Eine Nacht in hymnischen Flammen
Das Rockfact in Münchenstein war ein mir noch völlig unbekanntes Musiklokal – dass dort am letzten Tag des Novembers nicht so ganz unbekannte Combos wie Xandria, Phantom Elite oder Skarlett Riot auftreten sollten, liess Grösseres erahnen. Was an diesem Abend weniger toll war – und warum trotzdem jede Menge Glückshormone ausgeschüttet wurden – hier unser Bericht!
Kleinere Veranstaltungsorte haben oft ihren ganz eigenen Charme. So auch das Rockfact im Keller eines Industriegeländes, durch dessen verwinkelte Gänge und Türen man schliesslich in einen gemütlich eingerichteten Konzertsaal gelangt (beinahe erwartet man unterwegs einem Minotaurus zu begegnen). Eine lange Theke, zwei Merch-Stände, im hinteren Teil des Raumes ein paar versetzt aufgestellte Bartische mit Hockern sowie der Arbeitsplatz des Tontechnikers. Auf der gegenüberliegenden Seite eine Bühne, die man nicht unbedingt als überdimensioniert bezeichnen kann (und auf der es sicher spannend wäre, die wuselige Truppe von Ye Banished Privateers zu erleben). Und doch wirkt das Ganze alles andere als überlaufen – was nicht zuletzt daran liegen dürfte, dass die Zuschauermenge, wohlwollend ausgedrückt, überschaubar ist. Kurz vor Beginn bevölkern vielleicht gerade mal 70 Unentwegte den Raum. Angesichts des heutigen Billing eine in der Tat ernüchternde Bilanz, auch wenn die Zahl im Laufe des Events noch auf geschätzt hundert ansteigen wird.
Aber hey, dafür steht man quasi stets in der ersten Reihe, hat uneingeschränkte Sicht auf das mit viel Elan vorgetragene Geschehen – also kein Grund zur Tristesse, sondern lauschen und geniessen.
Skarlett Riot
Den Anfang machen Skarlett Riot aus dem britischen Scunthorpe. Ihre bunte Mischung aus HardRock, Alternative Metal, angereichert mit Growls und poppigen Elementen, weiss von Beginn an zu gefallen, und so kommt schon bald reichlich Bewegung in die ersten drei, vier Reihen vor der, wie bereits erwähnt, recht kleinen Spielfläche. Neben Frontfrau Chloe „Skarlett“ Drinkwater, die mich gesanglich mit ihrer leicht gepresst wirkenden Stimme stark an Jennifer Haben von Beyond The Black erinnert, ist auch Saitenmeister Danny Oglesby mit harschen Tönen für die Gesangsarbeit zuständig. Ein stilistisches Element, das natürlich alles andere als neu ist, dem Sound des Quartetts aber ein deutliches Plus an Tiefe verleiht.
Neben Tracks von ihren letzten beiden Scheiben «Regerenate» und «Invicta» präsentiert uns die 2010 als Schülerband gegründete Combo mit «Chemicals» und «Hold Tight» (sehr cool!!) zudem zwei neue Songs, die kommendes Jahr auf ihrem vierten Studioalbum zu finden sein werden.
Und was macht ein gestandener Musiker, wenn ihm das Emporium zu eng erscheint? Ganz klar, er stürzt sich mitten unter das bestens gelaunte Partyvolk und lässt die Musik mit voller Energie dort weiter wirbeln, wie es Cloe und Danny unbeschwert demonstrieren. Absolutes Highlight des mit dreissig Minuten leider viel zu kurzen Sets ist die super eingängige Hüpfnummer «To The Flames», bei der die Stimmung an diesem Abend ein erstes Mal den Siedepunkt erreicht. Ein sehr cooler Auftritt einer wirklich tollen Band – Skarlett Riot haben mich auf jeden Fall als neuen Fan gewonnen.
Phantom Elite
Nach einer angenehm kurzen Umbaupause geht es alsbald mit dem Auftritt der niederländischen Truppe Phantom Elite weiter. Aushängeschild der Formation ist zweifelsohne die in Brasilien geborene Sängerin Marina La Torraca, die unter anderem bei Exit Eden das Mikro schwingt und auch schon als Live-Vokalistin bei Avantasia in Erscheinung getreten ist. Begleitet wird sie von Max van Esch (Gitarre), Joeri Warmerdam (Schlagzeug) und dem ehemaligen After Forever-Gitarristen Sander Gommans. Etwas mehr als zuvor Skarlett Riot haben die vier versierten Protagonisten vorwiegend zu Beginn ihres Sets mit einem etwas diffusen Sound zu kämpfen, was die vorherrschende gute Laune im Saal jedoch nicht wesentlich zu drücken vermag. Wenig überraschend greift man mehrheitlich auf Stücke des im Frühjahr erschienenen Kracheralbums «Blue Blood» zurück, was die mitgereisten Fans entsprechend zu würdigen wissen. So etwa bei der überragenden Edelballade „Birdcage“ – ganz grosses Kino! Oder wenn sich das sonst als Bandfotograf tätige Crewmitglied kurzerhand ein Mikro schnappt und mit Miss Marina ein Duett zum Besten gibt!
