In anderen Sphären
Am 20. Januar 2024 schickten sich Molllust und Deep Sun an, mit traumhaft schönen und galaktisch vielschichtigen Melodien die Winterkälte zumindest für eine Nacht zu vertreiben. Ob es ihnen gelungen ist?
Wie es der Zufall so will, finden für mich das letzte Konzert des vergangenen Jahres (Xandria; zur Review) und das erste anno 2024 an ein und demselben Ort statt. Und auch wenn ich das Rockfact bis Ende November schlichtweg nicht kannte – es macht einfach unheimlich viel Spass in dieser kleinen aber feinen Location abzurocken. Leider ist auch heute der Zuschauerandrang wieder sehr bescheiden. Gerade mal 35 – 40 Unentwegte finden bei eisigen Bedingungen den Weg ins verwinkelte Industriequartier im Basler Vorort.
Schliesslich und endlich scheint es für die noch nicht ganz so bekannten Metalbands diesseits wie jenseits der deutsch-schweizerischen Grenze keine leichte Aufgabe zu sein, publikumsmagnetisch die Massen zu bewegen. Im Falle der Aargauer Deep Sun sogar trotz Top-4-Platzierung in den heimischen Charts. Gleichwohl freue ich mich wie ein kleines Kind auf die Darbietungen der beiden Edel-Formationen aus der operesken/symphonischen Ecke, die ich bisher zwar noch nie live erleben durfte, deren Songs ich aber immer wieder gerne lausche.
Molllust
Die aus Leipzig stammenden Molllust etikettieren ihre Musik sehr dezidiert als Opera Metal, der sich laut Sängerin Janika Gross durch die Vermischung von Klassik und Metal sowie die Einbeziehung einer klassisch ausgebildeten Stimme definiert. Klingt erst einmal ziemlich theoretisch, und so lag die Frage bei unserem damaligen Gespräch quasi auf der Hand, was man denn bei einem ihrer Konzerte erwarten dürfe. Nochmals Janika: „Wir bringen zweifelsfrei etwas von dieser Operntheatralik auf die Bühne. Kleine spielerische Elemente hier und da. Und im Gegensatz zu vielen anderen Bands haben wir auch einige klassische Musiker mit an Bord. Und viel Spielfreude, gerade auch untereinander“ [zum Interview].
Der Versuch, eine Live-Performance in Worte zu giessen, ohne das gerade Erlebte wirklich zu fassen zu bekommen. Denn: Was bitteschön geht da auf der Bühne vor sich? Wie soll man diese überbordende Mischung aus klassischem Ernst und spielerischer Leichtigkeit einordnen? Insbesondere, wenn wohl nicht wenige der Zuschauer zum ersten Mal mit diesem „Opera Metal“ in Berührung kommen.
So lässt sich die momentane Stimmung am ehesten als „abwartend und gespannt lauschend“ umschreiben. Naja, schmuggeln wir noch ein zumindest manchenorts aufflackerndes „ehrfurchtsvoll“ mit rein. Denn wie in der Review zur aktuellen Scheibe „Mother Universe“– auf welcher der heutige Abend songtechnisch primär auch basiert – vermerkt, bedarf es einer nicht zu unterschätzenden Portion Aufgeschlossenheit, um sich auf diesen Genre-sprengenden Sound auch wirklich einzulassen. Wer dies tut, respektive kann, erlebt wohl eine Art Feuerwerk der Gefühle. Denn speziell dieser stete Wechsel zwischen eher ruhigen Passagen und opulent operesk getriggerten Elementen offenbart eine ziemlich anspruchsvolle Vielschichtigkeit, die erst einmal verarbeitet werden will.
Was nebst dem weitgefächerten Sound noch ins Auge bzw. ins Ohr sticht, ist diese erfrischende Mischung in den Ansagen der beiden Protagonisten Janika und Frank, die so wunderbar zwischen ernsthafter Tiefsinnigkeit und schalkhaften Foppereien hin und her mäandern. Sei es die wegen eines technischen Problems kurzerhand vorgezogene Danksagung an alle Beteiligten („Improvisieren mit Janika“), die scherzhafte Aufforderung, beim nächsten Song („Uranus – The Butterfly And The Spider“) die rosarote Brille aufzusetzen und die Realität für einen Moment hinter sich zu lassen, oder der historische Fakt, dass Johann Sebastian Bach – so er denn heute lebte – wohl Technical Death Metal spielen würde. Doch so blieb ihm eben nur die Kirchenmusik, um sich auszutoben.
