Von Motten, Hörnern und Emotionen
Dreimal Ami-Rock stand am 27.11.2023 im Zürcher Komplex 457 auf dem Programm. Halestorm, die Black Veil Brides und Mothica sorgten für einen schwungvollen Start in die Woche. Und weil sich die drei Bands inhaltlich gerne auch mal der dunkleren Seite des Lebens zuwenden, wurde die ausgelassene Sause zu einer emotionalen Berg- und Talfahrt.
Von wegen „tote Hose“ am Montagabend in den Schweizer Konzertsälen. Als ich kurz nach 19 Uhr den Zürcher Rocktempel betrete, sind die Reihen bis recht weit nach hinten bereits gut gefüllt. Und es soll noch voller werden! Mainland Music hat da halt wirklich ein supertolles Package geschnürt, auch wenn mir der Name des Openers – Mothica – zunächst nicht wirklich etwas sagt. Was sich aber schon bald ändern soll …
Mothica
Pünktlich um halb acht betritt die in einen kurzen, weissen Petticoat gekleidete Mothica (bürgerlich: Ellis McKenzie) zusammen mit ihren beiden Mitstreitern die Bühne. Passend zum Namen ziert eine auf einer Transportbox sitzende, rote-schwarze Plüsch-Motte das ansonsten sehr minimalistisch gehaltene Bühnenbild (kein Wunder, denn im hinteren Teil nehmen die bereits fertig aufgebauten Schiessbuden von Christian „CC“ Coma (BVB) und Arejay Hale einen Grossteil der Spielfläche ein). Doch wie so oft bedarf es keiner exzessiv ausstaffierten Szenerie, wenn denn der Rest stimmt. Und da legt das Trio mit dem eingängigen „Casuality“ vom aktuellen Album „Nocturnal“ die Latte schon mal ziemlich hoch! Gleich darauf folgt mit dem „Bring Me the Horizon“-Cover „Can You Feel My Heart“ der nächste Kracher… und schon weiss man das Gros des Publikums auf seiner Seite ….
Dabei hat die zierlich wirkende Frontdame weit mehr zu vermitteln als ihre kurz abgehandelte Einschätzung zur Schweiz (Schokolade, Messer, Berge…). Konkret geht es um Missbrauch, einen Selbstmordversuch (dem der innige Titel „Forever Fifteen“ gewidmet ist) und viele weitere, nicht ganz so schöne Lebenseinschnitte, die in den mal langsam dahinplätschernden, mal geradeaus stürmenden Titeln, die sie selbst gerne als „Dream Pop“ bezeichnet, verarbeitet werden. Wer mehr über diese Untiefen des Lebens erfahren möchte, wird bei Google fündig.
Neben den spannenden Eigenkompositionen, die eine gewisse Eingewöhnungszeit benötigen (man merkt, ich habe mir die CDs bestellt), sticht das schmissige Smash-Mouth-Cover „All Star“ (aus dem Film „Shrek“) fast ein wenig gar knallig in die insgesamt recht intim gehaltene Parade.
Alles in allem ein sehr beeindruckender Auftritt, der mich emotional berührt wie schon lange nicht mehr. Der anschliessende Gang zum Merchstand ist da fast schon Pflicht!
Black Veil Brides
Die Black Veil Brides aus dem sonnigen Kalifornien können mich – zumindest anfangs – nicht ganz so packen. Was zu einem nicht zu unterschätzenden Teil dem eher mau dahin quellenden Sound geschuldet sein dürfte, der gerade in den hinteren Reihen (wo ich mich zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich aufhalte) den einen oder anderen Toeloop schlägt und weit von dem entfernt ist, was man als gut bezeichnen würde.
Gleichwohl ist die Stimmung in der nunmehr beinahe proppenvollen Halle von Beginn weg erstklassig, was sich auch in der doch recht hohen Textsicherheit der anwesenden Schar widerspiegelt. Speziell beim überragenden „Fallen Angel“ ist das Publikum im Refrain deutlich besser wahrnehmbar als die Protagonisten vorne auf der Bühne! Was mir natürlich ein breites Grinsen ins Gesicht zaubert. Ebenso wie das von Herzen kommende Ständchen, welches dem hier und heute in Zürich Geburtstag feiernden Bassisten Lonny Eagleton zuteil wird.
