Jazz-Xtreme Bella Italia
Einige sprechen es offen aus: «Heute ist alles nur kopiert!» oder «Es gibt nichts mehr zu entdecken!». Das ist Ansichtssache (oder vielleicht Generationssache?). Es stimmt aber, dass es heute, wie früher schon, mehr Bands von der Stange gibt als Innovatoren. Italien leuchtet seit Jahrzehnten (oder Jahrhunderten?) auf der Landkarte der gewagten Experimenten und avantgardistischen Tönen. Der Multi-Instrumentalist Vittorio Sabelli ist in unterschiedlichen Projekten involviert, mit denen er sich einen Namen als Enfant Terrible des lokalen Undergrounds macht. Mit «The Book Of Lies – Liber I» unter A.M.E.N. vertont er Texte aus dem gleichnamigen Buch von Aleister Crowley.
Dabei spielt Vittorio alle Instrumente, von denen er am liebsten die Klarinette malträtiert. Begleitet wird er von Matteo Vitellis Stimme und der der Gastsängerin Erba del Diavolo, die punktuell Akzente und Kontraste setzt.
Ich musste feststellen, dass ich dieses Opus erst einige Wochen nach den ersten Durchläufen wirklich erfassen und geniessen konnte. Die Gehörgänge werden nämlich von der Ambient-Ecke aus an die Bande des Extrem-Metal geschleudert, und zwar nach zahlreichen Cross-Checks. «The Book Of Lies – Liber I» ist komplex, oft fies, eklektisch und vollgestopft mit spannenden Nuancen, die ich vermutlich zuerst verdauen und einordnen musste.
Die Bausteine der Songs sind genauso farbig, wie die obere Beschreibung es suggeriert. Das geneigte Publikum wird über visionäre Elemente des Jazz staunen, solche des italienischen Progressive-Rock oder etwas Zeuhl erkennen und bei einigen Gitarrenriffs, die manchmal mit Italo-Punk getränkt sind, mit dem Bein wippen. Im scheinbaren Chaos erheben sich rhythmische, schwere Gitarrenparts und leichteren, melodischen Linien, die wie Wellenbrecher im Sturm stehen. Dezente Klavierpassagen, gezielte Paukenschläge und vor allem die Angriffe der Klarinette – John Zorn lässt grüssen – verleihen dem Werk Tiefe und Charakter. Die Sänger geben nicht nur den Text wieder, sondern führen auch Dialoge mit dem Rest: Geschrei, Gestöhn, Gekeife, beschwörendes Sprechen und Chöre sind nur einige der eingesetzten Kniffen.
Das Fanzit A.M.E.N. – The Book Of Lies – Liber I
Die schicke, streng limitierte A5-Digi verspricht Kunst und der Inhalt hält das Versprechen. Wer auf anspruchsvolleren Hörgenuss steht, wird an «The Book Of Lies – Liber I» von A.M.E.N. – seine Freude haben. Dies ist ein Konzeptalbum, das mit weniger als vierzig Minuten Spielzeit den Eindruck eines prallgefüllten Doppelalbums hinterlässt. Wer Schubladenfetischist ist, soll selber entscheiden, ob A.M.E.N. nun Avantgarde-Metal, Avantgarde-Rock, Jazz Metal oder schlicht extrem ist.
Hörtipp: «Windlestraws» oder «Pilgrim-Talk»
Trackliste A.M.E.N. – The Book Of Lies – Liber I
- Baphomet
- The Sabbath Of The Goat
- The Cry Of The Hawk
- The Battle Of The Ants
- Dinosaur
- The Smoking Dog
- Steeped Horsehair
- Waratah-Blossoms
- Samson
- The Blind Webster
- Dewdrops
- Windlestraws
- Pilgrim-Talk
- Dragons
- Mulberry Tops
- A.M.E.N.