Neben Sängerin Janika Gross und Frank Schumacher an der Klampfe tut sich zudem Violistin Klára Šindelková als veritabler Aktivposten hervor, die gerne auch mal hüpfend oder mit verspiegelter Sonnenbrille für Unterhaltung sorgt. Ebenfalls mit von der Partie waren zudem Julian Jönck (Gitarre), Andreas Cordier (Drums) und Anna Karl an der zweiten Violine. Der Mann am Tieftöner musste leider zu Hause bleiben, da kein 9-Sitzer aufzutreiben war, sowie die Cellistin, die leider krankheitsbedingt passen musste. Aber auch so war es auf der Bühne recht eng, wie mir Frank im Nachhinein versicherte.
Und wenn sich die Musiker für das irgendwie gruselig anmutende „Pluto – The Raven’s Lullaby“ in Masken hüllen, dann schliesst sich spätestens hier der Kreis zur opernhaften Aufführung!
Molllust haben mich bereits mit ihrem letzten Werk „Mother Universe“ zu verzaubern gewusst. Die Band nun aber live zu erleben, ist nochmals eine ganz andere Geschichte. Und auch wenn ich mal unterschwellig vermute, dass einige der Anwesenden gar nicht wussten, wie ihnen geschieht – der Applaus am Ende des Auftritts kam definitiv von ganzem Herzen.
Deep Sun
Nach einer überschaubaren (bzw. erfreulich kurzen) Umbaupause, in der die Protagonisten von Molllust wiederholt dabei beobachtet werden können, wie sie Bühnenutensilien von dannen tragen, gestaltet sich für Deep Sun der Start in den heutigen Abend merklich einfacher. Klar, man geniesst gewissermassen Heimvorteil, und auch der Sound kommt deutlich eingängiger (respektive „massentauglicher“) daher als noch kurz zuvor bei den deutschen Kollegen. Und doch… Ey, Leute, die da vorne beissen nicht (also – nehm ich mal an. Ansonsten freue ich mich auf eure Erlebnisberichte in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke). Es hat schon fast etwas Groteskes, dass sich nur ein paar Unerschrockene in die Nähe der Bühne trauen.
Doch richten wir unser Augenmerk lieber auf etwas weitaus erfreulicheres – nämlich das, was da auf der leicht erhöhten Spielwiese zur Schau getragen wird. Im Gegensatz zu vorhin (als Janika Gross immer mal wieder gerne selbst in die Tasten griff), nimmt das Keyboard von Deep Suns Tom keinen so prominenten Platz mehr ein – was gerade Sängerin Debora Lavagnolo genügend Freiraum zur Entfaltung bietet. Und den sie auch gekonnt auszufüllen vermag. Überhaupt lässt die stimmlich klassisch geschulte und hochdynamisch agierende Künstlerin nichts anbrennen. Ein Punkt, der die beiden Frontdamen an diesem Abend nachhaltig verbindet!
Mit ihrem letzten Studiowerk „Dreamland – Behind The Shades“ hat das Schweizer Quintett einen klaren Schwenk in Richtung Symphonic Metal vollzogen, wie Frontfrau Debora bereits in unserem Interview deutlich machte: „Wir wurden uns auch unseren Stärken bewusst: nämlich der Gesang und die epischen und orchestralen Keysounds.“ So liegt der Schwerpunkt bei der heutigen Setliste wenig überraschend auf aktuellen Kompositionen. Gerade im direkten Vergleich mit den älteren Stücken fällt dabei auf, welch grosser Fortschritt das aktuelle Eisen doch darstellt. Die Stücke wirken vielschichtiger, verspielter, ohne jedoch auch nur ein Quäntchen an Power und Dynamik eingebüsst zu haben. Und kommen live im Vergleich zur Langrille noch einen Tick kraftvoller und energiegeladener aus den Boxen. Deep Sun ist klar eine Live-Band, die auch ab Platte voll zu überzeugen vermag (um das Pferd quasi mal von hinten aufzuzäumen).
