Auf die Freundschaft
Rauhbein und Haggefugg feierten am Samstag einen unterhaltsamen Tourabschluss in Winterthur. Auf dieser gemeinsamen Reise sind ohne Zweifel neue Freundschaften entstanden und das merkte man den Musikern auch an. Mehr über kölsche Reden, Karnevalsüberraschungen, Schunkellieder sowie Oden an Whiskey, Met und Gerstensaft entnehmt ihr den nachfolgenden Zeilen.
Der gefühlt «ewige» Support-Act von d’Artagnan (siehe dazu beispielswiese die Review von Sandro und mir in der Luzerner Schüür) macht sich auf zu einer eigenen, meines Erachtens völlig verdienten Headliner-Rundreise. Deutschland wurde bereits «abgegrast» und nun kommen wir Eidgenossen noch zum Handkuss. Gestern war das Kofmehl in Solothurn an der Reihe und heute lernen Rauhbein meine Heimatstadt Winterthur kennen (hoffentlich gibt’s da mehr zu sehen als bloss die Innenseite eines Tour-Busses). Somit ist es sonnenklar, dass ich mir einen Abstecher ins Gaswerk erlaube, um den Texten dieser äusserlich harten Jungs zu lauschen. Aber keine Angst, tief im Innern sind sie freilich ganz liebe Kerle.
Bei der Bekanntgabe der Einheizer-Kapelle konnte ich voller Vorfreude die Siegesfaust ballen. Die «haggevollen» Haggefugg sind mit von der Partie! Sie waren eine meiner gefeierten Entdeckungen am Wacken Open Air 2018. Ihr Stück «Met, Wirt, Bestellt!» hat sich problemlos für einen längeren Zeitraum in meinen Gehörgängen eingenistet. Mal schauen, ob sie diese Nummer auch heute wieder zum Besten geben werden.
Ich erhalte für diese Veranstaltung ebenfalls Unterstützung. Metalinside-Mitstreiter Marcel hat seine Kamera bereits geschultert und wird mit diesem «Bildeinfangapparat» garantiert abermals tolle Erinnerungen für die Ewigkeit erschaffen. Die Show wurde übrigens kurzfristig in den Saal hochverlegt, wobei ich ohnehin davon ausgegangen bin, dass die Künstler ins kleine Foyer «eingepfercht» werden. Mit unseren «Presse-Bändeli» könnten wir sogar im Backstage-Bereich herumlungern (feine Geste!), aber trotzdem überlasse ich diesen Raum völlig bescheiden lieber den Musikern.
Haggefugg
Punkt 21 Uhr dürfen die kölschen Mittelalter-Rocker loslegen. Hmm, also wenn ich mir die bolzengerade in den Himmel hinaufragende Frisur von Basser Tim Horschmann anschaue, muss der effektiv genug Zeit gehabt haben, sich gewisse Sehenswürdigkeiten von «Winti» anzuschauen. Der war sicherlich im Technorama und hat dort die ominöse, populäre Elektrokugel berührt. Anders kann mir diesen monströsen Irokesenschnitt kaum erklären. Da wir jetzt eh schon auf modischen Pfaden wandern, müssen zwingend auch die farbenfrohen Socken von Dudelsack-Träger Patrick Knobloch (nein, nicht Knoblauch) erwähnt werden. Keine Ahnung, ob darauf irgendwelche Pferde oder Einhörner abgebildet sind, aber es ist definitiv ein Blickfang. Zu weiteren «Outfit-Ekstasen» kommen wir dann am Ende der Rauhbein-Performance nochmals zu sprechen, aber ich möchte nicht vorgreifen.
Musikalisch präsentieren Haggefugg primär Material ihres neusten Silberlings «Tanz und Gloria». Dazu zählen unter anderem die Tracks «Spieglein» oder «Daheim». Dazwischen erwähnen sie noch einen ganz sonderbaren Merchandise-Artikel. Man könne bei ihnen nämlich auch «Rüebli» kaufen (Kumpel Lex hat sein erworbenes Exemplar gestern in Solothurn notabene signieren lassen). Damit der Wortwitz jedoch funktioniert, muss ich rasch auf den hochdeutschen Begriff zurückgreifen. Dort spricht man nämlich von Möhren. Deswegen sei das Ganze sogenannter (Achtung, der kommt flach!) «Möhr-chendise». Jep, dieser Haufen ist wahrlich immer für eine Blödelei zu haben und sorgt für beste Unterhaltung.
Juhui, meine Hymne «Met, Wirt, Bestellt!» hat’s ebenfalls in die Setliste geschafft. Die Zuschauer feiern und tanzen mit vollem Engagement. Ernster wird’s hingegen beim Lied «Brennende Welt», welches sich gemäss Sänger Yannick Delseit (hübscher Vorname!) mit dem Thema der Depression befasst. Es ist wunderschön mitanzusehen, wie die Besucher die Szenerie mit Feuerzeugen und Smartphone-Lichtern beleuchten und dadurch auf symbolische Art und Weise die Hoffnung zurückbringen.
