Death Metal-Spektakel sondergleichen
Ein absolut bombastischer Abend präsentierte sich den Metalheads, die es am 18. April in die Musigburg in Aarburg verschlug. Dafür verantwortlich waren die Wiederholungstäterinnen Crypta aus Brasilien sowie die beiden dänischen Support Acts Plaguemace und Nakkeknaekker.
Er versprach früh «einer dieser Abende» zu werden. Einer dieser Abende, bei denen man am Morgen danach ewig damit beschäftigt ist, die Knöpfe aus den Haaren zu bürsten. Einer dieser Abende, an denen alle Bands restlos überzeugen. Und vor allem einer dieser Abende, die man Ende Jahr zu DEN Highlights schlechthin zählen wird. Eins vorweg: Sämtliche Erwartungen wurden mehr als erfüllt.
Crypta gibt es als Band erst seit ein paar Jahren, und doch führt sie ihr Weg von Brasilien her inzwischen bereits zum dritten Mal in die Aarburger Musigburg. Vor zwei Jahren noch als Vorband von Evil Invaders, wo sie den Headliner (Achtung, subjektive Meinung) kurzerhand an die Wand spielten. Und auf den Tag genau ein Jahr später, vergangenen Juli, zum ersten Mal selbst als Headliner, wo die vier Damen pam und Dutti verzückten (pam: „Verzückten“ ist noch sehr milde ausgedrückt. Sie haben mich schlicht umgehauen und sich damit als Konzert des Jahres 2023 verewigt). Der heutige Auftritt findet im Rahmen der «Shades of Sorrow»-Tour statt, mit welcher die Brasilianerinnen ihr gleichnamiges Album promoten. Die beiden Schweizer Konzerte – das zweite findet wenige Tage später im Kanton Freiburg statt – befinden sich ziemlich mittig auf dem Fahrplan der Europa-Tour.
Beim inzwischen dritten Crypta-Gig in der Musigburg ist Metalinside erneut vor Ort. Nicht ich alleine, wir sind auch nicht zu zweit; nein, gleich sechs Metalinsider verschlägt es nach Aarburg, um sich das Spektakel reinzuziehen. Gespannt bin ich nicht nur auf den Headliner, sondern ebenso auf die beiden dänischen Vorbands Plaguemace und Nakkeknaekker (zumal letztere so jung sind, dass sie nicht einmal Material zum Reinhören online haben). Und anscheinend nicht nur ich, denn schon vor Beginn ist die Musigburg gut besucht. Gerade, wenn man die Leere vom Ektomorf-Konzert noch vor Augen hat.
Plaguemace
Zugegeben, der derartige Auflauf von Metalheads zu Beginn von Plaguemace könnte damit zu tun haben, dass der heute Mittag (!) kommunizierte Zeitplan nicht stimmt und die Gigs glatt eine halbe Stunde zu spät beginnen. Das erinnert mich irgendwie an die Crypta-Geschichte von vor zwei Jahren, doch lieber so rum, als dass alles zu früh beginnt und man etwas verpasst.
In ihrer Beschreibung hatte ich gelesen, dass Plaguemace Death ‘n’ Roll spielen und ihre Musik hat mir beim Reinhören zugesagt. Nichtsdestotrotz erwischen mich die Dänen eiskalt, als sie mit ihrem ersten Song «Cannibalicious» loslegen. Im Ernst, hört euch das bitte an! Wie eine unaufhaltsame Dampfwalze rollt das schwere Todesmetall über die Besucher. Ich kann gar nicht anders, selbst wenn ich wollte: Kopf. Muss. Headbangen.
Bald gesellen sich auch schnellere Passagen dazu, ohne dass die Songs je ihre ordentliche Portion Groove verlieren. Die fünf Musiker erweisen sich sofort als wildes Pack und sorgen auf der Bühne für jede Menge Bewegung und Spass. Unter anderem erklimmt Sänger Andreas Truelsen zweimal die Stufen der in den Backstage-Raum führenden Treppe, steigt übers Geländer und wagt den weiten Sprung zurück auf die Bühne. Bald sind auch mehrere der Herren oben ohne und Mr. Truelsen präsentiert seine zahlreichen Tattoos. Vor lauter Blödsinn und Energie bin ich schlicht überwältigt (pam: Auch die halbe Crypta-Gang amüsiert sich auf der Treppe oben vom „Upstage“ köstlich – siehe Fotos)! Larry schafft es, das Gesehene in Worte zu fassen, und raunt mir zu: «Das ist das Death Metal-Pendant zu Pizza Thrash.» Amen! (Wenn dir jetzt bei Pizza und Thrash das Wasser im Mund zusammenläuft, empfehle ich dir die Review zum Mehr-als-nur-ein-Kochbuch von Crisix.)
