unsere Amis Welsch haben schon einige ganz sehr coole, einzigartige Bands zu bieten. Ich denk dabei an Silver Dust, Almøst Human und einige mehr. Für mich ist der Auftritt nebst The HU eines der Highlights und grössten Überraschungen des diesjährigen Greenfields. Das wird schwierig zu toppen sein. Auch schwierig, das was hier abgeht mit Fotos zu erfassen … drum eine grössere Auswahl und versucht die einfach schnell nacheinander anzuschauen … vielleicht wirkt es dann doch noch ein bisschen, wie live.
Fotos Coilguns (pam)
Coheed And Cambria
Sandro: Mit Coheed And Cambria haben wir nun eine Band am Start, die mich rein thematisch packen müsste, basieren ihre Songs doch auf einer Science-Fiction-Saga namens „The Amory Wars“, geschrieben von Frontmann Sanchez himself. Leider wirkt die Jungfrau Stage eine Viertelstunde vor Beginn noch wie ausgestorben – wohl weiterhin der gleissenden Sonne sowie den Nachwirkungen des Zebrahead-Abrisses geschuldet.
Und irgendwie ist die Stimmung beim Auftritt der New Yorker Progressive-Rocker schon sehr speziell … wie eine Art Ruhe vor dem Sturm. Und so gestaltet sich denn die als „epische Live-Show“ angekündigte Darbietung eher solide-normal. Klar, die eingeschobenen Zwischenstücke (bei Molllust würde man wahrscheinlich von „Promenaden“ sprechen) umgibt etwas leicht Futuristisches, können aber auch aufgrund des seltsam diffus wirkenden Sounds nicht vollends zünden.
Mein persönliches Fazit zu der 1995 als Shabutie gegründeten Combo: Eigentlich ziemlich genau mein Beuteschema, aber hier und jetzt kann mich ihr Sound nicht packen. Coheed And Cambria wandern also auf die Liste der Combos, die man sich später mal zu Gemüte führen sollte. Fortsetzung folgt (vielleicht) …
Luke: Bei Coheed And Cambria treffe ich endlich mal alle Metalinsider – dank Whatsapp-Chat vorne links bei der Bühne. Chef pam ist mir zwar schon ein paar Mal über den Weg gelaufen, Silas und Sandro habe ich bisher aber verpasst. Ebenso wie Coilguns, was ich aufgrund der Schilderungen von Silas und pam nun etwas bereue… (pam: Ui ja, definitiv, da hast du was verpasst …).
Nun aber zur Band, die gerade spielt: musikalisch finde ich das sehr spannend. Hauptsänger Claudio Sanchez hat nicht nur eine beeindruckende Haarpracht, sondern auch eine tolle Stimme. Auch die Songstrukturen und teilweise mehrstimmigen Vocals gefallen mir wirklich. Irgendwie ist das Ganze aber fast ein wenig zu progressiv um es einfach nur so nebenbei zu hören, während man noch am Plaudern ist. Dies gehört an einem Festival aber einfach manchmal auch ein bisschen dazu. So nehme ich mir fest vor, der Band sonst noch einmal eine Chance zu geben und nun lieber noch was zu Essen, bevor mit Mantar mein Highlight folgt.
Mantar
Sandro: Irgendwann erwischt es jeden, zieht man diesen einen ganz besonderen Scheisstag ein. So wie das deutsche Duo Mantar heute. Da spielst du am bedeutendsten Metal-Festival der Eidgenossenschaft, und deine Fluggesellschaft verhühnert das komplette Equipment. Nicht gut. Zum Glück gibt es Musikerkollegen wie die Coilguns, welche dir, also konkret Hanno Klänhardt (Gesang, Gitarre) und Erinç Sakarya (Schlagzeug) instrumententechnisch aushelfen. „Nur blöd, dass sie ihren Scheiss nie wiedersehen“. Hoffen wir im Interesse beider Combos (und um des lieben Friedens willen), dass diese Ansage nicht ganz so bierernst gemeint ist.
Dabei sind Mantar eine sehr, sehr spannende Affiche! Wie erwähnt, stehen gerade mal zwei Mann auf der Bühne – das pure Gegenteil zu einem Musiker-Wimmelbild wie den Ye Banished Privateers. Und doch markieren sie eine unglaubliche Präsenz!
Leider kippt die Witterung während ihres Auftrittes nun vollends (und wird bis zum Ende des Tages auch nicht mehr grossartig besser). Der Wind frischt auf, und was sich zuvor sichtbar zusammengebraut hat, prasselt nun in dicken Tropfen vom Himmel. „Das Wetter ist wie bestellt, fehlt nur noch Hagel und Blitz“. Nun, eigentlich würden orkanartige Böen hervorragend zum fulminanten Sound der beiden Extrem-Metaller passen! Doch leider leert sich in der Folge auch der Vorplatz der Eiger Stage merklich und selbst ich beschliesse (schweren Herzens), einen Abstecher zum Auto zu machen und mich mit regenfester Kleidung einzudecken. Luke, soweit ich weiss, hast du der Nässe getrotzt – deine Einschätzung?
Luke: Natürlich habe ich dem Regen getrotzt, Ehrensache! Aufgrund des Lineups war Mantar zusammen mit Hatebreed die Band, auf die ich mich am meisten gefreut hatte. Umso mehr habe ich mich bei der Bekanntgabe der Spielzeiten geärgert, dass sich genau die beiden Bands überschneiden. Aber aufgrund meiner bisherigen Live-Erlebnisse mit den Norddeutschen war mir trotzdem klar, dass ich ihre Show bis zum Ende schauen werde. Und daran ändern auch die Sturzfluten vom Himmel nichts.
Die beiden Bremer freuen sich scheinbar sogar, so verkündet Hanno: “Endlich ist das Wetter so, wie wir es bestellt haben. Sonne macht nur albern.” Da der Gute unterdessen seine norddeutsche Heimat gegen Florida eingetauscht hat, gehe ich davon aus, dass er das nicht zu 100% Ernst meint… Und auch dem Roadie, der verzweifelt versucht, die Effektgeräte auf der Bühne vor allzu viel Nässe zu schützen, wäre es wohl lieber trocken. Aber wie Sandro schon richtig geschrieben hat, zum Sound passt das Wetter wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge.
Und trotz der widrigen Umstände – schlechtes Wetter, geliehenes Equipment – liefern Mantar wie gewohnt einen Bomben-Auftritt ab! Ich kenne wirklich keine andere Band, die mit nur zwei Personen so eine Sound-Wand auf die Bühne bringt. Und auch musikalisch lassen sich die beiden mit niemandem so richtig vergleichen. Da sind Einflüsse von Sludge, Black, Death und Punk vorhanden, die den ganze eigenen Mantar-Sound ergeben (pam: Und ein AC/DC Tattoo auf dem Bauch von Hanno …).
Auch die Setliste ist sehr gut zusammengestellt, sämtliche Alben sind mit zwei Songs vertreten, ausser das letztes Jahr erschienene “Pain Is Forever And This Is The End”, von welchem sogar drei Lieder gespielt werden. Als Opener gibt es zudem “Pest Crusade” von der “The Spell”-EP zu hören. Ich finde auf Konserve nicht alle Mantar-Songs gleich stark, Live funktionieren die dargebotenen Stücke aber bestens.
Ein wirklich grossartiger Auftritt, bei dem ich eigentlich nur etwas vermisse: meine Regenjacke. Dafür, dass sie im Schliessfach beim Haupteingang und nicht bei mir ist, kann die Band aber definitiv nichts… So, und nun schnell zurück vor die Hauptbühne.
Silas: Es ist Lukes schuld, dass ich mir die Darbietung von Mantar anschaue – und ich bin ihm alles andere als böse deswegen, höchstens ein klein wenig. Denn würde ich mir diesen Auftritt nicht anschauen, würde er mir nicht so gut gefallen, dass ich bis zum (bitteren) Ende vor der Bühne stehen bleibe und nass werde. Das Wetter könnte nicht besser zur Musik passen: Untergangsstimmung zu Untergangsstimmung. Schöner ein Untergang nicht sein könnte.
Setliste Mantar
- Pest Crusade
- Cross The Cross
- Astral Kannibal
- Age Of The Absurd
- Egoisto
- Hang ‘Em Low (So The Rats Can Get ‘Em)
- Spit
- Grim Reaping
- Obey The Obscene
- Era Borealis
Fotos Mantar (pam)
Hatebreed
Sandro: Für einen waschechten Metalhead ist Regen nur eine willkommene Gelegenheit, den auf Hochtouren laufenden Party-Motor um ein paar Grad herunterzukühlen. So zumindest scheinen die üppig vor der Jungfrau Stage versammelten Hatebreed-Fans zu denken, als das aus Bridgeport, Connecticut Quintett die Bühne entert. Ihr Metalcore – präziser: US-Metal-Hardcore – lässt trotz (oder gerade wegen?) widriger Umstände bis weit hinter den Lichtturm Hände in die Höhe schnellen, Moshpits entstehen und Crowdsurfer über die Köpfe der feiernden Menge schweben.
Auch wenn Hatebreed musikalisch nicht unbedingt auf meiner Wellenlänge liegen, so liefern sie doch eine souveräne – und vor allem den Niederschlag vergessen machende – Show ab. Zu guter Letzt wird noch zum grössten Circle Pit des Tages aufgerufen. Das Ergebnis ist durchaus nett anzusehen, dürfte aber nicht so ganz an den gestreiften Wirbelsturm des heutigen Nachmittags heranreichen.
Luke: Da die Show schon angefangen hat, verschiebe ich meinen Kleiderwechsel auf später. So pflotschnass wie ich bereits bin, bringt die Jacke jetzt sowieso auch nichts mehr, auch wenn es weiterhin regnet. Immerhin hat die Intensität im Gegensatz zu Mantar etwas nachgelassen. Was man bandtechnisch nicht behaupten kann, auch Hatebreed bringen jede Menge Energie auf die Bühne. Frontmann Jamey Jasta ist nicht nur eine der sympathischsten Figuren in der Szene, sondern auch eine absolute Rampensau. Er nutzt fast jeden Meter der riesigen Bühne.
Mit der Stilbezeichnung von dir bin ich übrigens nicht einverstanden, Sandro. Ich weiss, sogar bei Wikipedia steht bei Hatebreed Metalcore. Für mich spielen die Amis aber einfach Hardcore mit gewissen Metal-Elementen. Von dem, was sonst so als Metalcore gilt – Bands wie Parkway Drive, As I Lay Dying oder Avenged Sevenfold – sind Hatebreed meilenweit entfernt und viel näher an klassischen Hardcore-Bands wie Madball oder Terror. Dies nur so am Rand… (Sandro: Ich vermute mal, dass ich für solche „Feinheiten“ wohl etwas zu sehr in symphonischen Metal-Gewässern unterwegs bin …)
Der Auftritt weiss wirklich zu gefallen, es hat einiges an Publikum vor der Bühne und auch die Stimmung ist nicht schlecht. Ich bin mir aber sicher, dass es noch viel mehr Leute und bessere Stimmung hätte, wenn das Wetter besser wäre. Im Gegensatz zu Mantar passt der Regen hier nämlich nicht so richtig… Den Umständen entsprechend bleibt aber ein trotzdem sehr geiler Auftritt von Jamey und Co.
