Ab in die BDSM-Oper!
Mit ihrem zweiten Album «Weibermacht» zeigen Folterkammer, wo de Bartli de Moscht Andromeda Anarchia ihre Lust holt. Ein Reinhören in die acht Songs starke Reise durch den Operatic Black Metal lohnt sich auf jeden Fall!
Kurz vor dem Release am 19. April verlinkte Metalinside-Oberhaupt pam in unserer WhatsApp-Gruppe eine Albumreview zu «Weibermacht». Die beiden Wörter ‘Folterkammer’ und ‘Weibermacht’, gepaart mit der Bezeichnung Symphonic Black Metal, zogen meine Aufmerksamkeit erfolgreich auf die mir bis dahin unbekannte Band. Hmm, entgegen den durch die deutschen Lyrics gehegten Vermutungen kommt der Fünfer gar nicht aus der DACH-Region, sondern aus New York. Aha, die Sängerin Andromeda Anarchia ist Schweizerin, deshalb die deutsche Sprache. Schritt für Schritt finde ich weitere Infos zu Folterkammer, während die ersten Singles von «Weibermacht» in meine Gehörgänge rieseln. Ja, das Ding verdient eine Albumreview. Nur eine ‘kürzere’, teile ich pam noch mit, doch dazu habe ich nach mehrmaligem Durchhören einfach zu viel zu sagen. Ups!
Thematik und Artwork
Das Albumcover im Stil eines Ölgemäldes lässt bereits erahnen, worum es thematisch hauptsächlich gehen könnte. Ansonsten empfehle ich einen Blick auf die Trackliste. Titel wie «Leck Mich!», «Algolagnia» oder «Das Peitschengedicht» deuten die Stossrichtung in den BSDM-Bereich bereits deutlich an. Damit verschiebt der multinationale Fünfer – mit dem Bassisten Laurent David verfügt das Line-Up noch über einen Franzosen – die Thematik deutlich weg von den teilweise (anti-)religiösen Themen des Debüts und näher hin zu (sexueller) Unterwerfung.
Dass der Stil des Artworks an andere grossartige Albumcovers erinnert, ist übrigens kein Zufall. Schliesslich wurde es von Eliran Kantor kreiert, welcher schon Heaven Shall Burns «Of Truth And Sacrifice», Soulflys «Archangel» sowie Kreators «Hate Über Alles» (und natürlich viele mehr) visuell untermalt hat.
Opernhaftes Schwarzmetall
Der bereits im Januar als Single erschienene Opener «Anno Domina» beginnt mit einem rockigen Riff und dem wohl verbreitetsten aller Schlagzeugrhythmen. Nach kurzer Zeit setzt der Operngesang von Andromeda Anarchia ein und ja, aktuell befinden wir uns noch weit weg von prototypischem Black Metal. Daran ändert auch die bald folgende Doublebass nichts. Doch langsam verschiebt sich die Atmosphäre; und während bereits Blastbeats einsetzen, wird engelsgleich noch etwas von Glocken geträllert. Was diese jedoch einläuten, ist nicht das Paradies, sondern eben die Domina. Die gelungene Grätsche zwischen Black Metal und verspieltem Gesang in schwindelerregenden Höhen ist charakteristisch für die ganze Scheibe, wenn auch der Opener noch eher zu den sanfteren Tracks zählt. Einzig der finale Abschnitt, in welchem in Rammstein-Manier Peitschenschläge gezählt werden, schert ein wenig aus dieser Sanftheit aus. Ein gelungener Song, bei dem man sogar die Massakrierung des lateinischen Genitivs Dominae zugunsten des deutschen Wortes Domina verzeihen muss.
Längere guttural gesungene Teile gibt es zum ersten Mal in «Leck Mich!». Zusammen mit dem frechen Chinabecken auf dem Offbeat und dem im Chor gesungenen ‘die Göttin, die Mistress, die Dominaaa’ definitiv eine mehr als gelungene Kombo! Abgesehen von dieser Partie haut mich die im Februar veröffentlichte zweite Single jedoch – verglichen mit anderen Songs – nicht sonderlich vom Hocker.
«Hoppe hoppe Reiter; wenn sie peitscht, dann schreit er.» Der dritte Streich wurde «Die Unterwerfung» getauft. Es ist wohl das opernhafteste Stück der ganzen Scheibe und besingt die Domina des Aristoteles. Der über ein Black Metal-Gewitter gelegte, im Chor gesungene Refrain, auch hier das eine oder andere Offbeat-China und vor allem der sich langsam dekonstruierende Abschluss-Refrain machen Spass zum Hören. Trotzdem liegt das Album bisher hinter meiner von der dritten Single «Algolagnia» geschürten Erwartung zurück.
Die stärkere Albumhälfte
Doch diese dritte Single muss noch warten; zuvor schleicht sich ein weiterer Song in die Tracklist. «Küss mir die Füsse!» ist textlich alles andere als hochstehend. Musikalisch hat es der Track jedoch in sich. Eines meiner persönlichen Album-Highlights ist der langgezogene, stets leicht variierende letzte Drittel. Auch wenn es deren Komplexität nicht erreicht, erinnert dieses Ende stark an die groovigen Endpassagen von Panteras «Domination», Lordis «Something Wicked This Way Comes» oder Opeths «Deliverance».
