Saint Agnes - Werk 21 Zürich 2024
Sa, 17. Februar 2024

Saint Agnes, The Fags

Dynamo Werk 21 (Zürich, CH)
03.03.2024
Saint Agnes - Werk 21 Zürich 2024

Einfallsreichtum und Energie

Die britische Band Saint Agnes dürfte vielen aus der Schweizer Metalszene (noch) kein Begriff sein, zumal sie keine Metalband im herkömmlichen Sinn ist. Ihre Musik ist gespickt mit Einflüssen aus dem Industrialbereich, Punk und einer Prise Progressive à la Nine Inch Nails.

Sowohl optisch als auch inhaltlich ist das Gesamtwerk an Grusel-Acts wie Misfits oder Marilyn Manson angelehnt. Dies allerdings in erfrischend modernem Gewand, das eigentlich Horden von Leuten aus der Alternativ-Szene anziehen müsste.

Tatsächlich sind einige wenige Geschöpfe im Publikum anzutreffen, die sich in Mode aus irgendwelchen Gothic-Boutiquen kleiden, die sich willentlich nicht dem Mainstream unterordnen lässt, sich die Haare schwarz färben und sich mit einer dicken Schicht Kajal anmalen. Der Grossteil der Besucher besteht jedoch erstaunlicherweise aus Menschen, die die 40 teilweise weit überschritten haben. Besondere Erwähnung sollen hier zwei sichtlich ältere Semester finden, die trotz eines Alters, das solche „Strapazen“ eigentlich nicht mehr durchsteht, wie man meinen könnte, ihre Körper deutlich aktiver zur Musik bewegen als vieles des ach so aktiven 20, vielleicht sogar 30 oder knapp 40 Jahre jüngerem Inhalt des Werk 21. Der Mangel an Bewegung scheint die Band nicht weiter zu stören, die eher mässige Anzahl der Teilnehmer an den Moshpits wird immer mal wieder durch Sängerin Kitty, durch Bäder in der Menge, aufgestockt. Allgemein ist an der Band in Sache Bühnenaktivität nichts zu bemängeln, trotz sportlichem Springen und Schütteln der Haare schleichen sich keine Fehler in musikalischer wie gesanglicher Hinsicht ein. Wobei anzumerken ist, dass die Musik von Saint Agnes nicht gerade mit Komplexität trumpft, dafür umso mehr mit Einfallsreichtum und Energie.

The Fags

Vielleicht nicht ganz so einfallsreich doch ähnlich aber auch ein bisschen anders mit (pubertärer) Energie gefüttert, spielt die Schweizer (irgendwas mit) Punk Band The Fags auf. Relativ spontan ist sie als Support-Act eingesprungen.

Mit Songs wie „Masturbation“ oder „Hairy Butt“ können sie wohl als Knöppel  mit englischen Texten bezeichnet werden, wobei The Fags bereits ungefähr seit 2006 existieren und erst irgendwann um 2016 ‘rum zu knöppeln begonnen wurde.

Trotz der musikalischen wie auch inhaltlichen Dissonanz zum Hauptact lässt sich in Sache Bewegung im Publikum kein grosser Unterschied zum Auftritt von Saint Agnes feststellen, wobei erneut erwähnt werden muss, dass ein Grossteil von diesem sich beim Konsum von der Darbietung den ganzen Abend durch passiv verhält.

Saint Agnes

Von passiven Zuschauern lassen sich Saint Agnes wie erwähnt nicht irritieren. Ob sie auch eine volle Stunde lang dieselbe Energie wie beim knapp halbstündigen Auftritt vergangenen Jahres im Z7 als Supportband von Monster Magnet, aufrechterhalten können, war für unwissende Besucher des Werk 21 fraglich. Doch sie können es! Mit Ausnahme eines kurzen, merklich ruhigeren Teils bestehend aus der eigentlich einzigen Ballade der Band „This Is Not The End“.