So, und ich gehe mich nun mal umziehen. Da ich ausser einer Regenjacke nicht viel mit dabei habe, wird am Merch-Stand ein Hatebreed-Shirt und Greenfield-Socken gekauft – beides Trocken. Selten habe ich Geld so sinnvoll in Merchandise investiert wie hier und heute…
Touché Amoré
Sandro: Touché Amoré aus L.A. geben gleich zu Beginn zu Protokoll, dass es ihnen viel bedeute, trotz des Regens so viele Leute vor der Eiger Stage begrüssen zu dürfen. Tatsächlich ist auch dieser Gig ungeachtet des anhaltenden Niederschlags recht gut besucht, die Stimmung der Witterung geschuldet aber eher verhalten. Ein paar vereinzelt klatschende Hände, zu mehr ist die in Regenpelerinen verhüllte Menge mehrheitlich nicht zu animieren.
Zwar geben sich die im Post-Hardcore verwurzelten Herren alle Mühe, doch perlt ihr Sound den vom Himmel fallenden Tropfen gleich mehr oder weniger an mir ab, weswegen ich hier meine Zelte nach einer knappen Viertelstunde wieder abbreche. Denn schliesslich lockt auf der anderen Seite des Rollfeldes eine stimmliche Urgewalt, erhört zu werden …
Arch Enemy
Sandro: Irgendwie hinterlässt der heutige Auftritt der schwedischen Melodic Death Metaller rund um Guttural-Göttin Alissa White-Gluz bei mir einen etwas zwiespältigen Eindruck. Auf der einen Seite – positive first – geht das Quintett im Anschluss an das episch klingende Intro gleich voll ab wie Popeye nach einer grossen Dose Blattspinat. Das futuristisch anmutende Bühnenbild hat absolutes Headliner-Format und an der technischen Versiertheit der Saitenfraktion gibt es ohnehin nicht das Geringste zu mäkeln (was natürlich auch für die Drums von Daniel Erlandsson gilt). Und wenn man sieht, mit welcher Coolness und Selbstverständlichkeit die eher zierlich wirkende, ganz in Blau gekleidete Shouterin die Bühne allein mit ihrer Präsenz auszufüllen vermag, bleibt einem schlicht die Spucke weg (obschon mir seither seltsamerweise der Song „Blue (Da Ba Dee)“ von Eiffel 65 im Kopf herumspukt…).
Andererseits wirkt die gesamte Performance, wie auch die Kommunikation mit dem Publikum, einstudiert, wenig spontan, fast schon programmiert. Perfekt, ohne wirklich Raum für Ungeplantes zu lassen. Hier, so mein Gefühl, würde etwas mehr Spontaneität nicht schaden.
Aber wir (genauer gesagt ich) jammern auf extrem hohem Niveau! Denn alles in allem liefern Arch Enemy wirklich ab. Und nach dem Ende ihres Auftritts darf man mit Recht gespannt sein, ob und wie die beiden noch ausstehenden Main Acts diese grandiose Show zu toppen gedenken.Zusammen
Luke: Das mit Arch Enemy und mir ist etwas kompliziert. Bandleader Michael Amott hat mit meiner Lieblingsband Carcass zwei absolut wegweisende Alben mit eingespielt, die ich sehr schätze. Und zusammen mit Jeff Loomis bildet er wohl eines der besten Gitarristen-Duos im modernen Death Metal. Und trotzdem packt mich der Sound der Schweden irgendwie so gar nicht.
Das ist zwar alles ganz gut gemacht, hat aber irgendwie einfach keine Ecken und Kanten – und vor allem nichts, das mich wirklich abholt. Die Stimmung vor der Bühne scheint aber ziemlich gut zu sein, besonders wenn man das Wetter bedenkt. Ich selber bin aber in der Sunrise-Lounge mehr am plaudern, als wirklich intensiv das Konzert zu verfolgen…
pam: Genau wegen den fehlenden Ecken und Kanten gefällt mir wohl der Sound von Arch Enemy. Ich bin halt ein Melodien-Junkie und was die – ähnlich wie Amon Amorth – mit Death Metal an Ohrenwürmern freilassen, lässt jeden Fischer und Vogel frohlocken. Aber definitiv ist es ein sehr routinierter Auftritt; zu routiniert, da bin ich mit Sandro einig und dennoch halt wirklich sehr, sehr geil soundtechnisch.
Fotos Arch Enemy (pam)
Lorna Shore
Sandro: Bei den 2010 gegründeten Lorna Shore ist es nun vor der Eiger Stage so voll wie wohl noch nie an diesem Drei-Tage-Festival. Deathcore heisst für die kommende Stunde das Verdikt, und wie soll ich sagen… WTF? Es geht so richtig ab! Vor der Bühne wird gefeiert, als gäbe es kein Morgen, während das Quintett aus New Jersey mit seinem Spiel eine düstere, intensive Stimmung aufbaut. Auch wenn ich offen gesagt mit ihrer Musik nicht so richtig warm werde, muss ich mir doch eingestehen, dass sie ihre Sache ziemlich cool und überzeugend runtermetzeln!
Einzig die Ansagen des growlenden Fronters Will Ramos treiben mir leichte Sorgenfalten auf die Stirn. Wie um Himmels willen kann man Sätze derart übergangslos und ohne Punkt und Komma runterrasseln? Auch beim Sound bin ich mir nicht ganz einig. Mal quillt der Todesmetal klar und gut vernehmbar aus den Boxen, nur um kurz darauf das Dargebotene als dumpf und undifferenziert rauszuschieben.
Ich höre noch eine Weile zu, dann mache ich mich auf den Weg nach Südwesten, um den Anfang von Parkway Drive garantiert nicht zu verpassen.
Luke: Kaum eine (Underground-)Band hat momentan so einen gewaltigen Hype wie Lorna Shore. Ob Extreme Metal- oder Hardcore-Show, irgendwer hat ganz sicher immer ein Shirt der Amis an, egal wer auf der Bühne steht. Aufgrund dem, was ich bisher auf Spotify von der Gruppe gehört habe, kann ich das nicht so richtig nachvollziehen, aber eventuell können mich die Jungs ja Live abholen?
Die Antwort: nicht so richtig, nein. Das Ganze hat zwar Ansätze, die mir gefallen. Aber dass alles so übertrieben mit Backtracks vollgekleistert werden muss, stört mich bei einem Konzert sogar fast noch mehr als ab Konserve. Der Stilmix wäre eigentlich schon noch interessant: die Jungs mischen Deathcore mit Beatdown und ein paar Black Metal Elementen. Dazu kommen aber immer wieder irgendwelche Orchester-Samples, die es für mich nicht brauchen würde, und auch sonst überzeugt mich das Songmaterial irgendwie einfach nicht restlos. Die miserable Abmischung tut ihr Übriges zum bei mir eher negativen Gesamteindruck.
Die riesige Menge vor der Bühne – wie Sandro richtig schreibt, wohl die meisten Leute vor der Eiger Stage am ganzen Wochenende – sieht das aber anders. Die Stimmung ist sehr gut. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir von Lorna Shore noch einiges hören werden. Auch ich werde die Band weiter auf dem Radar behalten, zum Fan wurde ich aber hier und heute definitiv nicht. Da bevorzuge ich jederzeit die stilistisch (ungefähr) ähnlich gelagerten Paleface aus der Schweiz.
Parkway Drive
Sandro: Als die australische Metalcore-Kapelle anno 2009 ihr erstes Gastspiel in Interlaken gab, hätten sich wohl nur die wenigsten träumen lassen, dass diese Herren irgendwann (genauer gesagt: 2019) im legendären Wacken einmal zuletzt auf der grossen Bühne stehen würden. Doch so kam es, und auch heute Abend kann getrost von einer Doppel-Headliner-Show zusammen mit Sabaton gesprochen werden (hat da noch jemand Arch Enemy gerufen?), werden beiden Bands doch satte 90 Minuten Spielzeit zugestanden.
Entsprechend opulent ist denn auch die Bühne ausstaffiert, kommen Pyro (speziell bei „Dedicated“) sowie ein kleines, aber ungemein imposantes Streichorchester zum Einsatz. Selbst die Lichteffekte sind sehr durchdacht inszeniert – Headliner-Modus eben. Dank der eingängigen Mischung aus roher Aggression und melodiösen Elementen haben sie denn von Anfang an das Publikum voll auf ihrer Seite. Parkway Drive bieten am Greenfield 2023 in der Tat eine energiegeladene und mitreissende Show. Lediglich beim Klargesang kann ich bei Sänger Winston McCall einige Holperer ausmachen, bei den balladesken Tönen klingt das Ganze für mich einfach etwas schräg. (Anmerkung Luke: Das ist noch nett ausgedrückt! Zum Teil wirklich furchtbar…) Was der guten Stimmung aber keinen Abbruch tut.
Und wie es sich für einen Main Act eben geziemt, wird zu guter Letzt noch ein Zugaben-Block mit zwei Titeln (darunter natürlich ihr Überhit „Crushed“ sowie „Wild Eyes“). Australien hat klar vorgelegt – schaffen es die Schweden da mitzuhalten?
Luke: Parkway Drive spielen ja eindeutig Metalcore. Ich mag Metal, ich mag Core, aber mit den Australiern kann ich nicht viel anfangen. Bei den Parts ohne Klargesang gibt es ein paar Momente, die nicht so schlecht tönen. Aber im Grossen und Ganzen gibt mir der Sound gar nichts. Und das soll derselbe Musikstil sein wie bei Hatebreed zuvor? Für mich definitiv nicht…
Fotos Parkway Drive (pam)
The Amity Affliction
Sandro: Doch bevor wir uns dem zweiten bzw. nominellen Headliner des Freitags zuwenden, gilt es, den letzten Pendellauf des Tages in Angriff zu nehmen. Als ich bei der Eiger Bühne eintreffe, sind sowohl The Amity Affliction als auch das Publikum bereits tief in krachendem Metalcore versunken. Die abwechslungsreiche Mischung aus Growls und Klargesang hat zwar eine gewisse Würze, der ich auch durchaus etwas abzugewinnen vermag. Jedoch liegt mein Fokus heute klar auf der Performance der schwedischen History-Metaller. Also nichts wie zurück zur Main Stage, um einen guten Platz möglichst weit vorn zu ergattern.
Sabaton
Sandro: Dass Sabaton live eine kaum zu bändigende Urgewalt sind, wurde in unserem Magazin schon ausgiebig beschrieben (z.B. zuletzt im ausführlichen Kaufi-Doppelreview). Und auch heute präsentieren sich die musizierenden Geschichtslehrer aus dem schwedischen Falun erwartungsgemäss in bester Partylaune.
Lustigerweise hatte ich gestern auf dem Weg zum Auftritt von Coheed And Cambria eine spannende Diskussion mit einem Metalhead, der dem munteren Treiben der Mannen um Joakim Brodén eher kritisch gegenübersteht – Stichwort Kriegsverherrlichung. Nichts Neues also. Und der dann doch ziemlich überrascht war, als ich mich über seine Worte in keiner Weise ärgerte. Warum auch? Ist doch seine Meinung! Kann man so sehen, muss man aber nicht 🙂
Dennoch betrachte ich das Geschehen auf der Bühne heute Abend vielleicht etwas kritischer als sonst – unterschwellige Beeinflussung nennt man das wohl. Aber der Reihe nach…
Die Setlist bietet im Vergleich zur alle Touren beendenden Tour wenig Überraschendes. Und doch staune ich noch immer Bauklötze, dass man es tatsächlich wagt, einen Track wie das mit viel Narrativ durchzogene „Sarajevo“ live zu präsentieren. „Into The Fire“ (von „Primo Victoria“) und der auf Schwedisch gesungene Live-Kracher „Carolus Rex“ sind dagegen das Ergebnis einer Fanbefragung, bei der folgende drei Punkte herausgeschält und auch flugs umgesetzt wurden: Mehr älteres Material, mehr Speed, mehr in der Muttersprache des Quintetts (die Zuordnung zu den beiden eben genannten Songs überlasse ich gerne euch).