Die hin und wieder eingestreuten Metalcore-Fetzen, die ihrer seit 2006 andauernden Band-Vergangenheit geschuldet sind sowie die treibenden Drum-Parts tragen das Ihrige dazu bei, dass der Auftritt der US-Sonnenstaatler trotz der bereits erwähnten Ton-Probleme viel Zuspruch findet. Auch hier Daumen hoch!
Halestorm
Kommen wir zum Headliner des heutigen Abends – Halestorm! Was soll man zu einer Band sagen, die an einem Montagabend vor einem fast ausverkauften Komplex 457 spielt? Die nach jedem Song ein Dauergrinsen im Gesicht hat (Lzzy Hale und Josh Smith auf der rechten Bühnenseite)? Deren Schlagzeuger quasi eine Show in der Show bietet. Und der man sowas von anmerkt, wie viel Bock alle haben, der anwesenden Gästeschar mit ihren knalligen Songs so richtig in den Allerwertesten zu treten? Eben!
Im Laufe des Gigs wird Frontlady – ach was: Rampensau – Lzzy (die den einen oder anderen Dresswechsel hinlegt) zu Protokoll geben, dass sie vom heutigen Publikumsaufmarsch wirklich überwältigt sei – man würde aber genau die gleiche Party feiern, wenn nur zwei Leute vor der Bühne stünden. Eine Aussage, die man bei vielen anderen Bands einfach zur Kenntnis nähme – ihr aber sowas von abnimmt! Überhaupt ist die Energie, die da auf die Bretter gebracht wird, einfach überwältigend… Meine Theorie ist ja, dass Arejay und seine Schwester als Kinder in irgendeinen Red Bull-Topf gefallen sein müssen – anders lässt sich diese unbändige Power der beiden kaum erklären. Genauso wie das unfassbar coole Schlagzeugsolo von Arejay (mit dem wir ja am Greenfield 2023 sprechen durften).
Hervorzuheben ist an diesem Abend auch die präzise und treffsichere Stimme der begnadeten Shouterin… Gerade bei Titeln wie „Familiar Taste of Poison“ (das sie nach eigener Aussage mit gerade mal 19 Jahren im Keller ihres Elternhauses geschrieben hat und nun ihrem Vater widmet) oder „Raise Your Horns“ gehen unbändige Energie und gefühlvolle Empathie eine Symbiose ein, wie man sie nur selten erleben darf! Wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass mit „Horns“ hier nicht die metal-typischen Horns gemeint ist, sondern das Heben der eigenen Hörner, um sich allen Unwegsamkeiten des nicht immer ganz einfachen Lebens zu stellen…
Den Abschluss eines unglaublich kraftvollen Abends bildet „The Steeple“ vom aktuellen Longplayer „Back From The Dead“ – bzw. die darin tragende Textpassage „This is my church – you are my people“. Mit einem deutlicheren Statement kann man einen solchen Abend wohl kaum beenden!
Das Fanzit – Halestorm, Black Veil Brides, Mothica
Drei coole Bands, die jede auf ihre ganz eigene Art den Montag zu einem echten Kickstart in die neue Woche werden liessen. Wusste der Headliner um die Geschwister Hale in allen Belangen zu überzeugen, so litt der umjubelte Auftritt der Black Veil Brides zumindest ein wenig unter einem nicht ganz optimal abgemischten Sound – Jammern auf hohem Niveau! Und emotional hat mich schon lange keine Band mehr so berührt wie Mothica.
Setlist Mothica
- Casualty
- Can You Feel My Heart (Bring Me the Horizon cover)
- Vices
- Toxins
- Buzzkill
- Forever Fifteen
- All Star (Smash Mouth cover)
- Upside
- Sensitive
Setlist Black Veil Brides
- Opening Title (Theme From Sweeney Todd) (Stephen Sondheim song)
- Crimson Skies
- Rebel Love Song
- Wake Up
- Nobody’s Hero
- Scarlet Cross
- Torch
- The Legacy
- Lost It All
- Fallen Angels
- In the End
Setlist Halestorm
- I Miss the Misery
- Love Bites (So Do I)
- Rock Show
- I Am the Fire
- Amen
- Terrible Things
- Familiar Taste of Poison
- Takes My Life
- Drum Solo
- Back From the Dead
- I Get Off
- Wicked Ways
- Freak Like Me
- Break In / Raise Your Horns (Lzzy solo am Piano)*
- Here’s to Us*
- The Steeple*
* Zugabe