Abschied einer Legende
Die Bezeichnungen «Legende» oder «legendär» werden heutzutage sehr inflationär verwendet. Doch manchmal kann eine Gruppe definitiv nicht anders bezeichnet werden, so auch im Falle von Holy Moses. Der Bericht zum Winter Mega-Mosh 2023.
1980 im deutschen Aachen gegründet, war man nicht nur eine der ersten deutschen Thrash-Bands. Mit dem Einstieg von Sabina Classen 1981 waren Holy Moses wohl auch der erste Extreme Metal Act überhaupt mit einer Frau am Mikro. Und nun, über 40 Jahre später, macht die Abschiedstour im Sedel in Luzern halt.
Der heutige Samstag hätte ein reichhaltiges Angebot in Sachen Konzerten zu bieten. Die Konkurrenz ist riesig, von Boswil bis nach Pratteln wären reichlich metallische Events angesagt. Da ich aber – im Gegensatz zu meiner Frau Yvonne – Holy Moses noch nie Live gesehen habe, will ich mir die letzte Chance natürlich nicht entgehen lassen. Fast hätte mir zwar meine Gesundheit einen Strich durch die Rechnung gemacht, lag ich doch von Mittwochabend bis Freitag krank im Bett. Zum Glück geht es am Samstag viel besser, und um Kräfte zu schonen, lasse ich schweren Herzens zum ersten Mal seit Jahren sogar die Metal Börse in Zofingen aus, damit ich am Abend wirklich Fit bin.
Wobei Abend fast untertrieben ist, die erste Band spielt bereits um 16.30, also eher am späten Nachmittag. Da mich neben dem Headliner auch der Rest des Programmes heute interessiert, bin ich auch fast auf den Anfang hier. Zum Glück haben wir grad noch einen Platz im Sedel-Shuttle ergattert am Bundesplatz, andere der bereits Wartenden hatten Pech. Der Andrang scheint also gross zu sein – wie ich später von Veranstalter Amadé erfahren habe, wurden im Vorverkauf stolze 120 Tickets abgesetzt. Nicht schlecht bei einer 250er Location und der Konkurrenz heute Abend.
Im Sedel gibt es heute nicht nur die Konzerte zu geniessen, sondern auch sonst einige Highlights für die Besucher: vor dem Eingang ist unter einem Zelt ein Grill in Betrieb, welcher die Besucher mit feinen Würsten versorgt. Im ersten Stock des Sedels ist nicht nur die Möped-Bar, sondern auch ein kleiner «Metal-Market» – mit Merch der Bands und einem Stand mit Death Metal-Raritäten – sowie eine kleine Ausstellung mit Bildern eines lokalen Künstlers. Diese zeigen bekannte Metal-Covers in leicht verfremdeter Version. Das alles muss momentan aber noch auf mich warten, schliesslich haben Piranha schon angefangen, also ab in den Konzertsaal.
Piranha
Der Platz vor der Bühne ist schon ordentlich gefüllt, als wir ungefähr 15 Minuten nach Showbeginn eintreffen. Obwohl Piranha bei uns in der Nähe beheimatet sind, hatte ich bisher Live noch nie das Vergnügen mit der Band. Der Gute Eindruck beim reinhören bestätigt sich aber vor Ort sogleich, der geile und ziemlich oldschoolige Mix aus Thrash und etwas klassischem Heavy Metal läuft sehr gut rein und wirkt wie für die Bühne geschrieben.
Die zwei Gitarristen José «Oz» und George «Skullshredder» ergänzen sich perfekt, nur einen Bassisten sucht man auf der Bühne vergebens. Drummer Reto – stillecht im Hemlock-Basketballshirt – verdrischt seine Felle ordentlich. Aber der wahre Blickfang ist Sänger André «Squaller». Auch wenn er den Titel des neuen Songs vergessen hat bei seiner Ansage, ist er ansonsten eine ziemliche Rampensau. Er lebt die Songs richtiggehend mit auf der der Bühne und verlässt diese während eines Instrumentalen Parts auch einmal Richtung Publikum, um die Band gemeinsam mit der Crowd abzufeiern.