Wie gewohnt wird viel Wert auf die visuelle Aufbereitung des Gesungenen gelegt. Dies zeigt sich zum einen in eindrucksvollen Videosequenzen und Überblendungen (Live-Bild / History-Teaser), zum anderen aber zunehmend in realen Umsetzungen auf der Bühne. Wobei mit der Inszenierung von „Father“ (über den deutschen Chemiker und Nobelpreisträger Fritz Haber) schon fast ein neues Kapitel in der showtechnischen Geschichte der Band aufgeschlagen wird. Weitere Highlights sind zudem die von Motörhead gecoverte Ballade „1916“, sowie natürlich der weihnachtliche Titel „Christmas Truce“, bei dem tausende Handytaschenlampen die Jungfrau Stage erhellten (Feuerzeuge hätten es im Dauerregen wohl schwer gehabt, also ein Hoch auf den Fortschritt).
Allerdings bin ich mir nach wie vor etwas uneins, ob es gerade an einem Festival dienlich ist, zwei langsamere Songs im hinteren Teil des regulären Sets zu platzieren, was gefühlt doch etwas Tempo rausnimmt. Und obendrein liefert man den Kritikern natürlich auch Zündstoff, wenn man unter anderem gleich zu Beginn („Ghost Division“) den armen Hannes (der wie immer auf einem als Drumriser dienenden Panzer thront) virtuell mit einer Panzerfaust beschiesst. Sicherlich ein spektakuläres Showelement, aber für so manchen wohl auch eine Art Provokation.
Weit weniger kontrovers ist da das gegenseitige sich Plektren auf die Stirn kleben – ein Gag, der sich von einem „lustiger Einfall“ hin zum festen Bestandteil zu mausern scheint.
Genauso wie die (zumindest für mich) unsäglichen „Noch ein Bier“-Rufe, die schon vor dem ersten Ton zu hören sind. Zum Glück haben die Jungs das mittlerweile soweit im Griff, dass es ihre Show nicht andauernd unterbricht (siehe dazu unseren Bericht vom Riverside Festival 2022). Und um das Ganze ein wenig aufzulockern, muss neu Andy, der offizielle Biermann (der ansonsten als Gitarrentechniker fungiert), herbeigerufen werden. Sabaton eben, wie man sie kennt und (vielleicht auch) liebt!
Alles in allem war es aber ein grandioses Fest, das da im mal mehr, mal weniger strömenden Regen über die Bühne ging. Und für einige Zeit auch das letzte, denn schliesslich schreibt sich ein Nachfolger zu „The War To End All Wars“ nicht von selbst. Thematisch tippe ich auf WW2, aber das bleibt vorerst ein streng gehütetes Geheimnis!
Silas: Zwiegespalten – das bin ich sehr wohl nach diesem Auftritt. Musikalisch hat es Sabaton definitiv verdient, als Headliner des Tages auf der Mainstage zu stehen – wenn da doch nur die Thematik ihrer Lieder oder viel mehr, wie damit umgegangen wird, nicht wäre. Da singt dann beispielsweise Joakim Brodén von der Erfindung von chemischen Waffen, deren Einsatz gegen das Kriegsrecht verstossen hatte und somit zu den wohl schrecklichsten Kriegsverbrechen des Ersten Weltkrieges führte und das Publikum tanzt dazu feuchtfröhlich im Moshpit Pogo und ruft: «Noch ein Bier!». Vielleicht gibt es Lieder, die auf Platte funktionieren, deren Live-Performance jedoch nahezu als unangebracht gewertet werden könnten, vielleicht bin ich aber auch einfach zu sensibel.
Luke: Sabaton sind ja unterdessen so pompös und fast schon kitschig unterwegs, dass böse Stimmen nach dem Auftritt von “Erster Weltkrieg – das Musical” sprechen. Ich würde das natürlich nie machen, schon nur weil ich es mir mit Kaufi und Sandro nicht verscherzen will 😉 Und natürlich ist das Show-technisch und vom Bühnenaufbau her ganz grosses Kino, und für das, was es sein will, auch wirklich gut gemacht. Halt einfach so gar nicht mein Ding.
Da meine neu gekauften Socken zudem unterdessen von den nassen Schuhen aufgeweicht wurden, machen wir uns nach ein paar Songs auf den Heimweg. Schliesslich ist morgen ja auch noch ein Tag…
Fotos Sabaton
Das Fanzit – Greenfield Festival Tag 2
Sandro: Der Freitag brachte nebst viel Regen – hier hatten die Wetterfrösche unseres Vertrauens wohl etwas zu optimistisch in die Kristallkugel geschaut – auch einige tolle Auftritte mit sich. Angefangen mit der wirbligen Performance der Zebraheads, die vorübergehend eine bleierne Müdigkeit über das Festivalgelände legte. Auch Mantar waren mit ihrer Zweierkiste eine absolute Bereicherung, leider wurden ihnen die zahlreich erschienenen Zuschauer vom himmlischen Nass etwas weggespült. Arch Enemy, Parkway Drive und Sabaton kämpften zuletzt um die Krone des Tagessiegers, wobei mich vorrangig die mittig Genannten nicht wirklich mitreissen konnten.
Meine drei persönlichen Highlights heissen heute daher Zebrahead (allein schon wegen der totalen Publikums-Eskalation), Arch Enemy und – wie könnte es anders sein – Sabaton. Als Neuentdeckung des Tages, die ich mir unter etwas erquickenderen Umständen gerne noch einmal anschauen möchte, sind Mantar zu nennen. Two down, one to go! Der letzte Greenfield-Tag kann kommen!
Silas: Heute war mein Tag der Live-Premieren, Neuentdeckungen und Erkenntnis, dass man beim Kauf eines Zeltes nicht nur auf den Preiszettel schauen sollte. Nicht ohne Grund wurden alle meine Siebensachen nass (oder «pflatschnass»). Bei Zebrahead hatte ich am meisten Spass, Coilguns beeindruckten mich von allen Bands am meisten mit ihrem Auftritt, Mantar blieb mir als DIE musikalische Neuentdeckung im Gedächtnis und Sabaton warf (wieder mal) die Fragen auf: «Was darf Kunst?» und «Was kann Kunst?».
Luke: Für mich waren Mantar die klaren Tagessieger heute, dicht gefolgt von Hatebreed. Das Wetter hätte jetzt nicht unbedingt so schlecht sein müssen, auch wenn’s zum Mantar-Auftritt gepasst hat. Übrigens hat unser Cheffe pam den Regen 5 Minuten bevor er losging noch angekündigt. Kein Wunder, kommt er doch aus dem Kanton der Wetterschmöcker. Gereicht um bessere Kleidung zu holen hat es mir trotzdem nicht, und so nehme ich mir für den letzten Festivaltag nun etwas vor: egal wie die Prognose ist, die Regenjacke immer dabei haben und nicht nur im Schliessfach …(pam: Oder du verlässt dich mehr auf meinen “Schmöcksinn” bzw. Herkunft ;-)).
pam: Für mich die ganz klare Überraschung und irgendwie auch Tagessieger sind Coilgun. Einfach weil sie es verdienen mit ihrem sagen wir mal leidenschaftlichsten Auftritt kurz vor der Sintflut. Arch Enemy haben wie erwartet geliefert. Nicht mehr und nicht weniger. Und ja, ich war auch verluked worden und hatte mir Mantar ebenso reingezogen. Definitiv war das eine gute Erfahrung und soundmässig ganz, ganz mein Gusto. Ja, das wäre wohl mein Treppchen. Überyou hab ich leider verpasst … sonst wären sie eventuell auch noch in meinen Top 3 bzw. 4.
Fotos Frontrow und Leute – Tag 2 (pam)
Greenfield Festival Tag 3 – Samstag, 10.06.2023
Sandro: Der finale Tag hält für mich mit Halestorm, The Bosshoss, Wolfmother, Amon Amarth sowie den übermächtigen Slipknot einige nicht unbekannte Nummern bereit. Mit Arejay von den Hale-Geschwistern steht zudem unmittelbar nach der auf 12 Uhr einberaumten Pressekonferenz ein Interview an, was den Samstag noch zusätzlich spannend gestaltet. The Bosshoss und Amon Amarth durfte ich beide bereits live erleben (wobei ich mich auf letztgenannte sehr freue, derweilen Erstgenannte mir beim letztjährigen Riverside eher etwas die Zornesröte ins Gesicht trieben. Ob es sich dieses Jahr ähnlich verhält? Ferner gibt es – Spoiler – eine grandiose Neuentdeckung zu feiern. Lest gerne weiter.
Pressekonferenz
Sandro: Mit rund 84’000 verkauften Tickets den Zuschauerrekord des Vorjahres quasi egalisiert, mit 48% Frauenanteil eine erfreulich hohe weibliche Beteiligung auf den Zuschauerrängen, dafür die Frauenquote auf der Bühne verfehlt, was zu einem (aus meiner Sicht unqualifizierten) Rüffel im nationalen Blätterwald führte. Soweit die komprimierten Eckdaten der offiziellen Pressekonferenz am Sonntagvormittag, geleitet von Thomas Dürr, Alexandra Krebs (beide CEO) und Stefan Thanscheidt, verantwortlich für das Konzertbüro und Head of Booking. Leider musste ich die fröhliche Runde etwas früher verlassen. Mit Luke haben wir aber weiterhin einen äusserst kompetenten (Metal-)Insider vor Ort. Gab es sonst noch heisse Neuigkeiten, direkt vom Puls der Macher?
Luke: Interessant fand ich noch, dass der Anteil ausländischer Besucher zwischen 5 und 10% beträgt. Dies ist im internationalen Vergleich sicher sehr wenig, was aber zu einem guten Teil dem starken Schweizer Franken geschuldet ist. Ansonsten wird ungefähr die Hälfte der Tickets im Grossraum Zürich verkauft und ein Drittel im Kanton Bern.
Die besonders am Anfang sehr lange Wartezeit beim Lidl auf dem Campinggelände war der Tatsache geschuldet, dass der bisherige Partner Aldi sehr kurzfristig abgesprungen ist und Lidl deswegen keine lange Planungszeit hatte. Auch die Probleme beim VIP-Camping – bereits am Mittwoch hatte es da zwischenzeitlich schon keinen Platz mehr – sollten nächstes Jahr behoben sein.
Das Gelände verändert sich jedes Jahr ein bisschen, da es Vorgaben des Besitzers gibt, die eingehalten werden müssen. Es wird somit auch nächstes Jahr wieder kleinere Änderungen geben. Was aber definitiv nicht zurückkommt, ist der Luna Park von 2022, da die Nachfrage zu gering war. Zumindest mir fehlt der aber definitiv auch nicht…
Für nächstes Jahr wurde bereits ein sehr starkes Line Up angekündigt, auch wenn natürlich noch keine Namen verraten wurden. Wenigstens das Datum ist bereits bekannt: 13. bis 15. Juni 2024.