Zeit für die dritte und letzte Single. Es war das erste Werk, das ich von Folterkammer hörte und das Ding hat es in sich! Ein von Trommeln unterstütztes Bassintro, dann ein schweres Riff, ein mit gerolltem R gesprochenes «Du willst Schmerz? Wir geben dir Schmerz.», unbehagliches Krächzen: In «Algolagnia» schaukeln die fünf Musiker sich und den Hörer in einer musikalischen Eskalationsspirale stetig weiter nach oben. Dem Songwriting, welches auch vor jeder Menge Dissonanzen nicht zurückschreckt, kann man hier nur die volle Punktzahl geben! Andromeda Anarchia setzt ihre Stimme nochmal einiges vielseitiger ein als auf dem Rest der Scheibe und verleiht dem Song zusammen mit ihren Bandkollegen eine lobenswerte Vielschichtigkeit. Absolutes Highlight und definitiv Anspieltipp!
Von Schwertern und Peitschen
Doch damit ist das Album noch nicht zu Ende. Es folgt «Herrin der Schwerter», eine Ode an eine gewisse Julie d’Aubigny, französische Opernsängerin aus dem siebzehnten Jahrhundert mit wildem Lebensstil, aufgewachsen am Hof von Louix XIV und Inspiration für den Roman «Mademoiselle de Maupin» von 1835. Ob da jetzt wirklich die ‘echte’ Julie d’Aubigny besungen wird oder doch eher die Romanfigur, wird nicht zwingend klar. Doch im Vordergrund steht sowieso dieser weitere geniale Song, der vor allem mit dem Lobgedicht an die als femme fatale und enfant terrible besungene Dame und dem Growlen ihres Namens «La Maupin» zu überzeugen weiss. Nach dem angetäuschten Ende wird dieser Part gleich nochmals wiederholt und setzt ein Schlussstrich unter eine Hymne, wie sie sich Madame d’Aubigny wohl nur hätte wünschen können.
Wieder deutlich in die BDSM-Ecke schiesst dann der letzte eigene Track «Das Peitschengedicht». Ein Gedicht ist es wahrhaftig, dieses Epos der Dominanz. Halt, das habe ich doch schonmal gehört? Richtig, strenggenommen müsste «Das Peitschengedicht» die erste von total vier Singles sein, zumal sie schon vergangenen Oktober, noch ohne das Album-Artwork, erschien. Mit diesem etwas zu kurz geratenen Song, der durchaus noch ein bis zwei zusätzliche Strophen verkraftet hätte, endet das Album…
Vermächtnis von Lou Reed und Sacher-Masoch
… oder zumindest die von Folterkammer selbst geschriebenen Songs. Für den Abschlusstrack muss ein Cover hinhalten, doch thematisch passt «Venus In Furs» wie die Faust aufs Auge die Peitsche auf den Körper. Das Original stammt aus der Feder von Lou Reed, wurde 1967 von The Velvet Underground veröffentlicht und basiert seinerseits auf der gleichnamigen Novelle von Leopold von Sacher-Masoch. Musikalisch hat die Neuinterpretation von Folterkammer nicht mehr viel mit dem Original gemeinsam. Charakteristische Grundelemente wurden jedoch erhalten und Folterkammer verleihen dem Liedgut eine zusätzliche Portion Unbehagen. Gerolltes R und stimmhaftes S inklusive. Mehrere Durchläufe sind jedoch zwingend nötig, bis sich die volle Wirkung entfaltet.
Deutlich mehr Bombast
Wenn man das Album einer Band reviewt, die man zuvor nicht kannte, muss man unweigerlich auch in die Vorgängeralben reinhören. Bei Folterkammer beschränkt sich dies auf den Erstling «Die Lederpredigt» von 2020. Dabei fällt vor allem eines auf: «Weibermacht» ist technischer geschrieben, bombastischer arrangiert und dank der vielseitigen Abwechslung und der deutlichen Produktion für den Nicht-nur-Black-Metaller doch einiges zugänglicher als der Erstling. Wenn die Truppe um Andromeda Anarchia und Zachary Ezrin diesen Weg auf einem allfälligen dritten Album weiterverfolgt, kann nicht viel schief gehen.
Das Fanzit Folterkammer – Weibermacht
Der Kontrast verschiedener Musikstile (allen voran Black Metal und Oper, aber auch Barockmusik und Jazz) ist es, was den Sound auf Folterkammers zweitem Album «Weibermacht» ausmacht. Die von den deutschen Lyrics kräftig untermalte thematische Ausrichtung verleiht dem Album ein Gesamtkonzept, dessen unterschiedliche Facetten in angenehmer musikalischer Vielschichtigkeit beleuchtet werden.
Auch ohne elektronische Einflüsse à la Trip Hop dürften Fans von Igorrr mit «Weibermacht» gut bedient sein, genau so aber auch Metalheads, denen Operngesang und (Symphonic) Black Metal zusagen. Anspieltipps: «Algolagnia», «Herrin der Schwerter» und «Küss mir die Füsse!».
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Trackliste Folterkammer – Weibermacht
- Anno Domina
- Leck Mich!
- Die Unterwerfung
- Küss mir die Füsse!
- Algolagnia
- Herrin der Schwerter
- Das Peitschengedicht
- Venus In Furs (Cover Version)
Line Up – Folterkammer
- Andromeda Anarchia – Vocals
- Zachary Ezrin – Guitars
- Brendan McGowan – Drums
- Darren Hanson – Guitars
- Laurent David – Bass