Und doch gefallen mir Phantom Elite ab Plattenspieler noch ein bisschen besser als hier und jetzt live on stage. Denn irgendwie vermag mich ihre technisch absolut routinierte, mit viel Dynamik und Schwung vorgetragene Mucke nicht so wirklich abzuholen. Ob es an der eher als zurückhaltend zu bezeichnenden Publikumsinteraktion liegen mag (Skarlett Riot haben da ja zuvor ein mächtiges Ausrufezeichen gesetzt)? Ich mache mir im Geiste eine Notiz, diesen nicht ganz so überbordenden Ersteindruck baldmöglichst bei einem weiteren Auftritt dieses Quartetts zu validieren. Denn rein musikalisch müsste mich diese Band eigentlich zu packen wissen!
Xandria
Punkt 21:25 Uhr betreten unter grossem Jubel (naja, so viel Dezibel nun mal knapp 100 Leute zu produzieren vermögen) Xandria zu den Klängen von «You Will Never Be Our God» die Bühne des Rockfact. Einen genialeren Opener kann man sich wohl kaum wünschen. Von den beiden Vorbands wunderbar auf Betriebstemperatur gebracht, werden die Nackenmuskeln der Zuhörerschaft bereits ein erstes Mal so richtig gefordert. Ein Auftakt nach Mass. Man merkt der deutschen Formation um Mastermind Marco Heubaum und Goldkehlchen Ambre Vourvahis richtiggehend an, mit welcher Freude sie diese Headlinertour auskosten.
Im Vergleich zu ihrem letzten Gig auf Schweizer Boden Ende April 2023 im Komplex 457 können sie nun auf ein viel grösseres Repertoire an neuen Songs zurückgreifen, welche der vielschichtigen Stimme der Halbgriechin/Halbfranzösin gerecht werden. Und auch wenn vielleicht nicht jeder einzelne Ton perfekt sitzt, so wirkt ihre Performance absolut mitreissend – gerade im Bereich des Stageactings sind deutliche Fortschritte zu erkennen. Allenfalls bei den Ansagen besteht noch ein wenig Luft nach oben, wirken diese vielleicht ein klein wenig – ich nenn’s mal – förmlich, was aber sicherlich auch der Sprache geschuldet sein dürfte. Auf jeden Fall spürt man, wie gut die ganze Truppe mittlerweile eingespielt ist und harmoniert. Und diese Spielfreude überträgt sich 1:1 aufs Publikum.
Ein in der Szene immer wieder gerne diskutierter Punkt ist die Verwendung von Soundsamples, wie sie gerade bei den sphärischen Klängen von Xandria zum Einsatz kommen. Auch wenn sich hier die Geister scheiden mögen, so kann ich für meinen Teil gut damit leben – schliesslich und endlich bleibt der ganze Rest des Vorgetragenen feinste Handwerkskunst. Neben neuen Stücken wie «Ghosts», «Reborn», der wunderschönen Ballade «Your Stories I’ll Remember» oder dem im Zugabenteil alles niederbrennenden «My Curse Is My Redemption» durften natürlich auch Klassiker wie «Forevermore» oder das grandiose «Nightfall» nicht fehlen. Und auch «A Prophecy of Worlds to Fall» (von „Neverworld’s End“) hatte es nach über acht Jahren Bühnenabstinenz mal wieder in die Setlist der Bielefelder geschafft.
Insgesamt eine äusserst überzeugende und mitreissende Performance, die bei einer Spieldauer von 85 Minuten durchaus noch ein paar Zeigerumdrehungen obendrauf vertragen hätte.
Das Fanzit – Xandria, Phantom Elite, Skarlett Riot
Veranstalter Jaunty Productions servierte uns heute Abend einen bunten Strauss rockig-melodiöser Klänge, dargeboten von drei energetischen Bands, die einen weitaus grösseren Zulauf verdient gehabt hätten. Während der Headliner Xandria nichts anbrennen liess und in seinem knapp eineinhalbstündigen Set ein wahres Hymnenfeuerwerk abbrannte, blieben die Niederländer von Phantom Elite zumindest in meinen Augen etwas matt – ohne jedoch wirklich abzufallen. Meine persönlichen Tagessieger sind aber Skarlett Riot, die sich mit ihrer frischen und unbekümmerten Art in mein Herz gespielt haben.
Setlist Skarlett Riot
- Chemicals
- Breaking The Habit
- Gravity
- Paralyzed
- Hold Tight
- To The Flames
- Warrior
Setlist Phantom Elite
- Skin Of My Teeth
- The Race
- Conjure Rains
- Black Sunrise
- Birdcage
- Daydark
- Inner Beast
- Diamonds And Dark
Setlist Xandria
- Intro
- You Will Never Be Our God
- Death To The Holy
- Ghosts
- Forevermore
- Reborn
- Your Stories I’ll Remember
- Ravenheart
- Two Worlds
- Nightfall
- The Wonders Still Awaiting
- A Prophecy of Worlds to Fall
- My Curse Is My Redemption*
- Valentine*
- Outro
* Zugabe