Nofnog
Sandro: Die ersten zehn Minuten von Nofnog verpasse ich wegen des kurz zuvor stattfindenden Interviews mit Arejay und Josh von Halestorm. So ist denn der Auftritt von No Fight No Glory (wie die leicht komisch anmutende Abkürzung ausgeschrieben heisst) bereits in vollem Gange. Was mir als Erstes ins Auge sticht: Bei den vorne auf der Bühne postierten Saitenmeistern ist kein Mikrofon zu sehen. Denn: Den Gesangspart übernimmt bei der aus dem Chancental (womit wohl das St. Gallische Rheintal gemeint sein dürfte – pam aus der Zukunft: Diese Analogie musst mir mal erklären … ich steh auf dem Schlauch oder hatte jetzt auf dem Weg zum nächsten Festival – dem Masters of Metal in Tschechien) stammenden Hardcore-Punker nämlich der fellklopfene Jeri. Etwas, das ich mir rein koordinativ als ziemlich anspruchsvoll vorstelle! (pam: Das kann man noch steigern … Bela B. von die Ärzte singt nicht nur, sondern steht beim Schlagzeugspiel …).
Trotz der für Festivalverhältnisse noch frühen Stunde – am letzten Tag beginnt die Beschallung der wunderschönen, von vielen Bands über den Klee gelobten Bergwelt bereits um 13 Uhr – hat sich schon ein recht ansehnliches Grüppchen Lerchen vor der Jungfrau Stage versammelt, um den letzte Greenfield-Tag bestmöglich einzuläuten. Und ja, die harschen Töne von Nofnog scheinen tatsächlich besser zu wirken als jeder noch so dicke Espresso! Frühsport wird hier als Circle Pit zelebriert, was Jeri nicht unkommentiert lassen kann. „Gestern hiess es noch, 16 Uhr sei zu früh für etwas“. Damit spielt er wohl auf die unglücklichen Funeral For A Friend an, die nach dem ausgelassenen Auftritt der Zebraheads kaum mehr Land sahen. Und nochmals Jeri: „Wenn du fällst, steh wieder auf – vor allem, wenn du im Schlamm liegst“. Ja, der gestrige Regen hat das beraste Infield in der Tat etwas aufgeweicht, was so einige zu lustigem Schlammrutschen animiert. Dafür lugt heute, wenn auch noch etwas zögerlich, die Sonne zuweilen zwischen den Wolken hervor. Was für ein Start in den dritten Tag!
Luke: So ganz stimmt das ja nicht, Sandro. Die Saitenfraktion ist durchaus mit Mikrofonen ausgestattet (Sandro: Was ich denn auch auf einem meiner Videoaufzeichnungen so halbwegs erkennen kann. Klein Adlerauge war hier nicht ganz so wachsam …). Sie übernehmen aber tatsächlich nur Backing Vocals und gewisse Ansagen – so wird zum Beispiel das Publikum aufgefordert, einen Song anzuzählen, da Jeri scheinbar noch schläft. Naja, wirkt eigentlich gar nicht so. Ich bin zum wiederholten Mal von seinen Fähigkeiten an Mikro und Drumsticks begeistert.
Die Anzahl der Leute vor der Bühne ist zu Beginn etwa ähnlich wie gestern bei Überyou. Und auch mit Nofnog hatte ich bereits vor dem diesjährigen Greenfield bereits mehrmals das Vergnügen. Als weitere Parallele erweist sich die Tatsache, dass auch die sympathischen St. Galler Live nie enttäuschen. Unterdessen sind die Jungs bei SBÄM Records untergekommen, einem der renommiertesten europäischen Punk-Label. Und dies absolut zu Recht, musikalisch wurde in den letzten Jahren ein grosser Schritt nach vorne gemacht.
Ob es daran liegt, oder bereits an der Sogwirkung der danach auftretenden Anti Flag, dass der Platz vor der Bühne immer besser gefüllt wird? Ich weiss es nicht, jedenfalls ist auch die Stimmung für einen Opener wirklich gut. Trotz durch den Regen leicht aufgeweichten Boden würde ich sogar sagen, ein kleines Stück besser als gestern bei den Zürcher Kollegen. Das ist nun aber wirklich Erbsen zählen, denn wie schon Überyou am Freitag liefern auch Nofnog schlicht und einfach eine gute Show ab und holen das Maximum aus ihrem Opener-Slot heraus. Ich hoffe schwer, hier wurden ein paar neue Fans dazugewonnen. Verdient wäre das allemal…
Anti-Flag
Sandro: In der etwa halbstündigen Pause scheint – wie bereits gestern bei den erwähnten Zebraheads – eine grössere Völkerwanderung von den Zeltplätzen zur Hauptbühne eingesetzt zu haben. Und wie am Vortag steht auch jetzt wieder eine Band bereit, die für eine äusserst lebendige Atmosphäre zu sorgen verspricht. Ich vermute mal, dass diese Running Order nicht von ungefähr kommt, sondern vonseiten des OKs ganz klar darauf abzielt, die noch etwas verschlafenen Eulen aus ihren Schlafsäcken zu locken (pam: Ich find, es gibt keinen besseren Einstieg in einen Festivaltag als mit lüpfigem Punkrock. Von dem her haben die Greenfield-Planer bei der Running Order alles richtig gemacht … da könnte die 70’000 Tons of Metal was abschreiben. Black oder Doom Metal auf den Pool Deck zum z’Mittag unter der karibischen Sonne passt einfach nicht so ganz).
Das gelingt. Und wie! Schon bald bilden sich grössere Laufkreise vor der Bühne – da sage noch einer, Metal-Fans seien unsportlich! Das gut gelaunte Partyvolk feiert die rotzig-zornige Mischung aus Punkrock, Melodic Hardcore und Hardcore Punk ausgiebig ab, wobei sich viele auch als ziemlich textsicher erweisen.
Alles in allem ein souveräner Auftritt, der den Samstag schon mal kräftig anheizt.
Luke: Ich war von der frühen Spielzeit von Anti-Flag im Vorfeld sehr überrascht. Nichts gegen Zebrahead, aber für mich sind die Mannen aus Pittsburgh fast noch der grössere Name in der Punk-Szene. Und das nicht nur, weil sie mich auch mehr ansprechen, dies ist aber ebenfalls so. Geboten wird sehr melodiöser Punkrock, der trotz dem (zumindest in meinen Ohren) teilweise schon fast poppigen Sound sehr viel Punk-Spirit atmet. Nicht nur, aber auch wegen der durchweg sehr politischen Texte und auch Ansagen zwischen den Songs.
So wird gleich zu Beginn festgehalten, dass man zwar Anti aller Kriegstreiber sei, hier und jetzt aber vor allem ein grosser Mittelfinger in Richtung Kreml und V.P. aus M. geht. Und wer dann noch mit einem Song wie “Die For Your Government” in eine Show starten kann und sich diesen Hit nicht für die Zugaben-Sektion aufbehalten muss, hat eigentlich sowieso schon gewonnen. Und witzig zu sehen ist, dass der eine Roadie zusätzliche Backing Vocals übernimmt bei diesem Song, und auch bei späteren Stücken.
Die beiden Aktivposten auf der Bühne sind aber wie gewohnt Sänger und Gitarrist Justin Sane – wie immer in schwarzer Hose und schwarzem Langarm-Hemd – und der Bassist Chris #2. Das # 2 kommt übrigens daher, dass der Rhythmusgitarrist Chris Head denselben Namen trägt. Rein vom Stageacting her ist bei den beiden Chrises aber die Nummer zwei die heimliche Eins. Bereits nach wenige Songs wagt er sich nicht nur vorne ans Gitter, sondern auch via Stagedive ins Publikum.
Die Stimmung vor der Bühne ist sehr gut, obwohl bei Zebrahead gestern noch etwas mehr los war. Vom Turm neben der Bühne sieht es zwar nach mindestens gleich vielen Zuschauern aus, aber der wie schon erwähnt nasse Boden verhindert wohl heute die riesigen Pits. Trotzdem ist im Publikum einiges an Bewegung auszumachen. Dies schon bei den eigenen Songs, als dann auch noch ein Medley mit Punk-Klassikern gespielt wird, gibt es gar kein Halten mehr. Neben erwartbarem wie “Should I Stay Or Should I Go”, “God Save The Queen” oder dem abschliessenden “Blitzkrieg Bop”, werden mit “Nazi Punks Fuck Off” und “If The Kids Are United” auch Lieder gespielt, die wohl hier nicht jeder kennt, aber trotzdem abgefeiert werden.
Anti-Flag liefern einen richtig guten Auftritt ab, der wohl auch die letzten noch schlafenden Festivalbesucher aufgeweckt hat. Nun sind hoffentlich alle endgültig bereits für den letzten Tag, auch diejenigen, welche Nofnog verschlafen haben.
Fotos Anti-Flag (pam)
Moment of Madness
Sandro: Mit den Baselbietern Moment Of Madness stehen nun die Gewinner des Greenfield Band Contest Zürich auf der Eiger Stage. Nicht nur für Fussballfans eine etwas seltsame Konstellation. Nach den Erfahrungen des Vorabends darf man zudem gespannt sein, ob die Menge nach dem Auftritt von Anti-Flag ähnlich abgekocht ist wie gestern nach Zebrahead. Doch glücklicherweise scheinen die physischen und psychischen Abnutzungserscheinungen heute deutlich geringer zu sein als noch am Tag zuvor.
MoM umschreiben ihren Stil als energiegeladenen Sound mit melodischen Gitarrenriffs. Was man getrost so unterschreiben kann. Neben den oft rein gutturalen Gesangspassagen anderer Bands stellt hier vor allem der mit klarer Stimme angereicherte Zwiegesang von Andrea Leandro Perin (Growls) und Ivo Gäumann (Leadgitarre/Clear Vocals) eine willkommene Abwechslung dar. War ich zu Beginn des Auftritts vielleicht noch etwas skeptisch, so gefällt mir die als Metalcore etikettierte Musik von Minute zu Minute besser. Was nicht nur auf mich zutreffen dürfte, wenn ich meinen Blick in die mitfeiernde Runde schweifen lasse.
Ferner hege ich den leisen Verdacht, dass Frontmann Andrea im gut bürgerlichen Leben als eine Art Personal Trainer seine Brötchen verdient. Pausenlos peitscht er das bestgelaunte Publikum mit Gesten und Worten an. Welches den vielen Mitklatsch und -tanz Aufforderungen nur allzu gern nachkommt – und so die drohende Rückkehr in den nicht ganz so bunten Alltag noch ein wenig hinauszögert.
Eine wirklich coole Vorstellung, die Moment Of Madness hier abliefern – und die definitiv Lust auf mehr macht!
Luke: Auch ich schaue kurz auf der Eiger Stage vorbei und bin ebenfalls erstaunt, wie viele Leute hier sind. Die Basler scheinen doch schon einige Fans zu haben und liefern auch einen soweit guten Auftritt ab. Für meinen Geschmack laufen wieder einmal etwas viele Backtracks ab Band mit, und auch die cleanen Vocals gefallen mir persönlich gar nicht. Alles in allem aber definitiv ein guter Auftritt von einer aufstrebenden Metalcore-Band, die man sicher weiter auf dem Schirm haben sollte.
Da Sandro schon mit Fussball angefangen hat: an dieser Stelle von mir noch ein kurzes “Fuck You” an den Typen mit Südkurve-Tattoo, welcher die Show auf der Toitoi-Seite mit dauerhaft erhobenem Mittelfinger und “Scheiss Basel”-Rufen zwischen den Liedern verbringt. Junge, ich mag den FCB auch nicht, aber wir sind hier am Greenfield und nicht im Stadion. Manchmal weiss man echt nicht, ob man den Kopf schütteln oder lachen soll…
Halestorm
Sandro: Kurz bevor Halestorm die Jungfrau-Bühne zu recht früher Stunde betreten, ist die Situation im vorderen Teil des Zuschauerraums noch ziemlich übersichtlich. Zwar drängen sich vielleicht fünfzehn Reihen erwartungsvoller Zuschauer am Gitter, doch dahinter klafft eine überdeutliche Lücke. So wird bei der Ansage des amerikanischen Quartetts nicht nur darauf hingewiesen, dass jetzt gleich der Schlagzeuger mit den „biggest sticks“ zu bewundern sei, sondern auch freundlich gebeten, den Allerwertesten bitte etwas weiter nach vorn zu bewegen.
