Deja Vu
Irgendwie ist es lustig. Erst werden Delain angekündigt… etwas später folgen Xandria als Supporting Act … und dann – finally – Illumishade als Chriesi (dt.: Kirsche) auf der symphonischen Torte. Ladies Night reloaded also im Z7.
Versteht mich nicht falsch – ich liebe (!) diese Kombination und habe jede einzelne Bekanntgabe für mich persönlich abgefeiert. Aber irgendwie stellt sich bei mir auch ein gewisses Déjà-vu-Feeling ein. War da nicht was Ende April 2023? Jep, definitiv (zur Review)! Und gerade der damalige Auftritt des Headliners hatte es bei mir auf Platz 1 der besten Konzerte 2023 geschafft. Ob das noch zu toppen sein wird? So oder so kann man guten Gewissens zwei Dinge notieren: Vorfreude-Tacho auf Maximalanschlag. Und: Es scheint sich ein Trio gefunden zu haben, das a) perfekt zusammenpasst und b) sich wohl auch ausgezeichnet versteht. Beste Voraussetzungen also für ein weiteres traumhaftes Musikerlebnis, dieses Mal einfach im Z7 in Pratteln. Und ein Abend, der mit rund 15 Minuten Verspätung aus den Startlöchern kommt. Zunächst nur eine Randnotiz – die aber leider im weiteren Verlauf noch eine gewisse Bedeutung für mich erlangen wird. Aber dazu später mehr.
Illumishade
Illumishade haben die Ehre, den Reigen mit ihrer unverwechselbaren Mischung aus kraftvollem, progressivem und cineastischem Metal zu eröffnen – Illucore eben. Oder sollte man angesichts ihrer Darbietung eher festhalten, dass sich die beiden folgenden Bands glücklich schätzen können, einen so grossartigen Einheizer zu haben?
Im Gegensatz zu meiner letzten Begegnung mit Illu bei den Z7 Summer Nights (zur Review), wo sie sich die Bühne ebenfalls mit den niederländischen Dunkelwässlern teilten und mir ihr Auftritt etwas – naja, fluffig? – vorkam, wirkt das Quintett heute voll fokussiert. Und – wie eigentlich immer – motiviert bis in die Haarspitzen (die vor allem Frontdame Fabi Erni in gewohnter Manier immer wieder gerne im Kreis herumwirbeln lässt). Das gilt insbesondere auch für Jonas Wolf, der vor neun Monaten im Komplex 457 noch einen etwas abwesenden Eindruck auf mich machte.
Speziell ist auch irgendwie, dass sich Fabi und Jonas die Ansagen zwischen den Songs teilen – Strahlefrau Erni auf Schweizerdeutsch, Mister Wolf auf Englisch… Ob’s an den relativ vielen frankofonen Stimmen liegt, die man draussen vor dem Einlass in die Konzertfabrik hörte. Oder, wie Jonas selbst gleich nachlegt, weil man mit ein paar englischen Wortfetzen – auch wenn sie nicht übermässig geistreich sind – das Publikum sowieso immer auf seiner Seite hat (erinnert mich jetzt irgendwie an Tobi Sammet von Avantasia, als er vor anderthalb Jahren mit ähnlichen Spielchen die Massen um den Finger gewickelt hat). Anyway, die gemeinsame Sprache des heutigen Abends ist ohnehin Metal, und die beherrschen Illu aus dem EffEff!
Natürlich darf bei ihrer 11 Songs umfassenden Show auch der Hinweis auf das am 16. Februar erscheinende zweite Album Another Side Of You nicht fehlen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Setlist bereits rund zur Hälfte aus neuen Stücken besteht, von denen einige ja bereits als Vorabveröffentlichungen kursieren. Erfreulicherweise greifen alte wie neue Lieder wunderbar ineinander, auch wenn für mich eine spürbare Weiterentwicklung im Songwriting und in der Varianz erkennbar ist, die ich aber noch nicht so richtig fassen kann. Naja, fragt mich dann nochmals, wenn ich mir den neusten Wurf in Endlosschlaufe reingezogen habe.
Nicht minder spielfreudig zeigt sich auch der Rest der Gruppe. Yannick Urbanczik am Bass ist ein konstanter Aktivposten, dem Trommler Marc Friedrich mit glasklar aus den Boxen knallenden Beats in nichts nachsteht. Und Synthie-Lady Mirjam Skal, die beim Konzert vor einem dreiviertel Jahr aus beruflichen Gründen nicht mit dabei sein konnte und nun ihre erste grosse Tournee erlebt, bringt mit ihren blauen Haaren nicht nur Farbe, sondern auch reichlich Feenglanz mit ein.
