Gemeinsam in die Zukunft
Das Rock4Future kann sich als DAS Schweizer Szenetreffen der Rock- und Metalmusik schlechthin bezeichnen. Alles, was Rang, Name, Lust und Zeit hat, traf sich in der schönen Stadt Bern im Stellwerk, um Konzerten und Vorträgen zu lauschen, über Projekte, Ideen, Gott, Satan und die Welt zu quatschen sowie, natürlich, um Apéro-Häppchen in sich ‚reinzustopfen.
Jährlich kürt der öffentlich-rechtliche Radiosender SRF 3 einen Musik-Act zur neuen Hoffnung für die Schweizer Kulturlandschaft, dem „SRF 3 Best Talent“. Sicherlich verdient gewann diese Auszeichnung 2023 Andryy, Vertreter eines an die Gegenwart angepassten Singer-Songwriter-Pop. 2022 wurde der Preis ebenfalls an einen Pop Act vergeben, ebenso 2021… Nebst Pop können sich höchstens mal nicht allzu sehr aneckende Hiphop Artists wie Lo & Leduc oder Steff la Cheffe über die Kürung zum besten Talent der Schweiz freuen.
Vergessen geht dabei das komplette Spektrum des Rocks und Metals. Man kann daraus schliessen, dass dieses in der allgemeinen Wahrnehmung immer mehr vergessen geht, insbesondere von jenen, die an den langen Hebeln von Auszeichnungen wie dem „SRF 3 Best Talent“ sitzen. Und das obwohl die Schweiz eine alles andere als zu verachtende Anzahl an talentierten Vertretern der „harten Stilrichtungen“ hat.
Diese Vernachlässigung könnte die Szene nun in eine lähmende Wut verfallen lassen, still könnte sie leise fluchend die Faust im Sack ballen und sich über diese Ungerechtigkeit aufregen. Das lässt sie jedoch lieber bleiben und sucht stattdessen nach Lösungen. Eine dieser Lösungen nennt sich „Rock4Future“ und fand zuletzt am zweiten Samstag des Januars 2024 in Bern statt. Dabei war die Bezeichnung „for Future“ nicht nur namensgebend. Ebenso galt und gilt sie als Auftrag (nicht nur) für die anwesenden Musiker, Booker, Label-Vertreter, Szenen-Kenner und so weiter. Sie sollen gemeinsam dazu beitragen, die Zukunft ihrer Gemeinschaft zu sichern. Die Zukunft in einer immer stärker umkämpften Kulturbranche, in deren Line-up es immer weniger Platz für härtere Musik zu geben scheint. Ihr Aufeinandertreffen soll sie alle zusammen- und weiterbringen.
Was die Kultur voranbringt
Weiterbringen könnte ein Schweizer Musikprojekt die Organisation „Swiss Music Export“. Erklärte ihr Vertreter in seiner Präsentation. „SME“ unterstützt und berät Schweizer Künstler, für Tourneen, Releases und so weiter im Ausland und hat gar ein kleines aber feines jährliches Budget zur Verfügung, um bei Bedarf auch finanziell ein wenig unter die Arme zu greifen. Neben Projekten und Organisationen, die sich auf der Bühne vorstellten, bot das Rock4Future Raum für viele andere, weniger institutionell gebundene Ideen, die sich unter den Besuchern verbreiten und entwickeln konnten. So nutzten einige Bands aus Bern und Umgebung die Veranstaltung dafür, einen Grundstein für ein Netzwerk zu legen, das aus mehreren Acts bestehen soll, die sich gegenseitig bei der Realisierung von Konzerten eine Hilfe sein können.
Eine andere Band bewarb ihren, mitten in der Stadt Bern gelegenen, Proberaum, der genug Platz bietet, um auch für andere als Veranstaltungsort kleinerer Konzerte zu dienen. Medienvertreter wie das grandiose Fanzine Metalinside.ch (😊) konnten sich Pre-Releases für Album Reviews sichern und direkt mit Bands darüber ins Gespräch kommen, was diese von kritischer Kritik halten. Ein Event also, der die Möglichkeit bot, die durch das Internet immer kleiner werdende Welt wieder einmal in Persona zu treffen. 2024 müsste ein Rock4Future eigentlich hinfällig sein. Jeder hat schliesslich die Möglichkeit innert weniger Minuten über ein Forum praktisch jeden zu erreichen. Warum das persönliche Treffen dennoch, auch fern ab der psychosozialen Komponenten, für das gemeinsame Vorankommen unabdingbar zu sein scheint, ist kaum zu beantworten, wird aber von Veranstaltungen wie dieser bestätigt.
Social Media – zu Unrecht verteufelt
An dieser Stelle einen kleinen Einschub zum Thema „Promotion via Social Media“, da dies ein omnipräsenter Gesprächsinhalt war.