Doch als Frontfrau Lzzy Hale, ihr Schlagzeug spielender Bruder Arejey, Gitarrist Joe Hottinger sowie Basser Josh Smith auf der Bühne stehen, ist von der leicht abwartenden Haltung der Zaungäste nichts mehr zu spüren. Halestorm präsentieren sich heute optisch als schrille Paradiesvögel, wobei Lzzys Oberteil wie die aufgetragene Schminke im Vergleich zu 2019 eher dem Geschmack von Natalie entsprechen dürften. AreJay sitzt in einem knallpinken Anzug hinter seiner Schiessbude, während Saitenhexer Joe eine Art Bademantel (?) zu tragen scheint. Sehr speziell! Einzig Josh am Tieftöner vermittelt mit schwarzer Lederhose, gleichfarbigem Hemd und passendem Hut das Bild eines „seriösen“ Rockers. Was dann auch perfekt zur Musik passt, denn schliesslich und endlich ist die Combo, die seit fast zwanzig Jahren zusammen musiziert, eine echte Rockband!
Miss Hale beeindruckt mit ihrer kraftvollen Stimme, die von rauer Rockgranate bis hin zu gefühlvollen, melodischen Passagen reicht, wie sie bei der Ballade „Familiar Taste of Poison“ gekonnt unter Beweis stellt. Ihr Bruder glänzt derweil mit einem furiosen Schlagzeugsolo, bei dem wie schon beim letzten Gastspiel in Interlaken gegen Ende hin auch diese Monster-Sticks zum Einsatz kommen. Sieht irre aus und ist ein echter Hingucker! Halestorm liefern eine coole Show ab, die mit dem Song „Steeple“ und den darin enthaltenen Worten „This is my church, you are my people“ einen fulminanten Abschluss findet.
Luke: Halestorm ist irgendwie die perfekte Musik für im Hintergrund bei einem kühlen Bier im Sunrise Zelt. Bis auf ein paar etwas gar gedrückte, schrille Töne von der Frontfrau stört das nicht gross, ist aber jetzt auch nichts, was mich vom Hocker reisst. Solide gemachter Rock mit einem Show-Drummer, welcher vor allem zu Beginn längst nicht alle Sticks, die er in die Luft wirft, wieder auffangen kann. Zum Glück passiert ihm das dann mit den grossen Sticks nicht, das hätte noch zu Verletzungen führen können. Ein solider Auftritt, nicht mehr, aber definitiv auch nicht weniger.
Fotos Halestorm (pam)
Taylor Acorn
Sandro: Eine der grössten Überraschungen des Tages wartet dann hinten auf der Eiger Stage auf mich. Die Dame aus Lynchburg, Virginia (USA) erinnert musikalisch stark an die junge Avril Lavigne und ihr Mix aus Punk, Rock und einer Prise Pop kommt entsprechend gut an. Sie als perfektes After-Halestorm-Programm zu bezeichnen, würde dem zierlichen Kraftpaket sicherlich nicht gerecht werden und doch passen die beiden Acts hintereinander gehört halt doch irgendwie perfekt zusammen.
Ursprünglich aus der Country-Welt herkommend (erste Single „Put It In a Song“, 2017) fand sie während der Pandemie mit einem Cover von „Jamie All Over“ zu ihren Pop-Punk-Wurzeln zurück. Bevor sie dann mit Titeln wie „Do That Again“, „In My Head“ oder dem überragenden „Psycho“ vollends durchstartete.
Stimmlich weiss die gesundheitlich leicht angeschlagene Taylor zu überzeugen (Gitarre spielt sie übrigens auch), und mit ihrer natürlichen, unverbrauchten Art sammelt sie während ihres Auftrittes weiter fleissig Punkte! Gut vorstellbar, dass die vife Punk-Lady, die am Ende ihres Sets völlig ausgepumpt auf der Bühne kniet, bei ihrer ersten Tour durch Europa viele neue Fans hinzugewonnen hat. Ich für meinen Teil zähle mich auf jeden Fall dazu und umkringle den Namen dick und fett auf meiner „Missionsliste“.
Zum Schluss sei noch erwähnt, dass wir während des Auftrittes des amerikanischen Rotschopfes aus der Luft angegriffen wurden. Naja, suggerierte zumindest die Sirene, die urplötzlich hinter mir losgeht! Als ich erschrocken herumfahre, grinsen mich pam und Eva übers ganze Gesicht hinweg an. Krass, welch unglaubliches Stimmorgan unser Beitrags-Girl zum Delain-Artikel hat. Und dabei nicht mal heiser wird. Nach einer viel zu kurzen Plauderrunde machen sich die beiden wieder auf den Weg zur Hauptbühne, derweil ich hier den Ausklang der Show geniesse.
Fotos Taylor Acorn (pam)
The BossHoss
Sandro: Liebe The BossHoss – wir müssen reden! Ja, ihr seid coole Jungs, keine Frage. Eure Musik weiss die Massen zu begeistern, auch wenn ihr stilistisch nicht so ganz ins Set des Greenfield Festivals passen mögt (was kein Problem darstellt, denn das tun andere auch nicht).
Und nochmals ja, auch ich finde eure Mischung aus Rock, Country und Alternative Rock, angereichert mit dem Einsatz von Banjo, Mundharmonika und anderen traditionellen Western-Instrumenten, spannend. Selbst wenn ihr jetzt nicht unbedingt zu meinen Top-10 Künstlern zählt. Aber das alles ist Geschmackssache.
Eher etwas geschmacklos finde ich hingegen gewisse Bemerkungen und Seitenhiebe, welche auf eure Musiker-Kollegen abzielen. Wir hatten das ja bereits am letztjährigen Riverside Open Air, als ihr Beyond The Black die Zuschauer abspenstig machen wolltet (hier nachzulesen). Und nun Sprüche wie „Wer war schon an einer BossHoss Show? [Hände schiessen in die Höhe] Wer bei Slipknot? [Gefühlt wohl mindestens ebenso viele]. Na, dann müsst ihr da nicht mehr hin!“. Oder die 15 jungen Bibis (auf Deutsch: Mädels), die man gerne auf der Bühne hätte…. Naja, besser als irgendwo anders… Klar, das alles ist Bestandteil eurer Show, ein Puzzleteil des Images, das The Bosshoss auch irgendwie definiert. Ich für meinen Teil find’s eher unglücklich, denn schliesslich und endlich hättet ihr so was gar nicht nötig.
Euer Auftritt heute in Interlaken ist gut, ohne Makel – und ja, ohne grosse Überraschungen. Mir fehlt da ein bisschen die Spontanität (was ich tags zuvor bereits bei Arch Enemy bemängelt habe). Oder vielleicht ist es einfach das Bild, das man von sich vermitteln will. Coolness first. Etwas, das andere Combos sicher noch extremer zelebrieren.
Auf jeden Fall habt ihr die grosse Meute vor der Jungfrau-Bühne bestens unterhalten, und dafür gebührt euch der allerhöchste Respekt. Alles andere ist meine persönliche Meinung.
Nachtrag: Hört bitte auf mit dem aufgesetzten Schweizerdeutsch! Ein „Pröstli“ war vielleicht zu den Glanzzeiten des auch im Grossen Kanton bekannten Emil (Steinberger) noch irgendwie witzig, kommt aber heutzutage nicht mehr besonders originell rüber …
Luke: Ist echt lange her, dass ich Boss Hoss gesehen habe. An irgendeinem Wacken vor X Jahren. Nun, geändert hat sich nichts. Die eigenen Songs sind keine Erwähnung wert, die Covers – einfach weil besser geschrieben – etwas weniger schlimm, teilweise aber auch peinlich. Keine Ahnung, was diese Band am Greenfield verloren hat. Ich bin ja stilistisch durchaus offen. Aber so eine Cover-Party-Truppe gehört an irgendein Dorffest oder ans später stattfindende Trucker-Festival an selber Stätte, nicht ans Greenfield…
Fotos The BossHoss (pam)
Destroy Boys
Sandro: Bei den aus dem kalifornischen Sacramento stammenden Destroy Boys schwingt eine Dame namens Alexia Roditis das Zepter (respektive das Mikrofon), derweil das andere Bandmitglied auf den (ebenfalls weiblichen) Namen Violet Mayugba hört. Was den Bandnamen dann doch etwas quer in der Landschaft stehen lässt. Oder eben „genrequeere“, wollen sie eigenen Angaben zufolge nicht nur die Konstrukte des Genres, sondern auch Geschlecht und Sexualität infrage stellen.
Live klingt ihr stilistischer Mix aus Punk, Alternative und Indie zumindest für meine Ohren zuerst mal etwas monoton, so dass ich beschliesse, mich bei einem der vielen Stände zu verpflegen und das wilde Treiben auf der Eiger Stage erst mal rein akustisch weiterzuverfolgen. Und siehe da, mit der Zeit kommt das Ganze schon leicht melodiös daher. Was entweder an den zugeführten Kalorien liegen mag oder einfach nur daran, dass meine Lauscher sich nach den drei doch milderen Beschallungen zuvor eher wieder an eine brachialere Gangart gewöhnt haben. Als Alexia dann noch einen Song von gerade mal einer Minute Länge ankündigt, flitze ich nochmals rüber, um mir das Ende des rhythmischen, energiegeladenen Auftrittes weniger distanziert einzuverleiben.
Auch hier wieder: Nicht unbedingt meins, aber als Horizonterweiterung absolut tauglich – was die recht zahlreich anwesenden Zuschauer ebenfalls zu finden scheinen, ist die Stimmung doch gut, wenn auch nicht gerade überbordend.
Luke: Sandro, ich glaube du hast hier etwas falsch verstanden. Der Name Destroy Boys steht – soweit ich das verstanden habe – nicht für Boys die destroyen, sondern dafür, dass hier Boys destroyt werden (Sandro: Uff, keine Ahnung … Müsste es dann aber nicht „Destroyed Boys“ heissen?). Anyway, ich hatte die Band vor dem Greenfield definitiv nicht auf dem Schirm. Aber irgendwas lockt mich aus meiner Komfort-Zone Namens Sunrise Lounge zurück ins Freie.
Als ich etwas verspätet auf dem Weg zur Eiger-Stage bin, höre ich von weitem “Bulls On Parade”. Was, ein Cover als Opener? Von Rage Against The Machine? Und nicht die ausgelutschten “Killing In The Name” oder “Bombtrack”? Ich glaube, so schnell war ich noch nie bei der kleineren Stage hinten… Alexia gibt den Zak mehr als ordentlich, und auch musikalisch ist das Cover gut umgesetzt. Mein Interesse ist nun definitiv geweckt!
Und auch was danach kommt, ist alles andere als uninteressant. Die Band pendelt irgendwo zwischen melodischem Punkrock und Hardcore, was den ganzen Auftritt ziemlich abwechslungsreich macht. Nicht jeder Song gefällt mir gleich gut, aber irgendwie hat das Ganze extrem Charme. Die unterhaltsamen Ansagen zwischen den Songs tragen ihr Übriges dazu bei. Violet gesteht sogar, dass sie den später auftretenden Corey Taylor mit Maske extrem hot findet – so gar nicht boys destroyend also (ok, ich höre jetzt auf damit, versprochen).