Und so vergeht das fünfzehn Tracks umspannende Set denn auch wie im Fluge. Von der Deep Sun-Interpretation eines James Bond-Songs (Killer In A Dream) bis zur Knaller-Hymne „Living The Dream“, die definitiv als Motto des sympathischen Fünfers herhalten kann und bei der man vor allem Drummer Tobias anmerkt, wie viel ihm das Ganze hier bedeutet – alles wirkt wie aus einem Guss. Und natürlich darf die aktuelle Single „Eternal Love“, die der heutigen Doppel-Show den Namen gibt, nicht fehlen. Debora führt uns dabei charmant und engagiert durch den Abend. Und wenn das muntere Treiben mit „Flight Of The Phoenix“ vom gleichnamigen Erstlingswerk (2013) dann seinen Abschluss findet, ja dann schliesst sich auch hier ein Kreis.
Wer Deep Sun live erleben möchte, hat dazu in der ersten Jahreshälfte mehrfach Gelegenheit. Sei es anfangs März an einem der Gigs auf heimischen Boden (Lenzburg, Chur bzw. am Bullhead Festival, das dieses Jahr in Luzern seine Premiere feiert), beziehungsweise Ende April / Anfang Mai auf ihrer Europatournee zusammen mit Edenbridge aus Österreich (bei der sie am 2. Mai nochmals Halt im Rockfact machen werden). Oder dann am 10. August am Mannried Open Air in Zweisimmen (BE).
Das Fanzit – Deep Sun, Molllust
Ich finde es immer wieder spannend, wie sehr so pauschale Aussagen wie „Ach, du hörst Metal? Da klingt ja alles gleich!“ ins Leere laufen können. Heute Abend hatten wir zwei Vertreter doch recht artverwandter Metal-Stile am Start und doch waren Wirkung und Ausdrucksweise bei beiden gänzlich unterschiedlich. Hier (Molllust) mit einem schier bis zum Äussersten getriebenen Hang zu klassischen Elementen (bei dem die Verbindung zu metallischer Härte auf eindrückliche – wenn auch nicht immer einfach nachvollziehbare – Weise prima gelingt), dort (Deep Sun) eine energiegeladene symphonische Klangwelt, die die Schweizer weit in neue musikalische Sphären katapultiert hat.
Was die beiden Damen heute stimmlich abgeliefert haben, war ohnehin ganz grosses Kino. Ein „Duell“ auf höchstem Niveau, auch wenn es keines war. Denn nebst der gegenseitigen Wertschätzung beim Auftritt des jeweils anderen half man sich auch kollegial am Merch-Stand aus.
Daher … Schade, dass nicht mehr Liebhaber grosser Gesangskunst den Weg nach Münchenstein gefunden haben. Ich für meinen Teil freue mich bereits jetzt auf weitere Begegnungen mit diesen beiden aussergewöhnlichen Bands. Und auf weitere Besuche im Rockfact!
Nachtrag
Nach meinem hochinteressanten Gespräch mit Janika und Frank von Molllust (nochmal zum Interview) liess mir ein damals nicht angesprochener Punkt einfach keine Ruhe – warum wurde in der doch so schön (und weit überwiegend korrekt) aufgereihten Perlenkette der Planeten der Saturn als erster Himmelskörper nach unserem Zentralgestirn in der Setlist verewigt?
Frank löst das Rätsel im Nachhinein auf – herzlichen Dank dafür: „Nun, wir sind bei der Reihenfolge ein bisschen einen Kompromiss eingegangen zwischen dem Spannungsbogen und der Reihenfolge der Planeten. Eigentlich hätten wir den Merkur gleich nach der Sonne bringen müssen. Aber nach dem ersten Lied gleich auf die Bremse zu treten, wäre, glaube ich, im Gesamtkontext eher ungünstig gewesen. Deshalb haben wir mit Saturn einen eher groovigen Song gebracht, der auch für unsere Verhältnisse recht schnell ins Ohr geht.“
Setlist Molllust
- Cosmic Ouverture (short)
- Saturn – Human Clockwork
- Tanz des Feuers
- Earth – Beauty Of Diversity
- Uranus – The Butterfly And The Spider
- Sun – Journey Of Icarus
- Voices Of The Dead
- Mars – The Game Is Over
- Mercury – The Desert Inside
- Pluto – The Raven’s Lullaby
- Ave
Setlist Deep Sun
- Prologue
- Dreammaster
- Heroes
- Rogue
- Insurrection Of Technology
- Eternal Love
- Secret Garden
- Killer In A Dream
- Worship The Warship (inkl. Intro)
- Behind The Shades
- Abandon Cyberspace
- Living The Dream
- Euphoria
- Hands In Anger*
- Flight Of The Phoenix*
* Zugabe