Die Aargauer bieten einen richtig guten Auftritt, der definitiv Bock auf mehr macht. Die Zuhörer sind für die nachfolgenden Acts jedenfalls schon einmal ordentlich aufgewärmt. Und ich mache nun endlich einmal eine Runde durchs Haus, inklusive Halt am Merch-Stand von Piranha. Da hole ich mir das Debüt-Album «First Kill», von welchem heute einige Songs gespielt wurden, welche zu überzeugen wussten.
Setliste Piranha
- Resistance To Change
- Slaves Of The New Age
- Fatal
- This Is Metal
- Rage Of Fire
- Target Failed
- Strike Back Hard (Exodus)
- Distorted Perception
Besalisk
Als nächstes sind die Local Heroes von Besalisk an der Reihe, welche vor Beginn den Raum erst einmal ordentlich einnebeln. Die Stillbeschreibung Stoner Hardcore Punk hat mich neugierig gemacht, und die ersten Grooves erinnern mich dann sogar ein ganz kleines bisschen an Pantera. Auch diese Gruppe verzichtet auf einen Bassisten auf der Bühne – sind Live Basser nach den Live Keyboardern die nächste bedrohte Spezies? Nun, zumindest im Falls von Besalisk scheint die Position auch sonst nicht besetzt zu sein, zwei Gitarren müssen hier reichen.
Was ebenfalls schnell auffällt, sind die mehrstimmigen Vocals: während sich der Haupt-Sänger Quentin vorwiegend auf geschriene Vocals aus dem Hardcore-Genre verlässt, sorgt Gitarrist Elias für den etwas harmonischeren Gesang, welcher mir aber etwas weniger gut gefällt. Musikalisch ist die Mischung der Band sehr speziell, ich wüsste nun echt nicht, mit wem ich die Gruppe vergleichen sollte. Ist ja aber eigentlich immer ein gutes Zeichen und spricht für eine grosse Portion Eigenständigkeit.
Neben Punk-Einflüssen und gewissen Stoner-Parts, höre ich auch eine Portion 70er Jahre psychedelic Rock heraus. Generell ist die Musik ziemlich abwechslungsreich, es passiert teilweise nicht nur innerhalb der Songs eine Menge, sondern auch die einzelnen Stücke sind alles andere als eintönig. Zudem strahlt die Band eine grosse Spielfreude aus, welche sie sich auch nicht durch ein defektes Gitarrenkabel vermiesen lassen. Schnell ist Ersatz gefunden und es kann weitergehen.
Und beim noch Anwesenden Publikum kommt der Sound ebenfalls nicht schlecht an, wobei sich doch auch einige Metaller in die Möped Bar verzogen haben. Besalisk sind definitiv stilistisch der Aussenseiter am heutigen Abend. Mich unterhält der Auftritt aber ziemlich gut, dank dem Abwechslungsreichtum kommt absolut keine Langeweile auf. Guter und vor allem kurzweiliger Auftritt.
Setliste Besalisk
- Intro
- Rainbringer
- Running Against Walls
- The Sun Forgets To Rise
- 499
- Wandering
- Is This Progress?
- Tidal Lock
- Into Eternity
Disparaged
Als nächstes ist eine Band an der Reihe, die ich zwar schon einige Mal Live geniessen durfte, mir aber immer wieder gerne ansehe. Disparaged sind nicht nur Live eine absolute Macht, sondern können auch auf eine staatliche Anzahl guter Releases zurückschauen. Der Sound ist ab Beginn sehr gut und vor allem druckvoll, so werden sämtliche Besucher, welche noch beim im Treppenhaus platzierten DJ Laskd und seinen Schallplatten waren, schnell in den Konzertraum gelotst.