Die Band-Konstellation hat Sandro ja schon gut beschrieben, wobei Alexia zwischendurch ihre Gitarre weglegt, welche dann jeweils von einem Roadie übernommen wird. Also nach dem Backgroundsänger bei Anti-Flag ein weiterer Bühnen-Helfer, der sich auch musikalisch betätigt. Apropos Anti-Flag, Sänger Justin Sane verfolgt die komplette Show von der hinteren Seite der Bühne und nickt immer wieder anerkennend mit.
Unterdessen hat sich der Chef höchstpersönlich – also pam – neben mich gesellt. Er findet die Band auch nicht schlecht, aber der viel zu hoch hängenden Bass beschäftigt ihn scheinbar fast noch mehr. An dieser Stelle sei an den Bela B-Song “Gitarre runter” erinnert. Muss ich mir zuhause wieder einmal anhören… (pam: Ja, bei den Mädels war alles perfekt, aber der Typ am Bass hat natürlich alles optisch versaut ;-)).
Und auch Destroy Boys – um zum Wesentlichen zurückzukehren – landen nun auf meiner Playlist. Wie schon erwähnt, zündet nicht ganz alles bei mir, im Grossen und Ganzen aber eine sehr interessante Gruppe, die einen starken Auftritt abliefert. Bei einem allfälligen Club-Gig in der Nähe wäre ich sicher auch dabei, ich kann mir vorstellen, dass da noch mehr Energie rüberkommt, als auf der doch gar nicht so kleinen zweiten Greenfield-Bühne.
pam: Da schliess ich mich bei dir an Luke. Bin auch dabei.
Setliste Destroy Boys
- Bulls On Parade (Rage Against The Machine Cover)
- Drink
- Vixen
- America River
- Crybaby
- Locker Room Bully
- Te Llevo Conmigo
- Beg For The Torture
- Escape
- Muzzle
- I Threw A Glass At My Friend’s Eyex And Now I’m On Probation
- Fences
Fotos Destroy Boys (pam)
Wolfmother
Sandro: Als Nächstes stehen Wolfmother aus Down Under auf dem musikalischen Menuplan (gewissermassen als Dessert zu Poulet süss-sauer von vorhin). Die schweren Riffs erinnern mich dabei gleich von Beginn weg etwas an Black Sabbath, während gesanglich eine gewisse Ähnlichkeit zu deren ehemaligem Sänger Ozzy nicht von der Hand zu weisen ist. Mittelpunkt und klarer Aktivposten der Truppe ist Wuschelkopf Andrew Stockdale, der mit seiner charismatischen Bühnenpräsenz fast die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Neben dem von den Achtzigern inspirierten und mit einigen modernen Elementen aufgefrischten Stoner Rock kommt auch eine Prise Psychedelic ins Spiel, was beispielsweise bei „Midnight Train“ die beinahe schon hypnotische Note erklären dürfte. Eine spannende Affiche, der ich gerne noch etwas länger gelauscht hätte.
Luke: Leider bekomme ich von Wolfmother nicht allzu viel mit, weil ich noch lange bei der Nebenbühne bin und mich etwas verquatsche. Als ich zurück bin, ist mein Fazit etwas dasselbe wie das von Sandro. Sicher grosse Sabbath-Fans, der Sänger stimmlich bei Ozzy und optisch bei Tingeltangel Bob von den Simpsons. Definitiv nicht so schlecht, für ein richtige qualifiziertes Urteil habe ich aber zu wenig gesehen.
Fotos Wolfmother (pam)
Emil Bulls
Sandro: Meiner einer hat in der Zwischenzeit die australische Wolfsmutter hinter sich gelassen und ist zurück zur kleineren der beiden Bühnen gedackelt, wo bereits das wohlbekannte „The Crown and the Ring“ (Manowar) als Intro aus den Boxen dröhnt. Ein schwarzes Transparent mit der weissen Aufschrift „emilbulls“ verhüllt zudem die Bühne, was einen Blick auf den Spickzettel überflüssig macht.
Die Emil Bulls werden mir als eine der Bands in Erinnerung bleiben, die es wie kaum eine andere an diesen drei Tagen schaffen, Genregrenzen zu sprengen und ihren wilden Mix aus Alternative Rock, Elektro, Nu Metal, Stoner und vielem mehr absolut authentisch rüberzubringen. Und mit dem Song „Euphoria“ (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Titel der zweifachen ESC-Gewinnerin Loreen) offenbart man sogar eine leicht poppige Seite, was das Ganze nur noch abwechslungsreicher macht.
Sänger Christoph „Christ“ von Freydorf flitzt derweil auf der Art Podest, das den vorderen Bühnenrand überspannt, hin und her und weiss zudem mit gewinnenden Ansagen zu punkten.
Ein wirklich sehr gelungener Auftritt, den die Deutschen da hinlegen. Und etwas, das auch die ansehnliche Menge auf der Wiese vor der Eiger Stage zu animieren vermag. Die Emil Bulls werde ich nach diesem Erstkontakt sicher auf dem Radar behalten.
Luke: Auch wenn ich sonst auf Genre-Mixes stehe, die Mischung bei Emil Bulls ist mir doch etwas zu krude. Etwas Metalcore, Alternative, Punk und vor allem viel Pop. Nach ein paar Songs habe ich schon genug…
Fotos Emil Bulls (pam)
In Extremo
Sandro: In Extremo (kurz: InEx) dürften vielen vorrangig durch ihre Schunkelhymne „Sternhagelvoll“ bekannt sein. Doch die Mittelalter-Metal-Combo aus der deutschen Hauptstadt, die im vergangenen Jahr ihr 25-jähriges Bestehen feierte, hat wenig überraschend auch ernstere Themen zu bieten (z.B. „Troja“ oder „Lieb Vaterland“).
Stilistisch bewegen sie sich in etwa auf den gleichen Bahnen wie ihre Landsleute von Saltatio Mortis – oder könnten für mein Empfinden auch als härtere Version von d’Artagnan durchgehen. Neben Sänger „Das letzte Einhorn“ (was mich an den Zeichentrickfilm von 1982 erinnert) fällt vor allem Dr. Pymonte als instrumentales Multitalent auf. Harfe, Schalmei, Dudelsack … und etwas, das aussieht wie ein hochkant gestellter Wäscheständer (ja, ich weiss, fachkundig sieht anders aus, doch für mich ist eine gewisse Ähnlichkeit nicht von der Hand zu weisen). Kann das jemand benennen? Ausserdem gibt es genretypisch jede Menge Dudelsackklänge.
Da ich sie auf dem diesjährigen Greenfield zum ersten Mal live erlebe, hinken Vergleiche mit früheren Konzerten natürlich, aber ich lasse mich – obwohl relativ weit hinten postiert – gerne in den fröhlichen Reigen mit einbeziehen. Wobei es, abgesehen von der freien Sicht auf die Jungfrau-Bühne, ohnehin keine grosse Rolle spielt, wo man steht, denn die Stimmung ist von vorne bis hinten absolut ausgelassen. Sogar ein pinkfarbener aufblasbarer Flamingo samt menschlichem Reiter dreht auf den Händen der Menge im Infield fröhlich seine Runden.
Warum dann aber ein paar Typen, die man schon als etwas über sternenhagelvoll bezeichnen kann, auf einer Sitzbank herumspringen und sie kaputttreten müssen, entzieht sich meinem Verständnis. Tja, Idioten gibt es leider immer und überall, wie die Schäden an Scheibenwischern und Spiegeln an über 20 Autos in der Nacht auf den Samstag zeigen.
Luke: Grossen Respekt an den Typen auf dem riesigen, aufblasbaren Flamingo! Obwohl er zwischenzeitlich abgeworfen wird, schafft er es immer wieder aufzusteigen und dreht minutenlang seine Runden über der Crowd. Diese gibt auch sonst alles, die Meute haben In Extremo definitiv im Griff. Hätten sie aber wohl auch an einem Schlager-Festival, selten wurde so viel geschunkelt am Greenfield… Meins ist das definitiv nicht, aber gut gemacht ist der Auftritt allemal.
Fotos In Extremo (pam)
Lionheart
Sandro: Als ich den Namen dieser Formation aus dem kalifornischen Oakland zum ersten Mal las, dachte ich spontan an Hard Rock – aber weit gefehlt. Die Löwenherzen spielen eine Mischung aus Metalcore und Hardcore Punk, und zwar der härteren Sorte. Und sie scheinen hier vor der Eiger Stage eine ziemlich grosse Fangemeinde zu haben, denn es geht ordentlich ab.
Für mich klingt das Ganze nach einem derben Potpourri aus brachialen Gitarren, donnernden, präzisen Drumbeats und wütenden, aggressiven Vocals, was alles sehr intensiv rüberkommt und vor roher Energie nur so sprüht. Mein persönliches Fazit zu Lionheart lautet daher: Sicherlich nichts, was in absehbarer Zeit auf dem heimischen Plattenspieler seine Runden drehen wird, aber hier und jetzt irgendwie geil anzusehen bzw. zu hören.
Luke: Für mich folgt nun das Highlight des Tages! Lionheart gehören meiner Meinung nach zusammen mit Terror und First Blood zu den “Big 3” des (modernen) Westcoast Hardcore. Und die Ortsangabe ist hier definitiv nicht nur geografisch zu verstehen, auch musikalisch hat Kalifornien einen, wie ich finde, ziemlich eigenen Stil. Klar inspiriert von den Pionieren aus New York, aber einerseits sehr metallisch geprägt – erneut ohne in seichte Metalcore-Gefilde abzudriften – und andererseits mit einer grossen Portion Gangster-Attitüde.
Der Platz vor der Bühne ist ordentlich gefüllt, und die Stimmung ab Beginn sehr gut. Der Moshpit ist gross und vor allem wild, Hardcore Style. Die Band selbst ist eher statisch auf der Bühne, nur Sänger Rob Watson bewegt sich etwas mehr als seine Mitmusiker. Neben den harten Tönen wird er aber in den Ansagen zwischen zwei Songs auch kurz emotional. Er widmet ein Lied allen mit Depression oder Bi-Polarer Störung und erzählt eindringlich, wie die Musik sein Leben gerettet hat. Auch ganz harte Jungs können einmal ruhigere Töne anschlagen.
Dies beweist Rob ebenso, als er in einer weiteren kurzen Pause den Macher der Sunset Bar in Martigny auf die Bühne holt. Er bedankt sich dafür, dass dieser immer an sie geglaubt hat und ihnen auch Auftrittsmöglichkeiten gegeben hat, als sie sonst niemand buchen wollte. Eine beeindruckende Geste, und für mich ein weiterer Grund, nun endlich einmal die legendäre Bar im Wallis zu besuchen.
Die Setliste bietet alles, was das Fan-Herz begehrt. Keiner der grossen Klassiker wird vergessen, aber auch vom aktuellen Album sind einige Songs zu hören. “Live By The Gun” zwar (erwartungsgemäss) ohne Ice-T-Feature, aber der Track überzeugt auch so. Nach einem Beastie Boys Cover und der Bandhymne “LHHC” zum Abschluss ist der ganze Spass schon vorbei – viel zu schnell für meinen Geschmack… Ich hätte den Jungs aus Oakland gerne noch länger zugehört. Sackstarke Show!