Soziale Netzwerke können persönliche Treffen nicht ersetzen – sie wie im öffentlichen Diskurs so oft zu hören, als das Böse vom Bösen zu bezeichnen, wird ihnen aber auch nicht gerecht. Mitglieder diverser Bands berichteten davon, wie leicht es ihnen falle über online Plattformen (neues) Publikum zu erreichen. „Check our Instagram“ wird praktisch von jeder Band gefordert, die sich entweder live oder in Video-Form auf der Bühne präsentierte. Instagram sei eine simple und effiziente Möglichkeit Informationen und Neuigkeiten an Follower, Hörer, Fans weiterzugeben.
Instagram sei jedoch nicht mit der Menge an Leuten zu vergleichen, die man auf der jüngeren Kurzvideo-Plattform TikTok erreicht. Mit einer herausstechenden Authentizität könne man hier deutlich mehr Leute als auf Instagram erreichen. Dafür sei es hier schwieriger als Musiker, als Band und nicht bloss als Content-Creator erkannt zu werden. Ausserdem reiche das stumpfe Ankündigen von Veröffentlichungen und Konzerten nicht, um eine grössere Anzahl von Zuschauern begeistern zu können. Auf TikTok bestehe das Publikum zu einem grossen Teil aus Leuten, die durch den Algorithmus der Plattform auf einen Post aufmerksam wurden und nicht aus solchen, die spezifisch nach etwas gesucht haben. Um diese Zuschauer anzusprechen, fahren Bands verschiedene Strategien: Die Thrash Metal Band Xonor beispielsweise bringt ihre Musik mittels Konzertmitschnitten in Kombination von Texteinblendungen oder extra einstudierten Sketchen in einen neuen, humorvollen Kontext.
Andere Bands wie M.O.T.H.E.R. setzen hingegen auf kurze sogenannte Video-Blogs (kurz VLOGS) in denen sie ihre Meinung zu Themen kundtun, aus dem Bandraum berichten oder den Zuschauer auf eine Gitarren-Shoppingtour mitnehmen. Der Zeitaufwand, um solche Inhalte zu produzieren, ist nicht zu unterschätzen, ermöglicht aber auch mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten ohne von Redakteuren, Fernsehproduzenten und Publishern abhängig zu sein.
Das Showcase
Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen sicherlich die Auftritte der vier dafür durch eine Fachjury auserkorenen Bands. Diese waren wieder einmal ein weiterer Beweis, dass abfällige Bezeichnungen von Aussenstehenden wie „das sei doch nur Lärm, der immer gleich klingt“ alles andere als auf die Schweizer Rock- und Metalszene zutreffen. Diese an Vielfältigkeit und Einfallsreichtum zu übertreffen dürfte schwierig sein.
One Lunar Day gehörte die erste halbe Stunde des „Showcase“ -Teil des Abends. Was genau ein Showcase-Konzert ist, weiss wohl niemand. Irgendwann hat man sich einfach mal darauf geeignet, dass dies ein Konzert bezeichnet, an dem sich ein Act präsentieren kann. Womit sich das aber von einem regulären Konzert unterscheidet, konnte auch das Rock4Future nicht beantworten. One Lunar Day ist eine Progressive Metal Band aus Zürich, die bei ihrem Auftritt beinahe auf Ansagen verzichtete, sich dafür umso besser darauf verstand, eine unglaublich feierliche Stimmung im Raum zu verbreiten. Dies untermalten sie ergänzend zu ihrem klanglichen Auftreten visuell durch minimalistisch eingesetzte Beleuchtung und ein düsteres Bühnenbild – sehr zum Leidwesen aller anwesender Fotografen. Besonders beeindruckend war die Stimmrange des Frontsängers sowie die Kopfstimme des Schlagzeugers, der ebenfalls Gesangparts übernahm.
Heller, sowohl in der Stimmung als auch in der farbigen Bühnenbeleuchtung, präsentierte sich im Anschluss die Formation All To Get Her, die mit ihrem authentischen, mit der richtigen Menge an Selbstironie gewürzten Pop Punk ehemalige Aushängeschilder des Genres wie Green Day an die Wand spielten.
Nochmal anders klang das extra aus der Westschweiz angereiste Duo Hypersign. Dieses zeichnete sich durch gekonntes Sprengen von Stilrichtungen aus. Crossover würde ihm als Bezeichnung trotzdem nicht gerecht, da sich diese meist nur auf Hiphop/Metal Mischmaschs bezieht. Es wurde gerappt beim Auftritt von Hypersign, aber genauso waren auch zeitgenössische Pop-, Techno- und viele weitere, dem Metal als auch Rock eher fremde, Einflüsse zu hören.
Das Ende des Abends besiegelten „last but not least“ Royal Desolation mit klassischem Metalcore.
Das Fanzit – Rock4Future
Rock4Future konnte sicherlich seine Prämisse erfüllen und alle Anwesenden ein klein wenig zuversichtlicher in die Zukunft blicken lassen. Ein Fazit lässt sich am schlichtesten formulieren mit einer der letzten Wortwendungen an das Publikum von Hypersign gegen Ende ihres Auftritts: (sinngemäss) „We all are representatives from Rock and Metal and we have to work together!“ – Nur gemeinsam kommen wir weiter, selbst wenn uns die grössten Radiostationen des Landes oft übersehen.