Vollendetes Lebenswerk
Eigentlich hätte es einfach das 23. Studio-Album von Magnum sein sollen. Gefolgt von der Tour zum 52-jährigen Bandjubiläum. Doch es kommt alles anders: Tony Clarkin, Gitarrist und Kopf der Band, gibt kurz vor Weihnachten bekannt, dass die Tour aufgrund einer gesundheitlichen Einschränkung abgesagt wird.
Doch die eigentliche Hiobsbotschaft folgt Anfang Januar wenige Tage vor dem Album-Release: Tony Clarkin erliegt seiner Krankheit und hinterlässt mit 77 Jahren ein musikalisches Monument. Dieses unerwartete Ereignis wirkt sich entsprechend bittersüss auf das vorliegende Album aus. Als langjähriger Fan scheint es plötzlich ungemein schwierig, sich unvoreingenommen auf das Songmaterial einlassen zu können. Musik und Texte gehen mit dem ersten Ton und der ersten Textzeile sofort unter die Haut und erzeugen unvermeidbar feuchte Augen. Alles fühlt sich wie ein letzter Liebesbrief an …
Ferne und doch so nahe Welten
Magnums Anfänge reichen bis 1972 zurück, als Tony beschliesst, zusammen mit Bob Catley eine Band zu gründen. Von da an bilden die beiden ein unzertrennliches Team, das im Laufe der Jahre durch weitere Musiker ergänzt wird. Im Mittelpunkt steht dabei Bob Catleys Stimme und seine beschwörend anmutenden Bewegungen bei Liveshows – die perfekte Umsetzung von Tonys lyrischer Kreativität und Soundvision.
Der typische Magnum-Sound wird bereits auf dem Debutalbum «Kingdom Of Madness» (1978) mit dem Titeltrack definiert. Mit einer Verschmelzung aus Hardrock, Progressive und Symphonic Rock wird mit jedem Folgealbum die Musik laufend perfektioniert. Selbst die kommerziellen Jahre von 1986 bis 1990 ändern nichts an diesem eigenwilligen Grundkonzept. Möglicherweise der Grund, weshalb der grosse Durchbruch ausbleibt.
Magnums Musik scheint auf den ersten Eindruck zu abstrakt und in Fantasywelten verloren. Das wird durch das Artwork des jeweiligen Albums nur noch bestärkt. Keine Liebe auf den ersten Blick resp. ersten Hörgenuss also. Es sei denn, man lässt sich bewusst auf die Musik ein und gibt ihr Raum zur Entfaltung. Der Vorhang geht sachte auf und Clarkins unverwechselbare Handschrift entfaltet sich dem Hörer und packt ihn – womöglich für immer. Das fantastische Albumcover und die poetischen Lyrics werden zu ergreifenden Geschichten, die näher an der Realität sind, als man zu denken glaubt.
Ähnlich wie J.R.R. Tolkien sein Kriegstrauma in fantastischen Geschichten verarbeitete, gibt Clarkin dem Weltgeschehen und dem menschlichen Schicksal eine musikalische Stimme. So finden die unterschiedlichen Folgen von Krieg oft den Weg in seine Texte. Der Fokus bleibt dabei immer bei den Schwachen und Benachteiligten. Deutlich erkennbar ist dies bei Songs wie ‹Soldier Of The Line› oder ‹Don’t Wake The Lion›.
Das 23. Werk
Auf dem neuen Album «Here Comes The Rain» wird der geneigte Hörer erneut in Clarkins empathische Welt entführt. So kann der Titeltrack mit den Augen des Ukrainers gesehen werden, während sich ‹Broken City› mit den Ereignissen in Aleppo zu beschäftigen scheint. Doch es wäre vermessen, Magnum lediglich darauf zu reduzieren. Denn das Album ist primär eine musikalische Angelegenheit.
Um sachlich und faktisch zu bleiben: Die Bandklassiker wurden bereits in den 80ern geschrieben. Werke wie «Chase The Dragon» (1982), «On A Storyteller’s Night» (1985) oder «Wings Of Heaven» (1988) sind Glanztaten, die selbst in der überragenden Spätphase der Band nicht mehr erreicht werden. Selbst wenn «On The 13th Day» (2012) oder «The Serpent Rings» (2020) da äusserst nahe rankommen. Ansonsten machen sich jeweils über eine gesamte Albumlänge zunehmend leichte Abnützungserscheinungen bemerkbar. Aber das sei einer Band in ihrem Alter grosszügig verziehen.
Dass sich Tony und Bob auf «Here Comes The Rain» in ihren Ende-70ern befinden, hört man indes nur selten. Vom flotten Eröffnungstrack ‹Run Into The Shadows› bis zum abschliessenden Stampfer ‹Borderline› präsentieren sich die Briten nochmals von ihrer besten und vor allem vielfältigen Seite. Rockige Nummern wechseln sich mit balladesken Klängen ab, auf nachdenklich stimmende Melodien folgen energiespendende Reisser. Höhepunkte bilden das bandtypische ‹After The Silence›, ‹The Seventh Darkness› (mit gelungenem Bläsereinsatz!), das nostalgische ‹I Wanna Live› und der schmissige Boogie-Rocker ‹Blue Tango›. Als Kontrast dazu liegen ‹The Day He Lied› oder ‹Broken City› schwer auf, auch wenn sie Teil des Albumkonzepts sind und die Texte mitten ins Herz treffen.
Das Fanzit Magnum – Here Comes The Rain
Gemessen an den Bandklassikern und rückblickend auf die gesamte Studio-Diskografie gehört «Here Comes The Rain» zu den stärkeren Outputs. Das unfreiwillige Abschlusswerk wird für Fans zum dankbaren Pflichtkauf, während es für Neulinge eine ideale Erstberührung mit Magnum ist.
So paradox das klingen mag, aber mit einem passenderen und aussagekräftigeren Album hätte Tony sein Lebenswerk nicht vollenden können. «Here Comes The Rain» ist authentisch und ehrlich, manchmal etwas verträumt, aber immer voller Empathie – genau das, was man von einem Magnum-Album erwarten darf. Und wer mit 77 noch ein Stück wie ‹Blue Tango› schreiben kann, hat sich allein damit unsterblich gemacht.
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Trackliste Magnum – Here Comes The Rain
- Run Into The ShadowsHere
- Comes The Rain
- Some Kind Of Treachery
- After The Silence
- Blue Tango
- The Day He Lied
- The Seventh Darkness
- Broken City
- I Wanna Live
- Borderline
Line-Up Magnum
- Bob Catley – Vocals
- Tony Clarkin – Guitar
- Rick Benton – Keyboards
- Dennis Ward – Bass
- Lee Morris – Drums
Guests
Chris ‘BeeBe’ Aldridge (Saxophone), Nick Dewhurst (Trumpet), Liam Doherty (Backing vocals), Brendon Riley (Backing vocals), Kyle Lamley (Backing vocals)