Setliste Lionheart
- Cali Stomp
- Death Comes In 3’s
- Trial By Fire
- Hail Mary
- Vultures
- Keep Talkin
- Burn
- Hell On Earth
- When I Get Out
- Love Don’t Live Here
- Born Feet First
- Live By The Gun
- (You Gotta) Fight For Your Right (To Party)
- LHHC
Amon Amarth
Sandro: Die schwedischen Melodic-Death-Metaller Amon Amarth zählen für mich zu jenen Gruppen, deren Live-Sound ich den in Vinyl gepresster Noten klar vorziehe. Was natürlich auch stark mit ihrer energiegeladenen Performance sowie der beeindruckenden Bühnenpräsenz, die sich an nordischer Mythologie und Wikingerthemen orientiert, zu tun hat. Überhaupt: Was wir hier sehen, ist absolutes Headliner-Format.
Wechselnde Bühnenbilder, die einen in die Welt der Nordmänner entführen, jede Menge Bombast und Pyro-Effekte auf Sabaton-Level, sowie eine generell mitreissende Atmosphäre – was, Metalherz, begehrst du mehr? Apropos Sabaton: Was den Panzermetallern ein Kettenfahrzeug, das ist den Wikingern ihr Helm – denn genau auf einem solchen thront heute Drumstick-Schwinger Jocke Wallgren – sehr cool! Auch theatralisch schenken sich die beiden Bands aus dem hohen Norder nichts: Hier Fritz Haber an der Wandtafel („Father“), dort zwei sich auf der Bühne duellierende Schwertkämpfer – beidseits Entertainment auf wirklich hohem Niveau.
Zudem: Wo bei Joakim & Co. noch ein ominöser Andy herhalten muss, um die Musiker mit edlem Gerstensaft zu versorgen, geschieht dies bei Amon Amarth quasi automatisch – selbst ist eben der Wikinger („Raise Your Horns“ – Skål)! Und bei „Jarl“ Johan Hegg denke wahrscheinlich nicht nur ich, dass wenn Heidis Alpöhi im hohen Norden zur Welt gekommen wäre, er wohl genauso ausgesehen hätte wie der bärtige Hühne! Einfach total sympathisch, genau wie seine Ansagen (die erste sogar in astreinem Deutsch).
Musikalisch setzen Amon Amarth von Beginn weg alle Segel! Diese Band ist live einfach eine Macht! Und die Massen sind wahrlich in Bewegung! Gefühlt wird das halbe Publikum beim Crowdsurfen nach vorne durchgereicht. Und ja, gerudert wird im Publikum auch – und bei der hier freigesetzten Energie hätte man wohl selbst die Bismark auf Angriffsgeschwindigkeit beschleunigen können.
Lange Rede, kurzer Sinn: Definitiv ein Highlight meines diesjährigen Greenfield-Besuchs!
Silas: Auch Amon Amarth erlebe ich am diesjährigen Greenfield das erste Mal überhaupt live und bin begeistert, wie die Band nicht nur in Bezug auf ihr musikalisch-technisches Können überzeugt, auch interagiert sie scheinbar völlig unangestrengt und spontan mit dem Publikum und fährt dabei trotzdem eine bemerkenswerte Bühnenshow mit einstudierten Showelementen, wie den bereits erwähnten, sich duellierenden Wikingern, auf. Ganz grosses Kino! Trotzdem in den Liedern immer mal wieder von grossen mystischen Schlachten und Kämpfen die Rede ist, wirken die Zuschauer nicht übermässig, auf ungesunde Weise, davon inspiriert, so erlebe ich an diesem Konzert die rücksichtsvollsten Cyrcle- und Moshpits des ganzen Festivals: fällt einer hin, wird der Pit an dieser Stelle sofort unterbrochen und es erkundigen sich diverse grosse böse Metalheads mit Wikinger-Statur nach dem Wohlergehen des Gefallenen. Nicht dass das bei Auftritten von anderen Acts nicht so gewesen wäre, doch bei Amon Amarth ist dies besonders auffällig.
pam: Word!
Fotos Amon Amarth (pam)
Avatar
Sandro: Mit einem breiten Grinsen im Gesicht geht es ein allerletztes Mal rüber zur Eiger Stage. Die Combo, die nun dort auftritt, wird als „die düsteren Visionäre des Heavy Metal n’ Roll“ beschrieben. Klingt durchaus spannend! Also noch kurz einen Abstecher ins Toi-Toi, um den Rest des Abends in einem Rutsch mitnehmen zu können. Schon vor dem Beginn der Show sind laute „Avatar“-Rufe zu hören. Kurz darauf betritt der als – ja was ist er nun? Clown? Vogelscheuche? Nennen wir es so: – Fantasiegestalt verkleidete Sänger und Aushängeschild der Truppe, Johannes Eckerström, ganz in rot und schwarz gekleidet die Bühne. Einen Ballon in Händen haltend, den er jedoch nach kurzer Zeit zum Platzen bringt. Die Inszenierung verspricht in der Tat spannend zu werden.
Irgendwie erinnert die Show, bei der auch mal riesige Vulkane (so à la 1. August) abgefackelt oder ein Teil des Drumkits nach vorne an den Bühnenrand gekarrt werden, an eine irre Halloween-Party (mit „a“), bei welcher die Grenzen zwischen Konzert und Theater zu verfliessen scheinen. Man kann es aber auch getrost als komplett durchgeknallte, faszinierende Darbietung umschreiben.
Musikalisch bewegen wir uns klar im Bereich des Melodic Death Metal, wobei es nicht nur einmal zu krassen Wechseln zwischen popartigen Strophen und knüppelharten Nackenbrechern kommt. Das Ganze klingt in der Tat sehr abwechslungsreich und macht gehörig Spass. Und auch der Gesang ist wahrlich nicht von schlechten Eltern! (pam: Ui, ich wollte grad intervenieren … weil so klar find ich das Genre bei Avatar nicht … denn sie sind grad Meister darin, alles irgendwie durch den Fleischwolf zu drehen).
Im Geiste setze ich die Schweden auf die Liste der Kapellen, welche es zu Hause dann noch genauer unter die Lupe zu nehmen gilt. Leider vergeht die Zeit viel zu schnell, und so heisst es denn schon bald, ein letztes Mal die nun doch arg schmerzenden Füsse in Richtung Hauptbühne zu lenken… Auf zum grossen Finale.
Luke: Bevor ich mich ein bisschen aufs Greenfield vorbereitet habe, kannte ich Avatar nicht. Und beim Reinhören fand ich es extrem komisch, wie gut ich die einen Tracks und wie schlecht wiederum die andern fand. Also wollen wir doch mal schauen, was das ganze Live so hergibt. Und ich kann jetzt schon verraten: jede Menge!
Musikalisch wird ein wirklich wilder Mix geboten. Den von Sandro gehörten Death Metal kann ich zwar praktisch nicht entdecken, auch mit einem Melodic vornedran nicht. Mich erinnert das Ganze eher an eine sehr moderne Version der ersten Marilyn Manson Alben, mit etwas weniger Industrial, dafür etwas mehr Eingängigkeit und auch Groove. Definitiv nicht einfach, die Band musikalisch in eine Schublade zu stecken. Das macht es aber genau interessant – und zwiespältig. Auch Live gefällt mir nicht alles gleich gut.
Showtechnisch sind die Schweden – und allen voran Fronter Johannes Eckerström – zweifellos mit allen Wassern gewaschen. Pyros auf der Nebenbühne, grosse Reden zwischen den Liedern und auch sonst allerlei Showeinlagen sorgen beim sehr zahlreich Anwesenden Publikum für beste Stimmung. Als für den gemeinsamen Song “Violence No Matter What” auch nach Lzzy Hale von Halestorm auf die Bühne geholt wird, gibt es definitiv kein Halten mehr.
Auch wenn das Ganze teilweise für meinen Geschmack fast etwas übertrieben und auch nie allzu weit weg von Kitsch ist, kippt es nie ganz. Ich weiss nicht, ob ich künftig die Releases der Band rauf und runter hören werde. Live sind die Göteborger aber ein Erlebnis, das ich definitiv weiterempfehlen kann. Die Anwesenden sehen das genauso und verlangen noch Minuten nach dem letzten Song nach einer Zugabe….
pam: Avatar hatten mich bereits schon am Hellfest letzten Jahres in ihren Bann gezogen und heute auf der kleineren Bühne noch mehr. Ähnlich wie Coilguns kann man sich deren Live-Performance einfach nicht entziehen. Ich find das was vom Geilsten, was man live erleben kann. Joker goes Metal!
Für mich der perfekte Abschluss vom Greenfield Festival 2023 – ähnlich wie letztes Jahr mit Agnostic Front. Den vermeintlichen Headliner tue ich mir nicht mehr an bzw. kann mich gerne im Hintergrund berieseln, während ich mich dem gemütlichen Abschluss mit Freunden widme.
Fotos Avatar (pam)
Slipknot
Sandro: Den fulminanten Abschluss des Abends – sowie des gesamten Festivals – bilden Slipknot. Die maskierten Nu- / Alternative-Metaller zählen nicht von ungefähr zu den wahrscheinlich erfolgreichsten Acts der Szene. Dabei meinten es die letzten paar Tage nicht unbedingt allzu gut mit den Jungs rund um Corey Taylor. Erst die Trennung von Sampler Craig Jones, dann die Nachricht, dass der „Clown“ Shawn Crahan nicht dabei sein könne, da er sich zu Hause um seine Familie kümmern müsse (Ansage während des Konzertes). Zu allem Überfluss vermeldet der maskierte Fronter dann auch noch, dass es um seine Stimme nicht zum Besten bestellt sei und er die Unterstützung des Publikums benötige. Wie schlimm es wirklich ist, werden wir wohl nie erfahren, jedenfalls ist von anstehenden Wartungsarbeiten am Stimmorgan während des Auftritts wenig zu spüren.
Vor ihrem Auftritt dröhnt übrigens 80er-Jahre-Pop aus den Lautsprechern („Rio“ von Duran Duran oder „Don’t You (Forget About Me)“ von den Simple Minds). Maximaler Kontrast zu „The Blister Exists“, mit dem die vermummten Herren den letzten wilden Ritt des Tages eröffnen. Die Stimmung ist wie bei den vorangegangenen Auftritten prächtig. Man spürt förmlich, dass man sich vor dem nun absehbaren Ende von Greenfield 2023 und dem damit verbundenen Rückfall in die Normalität noch einmal so richtig auspowern will. Und Slipknot tun natürlich ihr Bestes, um der feiernden Menge diesen Wunsch zu erfüllen!
Allerdings muss ich gestehen, dass die US-Amerikaner irgendwie „not my kind“ sind, sprich ich ihre künstlerische Arbeit zwar zu würdigen weiss, mich jedoch nicht wirklich zu ihrer Fanschar zähle. Sie mögen durchaus eine geniale Truppe sein, aber einfach nicht so meins. Zudem empfinde ich die doch recht häufig eingestreuten Intermezzi mit abgedunkelter Bühne zwischen den Songs eher als störend denn als dramaturgisch relevant. So beschliesse ich, kurz nach Mitternacht die Segel zu streichen und die Mission „40 Bands in drei Tagen“ offiziell für beendet zu erklären. Mission completed 🙂 (pam: Mein grosser Respekt Sandro, dass du das durchgezogen hast).
Silas: Slipknot’s Performance ist einwandfrei, gut wie immer, aber auch nicht herausragend. Slipknot klingt wie immer. Selbst Corey Taylors Ansagen sind dieselben – wie immer. Ich denke, es gibt nicht DEN Slipknot Auftritt, der in die Geschichte der Band eingeht, wie das Wembley Stadion Konzert in die Historie von Queen – zu sehr ähneln sich die Auftritte der Maskenmänner der letzten Jahre einander. Zuletzt sah ich Slipknot 2019 bei Rock im Park in Nürnberg, der Auftritt heute fühlt sich an wie ein Déjà-vu, so als hätte ich ihn schon mal gesehen, nämlich 2019, und das, obwohl heute eine andere, neue Setlist gespielt wird, der Bühnenbau nicht komplett identisch ist und das Line-up teils Lücken, teils Änderungen aufweist. Gut ist der Auftritt aber, wie erwähnt, trotzdem, es scheint auch nichts dem Zufall überlassen worden zu sein. Improvisiert ist hier definitiv nichts.
