Keine Ermüdung
Bereits zu Beginn des Jahres konnte man The Amity Affliction in Europa erleben. Die Tatsache, dass die Australier im Dezember erneut auf Headliner-Tour gehen, lässt sich auf zwei Gründe zurückführen: Zum einen wurden im Januar und Februar vorrangig die Shows nachgeholt, die ursprünglich für das vorherige Jahr geplant waren, aber verschoben werden mussten. Zum anderen veröffentlichte die Band im Frühling ihr achtes Studioalbum mit dem Titel «Not Without My Ghosts», dessen Veröffentlichung nun mit einer eigenen Konzertreihe gebührend gefeiert werden soll.
Das Konzert von The Amity Affliction im Komplex 457 in Zürich am 18. Dezember 2023 war ein unvergessliches Erlebnis, das durch die energiegeladenen Auftritte der Vorbands Mugshot, Alpha Wolf und Comeback Kid zusätzlich an Intensität gewann.
Mugshot
Mugshot die gerade ihre EP «Cold Will» veröffentlicht haben, betreten die Bühne mit ungezügelter Selbstsicherheit. Die gesamte Band präsentiert eine solide Performance, die jedoch noch Luft nach oben bietet.
Alpha Wolf
Alpha Wolf, die eigens aus Australien angereist sind, setzen die Energie von Mugshot fort und präsentieren sich als eine wahre Überraschung. Von der ersten Note an entfesseln sie ein akustisches Inferno, das sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Innerhalb kürzester Zeit lassen sich die ersten Crowdsurfer über die Absperrung tragen. Der charismatische Sänger Lochie Keogh sorgt mit seiner lebhaften Performance dafür, dass ihr Set aussergewöhnlich gut ankommt.
Comeback Kid
Comeback Kid aus Kanada setzen die musikalische Explosion fort und nehmen die Herausforderung an, ihre Vorgänger zu übertreffen. Mit dem Intro von Phil Collins‘ «In The Air Tonight» heizen sie die Menge weiter an. Jeder Song wird wie ein gezielter Schlag präsentiert, und besonders «Talk Is Cheap» trifft mit präziser Wirkung. Die Band agiert wie Headliner und hinterlässt einen bleibenden Eindruck, sichtbar erschöpft und von Schweiss durchtränkt. Comeback Kid beeindruckt durch die Fähigkeit, die Barrieren zwischen Publikum und Bühne mühelos verschwinden zu lassen. In einem authentischen Rückgriff auf die Wurzeln des Punk schaffen sie eine Atmosphäre der Gleichstellung, in der das Publikum nicht als passive Zuschauer betrachtet wird, sondern aktiv am pulsierenden Rhythmus der Musik teilnimmt. Diese Gemeinschaftsverbundenheit legt einen kraftvollen Grundstein für den Auftritt von The Amity Affliction.
The Amity Affliction
Als The Amity Affliction schliesslich um 21:30 Uhr die Bühne betreten, wird die aufgestaute Spannung durch einen tosenden Applaus entladen. Die starke Verbindung zwischen der Band und ihren Fans resultiert vor allem aus den ehrlichen Texten, die Themen wie Entfremdung und Angst behandeln und vielen Zuhörenden nahegehen. Joel Birch singt mit so viel Überzeugung, dass der Schmerz förmlich in seinem Gesicht abzulesen ist. Unterstützt wird er dabei von Co-Sänger und Bassist Ahren Stringer.
Die vierköpfige Band präsentiert dem Publikum ein beeindruckendes Bühnendesign, bei dem Videoprojektionen zum Einsatz kommen. Diese visuellen Elemente bereichern nicht nur die Bühnendarbietung, sondern werden auch gezielt eingesetzt, um eine intensive Atmosphäre zu schaffen, die perfekt zu den jeweiligen Songs passt.
Mit ihrem Opener-Song «Death’s Hand» konfrontieren The Amity Affliction die Ängste und die Akzeptanz der Sterblichkeit. Die Lyrics beschreiben Gefühle der Leere und Hoffnungslosigkeit, zeichnen ein lebhaftes Bild der Verzweiflung. Der Song behandelt den tiefen emotionalen Schmerz, der die Seele eines Menschen verzehren kann, und reflektiert die Zerbrechlichkeit des Lebens sowie den unerbittlichen Griff des Todes.