Viel zu früh kündigen Plaguemace ihren letzten Song an. Zum Glück dauert «Ambrosia» nochmals knapp neun Minuten und sein sanftes und doch schweres Intro hat es echt in sich. Es ist ein atmosphärischer Start, mit dessen Kontrast die darauffolgende Eskalation nochmal einiges härter einfährt. Zum Ende dieses letzten Songs begibt sich Fronter Andreas ins Publikum und beendet den richtig genialen Opener-Auftritt am Boden kniend.
Man kann gar nicht anders, als beim Merchstand mindestens vorbeizuschauen. Dort erweisen sich Plaguemace als wahre Merchkönige und machen beinahe Stillbirth Konkurrenz. Es gibt zwar keine Badehosen, doch unzählige Shirts und andere Kleidungsstücke, vielerlei Patches, drei verschiedene Sticker, Skateboards und Rum. Bei letzterem handelt es sich um einen Blend aus Barbados und es sind noch sechs von ursprünglich 150 Flaschen verfügbar. Im Gespräch erfahren wir dann, dass die Band heute besonders hyped war, da es der erste Auftritt seit zwei Wochen ist, bei dem Bassist Ruben Brandt wieder mit von der Partie war. Das erklärt einiges…
Setlist – Plaguemace
- Cannibalicious
- Rhythmic Demise
- Impenetrable Leather
- Carnivore
- Among the Filth
- Ambrosia
Nakkeknaekker
Nach einem kurzen Umbau ist es Zeit für die Jungspunde des Abends. Tatsächlich sind die fünf Jungs gemäss Eventbeschrieb erst zwischen sechzehn und zwanzig Jahre jung. Zwar ist diese Information allenfalls nicht mehr die aktuellste; trotzdem wollen wir uns vom Alter der Musiker erstmal nicht beirren lassen. Schliesslich hatten die Tankard-Leute bei Bandgründung teilweise auch erst fünfzehn Jahre auf dem Buckel. Nakkeknaekker versprechen mit ihrem Namen auf jeden Fall Grosses.
Im Gegensatz zu Plaguemace, bei denen ich für einmal (und das spricht für den Rest der Band) nicht zu fest auf den Schlagzeuger achtete, erstaunt mich bei Nakkeknaekker vor allem Drummer Anton Bregendorf. Mit einer krass beeindruckenden Fusstechnik malträtiert er seine Bassdrum und auch ansonsten überzeugt er mit einem enorm engagierten Spiel. Entsprechend überhöre ich dann nach dem Konzert das freudige Feedback eines Besuchers, wonach der Blondschopf «the sickest drummer I’ve ever seen» sein soll (pam: Erinnert mich schwer an Zyon Cavalera, Sohn von Max Cavalera und somit Neffe von Igor-Drum-Machine-Cavalera – siehe Video von Zyon – und immer wieder bei Soulfly hinter der Schiessbude).
Doch die vier vorne stehenden Jungs geben ebenfalls Vollgas. Ist Sänger Christoffer Kofoed unter seinem Longsleeve und T-Shirt eigentlich nicht viel zu warm? Ganz allgemein finde ich, die Songs sind musikalisch sehr solide und basieren auf einem ansprechenden Songwriting. Und obschon dem Fünfer die naturbedingt begrenzte Erfahrung anzumerken ist, überzeugt er mit selbstbewusstem Auftreten.
Dies beobachten wohl auch die beiden Plaguemace-Musiker, die plötzlich neben uns in der zweiten Reihe stehen und ihre Landsmänner begeistert bejubeln. Zudem zeigt ein Blick Richtung Backstage: Im Gegensatz zu vorhin, als mehrheitlich nur Fernanda den Gig verfolgte, stehen und sitzen bei Nakkeknaekker gleich drei der vier Crypta-Mädels oben an der Treppe (pam: Ups, da hab ich vorher gespoilered – ‚tschuldigung).