Davor erzählt Kitty, authentisch, mit echten kajalverschmierenden Tränen in den Augen, dass sie das letzte Album „Bloodsucker“ in einer düsteren Phase ihres Lebens geschrieben habe, geprägt durch den Tod ihrer Mutter. Eine solche Öffnung des Herzens kann schnell ins peinlich Berührende abdriften, besonders wenn der restliche Auftritt auffällig energiegeladen ist. Nicht aber bei dieser Frontfrau. „Ich stehe zu meinen Tränen“ skandiert sie, selbstsicher und stark wie ein Fels in der Brandung.

Mit diesem Hintergrundwissen bekommen die Lieder von Saint Agnes eine weitere tiefgründigere Ebene: Plötzlich hört man nebst Power auch eine schwer zu bändigende Wut aus den Songs raus.

Menschen haben unterschiedliche Methoden, mit erschütternden Situationen fertig zu werden. Im Fachjargon werden diese Coping-Strategien genannt. Kitty hat sich, abgesehen von dieser einen Ausnahme, für das Herausschreien ihrer Wut und innerer Verletzung entschieden und die restliche Band hat sich dem angeschlossen.

Vermutlich ist es diese Authentizität, die das im letzten Jahr erschienene Album zum bisher besten der Bandgeschichte macht – diese Meinung teilt auch ein Grossteil der vielleicht ruhigeren, dafür umso interessierteren Konzertbesucher.

Musikalisch mag Saint Agnes grösstenteils von Power gekennzeichnet sein, kommt rein objektiv jedoch nicht über das Niveau einer mittelmässigen Punk-Band hinaus. Ebenso ist die Band instrumental, wie eine Punk Band bestückt: mit Schlagzeug, Bass und einer, bei manchen Songs auch zwei, Gitarren, wobei es scheint, als würde Kitty, wenn sie eine solche umgehängt hat, diese eher als optisches Accessoire nutzen, als um wirklich darauf zu spielen abgesehen von dem einen oder anderen Akkord da und dort.

Ergänzend zur live gespielten Musik wird immer mal wieder ein Synthesizer ab Band eingespielt, dieser kommt aber im Vergleich zu den Studioaufnahmen deutlich weniger zur Geltung.

An dieser Stelle möchte ich die nicht ganz wissenschaftlich durchgeführte Studie unseres Metalinside „Mitarbeiter“ Luke erwähnen, der Keyboarder als aussterbende Spezies bezeichnet. Eine These, die sich, so scheint es, immer mehr bewahrheitet.

Das Fanzit – Saint Agnes, The Fags

Normalerweise wird in diesen Fanzits die persönliche Meinung kundgetan zu den Leistungen der aufgetretenen Bands oder zu einem neuen Album. Bei diesem Review möchte ich es jedoch nutzen, meinem Ärger über das lahme Publikum Luft zu machen. Eine Gruppe, besonders eine, die mit den Worten „in die Fresse“ bezeichnet werden kann wie Saint Agnes, hat es nicht verdient, vor einem Publikum zu spielen, das wie verfaulte Bäume im Raum steht. Bilder auf Instagram zeigen, wie Bandmitglieder während der Performance in anderen Städten für Stagediving ins Publikum springen und Wall of Deaths aus mehr als drei Leuten bestehen – solche Stunt-Einlagen wären im Werk 21 nicht möglich gewesen. Die erwähnten zwei aktiven älteren Semester und die lahmen Gruftis zeigen, dass auch der für eine solche Band eher höhere Altersdurchschnitt keine Ausrede für die übertriebene Zurückhaltung des Publikums ist.

Ich hoffe von ganzem Herzen, dass sich die Heilige Agnes von diesem Konzert nicht so stark abschrecken liessen, als dass dies ihr letzter Auftritt in der Schweiz war.

So, das reicht jetzt aber auch mit Auskotzen.

Video Saint Agnes – This Is Not The End (Live)


Wie fandet ihr das Konzert?

03.03.2024
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