Im Mittelpunkt steht natürlich Frontmann Tom, welcher für die eine Gitarre besorgt ist und zudem mit seinen tiefen Growls überzeugt. Nun ist aber auch erstmals heute Abend ein Basser auf der Bühne, Reto unterstützt ebenso wie Gitarrist Ralph mit Backing Vocals. Und Drummer Heinz gibt souverän den Takt an. Man merkt schnell, was für ein eingespieltes Team die Band ist.
Einen Song widmet der auch sonst sehr sympathisch wirkende Tom den später auftretenden «Tschuggeration». Da scheint wohl ausser mir sonst noch jemand ein Fan sowohl der TV-Serie Tschugger, als auch von Cremation – beide aus dem Raclette-Kanton Wallis – zu sein. Dies sorgt doch für einige Lacher im Publikum. Es gibt ja jeweils Metaller, die sich daran stören, wenn Death Metal-Bands nicht ein durchgehend böses und grimmiges Image verkörpern auf der Bühne. Ich hingegen finde es sehr erfrischend, wenn der Spass nicht zu kurz kommt, auch wenn die Musik sonst eher humorlos wirkt.
Die Stimmung ist zwar nach wie vor etwas verhalten, gegen Ende der Show gibt es dann im Publikum aber doch einen kleinen Circle Pit zu bestaunen und ein anwesendes Kind wagt sich sogar an einen Stagedive. Früh übt sich! Aber auch der Rest des Publikums quittiert den Auftritt zumindest mit fleissigem Headbangen und reichlich Applaus am Schluss. Und dies völlig zurecht, die Band liefert einen wirklich sackstarken Auftritt. Ich bin schon jetzt auf das neue Album gespannt, welches mir nach der Show am Merch-Stand von Tom für nächstes Jahr in Aussicht gestellt wird.
Setliste Disparaged
- Hell Awaits (Slayer) – Intro
- Bringer Of Death
- Thy Will
- Bored Beyond Belief
- Conqueror Of The Apocalypse
- Approaching Underworld
- Coffin In The Wasteland
- Reborn
- The Wrath Of God
- Overlust
- Impetuous
- Caught In The Fire
- Lack Of Comprehension
Cremation
Nach einer kurzen Verschnaufpause beim Merch und am Essensstand bin ich pünktlich auf den Beginn von Cremation zurück vor der Bühne. Der Raum ist nun nochmals etwas voller als bei Disparaged zuvor, so steht einer grossen Death Metal-Party nichts mehr im Weg. Wie schon bei den Auftritten zuvor ist der Sound sehr drückend und gut abgemischt, nur das Mikro von Frontmann Spiga ist ganz zu Beginn etwas zu leise eingestellt. Dies wird aber zum Glück schnell behoben.
Die Band spielt heute das letzte Jahr veröffentlichte Album «Where The Blood Flows Down The Mountains» fast in voller Länge, nur das abschliessende Instrumental wird weggelassen. Auch verändert wurde die Song-Reihenfolge, was ich persönlich etwas schade finde. Wenn schon ein ganzes Album Live spielen, dann doch gleich so wie man es vom heimischen Player herkennt. Tragisch ist das aber nicht und der Überraschungs-Effekt sogar etwas grösser so.
Spiga scheint merklich gut gelaunt zu sein. Die kurzen Ansagen zwischen den Songs wirken wie immer sympathisch. Als kleine Retourkutsche in Richtung Disparaged widmet er auch Ihnen einen Song, der Bandname wird kurzerhand in Die Spargel geändert. Nicht ganz so kreativ wie Toms Tschuggeration, trotzdem ein Konter, der zu einigen grinsenden Gesichtern führt. Der Rest der Band hält sich in Sachen Stage Acting etwas zurück, sehr auffällig ist aber das Kleid von Bassist Thomas Furrer. Eventuell hat er eine Wette verloren?
Nachdem das aktuelle Album «abgearbeitet» ist, folgen noch drei ältere Klassiker der Band. Besonders «Black Hole» ist immer wieder ein Highlight eines jeden Cremation-Gigs. Disparaged haben die Latte zuvor sehr hoch gelegt, aber Cremation können da Problemlos mithalten. Erneut ein sehr guter Gig. Eigentlich könnte ich schon jetzt hochzufrieden nach Hause gehen. Aber der Headliner folgt ja erst noch.