Alles in allem ein traumhafter, sackstarker Auftritt unserer Schweizer Illucorer! Das von Fabis und Jonas Händen gemeinsam geformte Herz spiegeln wir da sehr gerne zurück!
Xandria
In der nun folgenden Pause wird primär das Schlagzeug von Illumishade abgebaut, da Xandria-Drummer Dimitrios Gatsios hinter der Schiessbude von Delain Felleklopfer Sander Zoer Platz nehmen wird. Im Vergleich zu ihrem letzten Gastspiel auf Schweizer Boden (im Rockfact in Münchenstein, hier nachzulesen) darf sich das deutsche Quintett mit der halb griechischen / halb französischen Stimmgewalt ja heute auf einem weit grösseren Spielplatz austoben. Ich bin gespannt, wie man diese neue Freiheit zu nutzen gedenkt.
Als die Lichter im Saal erlöschen, wird schnell klar, dass die Bielefelder Symphonic Metaller keineswegs gekommen sind, um kleine Brötchen zu backen. Sehr agil und spielfreudig wirkt das, was da vorn vom ersten Ton an geboten wird. Und man ist offensichtlich gewillt, dem Main-Act ordentlich Feuer unterm Hintern zu machen (wie Illu ja bereits vor ihnen). Die Saitenfraktion gibt Vollgas, und dass Dimitrios am Schlagzeug eine wahre Urgewalt ist, braucht hier (bzw. für alle Anwesenden) ohnehin nicht nochmals speziell erwähnt zu werden. Überhaupt merkt man am heutigen Abend, mit wie viel Spass und Spielfreude alle Protagonisten zu Werke gehen.
Auch die eingangs erwähnte Grösse der Bühne stellt für Xandria kein Problem dar. Man ist vielleicht noch nicht ganz so weit, die zur Verfügung stehende Fläche in dem Masse auszunutzen, wie es Delain am Anschluss zelebrieren werden, aber gerade Goldkehlchen Ambre Vourvahis hat sich in den letzten Monaten auch in dieser Hinsicht enorm weiterentwickelt. Kein Wunder also, dass man das Publikum sehr schnell auf seine Seite zu ziehen vermag. Und auch wenn mal eine kleine technische Panne die Truppe kurzzeitig ausbremst, so wird das mit viel Charme und Humor gemeistert. Von Hektik keine Spur. Ich denke, gerade hier zahlt sich die jahrzehntelange Erfahrung von Bandleader und Mastermind Marco Heubaum enorm aus – bzw. färbt positiv auf die neu hinzugekommenen Bandmitglieder ab.
Klar, irgendwie hätte ich mir die Überballade Your Stories I’ll Remember in der Setlist gewünscht. Wie ich auch nichts gegen eine längere Performance von Xandria einzuwenden gehabt hätte. So oder so hat es unheimlich Spass gemacht, diese Band nach relativ kurzer Zeit und in einem völlig anderen Umfeld wieder zu sehen! Zumal unterm Strich – auch wenn ich einige wenige abweichende Stimmen vernommen habe – der Sound heute Abend im Z7 als den Auftritten wirklich würdig verbucht werden darf – etwas, das die Klasse der auftretenden Gruppen denn auch wunderbar zur Geltung bringt. Aber ich greife vor, denn der Hauptact steht ja noch aus…
Für Xandria gibt es von mir einen fetten Daumen nach oben! Und ich bin sehr gespannt, wohin diese gemeinsame Reise die Formation noch führen wird.
Delain
Kurze Frage in die Runde: Was macht man, wenn der Tourbus in den sehr frühen Morgenstunden irgendwo zwischen Mailand und dem anvisierten Pratteln den Geist aufgibt und man mit dem gesamten mitgeführten Equipment quasi zwischen zwei Welten (bzw. für Normalsterbliche: Auftrittsorten) festsitzt? Nun, heulen und sich auf dem Boden wälzen ist da gerade keine Option (mit einem entschuldigenden Augenzwinkern in Richtung Fussballer). Auflösung weiter unten …
Zu Beginn der letzten, rund halbstündigen Umbaupause wird ein riesiger Front-Drop mit dem Cover der aktuellen Delain Langrille Dark Waters als Sichtschutz (und natürlich aus dramaturgischen Gründen) vor der Bühne hochgezogen. Zeit für einen etwas längeren Abstecher zu den drei grosszügig dimensionierten Merch-Ständen. Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher (und kann mich da auch locker täuschen), aber wenn ich die Erinnerungen vor meinem inneren Auge aufrufe, dann ist es wieder einmal Robine, die Frau von Delain-Mastermind Martijn Westerholt, die die niederländische Verkaufsbox hütet. Das nenn ich dann mal ein Familienunternehmen!