Leute, diese junge Truppe muss man auf dem Radar behalten. Mal schauen, wie sich ihr Material ab Konserve anhört, wenn es dann irgendwann erscheint…
Setlist – Nakkeknaekker
- Putrified Body Fluid
- Horizon of Spikes
- Shackled to a Corpse
- Nephilim
- Unholy Inquisition
- Absorption
- Face-splitting Madness
Crypta
Den zweiten Umbau verfolge ich genauer, da ich meinen Platz vorne an der Bühne nicht mehr aufgeben will. Vor zwei Jahren bearbeitete Luana Dametto ihr Schlagzeug ja dermassen hart, dass der eine Beckenständer kurzerhand den Geist aufgab. Hoffentlich hält heute alles. Hatte sie eigentlich die Bassdrum schon immer so steil eingestellt? Vor dem Drumset wird noch ein Rudel LED-Kerzen aufgestellt, welche zusammen mit den Plastikdolchen und -schwertern sowie den roten Tüchern die Bühne ins Ambiente des im August erschienenen Zweitalbums «Shades of Sorrow» tauchen.
Es geht los! Doch halt, hier vorne ist der Sound viel schlechter als zuvor in der zweiten Reihe. Ich krebse zurück und gehe schnell wieder nach hinten. «The Other Side of Anger» kommt jetzt ungefiltert in meinen Gehörgängen an. Mit dieser Hymne demonstriert der Vierer zugleich, wie Death Metal-Songs melodisch klingen können, ohne sofort in die Melodeath-Schublade gesteckt zu werden. Ganz grosses Kino von Beginn weg! Insgesamt verhalten Crypta sich ein wenig statischer als die beiden Vorbands; dafür kommen die über Saiten, Trommeln und Becken flitzenden Hände umso mehr zur Geltung.
Wie schon zuvor beim Nakkeknaekker-Sänger frage ich mich, ob die mehrheitlich vor uns stehende Tainá Bergamaschi unter ihrer Lederjacke eigentlich nicht zu Tode schwitzt. An Coolness ist die Gitarristin jedoch kaum zu übertreffen, trotz oder vielleicht gerade wegen dem etwas teilnahmslosen Pokerface, das sie während der ersten paar Songs an den Tag legt. Im Laufe des Auftritts taut sie dann aber je länger, je mehr auf und lässt sich im letzten Drittel auch zu der einen oder anderen Grimasse hinreissen.
À propos, Fernanda Lira – Senhorita Gesichtsentgleisung schlechthin – gibt heute wieder einmal alles und überzeugt nebst packenden Bassläufen und beeindruckenden Vocals mit einem ausufernden Repertoire von Gesichtsausdrücken. Die Fronterin steht wie auch in der Vergangenheit im Mittelpunkt der Truppe und nimmt ihren drei Kolleginnen doch nicht zu viel Raum weg. So gesellt sie sich während Gitarrensoli beispielsweise immer zu der gerade nicht solierenden Saitenhexerin und sorgt mit dieser für einen zusätzlichen optischen Schwerpunkt.
Von der zweiten Dame am Sechssaiter, Jéssica di Falchi, bekommen wir einiges weniger mit als von Tainá. Doch bei ihren Abstechern auf unsere Seite kommen auch wir in den Genuss ihres Gitarrenspiels. Zudem beeindrucken uns die drei Musikerinnen am vorderen Bühnenrand stets mit einer fesselnden Harmonie, welche sich nicht nur in synchronem Headbangen, sondern in gegenseitigen Blicken, einer deutlich bemerkbaren Spielfreude und jeder Menge kleinen Details äussert.
Der letzte Star des Abends sitzt hinter den Trommeln und mehr als nur einmal frohlockt mein Drummerherz, wenn Luana mit viel Biss einen ihrer wilden Übergänge spielt. Völlig zurecht wurde sie letztes Jahr an den Drumeo Awards als eine von fünf KandidatInnen in der Kategorie Metal Drummer of the Year nominiert. Damit stand sie auf einer Liste von 75 Namen in fünfzehn Kategorien, auf der sich auch Legenden wie Brooks Wackerman, Lars Ulrich, Dirk Verbeuren und El Estepario Siberiano befanden. Wenngleich dann Sleep Token-Drummer II (von der Popularität seiner Band profitierend) den Titel in dieser und zwei weiteren Kategorien abräumte, ist völlig unbestritten, dass Luana eine begnadete und vor allem gnadenlose Drummerin ist. Dies demonstriert sie auch heute mit einer schier endlosen Angriffslust und – ich begrenze mich auf einen Punkt – einer brutalen Fingertechnik, mit welcher sie die Snare während ihren Blastbeats bearbeitet.
Die Setliste bepacken die Brasilianerinnen fast vollständig mit Material von «Shades of Sorrow». Vom Debüt «Echoes of the Soul» schaffen es lediglich drei Titel ins Programm. Und glaubt man einem gewissen Setlisten-Portal, wurde das Schmuckstück «Kali» just ab heute rausgekickt. Doch scheinen Crypta mit den «älteren» Songs sowieso ein wenig zu variieren, was grundsätzlich ja begrüssenswert ist.