Setliste Cremation
- Intro
- Burning Beneath The Surface
- Timebomb
- Among The Braindead
- Digital Dependency
- Blooddrill
- Break The Cycle
- Plaguelord
- Black Hole
- Freddy K
- Jousting With The Psyche
Holy Moses
Jetzt ist der Platz vor der Bühne endgültig voll, ich glaube viel mehr Leute hätten im Sedel nicht mehr Platz. Alle Anwesenden sind bereit für die letzte Show von Holy Moses auf einer Schweizer Bühne – bis auf einen. Ein Metalhead aus dem Katon Uri, der hier nicht namentlich genannt werden soll, sitzt vorne am Bühnenrand und ist in einen alkoholbedingten Tiefschlaf verfallen. Auch als die Band loslegt wacht er nicht auf, sehr zur Belustigung von Frontfrau Sabina Classen.
Den ganzen Rest des Publikums haben Holy Moses und Sabina aber sofort im Sack. Es ist unglaublich, wieviel Energie die Mittlerweile 60 Jährige ausstrahlt. Man merkt richtig, wieviel Freude ihr diese Abschiedstournee macht. So schwärmt sie auch ausgiebig vom Konzert gestern Freitag in Martigny. Und auch sonst wirken Ihre Ansagen sehr sympathisch und es werden auch immer wieder kurze Anekdoten aus der langen Bandgeschichte mit eingebaut.
Beim Song «Invisible Queen» holt sie Ingo Bajonczak von Assassin (und ehemals Bonded) auf die Bühne, welcher bei diesem Lied schon auf der Bonus-CD der Deluxe Edition zu hören war. Generell ist die Setliste wie ich finde sehr gut zusammengestellt. Es werden sowohl ein paar neuere Songs gespielt, als auch jede Menge Klassiker aus dem Backkatalog eingebaut. Mit «Waldpurgisnight» ist sogar der erste Song zu hören, den Sabina jemals geschrieben hat.
Die Band um Leaderin Classen macht einen guten Job, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Der sichtbare Altersunterschied ist zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig – Ein Besucher neben mir findet sogar, es wirke ein bisschen, wie wenn eine Schülerband Musik machen würde und die Lehrerin den Gesang übernimmt. Ich finde das aber absolut nicht tragisch. Lieber so, als dass es Holy Moses gar nicht mehr geben würde, was ja leider schon sehr bald Realität sein wird.
Mit dem fast schon obligatorischen «Too Drunk To Fuck» – welches viele nur als Holy Moses-Song kennen, obwohl es ein Dead Kennedy Cover ist – und erneuter Unterstützung von Ingo geht eine grossartige Show nach ungefähr 90 Minuten zu Ende. Sabina und ihre Mitstreiter haben nochmals eindrucksvoll bewiesen, wieso sie eine so grosse Lücke hinterlassen werden. Machs gut Sabina, wir werden Euch vermissen!
Setliste Holy Moses
- Def Con II (Intro)
- Panic
- SSP (Secret Service Project)
- Near Dark
- Invisible Queen
- Cult Of The Machine
- World Chaos
- Nothing For My Mum
- Welcome To The Real World
- Reborn Dogs
- Master Of Desaster
- Hellhound
- Undead Dogs
- Jungle Of Lies
- Finished With The Dogs
- Life’s Destroyer
- Walpurgisnight
- Current Of Death
- Too Drunk To Fuck (Dead Kennedys Cover)
Das Fanzit – Winter Mega-Mosh 2023
Da nun unser letzter Zug ruft, müssen wir auf die Rausschmeisser Tumulo leider verzichten. Verschmerzbar, haben wir doch immerhin bereits 5 Bands gesehen, die allesamt überzeugt haben. Ein grosses Dankeschön für diesen tollen Abend an alle Musiker, das Sedel-Team und Organisator Amadé! Ich freue mich schon jetzt auf den nächsten MegaMosh!