Heute steht der Abschluss der «Wir sind eins»-Tour auf dem Plan. Kenner wissen, dass deswegen traditionsgemäss jederzeit mit irgendwelchen «Pranks» gerechnet werden muss. Einen solchen – verhältnismässig humanen – Streich ziehen die Jungs mit ihrer Tourmanagerin Katrin durch. Sie erhält eine herzliche Danksagung auf der Bühne und wird danach ebenfalls noch mit Robe, Zepter und Krönchen ausgestattet (fast wie eine echte Königin). Ich frage mich derweil, ob die Akteure diese Utensilien aus dem nahegelegenen Burger King haben mitgehen lassen.
Rauhbein
Haggefugg haben mit ihrem 40-minütigen Gig gut vorgelegt, da müssen Rauhbein nun gezwungenermassen hochkonzentriert abliefern. Aber das scheint den Herrschaften kaum Mühe zu bereiten, denn sie starten druckvoll rein. Lediglich die Stimme des Frontmannes Henry M. Rauhbein dürfte phasenweise etwas deutlicher abgemischt sein. Aber die Party ist fraglos lanciert. Es wird getanzt, gehüpft, gelacht, gefeiert und plötzlich schlängelt sich obendrein eine Polonaise durch den Raum. Die kernigen, sympathischen Typen aus Hessen haben Winterthur vollends im Griff.
Bei Henry stehen gleich zwei Hopfenperlen im Mikrofonständer. Hoffentlich schafft er es, die Dinger zu trinken, bevor sie warm (und somit tendenziell ungeniessbar) werden. Geiger Justin Ciuché scheint ebenfalls über einen ausgezeichneten Durst zu verfügen und killt ein Bierchen nach dem anderen (notabene ohne, dass sein Spiel darunter leidet). Gemäss Aussage seines Fronters sei er am Fusse eines berühmt-berüchtigten Schlosses in Transsilvanien geboren und somit wahrscheinlich eine Art Vampir.
Währenddessen hat Klampfer Godi Hildmann offenbar mit aufgeklebten Wackelaugen auf seinem Monitor zu kämpfen (ein Schelm, wer denkt, dass die Jungs von Haggefugg dahinterstecken). Der Melone tragende Bassist Olli Schmidt ist sowieso eine coole Socke und genehmigt sich auch schon einmal frech ein «Glimmstängeli» auf der Bühne. Bei einem Stück tauscht er plötzlich die Plätze mit Trommler Louis Schaden und übernimmt – ohne Schwierigkeiten – dessen Job. Und wenn dem Tieftöner-Mann selbst das zu öde wird, spaziert er einfach hinunter ins Publikum und feiert hautnah mit den Leuten mit.
Für belustigende Performance-Elemente ist ausreichend gesorgt. Ein Fan kriegt beispielsweise ein Geburtstagsständchen in Form des ABBA-Klassikers «Dancing Queen» serviert und darf dazu im Scheinwerferlicht seine «Tanzkünste» demonstrieren. Später muss Tontechniker Micha dran glauben. Er sei bei den Backstage-Feten stets an vorderster Front mit dabei, wenn es darum geht, Songs von anderen Truppen voller Inbrunst wiederzugeben. Jetzt darf er gemeinsam mit seinen Rauhbein-Kollegen vor versammelter Hörerschaft das Santiano-Liedchen «Gott muss ein Seemann sein» trällern (und dabei stellt er sich also alles andere als schlecht an). Nichtsdestotrotz gefalle es ihm hinter «seinem» Mischpult deutlich besser.
Die totale Eskalation folgt schliesslich gegen Ende des Sets, als urplötzlich die verkleideten Mitglieder von Haggefugg die Bühne stürmen und deutlich machen, dass sie – passend zu ihrer Herkunft – den Karneval lieben. Zudem wird eine lustige Rede im Kölner Dialekt (den wir Winterthurer erstaunlich gut verstehen) vorgetragen. Des Weiteren erhalten die Rauhbein-Herren «lecker Kölsch» zum Befeuchten der eigenen Kehlen ausgeschenkt. Freilich ein gelungener und wohlüberlegter «Prank». Da scheint eindeutig eine innige Tour-Freundschaft entstanden zu sein. Trotz Unterbrechung rafft sich der Headliner dann nochmals auf und liefert mit «Steh wieder auf» und «Fass voller Whisky» zwei Zugaben ab, welche die knapp zweistündige Show (Respekt!) gekonnt komplettieren.
Das Fanzit – Rauhbein, Haggefugg
Der heutige Samstagabend im Winterthurer Gaswerk war eine ausschweifende, trinkfreudige und friedliche Zusammenkunft von Musik-Freunden aus unterschiedlichen Genre-Hintergründen. Sowohl Haggefugg als auch Rauhbein punkteten mit Charme, Schalk und überzeugendem Liedgut. Beide Gruppen wären also jederzeit wieder in der Eulachstadt willkommen. Auf die Freundschaft!