Durch einen Crowdsurfer, der eine Flagge Palästinas trägt, wird erneut deutlich, dass Konzerte auch eine politische Dimension haben können. Die Anwesenheit politischer Symbole auf solchen Veranstaltungen führt zu verschiedenen Perspektiven und Bewertungen, je nach individuellen Überzeugungen. Manche sehen darin eine legitime Form des politischen Ausdrucks, die die Aufmerksamkeit auf wichtige soziale oder politische Anliegen lenken kann. Andererseits könnte argumentiert werden, dass politische Symbole auf Konzerten nicht immer angemessen sind und die Veranstaltung möglicherweise politisieren oder spalten können. Die Bewertung dieses Elements hängt somit stark von der individuellen Wahrnehmung ab.
Bedingt durch einen technischen Defekt muss das Konzert 5 Minuten unterbrochen werden, bevor The Amity Affliction mit «Like Love» zurück auf die Bühne kehren. Joel Birch zeigt auch in diesem Song seine unerschütterliche Nutzung der Musik als Katharsis. Der Song wechselt zwischen positiven und negativen Emotionen, zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Dabei greift er auf ein intimes Verständnis von Drogenmissbrauch und Depression zurück und zeigt, wie die beiden oft untrennbar mit persönlicher Verwüstung verbunden sind.
Die Stimmung in der Menge ist elektrisierend. Der Moshpit öffnet sich spontan, ohne dass ein spezielles Signal erklingt. Surfer tauchen in Gruppen von zwei oder drei Personen pro Song auf. Selbst die Band lobt enthusiastisch das Publikum, betont, wie grossartig es ist. Mit Selbstbewusstsein reicht die Band das Mikrofon an das Publikum weiter, die daraufhin fast genauso laut wie die Sänger selbst mitsingen.
Spätestens bei «Open Letter», einem Song vom Album «Chasing Ghosts» (2012), wird das Publikum vollständig mitgerissen. «Open Letter» ist eine Hymne der Hoffnung und des Trostes für alle, die durch schwierige Zeiten gehen. Die Setlist besteht aus insgesamt 17 Songs und bietet eine gelungene Mischung aus bewährten Evergreens wie «Pittsburgh» und überraschend kraftvollen neuen Tracks wie «I See Dead People». Besonders bemerkenswert sind zudem zwei Akustik-Performances: «All Fucked Up» und «Not Without My Ghosts», die eine beinahe intime Atmosphäre schaffen.
Die Band präsentiert einige Tracks aus dem nach der Tour benannten Album, darunter den Titeltrack und die vorherige Single «It’s Hell Down Here», bevor sie ihre Setlist mit ihrem Durchbruchssong aus dem Jahr 2020, «Soak Me In Bleach», abschliessen, der von Verzweiflung und dem Bedürfnis, sich von den Kämpfen des Lebens zu befreien, handelt. Der Song bildet somit einen kraftvollen und bedeutungsvollen Abschluss des Konzertabends.
Das Fanzit – The Amity Affliction
Auch nach zwei Jahrzehnten in der Musikbranche zeigen The Amity Affliction keinerlei Ermüdungserscheinungen. Ihr Versprechen von kontinuierlichem Wachstum wird sowohl auf der Bühne als auch auf ihrem neuesten Album evident. Mit «Not Without My Ghosts» kehren The Amity Affliction einerseits zu ihren Wurzeln zurück, andererseits überraschen sie mit innovativen Elementen, womit sie ihr Dasein mehr als nur rechtfertigen.
Setliste The Amity Affliction
- Death’s Hand
- All My Friends Are Dead
- Drag the Lake
- Like Love
- Don’t Lean on Me
- Shine On
- All Fucked Up
- Open Letter
- Death Is All Around
- Show Me Your God
- I See Dead People
- Not Without My Ghosts
- Pittsburgh
- Ivy (Doomsday)
- Fade Away
- It’s Hell Down Here
- Soak Me in Bleach