So weiss auch jeder, der die Band kennt, an welcher Stelle der Zuschauer mit «Get the fuck down» zum Hinkauern respektive mit «Jump the fuck up» zum Aufspringen animiert wird und an welcher Stelle Clown mit einem Baseballschläger auf ein Bierfass einschlagen würde, stände er an seinen Trommeln. Eine Überraschung bleibt einzig, an welchen Stellen Corey Taylor seinen Ansagen ein kontextloses «Fuck» beisteuert. Ich rate dringlichst davon ab, aus diesen Ansagen ein Trinkspiel zu kreieren, bei dem man bei jedem «Fuck» einen Kurzen trinken muss – dies würde ziemlich sicher in einer Alkoholvergiftung enden. Würde in den Lücken zwischen den Songs, mehr passieren, als dass der Sänger einstudierte Ansagen herunterrattert, könnte das hier beinahe als Musical gelten. Als sich Slipknot mit ihrem Hit «Spit It Out» von der Bühne verabschieden, bin ich ganz froh den Auftritt gesehen zu haben, weiss aber auch nicht, ob ich ihn vermissen würde, wenn er nicht stattgefunden hätte – schliesslich habe ich ihn ja bereits vor vier Jahren miterlebt.
Luke: Aufgrund meines länger als geplanten Aufenthalts bei Avatar habe ich nicht die ganze Show von Slipknot gesehen. Aber meine Vorredner haben eigentlich sowieso schon alles gesagt. Für mich ein solider Auftritt, der zwar für mächtig viel Stimmung im Publikum sorgt, gleichzeitig aber nicht gross überrascht. Positiv aus meiner Sicht, dass gegen den Schluss auf einmal extrem viel vom bis heute alles überragenden Debüt gespielt wird. Negativ, das die Spielzeit nicht ansatzweise ausgenutzt wird und sich Corey und Co. doch einiges zu früh verabschieden.
Das ist jedoch nichts dagegen, was sich nach dem Ende der Show im VIP/Sunrise Tower abspielt! Kaum sind die letzten Klänge von Slipknot vorbei, wird hier lautstark Techno gespielt. Auch wütende Proteste von Chef pam, Frau Yvonne und Kollege Bömmel bringen den DJ nicht zur Einsicht. Bei aller Liebe, aber das müsste echt nicht sein. Falls man die Leute möglichst schnell loswerden will, ist der Plan allerdings aufgegangen, dies ist gelungen. Falls man die restlichen Tage sowieso schon viel zu viel Bar-Umsatz gemacht hat also die richtige Taktik. Sonst eher doof.
pam: Danke Luke, dass du das erwähnst … wobei eigentlich hatte ich das völlig verdrängt. Ich bin ja schon eher eine tolerante Person, solange alle machen was ich will, aber wenn es um Techno geht, da kann ich auch mal richtig sauer werden. Wenn dieser dann noch an einem Metalfestival gespielt wird, dann definitiv. Es hat da einfach nichts zu suchen. Ich höre an der Streetparade auch keinen Metalsong. Es ist weder lustig noch originell. Der DJ wollte wohl beides sein und erreichen. Hat er aber nicht. Ja, so sind wir halt dann einfach alle schneller raus als geplant. DJ, du warst der beste Rausschmeisser und sorry, einfach ein Arsch, dass du nicht mal auf uns eingegangen bist. So, das musst nochmals raus. Ansonsten alles gut :-).
Das Fanzit – Greenfield Festival Tag 3
Sandro: Auch der Abschlusstag war nochmals reich an spannenden Entdeckungen. Halestorm konnten meine hohen Erwartungen erfreulicherweise erfüllen. Beim Geschwisterpaar rund um die Hale-Family schwingt nach dem coolen Interview natürlich jede Menge Fanboy-Attitude mit. Es sei mir verziehen. Mit Wolfmother, In Extremo und den alles überragenden Amon Amarth standen zudem drei Hochkaräter in den Startlöchern, die alleine schon das Eintrittsgeld wert waren.
Und es war wohl auch das erste Mal, dass an einem Schweizer Festival eine offizielle kirchliche Trauung stattfand! Metal-Pfarrer Samuel Hug vermählte die beiden Glücklichen am Abend in der Kapelle auf dem Campinggelände. Auch wir von Metalinside wünschen dem Brautpaar von Herzen alles Gute für den weiteren gemeinsamen Lebensweg!
Meine drei Favoriten des Tages hören aber letztlich (und bis auf einen sicherlich nicht unerwartet) auf die Namen Halestorm, Amon Amarth und – Taylor Acorn. Gerade letztere hat sich mit ihrer natürlichen und absolut authentischen Performance wohl in die Herzen so mancher Anwesenden gespielt. Und erhält somit folgerichtig auch den Preis für die Entdeckung des Tages (der sonst an Avatar gegangen wäre)!!!
Silas: Der dritte Greenfield Tag, hielt für mich leider keine Neuentdeckungen bereit, die Auftritte, denen ich beiwohnte, gefielen mir, rissen mir aber nicht den Boden unter den Füssen weg. Einzig Amon Amarth, denen ich, bisher, abgesehen von ihrem Album «Twilight Of The Thunder God» keine allzu grosse Beachtung schenkte, liessen mich mit dem Gefühl zurück, dass ich mich zukünftig vertiefter mit dieser Band befassen sollte.
Luke: Bei mir geht der Tagessieg erwartungsgemäss an Lionheart. Auf den weiteren Plätzen folgen die beiden Überraschungen Destroy Boys und Avatar. Und etwas gelernt habe ich auch noch: wenn man die Regenjacke den ganzen Tag um die Hüfte gebunden hat, fällt kein Tropfen…
pam: Ui, heute ist das Treppchen zu bestimmen nicht so leicht. Avatar war sehr geil, Halestorm gut geliefert, aber reicht nicht ganz fürs Podest, Destroy Boys sind da schon näher dran, dito Taylor Acorn und an Amon Amarth kommt sowieso niemand vorbei. Sie haben die wie immer hohen Erwartungen absolut erfüllt. Also bei mir sind es schlussendlich Amon Amarth, Destroy Boys zusammen mit Taylor Acorn und schliesslich hab ich ja noch den Joker mit Avatar.
Das Fanzit zum Greenfield Festival 2023
Sandro: Schön war’s! Laut war’s! Und wie erwartet gab es neben Altbekanntem viel Neues zu entdecken. Die drei nominellen Headliner – quasi ein Aufguss von 2019, nur dass dieses Jahr die Ärzte aus Berlin die Toten Hosen ersetzten – lieferten wie gewohnt ab, auch wenn nur zwei so richtig meinen Geschmack trafen.
Ebenso nehme ich ein paar Namen mit, mit denen ich mich in ruhigen Momenten noch etwas intensiver beschäftigen möchte. Avatar, The Hu, Halestorm… alles Combos, die mich wirklich positiv überrascht haben! Amon Amarth, Sabaton, die Donots und die Ärzte hatten mein Herz sowieso schon längst erobert. Die Medaille für die grösste Neuentdeckung des gesamten Festivals gebührt jedoch Taylor Acorn.
Und sonst? Nun, das Greenfield in Interlaken ist nach wie vor DAS international renommierte Festival auf Schweizer Boden. Perfekt organisiert (ja, Verbesserungen sind immer und überall möglich – also schreibt den stets um Optimierung bemühten Veranstaltern eure Ideen und Wünsche!), in einer einmalig schönen Landschaft gelegen und mit viel Herzblut und Engagement geführt. Daher von meiner Seite ein riesengrosses Dankeschön an die Macher dieses unvergleichlichen Events – auch wenn die Musikrichtungen etwas abwechslungsreicher sein könnten 😉
Silas: Das Greenfield ist der perfekte Ort, um vieles, «das man endlich mal live sehen will,» endlich mal live zu sehen, Bands, von denen man wusste, dass sie einem live gefallen würden, live zu sehen und neue Musik zu entdecken. Ein Besuch allein wären die liebenswerten Menschen wert gewesen, die man unvermeidlich überall auf dem Gelände antraf. Nur mit und dank solchen Leuten ist es möglich, dass etwas wie eine «Wall of Death» funktioniert, ohne dass es zu, (gröberen) Verletzungen kommt.
Die Verpflegung auf dem Gelände war nennenswert fein Viele Foodtrucks und Stände bildeten so etwas wie ein Food-Festival, dadurch war über die ganzen drei Tage eine breite Vielfalt an Verpflegung geboten und die Auswahl beschränkte sich nicht nur auf die üblichen Hamburger mit Pommes Frites. Alles andere als nennenswert, im positiven Sinne, war der Festival-Shop von Lidl. Dieser war so organisiert, dass man erst einen Bestellzettel ausfüllen musste, den man dann an einer Theke abgeben musste, um anschliessend zu warten, bis die Bestellung gebracht wurde. Dies resultierte in endlos langen Menschenschlangen. Dasselbe trifft auf die Toiletten zu, auf die man nur in humaner Zeit kam, wenn man sich einen «Toi Toi Island-Pass» kaufte oder für dieses «Toi Toi Island» bei jeder Benutzung bezahlte. Doch selbst dann kam es zu nicht zu kurzen Wartezeiten. Anders war dies bei den Duschen, von denen hatte es reichlich, so musste man für die Benutzung dieser nie lange anstehen. Ausserdem war überraschenderweise über die ganze Dauer des Festivals warmes Wasser verfügbar.
Alles in allem: Jammern auf hohem Niveau!
Luke: Auch 2023 hat mir das Greenfield unter dem Strich wieder gut gefallen. Dies liegt vor allem auch an der guten Stimmung und daran, dass man viele bekannte Gesichter sieht. Vom Line-Up her hat es gefühlt jedes Jahr etwas weniger Bands, die mich wirklich interessieren. Wenn man sich schon Richtung anderen Stilrichtungen öffnet, fände ich zum Beispiel eine richtige Thrash Band einmal geil. Oder auch mal Death Metal, der ohne das Melodic vorne angehängt auskommt. Aber klar, das Greenfield steht in erster Linie auch für Punk und Hard- bzw. Metalcore, davon bekommt man schon jede Menge geboten. Nur könnte man Dorffest-Geschichten wie The BossHoss definitiv weglassen…
Organisiert wird das Ganze in der Tat gut, auch wenn natürlich nicht alles perfekt ist. Vor allem grössere Bierbecher wären schon sehr schick. Aber viele Sachen, wie beispielsweise die Schliessfächer vor dem Haupteingang, sind wirklich super und leider an anderen Festivals gar nicht alltäglich. Und die ganze Kulisse mit der beeindruckenden Bergwelt ist sowieso extraklasse. Also heisst es ziemlich sicher auch nächstes Jahr: ab ins Berner Oberland! Das Hotel ist jedenfalls vor-reserviert…
pam: Da eigentlich schon alles gesagt ist, schliesse ich mit den Worten an meine Kollegen: Danke Jungs, wie immer Hammerbericht von euch allen. Und so kurz vor Sonntagmittag hab ich dann meinen Heimritt durchs Entlebuch mit Geronimo in Angriff genommen. Nicht ganz kitschig in den Sonnenuntergang, aber tun wir so jetzt mal als wärs so gewesen.