Nicht nur die dicht gedrängten Support-Musiker am oberen Treppenende, sondern auch die Besucher im Saal dürften sich darüber einig sein, dass Crypta hier gerade eine gewaltige Machtdemonstration abgeliefert haben. Der Pit geht vor allem gegen Konzertende genauso ab, wie es Plaguemace-Basser Ruben die ganze Zeit schon tut. Ja, Crypta lassen keinen Stein auf dem anderen.
Als Fernanda in einer ihrer wenigen Ansprachen ankündet, dass nur noch zwei Songs bleiben, ist aufgrund des bisherigen Ausbleibens klar, was den Abend abschliessen wird: zuerst ein grandios vorgetragenes «Lord of Ruins», welches danach nur noch von einem Song getoppt werden kann – der einzigartigen Hymne «From the Ashes».
Setlist – Crypta
- The Other Side of Anger
- Poisonous Apathy
- Lift the Blindfold
- The Outsider
- Lullaby for the Forsaken
- Stronghold
- Trial of Traitors
- Under The Black Wings
- Dark Clouds
- Shadow Within
- Agents of Chaos
- Lord of Ruins
- From the Ashes
Das Fanzit – Crypta, Nakkeknaekker, Plaguemace
Der Abend startete nach einer halbstündigen Verspätung mit einer gewaltigen Death ‘n’ Roll-Walze: Es war der allererste Plaguemace-Auftritt auf Schweizer Boden und mit ihrer charakteristischen, sympathischen Art dürften die Dänen den einen oder anderen Fan für sich gewonnen haben. Auch haben die Merchkönige mindestens eine der sechs noch übrigen Rumflaschen erfolgreich verkauft.
Danach war der dänische Nachwuchs an der Reihe: Nakkeknaekker machten ihrem Namen alle Ehre und sorgten für jede Menge wirbelnde Haare. Nicht nur das Publikum hat gebannt zugeschaut. Nein, selbst nach über einem Dutzend gemeinsamen Konzerten gönnten sich auch Plaguemace und Crypta die Nakkeknaekker-Show.
All das war jedoch nichts im Vergleich zum Headliner! Das Können, das die vier Musikerinnen Auftritt für Auftritt präsentieren, erstaunt immer wieder. In dieser fantastischen Kombo liefern Crypta einen Death Metal-Gig, der sich gewaschen hat. Mit Mucke, die wohl genau auf dem Grat verläuft, bei dem sich sowohl Deather als auch Melodeather wohlfühlen. All dies bekommen die Brasilianerinnen – abgesehen von ein wenig Klingen, Kerzen und Tüchern – ohne aufwändigen Schnickschnack hin. Das fällt gerade im Kontrast mit anderen Konzerten desselben Wochenendes (z. B. Beyond The Black im Komplex 457 oder Cult of Fire am Metal Storm over Luzern) noch viel mehr auf.
Sowohl musikalisch als auch showtechnisch war dies wohl das beste meiner drei bisherigen Crypta-Konzerte. Natürlich kam in der Musigburg nicht dasselbe Einheitsgefühl auf wie damals bei den vielen lateinamerikanischen Fans in Wacken. Trotzdem haben sich Crypta vermutlich nicht nur bei mir in die Kandidatenliste für den Titel «Konzert des Jahres» gespielt.
Nach dieser bombastischen Demonstration hätte ich eigentlich drei Tage später ins Bad Bonn nach Düdingen pilgern müssen… Distanz und Zeitbudget stellten sich jedoch dagegen, was – traut man den Insta-Stories der beiden Vorbands – ein Fehler war. Doch zum Glück werden Crypta, dies hat Fernanda auf der Bühne versprochen, in die Musigburg zurückkehren!
pam: Domi the Stick hat alles gesagt und perfekt rübergebracht, was wir heute wieder für einen hammermässigen Konzert-Abriss erleben durften. Jetzt stellt sich nur noch eine Frage: Kann ich zwei Jahre hintereinander die gleiche Band am gleichen Ort innerhalb von 12 Monaten für das Konzert des Jahres wählen? Crypta haben auf jeden Fall die Messlatte schon wieder früh im Jahr sehr, sehr – verdammt sehr – hoch gesetzt. Und niemand macht es einem so schwer, die Fotos auszusortieren wie Fernanda… Sie präsentiert sich auf jedem mit einem anderen Gesichtsausdruck, drum sind es auch heute wieder verdammt viele geworden.