Der Auftritt der „fliegenden Holländer“ (Zitat aus dem offiziellen Pressetext) lässt sich wie gewohnt mit Attributen wie spielfreudig, witzig, dynamisch, hochstehend sowie herzerwärmend (wobei hier natürlich in erster Linie Sängerin Diana Leah gemeint ist) gut umschreiben. Überhaupt wirkt die Truppe heute im Zusammenspiel (musikalisch wie showtechnisch) noch nen Tick harmonischer, wie ein perfekt eingestelltes Uhrwerk eben. Das gilt besonders für Diana, der mit ihrer natürlichen und frischen Art sowieso alle Herzen zufliegen. Auch bei ihr (die heute schwarze Handschuhe trägt – ok, ist ja auch Winter) zeigt die Formkurve nach wie vor klar nach oben.
Die erneut 18 Songs umspannende Setlist liest sich ähnlich wie damals im Komplex 457. Nicht mehr dabei sind heute Underland, The Hurricane sowie wie bereits in unserem Zürcher-Interview von Martijn angekündigt Beneath. Ersetzt werden sie durch Get the Devil Out of Me, Sleepwalkers Dream plus Sing to Me (womit Begleitsänger Paolo Ribaldini unterm Strich auf einen Einsatz mehr kommt als in Zürich). Apropos Paolo: Wenn ich an den Gastauftritt (Z7 Summer Nights) von Marko Hietala in seinem „Wohnwagen-Unterhemd-Hillbilly-Outfit“ (Zitat Kollege Dutti) zurückdenke, so sind wir heute Abend mit dem italienischen Multitalent (lest mal in seiner Vita) zweifelsfrei weit besser bedient!
Ohnehin wird man auch jetzt wieder sehr schnell in die symphonischen Klangwelten der Niederländer entführt. Bei Suckerpunch kochen die Emotionen ein erstes Mal so richtig hoch, und spätestens zu The Quest and The Curse werden die Nackenmuskeln auf die Probe gestellt. Auf das wunderschöne April Rain, bei dem man einfach nur mit heruntergeklappter Kauluke dasteht und aus dem Staunen nicht mehr herauskommt, folgen mit Get the Devil Out of Me einige sehr groovige Beats, die Diana absolut lässig abfackelt. Was wohl auch mit ihrer Trance-Vergangenheit zu tun hat. Und was Gitarristen während einer Show an Nebel einatmen, wenn sie direkt über den Auslässen stehen, ist schon Wahnsinn! Dies nur als Randbemerkung.
Mein ganz persönlicher Favorit Queen Of Shadows flutscht einmal mehr zuckersüss in die Gehörgänge, derweil Dianas ganz spezielles Delain-Lieblingslied Not Enough für jede Menge Hühnerhaut sorgt. Meine Güte, wie kann man noch nicht mal zwei Jahre zum festen Kern dieser Truppe gehören und schon so abliefern? Einmal mehr – und da wiederhole ich mich gerne – wird sicht- und spürbar, wie sehr die Fangemeinde das (nicht mehr ganz so, ich weiss) neue Gesicht hinter dem Mikro ins Herz geschlossen hat! Und nicht nur einmal beklatschen Band und Publikum sich gegenseitig. Eine wunderschöne Stimmung! Dazu passen dann auch die gegenseitigen Neckereien an der Saitenfront. Ronald (Gitarre) zu Ludovico (Bass): „Ich weiss, dass du Gitarre spielen kannst, aber niemals so gut, dass es für einen Delain-Song reicht“. Ludovico: „Na ja, das kann ich. Aber wie sieht es bei dir mit dem Bass aus“? Also werden kurzerhand die Instrumente getauscht. Und siehe da, das Ganze klingt auch mit verdrehten Vorzeichen richtig gut!
Doch zurück zur eingangs erwähnten Sache mit dem Tourbus. Ronald (der sich mit Diana bei den Ansagen abwechselt) erklärt, dass ihr Nightliner letzte Nacht beim Transfer um fünf Uhr morgens den Geist aufgegeben hat. Da man aber unbedingt hier in Pratteln spielen wollte, wurden kurzerhand drei grosse Lieferwagen aufgetrieben und alles in diese umgeladen. Ronald: „And here we are!“ (den frenetischen Jubel haben sie sich redlich verdient).
Bei Moth To A Flame wird das vom Dark Waters-Albumcover abgeleitete Backdrop wie bereits an früheren Shows erlebt durch die bekannte überdimensionale Motte ersetzt, und mit Mother Machine endet dann das reguläre Set. Wobei …
Gitarrist Ronald Landa tritt noch einmal ans Mikrofon und bittet die Anwesenden um Nachsicht. Nach dem Tohuwabohu der letzten Nacht ist man nun doch etwas müde und möchte das „Wir gehen raus, ihr macht Lärm, wir kommen wieder auf die Bühne“ etwas abkürzen. Ob es okay sei, wenn sie einfach hierblieben und die restlichen Lieder ohne das ganze Brimborium spielten. Klar ist es das – und sowas von sympathisch! Denn wenn man bedenkt, wie müde die Niederländer aufgrund des nächtlichen Sondereinsatzes während ihres heutigen Auftritts im Z7 gewesen sein müssen, es ihnen jedoch in keinster Weise anzumerken war – Chapeau!
Und da die gesamte Sause wie bereits erwähnt mit Verspätung begann und meiner-einer mit dem ÖV unterwegs ist, verpasse ich natürlich prompt die wohl grösste Hüpfnummer der Nachkriegsgeschichte: We Are The Others, dieses traumhaft schöne Stück mit der traurigen Geschichte dahinter, die mich immer wieder zu Tränen rührt. Ich könnte jetzt jammern (oder heulen und mich am Boden wälzen). Oder man nimmt das Ganze einfach zum Anlass, sich schon mal den Besuch des nächsten Delain-Konzerts in der Nähe fest vorzunehmen. Und dann hoffentlich auch wieder mit Elsbeth samt Anhang.
Das Fanzit – Delain, Xandria, Illumishade
Nennen wir den heutigen Abend – in Anspielung an die Performance im Komplex 457 – einfach mal „Ladies Night reloaded“. Ich denke, das kommt so ganz gut hin. Und um den Scheinwerferkegel gleich auf die drei trällernden Ladys zu richten: Gesanglich war das absolut hochstehend, und zwar sowas von. Wozu natürlich auch die jeweiligen Bands einen enormen Anteil hatten.
Beim letzten Aufeinandertreffen dieser drei Gruppen habe ich von einem Steigerungslauf gesprochen. Das war auch im Z7 zu spüren, wobei ich das heute eher an der Bekanntheit und der Spielzeit festmachen würde. Es ist schön zu sehen, wie Ambre bei Xandria nun so richtig angekommen ist. Etwas das bei Delain und Diana schon in Zürich sehr deutlich zu beobachten war. Und bei Illu überstrahlt Fabi mit ihrem fröhlichen, natürlichen Charme ohnehin alles.
Bei Delain war das Abkürzen beim Zugabeblock logischerweise irgendwie schade bzw. ungewohnt, gleichwohl aber auch absolut nachvollziehbar. Was gibt es noch zu sagen? Generell wäre eine etwas ausgelassenere Stimmung – oder Eskalation – in den gut, aber nicht übermässig gefüllten Zuschauerreihen wünschenswert gewesen. Aber alles in allem war’s ein total cooler Abend. Frage an die drei Bands: Wie wäre es so mit einem sagen wir mal halbjährlichen Stell-dich-ein hier in der Schweiz? Ich hätte (wie viele andere auch) nichts dagegen!
Setlist Illumishade
- Enter the Void
- Elegy
- Enemy
- Here We Are
- Crystal Silence
- Cloudreader
- Rise
- Muse of Unknown Forces
- Tales of Time
- World’s End
- Edge of Dusk
Setlist Xandria
- You will Never be our God
- Reborn
- Ghosts
- Nightfall
- Two Worlds
- My Curse is my Redemption
- A Prophecy of Worlds to Fall
Setlist Delain
- The Cold
- Suckerpunch
- Burning Bridges
- The Quest and the Curse
- April Rain
- Get the Devil Out of Me
- Sleepwalkers Dream
- Invidia
- Queen of Shadow (with Paolo Ribaldini)
- Your Body Is a Battleground (with Paolo Ribaldini)
- The Gathering (with Paolo Ribaldini)
- Don’t Let Go (with Paolo Ribaldini)
- Moth to a Flame
- Not Enough
- Mother Machine
- Control the Storm (with Paolo Ribaldini)*
- Sing to Me (with Paolo Ribaldini)*
- We Are the Others*
* Zugabe